Weibull-Verteilung

stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung über der Menge der positiven reellen Zahlen
(Weitergeleitet von Weibullmodul)

Die Weibull-Verteilung (nach Waloddi Weibull, 1939/1951)[1][2] ist eine zweiparametrige Familie von stetigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen über der Menge der positiven reellen Zahlen. Obwohl nach Weibull benannt, wurde sie zuerst von Maurice René Fréchet identifiziert[3] und erstmals von Rosin & Rammler zur Beschreibung einer Partikelgrößenverteilung angewendet.[4] Abhängig von ihren beiden Parametern ähnelt sie einer Normalverteilung oder asymmetrischen Verteilungen wie der Exponentialverteilung. Sie wird unter anderem zur statistischen Modellierung von Windgeschwindigkeiten oder zur Beschreibung der Lebensdauer und Ausfallhäufigkeit von elektronischen Bauelementen oder (spröden) Werkstoffen herangezogen. Wenn sie als Verteilung einer zufälligen Lebensdauer verwendet wird, berücksichtigt sie, anders als eine Exponentialverteilung, die Vorgeschichte eines Objekts, sie ist gedächtnisbehaftet und berücksichtigt die Alterung eines Bauelements nicht nur mit der Zeit, sondern in Abhängigkeit von seinem Einsatz. Sie lässt sich an steigende, konstante und fallende Ausfallraten technischer Systeme anpassen. Eine besondere Bedeutung hat die Weibull-Verteilung in der Ereigniszeitanalyse.

Weibull-Verteilung
Dichtefunktion
Dichtefunktion für verschiedene Formparameter
Verteilungsfunktion
Verteilungsfunktion für verschiedene Formparameter k
Parameter — Formparameter
— inverser Skalenparameter
Träger
Dichtefunktion
Verteilungsfunktion
Erwartungswert
Varianz

Definition

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Es gibt eine zweiparametrige und eine dreiparametrige Weibull-Verteilung. In vielen Anwendungen wird die zweiparametrige Weibull-Verteilung verwendet, die hier zunächst behandelt wird. Weiter unten gibt es einen Abschnitt zur dreiparametrigen Weibull-Verteilung.

Skalenparameter

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Der Skalenparameter ist  .

In manchen Anwendungen, insbesondere bei Zeitabhängigkeiten wird   durch seinen Kehrwert, die charakteristische Lebensdauer  , ersetzt.   ist bei Lebensdauer-Analysen jene Zeitspanne, nach der ca. 63,2 % der Einheiten ausgefallen sind.[5] Dieser Wert ist eine Kenngröße der Weibull-Verteilung.

 .

Wird kein Skalenparameter angegeben, so ist implizit   gemeint.

Formparameter

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Der Formparameter oder Weibull-Modul ist der Parameter  .

Alternativ werden gerne die Buchstaben   oder   verwendet.

In der Praxis typische Werte liegen im Bereich  .

Durch den Formparameter   lassen sich verschiedene speziellere Wahrscheinlichkeitsverteilungen realisieren:

Für   gehört die Verteilung zu den Verteilungen mit schweren Rändern, deren Dichte langsamer als exponentiell abfällt.

Dichtefunktion, Verteilungsfunktion, Überlebensfunktion und Ausfallrate

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Gegeben sei eine Weibull-Verteilung[6] mit Parametern  .

Die Dichtefunktion ist

 

Die Verteilungsfunktion ist

 

Die Überlebensfunktion oder Zuverlässigkeitsfunktion, ist

 

Die Ausfallrate ist

 

Abweichende Parametrisierung

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Eine andere verbreitete Konvention ist die Parametrisierung durch  , d. h., die Weibull-Verteilung wird definiert als Verteilung mit den Parameter   und der Dichtefunktion

 

Diese Darstellung wird häufig in der statistischen Theorie und in Statistikprogrammen verwendet, da bei dieser Parametrisierung   ein Skalenparameter ist.

Eigenschaften

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Erwartungswert

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Der Erwartungswert der Weibull-Verteilung ist

 

mit der Gammafunktion  .

Die Varianz der Verteilung ist

 .

Die Schiefe der Verteilung ist

 

mit dem Mittelwert   und der Standardabweichung  .

Entropie

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Die Entropie der Weibull-Verteilung (ausgedrückt in nats) beträgt

 

wobei   die Euler-Mascheroni-Konstante bezeichnet.

Anwendungen

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Lebensdauer bzw. Zuverlässigkeit von Lebewesen, Bauteilen und Systemen

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Weibullnetz

Die Weibullverteilung wird in der Ereigniszeitanalyse als parametrische Verteilung zur Modellierung der Lebensdauer verwendet. Bei Systemen mit unterschiedlichen Ausfallursachen wie beispielsweise technischen Komponenten lassen sich diese mit drei Weibull-Verteilungen so abbilden, dass sich eine „Badewannen-Kurve“ ergibt[7].

Die Verteilungen decken dann diese drei Bereiche[8] ab:

  • Frühausfälle mit  , beispielsweise in der Einlaufphase („Kinderkrankheiten“).
  • Zufällige Ausfälle mit   in der Betriebsphase
  • Ermüdungs- und Verschleißausfälle am Ende der Produktlebensdauer mit  

Trägt man die Verteilung in der Form

 

in einem doppelt logarithmischen Diagramm auf, welches auch als Weibullnetz bezeichnet wird, ergibt sich eine Gerade, bei der man den Parameter   leicht als Steigung ablesen kann. Die charakteristische Lebensdauer   kann dann folgendermaßen bestimmt werden:

 .

Hierbei bezeichnet   den y-Achsenabschnitt.

Oft kommt es vor, dass trotz Beanspruchung erst nach einer anfänglichen Betriebszeit   Ausfälle eintreten (beispielsweise infolge des Verschleiß von Bremsbelägen). Dies kann in der Weibull-Verteilungsfunktion berücksichtigt werden. Sie hat dann folgendes Aussehen:

 ,

mit  .

Trägt man die Funktion wieder auf, ergibt sich keine Gerade, sondern eine nach oben konvexe Kurve. Verschiebt man alle Punkte um den Wert  , so geht die Kurve in eine Gerade über.

Festigkeit spröder Werkstoffe

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Spröde Werkstoffe wie z. B. Technische Keramik enthalten normalerweise eine gewisse Anzahl von Material- und Oberflächenfehlern unterschiedlicher Größe, wie Poren, Risse, Einschlüsse oder Kratzer. Jeder dieser Fehler kann bei Belastung ein Materialversagen bzw. einen Bruch verursachen. Die daraus resultierende Verteilungsfunktion der Zufallsgröße Festigkeit ( ) ist bei einer angenommenen minimalen Festigkeit von  

 ,

mit   als charakteristische Spannung und   als Weibull-Modul[9]. Letzterer liegt bei technischen Keramiken typischerweise im Bereich m = 10–20[10].

Dielektrische Festigkeit von Werkstoffen

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Analog zur mechanischen Festigkeit wird auch die Durchschlagfestigkeit bzw. die Durchschlagspannung   eines Isolierwerkstoffes u. a. von der größten Schwachstelle im Material bestimmt.

Bei gleichen Versuchsparametern (Probengeometrie, Elektrodenform/-anordnung, Umgebungsbedingungen etc.) und unter der Annahme, dass auch bei sehr geringen Spannungen bereits ein Ausfall möglich ist, kann die Verteilung der gemessenen Werte der Durchschlagspannung wie folgt angepasst werden:

 ,

mit   als „63%-Wert“ und   als „Weibull-Exponent“[11].

Partikelgrößen

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In der mechanischen Verfahrenstechnik findet die Weibull-Verteilung Anwendung als eine spezielle Partikelgrößenverteilung. Sie wurde in den 1930er Jahren von Paul Rosin und Erich Rammler für die Analyse von Kohlestaub entwickelt und wird daher als Rosin-Rammler-Verteilung oder Rosin-Rammler-Sperling-Bennet-Verteilung (kurz RRSB-Verteilung) bezeichnet.

Windgeschwindigkeit

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Windgeschwindigkeitshäufigkeiten

Die Grafik zeigt beispielhaft eine Messreihe von Windgeschwindigkeiten (grün). Eine Anpassung nach Gauß (blau, Normalverteilung) nähert sich den gemessenen Werten nur ungenügend. Weder gibt es negative Windgeschwindigkeiten noch ist die Verteilung symmetrisch. Eine Weibull-Verteilung führt einen zweiten freien Parameter ein. Durch sie wird die Verteilung für große und kleine Windgeschwindigkeiten sehr gut approximiert, ebenso die Werte um das Maximum. Aus den angepassten Parametern   und   folgt ein Erwartungswert von 4,5 m/s, in guter Übereinstimmung mit dem Wert von 4,6 m/s bestimmt aus den Messwerten.

Dreiparametrige Weibull-Verteilung

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Es gibt eine dreiparametrige Weibull-Verteilung[12][13] die durch Erweiterung der zweiparametrigen Weibull-Verteilung mit einem zusätzlichen Verschiebungsparameter erfolgt, der aus statistischer Sicht ein Lageparameter ist.

Definition

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Eine Zufallsvariable   heißt dreiparametrig Weibull-verteilt mit dem zusätzlichen Lageparameter  , falls die Zufallsvariable   (zweiparametrig) Weibull-verteilt ist.

Eigenschaften

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  • Eine dreiparametrig Weibull-verteilte Zufallsvariable   mit den Parametern  ,   und dem Lageparameter   hat die Dichtefunktion
 
und die Verteilungsfunktion
 
  • Für jeden fixierten Parameter   bildet die zweiparametrige Familie der Dichtefunktionen   eine Lage-Skalen-Familie mit dem Lageparameter   und dem Skalenparamater  .
  • Wenn die Zufallsvariable   eine zweiparametrige Weibull-Verteilung mit den Parametern   und   hat, dann hat die Zufallsvariable   eine dreiparametrige Weibull-Verteilung mit den Parametern  ,   und  . Damit ergibt sich unmittelbar
 
und
 
Die dreiparametrig Weibull-verteilte Zufallsvariable   hat also einen um den Wert   verschobenen Erwartungswert im Vergleich zur zweiparametrig Weibull-verteilten Zufallsvariable  , aber dieselbe Varianz.

Gespiegelte Weibull-Verteilung

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Die Zufallsvariable   sei Weibull-verteilt. Dann hat die Zufallsvariable   eine gespiegelte Weibull-Verteilung (engl.: reverse-Weibull distribution).[14] Es gilt   und  . Wenn   die Verteilungsfunktion von   bezeichnet, dann hat die Variable   die Verteilungsfunktion

 ,

da

 

wobei das vorletzte Gleichheitszeichen gilt, da   eine stetige Zufallsvariable ist.

Die Familie der Verteilungsfunktionen

 

gespiegelter Weibull-Verteilungen tritt in der Extremwerttheorie als Verteilungstyp möglicherer Extremwertverteilungen bei der Untersuchung der Maxima unabhängig und identisch verteilter Zufallsvariablen auf.[14] Die zugehörigen Verteilungen werden als Extremwertverteilungen vom Typ III oder als Extremwertverteilungen vom Weibull-Typ bezeichnet. Irritierend kann sein, dass manche Autoren gespiegelte Weibull-Verteilungen als Weibull-Verteilungen bezeichnen.[15]

Beziehung zu anderen Verteilungen

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Beziehung zur Exponentialverteilung

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  • Man sieht, dass der Fall   die Exponentialverteilung   ergibt. Mit anderen Worten: Die Exponentialverteilung behandelt Probleme mit konstanter Ausfallrate  . Untersucht man jedoch Fragestellungen mit steigender ( ) oder fallender ( ) Ausfallrate, dann geht man von der Exponentialverteilung zur Weibull-Verteilung über.
  • Ist der Parameter  , dann wird ein System mit einer mit der Zeit ansteigenden Ausfallrate, also ein alterndes System, beschrieben.
  • Besitzt   eine Exponentialverteilung   mit Parameter  , dann besitzt die Zufallsvariable   eine Weibull-Verteilung  . Zum Beweis betrachte man die Verteilungsfunktion von  :
     .
    Das ist die Verteilungsfunktion einer Weibull-Verteilung.

Gestreckte Exponentialfunktion

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Die Funktion

 

wird als gestreckte Exponentialfunktion bezeichnet.

Siehe auch

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Literatur

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  • Bernard W. Lindgren: Statistical Theory. Chapman & Hall, New York u. a. 1993, ISBN 0-412-04181-2.
  • Marek Fisz: Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1970.
  • Joachim Hartung, Bärbel Elpelt, Karl-Heinz Klösener: Statistik. Oldenbourg, München 2002, ISBN 3-486-25905-9.
  • Horst Rinne: The Weibull Distribution – A Handbook. CRC Press, Boca Raton 2008, ISBN 978-1-4200-8744-4, doi:10.1201/9781420087444.
  • Horst Rinne: Zur Genesis der Weibull-Verteilung. In: Horst Rinne, Bernhard Rüger, Heinrich Strecker (Hrsg.): Grundlagen der Statistik und ihre Anwendungen – Festschrift für Kurt Weichselberger. Physica-Verlag, Heidelberg 1995, ISBN 3-7908-0872-5, S. 76–86.
  • Horst Rinne, Hans-Joachim Mittag: Statistische Methoden der Qualitätssicherung. Hanser, München/Wien 2002, ISBN 3-446-15503-1.
  • Holger Wilker: Weibull-Statistik in der Praxis, Leitfaden zur Zuverlässigkeitsermittlung technischer Produkte. BoD, Norderstedt 2010, ISBN 978-3-8391-6241-5.
  • C. K. Lin, C. C. Berndt: Measurement and analysis of adhesion strength for thermally sprayed coatings. In: Journal of Thermal Spray Technology. Band 3, Nr. 1, 1994, S. 75–104, doi:10.1007/BF02649003 (englisch).
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Commons: Weibull-Verteilung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. W. Weibull: The Statistical Theory of the Strength of Materials. In: Ingeniors Vetenskaps Academy Handlingar. Nr. 151. Generalstabens Litografiska Anstalts Förlag, Stockholm 1939, S. 1–45 (englisch).
  2. Waloddi Weibull: A statistical distribution function of wide applicability. In: Journal of Applied Mechanics. Band 18, Nr. 3, 1951, S. 293–297, doi:10.1115/1.4010337 (englisch).
  3. Maurice Fréchet: Sur la loi de probabilité de l'écart maximum. In: Annales de la Société Polonaise de Mathématique Année 1927. Band 6. Krakôw 1928, S. 93–116 (französisch).
  4. P. Rosin, E. Rammler: The Laws Governing the Fineness of Powdered Coal. In: Journal of the Institute of Fuel. Band 7, 1933, S. 29–36 (englisch).
  5. Thomas Cloodt: Zuverlässigkeit und Lebensdauer. In: cloodt.de. Clodt Verlag, 2014, abgerufen am 28. Juni 2021.
  6. Ayse Kizilersu, Markus Kreer, Anthony W. Thomas: The Weibull distribution. In: Significance. 15. Jahrgang, Nr. 2, 2018, S. 10–11, doi:10.1111/j.1740-9713.2018.01123.x (englisch).
  7. Siehe auch: en:Exponentiated Weibull distribution
  8. Zuverlässigkeitssicherung bei Automobilherstellern und Lieferanten. (= Verband der Automobilindustrie e.V. [Hrsg.]: Qualitätsmanagement in der Automobilindustrie. Band 3). 3. Auflage. VDA, 2000, ISSN 0943-9412, Abschnitt 2.4.3.
  9. Dietrich Munz, Theo Fett: Ceramics - Mechanical Properties, Failure Behaviour, Materials Selection (= Springer Series in Materials Science. Band 36). Springer, Berlin, Heidelberg 1999, Kap. 8, S. 137 ff., doi:10.1007/978-3-642-58407-7 (englisch).
  10. Robert Danzer: On the relationship between ceramic strength and the requirements for mechanical design. In: J. Eur. Ceram. Soc. Band 34, Nr. 15, 2014, S. 3435–3460, doi:10.1016/j.jeurceramsoc.2014.04.026 (englisch).
  11. Wolfgang Hauschild, Wolfgang Mosch: Statistical Techniques for High-Voltage Engineering (= Institution of Electrical Engineers [Hrsg.]: IEE Power Series. Band 13). Peter Peregrinus Ltd., London 1992, ISBN 978-0-86341-205-9, S. 48–60, doi:10.1049/PBPO013E (englisch).
  12. Horst Rinne: Taschenbuch der Statistik. 4. Auflage. Harri Deutsch, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-8171-1827-4, 3.9.5 Weibull-Verteilung, S. 295–298.
  13. P. H. Müller (Hrsg.): Lexikon der Stochastik – Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. 5. Auflage. Akademie-Verlag, Berlin 1991, ISBN 978-3-05-500608-1, Weibull-Verteilung, S. 493–494.
  14. a b Laurens de Haan, Ana Ferreira: Extrem Value Theory. An Introduction. Springer, New York 2006, ISBN 978-1-4419-2020-1, S. 10, doi:10.1007/0-387-34471-3 (englisch).
  15. Paul Embrechts, Thomas Mikosch, Claudia Klüppelberg: Modelling extremal events (= Stochastic Modelling and Applied Probability. Band 33). Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg / New York 1997, ISBN 3-540-60931-8, S. 152, 154, doi:10.1007/978-3-642-33483-2 (englisch).