Standesherr (oder standesherrlich) bezeichnete im Deutschen Bund die Mitglieder hochadeliger Häuser, die im Zuge der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches zwischen 1803 und 1815 durch Mediatisierung ihre Reichsstandschaft, also ihre reichsunmittelbaren Herrschaftsrechte (Landeshoheit mit Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat des Reichstags) verloren, aber gemäß der Deutschen Bundesakte die Ebenbürtigkeit mit den weiterhin regierenden Dynastien behielten und bis heute – insoweit die Kategorie „Ebenbürtigkeit“ noch adelsrechtliche oder habituelle Geltung hat – als ebenbürtig gelten. Die Deutsche Bundesakte räumte ihnen in Art. XIV zum Ausgleich erhebliche Sonderrechte ein, die später teilweise auch im Deutschen Kaiserreich sowie im Kaisertum Österreich Gültigkeit behielten.
Die standesherrlichen Familien bildeten im Gothaischen Hofkalender und im Almanach de Gotha die sogenannte Deuxième Partie, also die Zweite Abteilung, was auch in der heutigen Bandreihe Fürstliche Häuser des Gothaischen Genealogischen Handbuchs beibehalten wird.
Die Standesherren im Deutschen Bund sind zu unterscheiden von den Freien Standesherrschaften in den Ländern der Krone Böhmens, später besonders in der Lausitz und in Schlesien verbreitet, dann zu Preußen gehörend, die trotz mancher Vorrechte nie reichsständisch waren und folglich bis 1803/1806 auch nicht dem Hochadel angehörten.
Stellung und Bedeutung
BearbeitenDie Standesherren konzentrierten sich vor allem im süd- und westdeutschen Raum, in geringerer Zahl gab es sie auch in anderen Teilen des Deutschen Bundes. Sie entsprachen den im Heiligen Römischen Reich im Reichsfürstenrat des Reichstags vertretenen Inhabern der Virilstimmen, also den Reichsfürsten, soweit sie inzwischen mediatisiert waren, sowie der Kuriatstimmen, also den mit je einer gemeinsamen Stimme vertretenen Gruppen der vier „Grafenbänke“ (des Wetterauer Grafenvereins, des schwäbischen, fränkischen und niederrheinisch-westfälischen Reichsgrafenkollegiums).
Eine Reihe von Familien, die im Alten Reich dem Reichsfürstenrat angehört hatten, starb bereits kurz vor oder nach dem Zeitalter der Mediatisierung (1803–1815) aus; einige hatten ihre Reichsstandschaft zuvor durch Verkauf aufgegeben und wurden folglich ebenfalls nicht zu den Standesherren im Deutschen Bund gezählt.[A 1]
Als Standesherren durften sie sich Durchlaucht (Fürsten und Prinzen) oder Erlaucht (regierende Grafen, also die Häupter der ehemals reichsgräflichen Familien) nennen; nur die Bezeichnung „von Gottes Gnaden“ blieb den regierenden Häusern vorbehalten. Sie genossen Steuerfreiheit für Güter und Personen und unterlagen mit der Austrägalgerichtsbarkeit einer Sonderjustiz. Bis 1918 hatten sie in Teilen Deutschlands die so genannte „erbliche Landstandschaft“ inne: Die Standesherren hatten qua Geburt einen Anspruch auf einen Sitz in der ersten Kammer der Landesparlamente (etwa in Preußen im Herrenhaus oder in der ersten Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen). Da die Gebiete der Standesherren sich nicht immer mit den Grenzen der neu entstandenen Staaten deckten, waren die Standesherren teilweise auch Mitglied der ersten Kammern verschiedener Staaten. So war z. B. der Senior des Hauses Leiningen Mitglied der ersten Kammer in den Großherzogtümern Hessen und Baden. Zudem genossen sie Militärfreiheit, wurden aber andererseits, wenn sie Dienst nahmen, üblicherweise sofort als Leutnant eingestellt. Auf lokaler Ebene behielten sie im Gebiet ihrer ehemaligen Territorien richterliche und exekutive Befugnisse, die deutlich über die normaler adeliger Patrimonialgerichtsbarkeit hinausgingen. Neben den Resten der alten Feudalrechte ernannten die Standesherren die Schultheißen, die Pfarrer und Lehrer, sie besaßen die Forst- und Jagdpolizei und hatten ein Kontrollrecht in den Fragen der politischen Gemeinden. Nicht selten existierte ein eigener Beamten- und Justizapparat unabhängig von den staatlichen Instanzen. Diese sehr weitgefassten Rechte konnten die Standesherren bis zur Revolution 1848/1849 behaupten. Allerdings gab es Unterschiede in den einzelnen Bundesstaaten. Besonders großzügig verfuhr Preußen mit dieser Gruppe. In Baden, wo etwa ein Drittel des Territoriums den Standesherrn gehörte, versuchten die Regierungen, deren Sonderrechte zu beschneiden.
Gemäß der Verfassung für das Kaisertum Österreich von 1861 hatten 16 mediatisierte Fürstenhäuser und vier mediatisierte Grafenhäuser erbliche Sitze im Österreichischen Herrenhaus. Sie wurden im protokollarischen Rang von den 16 anderen, im Herrenhaus vertretenen Fürstenhäusern und den 64 weiteren gräflichen Geschlechtern sowie anderen Mitgliedern unterschieden.
Der Anspruch der doppelten Loyalität gegenüber Staat und Standesherrn war ein Faktor, der den Unmut der Bauern etwa in Nordbaden verstärkte und in der Anfangsphase der Revolution von 1848/1849 zu Revolten führte. Größere Gefahr drohte den Standesherren allerdings durch die entstehende bürgerliche Gesellschaft, die den Privilegien außerordentlich kritisch gegenüberstand.
Mit der Revolution verloren die Standesherren ihre Sonderrechte – mit Ausnahme ihre Anwartschaft auf einen Sitz in den ersten Kammern – weitgehend. An ihrem hochadeligen Status änderte sich zwar nichts, aber sie verloren ihre quasi nebenstaatlichen Rechte. Die Chefs der noch existierenden standesherrlichen Familien sind seit 1864 bis heute Mitglieder im Verein der deutschen Standesherren.[1] Dieser hält jährlich eine Versammlung ab und organisiert einen Ball für die Mitglieder der standesherrlichen Häuser. Aktueller Präsident der Deutschen Standesherren ist Maximilian Fürst zu Bentheim-Tecklenburg (seit 2016).
Die standesherrlichen Häuser
BearbeitenStandesherren mit Fürstenrang
BearbeitenIm Deutschen Bund bestanden gemäß den Beschlüssen der Bundesversammlung vom 13. August 1825 und 13. Februar 1829 folgende Standesherren im Fürstenrang, denen die Anrede „Durchlaucht“ zustand. Die Fürsten besaßen Territorien in einem oder mehreren Bundesstaaten und nahmen dort die jeweiligen Vorrechte der Standesherren wahr. In Österreich und Preußen konnten die Standesherren ihre Interessen in den Landtagen der Provinzen (das österreichische Herrenhaus wurde 1861, das preußische Herrenhaus 1854 geschaffen) vertreten, in Bayern, Hannover, Württemberg, Baden und Hessen waren sie erbliche Mitglieder der Ersten Kammer der Landstände. Stand 1846, Veränderungen nach dem Ende des Deutschen Bundes und der Reichsgründung bleiben hier unberücksichtigt.[2] Wohnorte gemäß dem Verzeichnis der Standesherren von 1869.[3]
Standesherren im Rang von Grafen
BearbeitenIm Deutschen Bund bestanden gemäß den Beschlüssen der Bundesversammlung vom 13. August 1825 und 13. Februar 1829 folgende Standesherren im Rang von Grafen, denen die Anrede „Erlaucht“ zustand. Die Grafen besaßen Territorien in einem oder mehreren Bundesstaaten und nahmen dort die jeweiligen Vorrechte der Standesherren wahr. In Österreich und Preußen konnten die Standesherren ihre Interessen in den Landtagen der Provinzen (das österreichische Herrenhaus wurde 1861, das preußische Herrenhaus 1854 geschaffen) vertreten, in Bayern, Hannover, Württemberg, Baden und Hessen waren sie erbliche Mitglieder der Ersten Kammer der Landstände. Stand 1846, Veränderungen nach dem Ende des Deutschen Bundes und der Reichsgründung bleiben hier unberücksichtigt.[2] Wohnorte gemäß dem Verzeichnis der Standesherren von 1869.[3]
Literatur
Bearbeiten- Heinz Gollwitzer: Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815–1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1964.
- Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49. 2. Auflage. Beck, München 1989, ISBN 3-406-32262-X, S. 145–147, 667–669, 708–711.
Weblinks
Bearbeiten- Standesherren. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 18: Schöneberg–Sternbedeckung. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1909, S. 845–846 (zeno.org).
- Deutsche Bundesakte
Belege
Bearbeiten- ↑ Standesherren. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage. Band 18: Schöneberg–Sternbedeckung. Bibliographisches Institut, Leipzig / Wien 1909, S. 845–846 (zeno.org).
- ↑ a b Carl Weiss, System des deutschen Staatsrechts, Regensburg 1843. Google-Digitalisat Siehe auch: Genealogisch-historisch-statistischer Almanach für das Jahr 1846, Weimar 1846
- ↑ a b Verzeichniss der Standesherren, 1869, 10 Seiten, hrsg. vom Verein der deutschen Standesherren. Deutsche digitale Bibliothek
- ↑ a b c d Im Badischen Staatskalender 1865 nicht mehr verzeichnet
- ↑ a b Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Limpurg-Obersontheim in der Ersten Kammer, vertreten durch Fürst Löwenstein-Wertheim-Freudenberg
- ↑ a b c d e f g h i j Im Württembergischen Staatskalender 1866 nicht mehr verzeichnet
- ↑ a b c d e f g h i j Im Verzeichnis der Standesherren 1869 nicht mehr verzeichnet
- ↑ a b c d e f g h i j k l Im Bayerischen Staatskalender 1865 nicht mehr verzeichnet
- ↑ a b c d e Im Preußischen Staatskalender 1865 nicht mehr verzeichnet
- ↑ Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Limpurg-Gaildorf-Solms-Assenheim in der Ersten Kammer, vertreten durch Graf Waldeck-Pyrmont
- ↑ a b Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Limpurg-Gaildorf in der Ersten Kammer, vertreten durch Graf Pückler-Limpurg
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Das Haus Ligne erreichte erst 1792 die Reichsstandschaft mit der Grafschaft Fagnolle, die bald darauf von Frankreich besetzt wurde, und verlor sie 1804 durch Verkauf des als Ausgleich erhaltenen Klosters Edelstetten an den Fürsten Esterházy schon wieder; 1803 verkauften auch die Grafen Nostitz ihren Anteil an der reichsunmittelbaren Grafschaft Rieneck an die Colloredo. Die Grafen Aspremont-Lynden verloren ihre Grafschaft Reckheim 1795 durch französische Annexion und verkauften das ihnen zum Ausgleich übereignete, einst reichsunmittelbare Kloster Baindt in Württemberg bereits 1812. Ähnlich erhielten die Fürsten Bretzenheim als Ausgleich für ihr 1795 von Frankreich annektiertes Fürstentum die Reichsstadt Lindau, die sie bereits 1803 an Österreich verkauften. Die Grafen Ostein erloschen 1809 und wurden von den Grafen Waldbott von Bassenheim beerbt. Die Grafen Sinzendorf starben 1822 im Mannesstamm aus und wurden daher bei den Bundestagsbeschlüssen von 1825 nicht mehr berücksichtigt. Die regierende Linie der Grafen von Limburg-Styrum-Gemen erlosch bereits vor der Mediatisierung 1800, die 1806 mediatisierte Linie Limburg-Styrum-Styrum erlosch 1809, weshalb das Geschlecht ebenfalls nicht mehr berücksichtigt wurde; die einzige heute noch existierende Linie Limburg-Styrum-Bronkhorst-Borculo hatte ihre reichsunmittelbaren Herrschaften bereits im 18. Jahrhundert veräußert und wurde später in den niederländischen und belgischen Adel inkorporiert. Die Grafen von Sternberg-Manderscheid waren nicht im Verzeichnis der Deutschen Standesherren 1869 und im Hofkalender 1917 aufgeführt, da die vormals reichsunmittelbare Linie 1835 erlosch und die bis heute existierenden böhmischen Linien keinen standesherrlichen Status besaßen. Die Grafen Toerring standen nicht im Verzeichnis der Deutschen Standesherren 1869, wohl aber im Hofkalender 1917, da die 1806 mediatisierte Linie Toerring-Gutenzell 1860 erlosch und der – zuvor nicht standesherrlichen – Linie Toerring-Jettenbach erst 1888 die Nachfolge in diesen Status zuerkannt wurde.
- ↑ Herrschaft Neuravensburg 1829 an Württemberg verkauft
- ↑ Hohenlohe Bartenstein 1844 erloschen und von der Linie Jagstberg beerbt
- ↑ Grafschaft Rietberg 1823 verkauft
- ↑ Fürst Löwenstein-Wertheim-Freudenberg vertrat die Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Limpurg-Obersontheim ebenso wie die Standesherrliche Gemeinschaft für Löwenstein in der Ersten Kammer
- ↑ Fürstentum Ochsenhausen 1824 an Württemberg verkauft
- ↑ Das 1803 erhaltene 1/3 von Ahaus und Bocholt 1825 an Salm-Salm verkauft, jedoch mit Ausschluss des Schlosses Ahaus und seiner Pertinenzen
- ↑ Das vormals kurmainzische Amt Krautheim links der Jagst 1826 an Württemberg verkauft, das Amt rechts der Jagst an Baden; dafür die Herrschaft Hersberg am Bodensee erworben
- ↑ Das vormals kurmainzische Amt Krautheim links der Jagst 1826 an Württemberg verkauft, das Amt rechts der Jagst an Baden; dafür die Herrschaft Hersberg am Bodensee erworben
- ↑ Streitigkeiten mit Kursachsen über die Landeshoheit der Reichslehen wurden 1740 durch zwei Rezesse geschlichtet. Die Stammgüter Glauchau, Waldenburg, Hartenstein und Lichtenstein als Reichsafterlehen des Königreichs Böhmen galten als Rezessherrschaften.
- ↑ Daneben bestanden die Linien Schönburg-Rochsburg-Hinterglauchau (1825 beerbte Hinterglauchau die Linie Rochsburg), Schönburg-Wechselburg mit Vorderglauchau.
- ↑ Die fürstliche Linie Schönburg-Waldenburg besaß gemäß Bundesbeschluss von 1828 im Königreich Sachsen dieselben Rechte wie die übrigen mediatisierten Standesherren.
- ↑ Die Reichsabtei Baindt ging 1803 an Graf von Aspremont-Lynden, der den Besitz 1812 an seinen Schwager, Graf Erdödy, verkaufte. Die Grafschaft Baindt wurde von ihm 1844 an Württemberg verkauft jedoch mit Vorbehalt des Ranges und der Rechte eines deutschen Standesherren.
- ↑ Grafschaft Plettenberg-Mietingen 1813 erloschen, Erbtochter verheiratet mit Graf Esterhazy-Galantha-Forchtenberg.
- ↑ Graf Pückler-Limpurg vertrat die Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Limpurg-Gaildorf in der Ersten Kammer
- ↑ Ein Spross des Hauses Anhalt-Bernburg, aus der Nebenlinie Hoym, hatte die Grafschaften Holzappel und Schaumburg erheiratet; seine Nachkommenschaft starb 1812 im Mannesstamm aus. Die älteste Tochter brachte sie in die Ehe mit einem Erzherzog von Österreich ein.
- ↑ Graf Sternberg-Manderscheid vertrat die Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Schussenried und Weißenau in der Ersten Kammer
- ↑ Das zum Pflegamt Tannheim der Reichsabtei Ochsenhausen gehörende Dorf Winterrieden wurde im Reichsdeputationshauptschluss als Burggrafschaft an Burggraf von Sinzendorf-Rheineck gegeben. 1822 erbten die Waldbott von Bassenheim die Burggrafschaft
- ↑ Graf Waldeck-Pyrmont vertrat die Standesherrliche Gemeinschaft der Standesherrschaft Limpurg-Gaildorf-Solms-Assenheim in der Ersten Kammer