1914Gesamterneuerungswahlen
des Nationalrats 1917
1919
Wahlbeteiligung: 59,8 %
 %
60
50
40
30
20
10
0
40,8
30,8
16,5
4,9
3,3
3,8
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu
 %p
 25
 20
 15
 10
   5
   0
  -5
-10
-15
-20
−15,3
+20,7
−4,6
−2,5
+0,6
+1,2

Die Schweizer Parlamentswahlen 1917 fanden am 28. Oktober 1917 statt. Zur Wahl standen 189 Sitze des Nationalrates. Die Wahlen wurden zum letzten Mal nach dem Majorzwahlrecht vorgenommen, wobei das Land in 49 unterschiedlich grosse Nationalratswahlkreise unterteilt war. Der Wahlkampf war von den sozialen Spannungen während des Ersten Weltkriegs geprägt. Trotz stark gesunkenem Wähleranteil konnte die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) ein letztes Mal die absolute Mehrheit der Sitze erringen. Das neu gewählte Parlament trat in der 24. Legislaturperiode erstmals am 3. Dezember 1917 zusammen.

Wahlkampf Bearbeiten

Die Sozialdemokratische Partei (SP), die vor allem in der Deutschschweiz unter dem Eindruck der Zimmerwalder Konferenz stand, beschloss im November 1915, sich nicht länger an den zu Beginn des Ersten Weltkriegs vereinbarten «Burgfrieden» zu halten und verstand sich nun als «revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse». Durch den erfolgten Linksrutsch kam es 1916 zum Bruch mit dem Grütliverein.[1] Durch die Ablehnung der Landesverteidigung am Parteitag in Bern im Juni 1917 nahm die SP deutliche antimilitaristische Züge an, gemässigte Vertreter wie Herman Greulich sahen sich in die Minderheit versetzt.[2] Angesichts des weit verbreiteten Elends infolge der kriegsbedingten wirtschaftlichen Notlage (siehe Schweiz im Ersten Weltkrieg) kam es aber noch vor den Wahlen wieder zu einer Annäherung zwischen den Parteiflügeln.[3]

Den Auftakt zum Wahlkampf bildeten «Teuerungsdemonstrationen» am 30. August 1917 in zahlreichen Schweizer Städten, womit sich die SP über das vom Bundesrat verhängte Demonstrationsverbot hinwegsetzte. Der Mittelstand sollte sich mit der Arbeiterschaft solidarisieren, gleichzeitig sollte die dominierende Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) als Vertreterin von Grossbauern, Geschäftemachern und Bankiers abgestempelt werden, die sich nur dank des Wahlsystems an der Macht halten könne. Mit der Zunahme der latenten sozialen Spannungen traten die Gegensätze innerhalb der FDP immer stärker hervor. Der Graben zwischen linkem und rechtem Flügel vergrösserte sich. Die Jungfreisinnigen verstanden sich als Vertreter von Angestellten und Beamten, mit ihrer Annäherung an die Arbeiterbewegung entwickelten sie sich zu Rivalen der Mutterpartei. Der Linkskurs der Jungfreisinnigen war so ausgeprägt, dass sie als «Stosstrupp der Sozialdemokraten» kritisiert wurden. In ländlichen Regionen begann sich auch die bäuerliche Bevölkerung zunehmend vom Freisinn abzuwenden. Neu entstehende Bauernbewegungen stellten eigene Kandidaten auf und bildeten damit die Keimzelle für die spätere Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB). Die Konservative Volkspartei unterstützte zwar den Freisinn in finanzpolitischen Fragen, setzte sich aber für den Proporz ein; der christlichsoziale Flügel hegte gewisse Sympathien für die SP.[4]

Während der 23. Legislaturperiode hatte es aufgrund von Vakanzen zwölf Ersatzwahlen in zehn Wahlkreisen gegeben, bei denen die Freisinnigen vier Sitzverluste hinnehmen mussten. 1917 gab es insgesamt 64 Wahlgänge (zehn mehr als drei Jahre zuvor). In 35 von 49 Wahlkreisen waren die Wahlen bereits nach dem ersten Wahlgang entschieden. Mit dem letzten Wahlgang am 9. Dezember 1917 war der Nationalrat komplett. Die Wahlbeteiligung stieg im Vergleich zu 1914 um 13,4 Prozentpunkte. Den höchsten Wert wies der Kanton Schaffhausen auf, wo aufgrund der dort geltenden Wahlpflicht 86,8 % ihre Stimme abgaben. Am wenigsten Interesse zeigten die Wähler im Kanton Uri mit einer Beteiligung von nur 23,4 %. Trotz neun Sitzverlusten und einem um 15 % geschrumpften Wähleranteil konnten die Freisinnigen nochmals knapp die absolute Mehrheit der Sitze behaupten. Dass die Sozialdemokraten trotz der Verdreifachung des Wähleranteils nur vier Sitze zulegen konnten, war auf die starken Verzerrungen durch das Majorzwahlrecht zurückzuführen.

1913 hatte die SP zusammen mit den Katholisch-Konservativen eine Eidgenössische Volksinitiative «für die Proporzwahl des Nationalrates» eingereicht (die insgesamt dritte zu diesem Thema). Aufgrund des Krieges verschleppte jedoch die Bundesversammlung die Beratung darüber um mehrere Jahre. Das Wahlergebnis von 1917 zeigte nochmals eindrücklich, dass das bisherige System nicht mehr zu halten war. Am 13. Oktober 1918 wurde die Initiative mit 66,8 % der Stimmen angenommen.[5] Unter dem Eindruck des Landesstreiks im November 1918 beschloss man die Verkürzung der Legislaturperiode um ein Jahr, so dass das neue Wahlverfahren bereits 1919 erstmals zur Anwendung gelangte.

Zwischen 1917 und 1919 fanden aufgrund von Vakanzen nochmals zehn Ersatzwahlen in neun Wahlkreisen statt. Zwei weitere Ersatzwahlen wurden aufgrund des kurz bevorstehenden Systemwechsels nicht mehr durchgeführt. Während der Legislaturperiode traten acht Nationalräte aus der FDP aus und schlossen sich den Vorläufern der BGB an. Somit verfügten die Freisinnigen zuletzt nur noch über eine Mehrheit von einem Sitz.[6]

Ergebnis der Nationalratswahlen Bearbeiten

Gesamtergebnis Bearbeiten

Von 915'552 volljährigen männlichen Wahlberechtigten nahmen 547'652 an den Wahlen teil, was einer Wahlbeteiligung von 59,8 % entspricht.[7]

Die 189 Sitze im Nationalrat verteilten sich wie folgt:[8][9]

22
7
103
1
12
3
41
22 103 12 41 
Insgesamt 189 Sitze
  • SP: 22
  • DL: 7
  • FDP: 103
  • unabh.: 1
  • LPS: 12
  • BB: 3
  • KVP: 41
Partei Sitze
1914
vor Auf-
lösung
Sitze
1917
+/− Wähler-
anteil
+/−
FDP 112 108 103 −9 40,8 % −15,3 %
KVP 37 38 41 +4 16,4 % 04,7 %
SP 18 17 22 +4 30,8 % +20,7 %
LPS 16 15 12 −4 04,9 % 02,5 %
DL 4 5 7 +3 03,3 % +00,6 %
kl. Parteien* 2 2 4 +2 03,4 % +01,4 %
Diverse 00,4 % 00,2 %

* 1 Sitz für Unabhängigen, 3 Sitze für BB

Ergebnisse in den Kantonen Bearbeiten

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Verteilung der errungenen Sitze auf die Kantone.[10][11]

Kanton Sitze
total
Wahl-
kreise
Betei-
ligung
FDP KVP SP LPS DL BB unabh. DVV
Kanton Aargau  Aargau 12 4 79,2 % 9 3
Kanton Appenzell Ausserrhoden  Appenzell Ausserrhoden 3 1 64,5 % 2 1
Kanton Appenzell Innerrhoden  Appenzell Innerrhoden 1 1 72,4 % 1
Kanton Basel-Landschaft  Basel-Landschaft 4 1 47,7 % 3 1 +1 −1
Kanton Basel-Stadt  Basel-Stadt 7 1 76,2 % 2 1 +1 1 −2 1 −1 1 +1 1 +1
Kanton Bern  Bern 32 7 62,0 % 20 −4 3 +1 8 +4 1 −1
Kanton Freiburg  Freiburg 7 2 32,5 % 2 5
Kanton Genf  Genf 8 1 52,3 % 3 1 1 3
Kanton Glarus  Glarus 2 1 56,4 % 1 1
Kanton Graubünden  Graubünden 6 1 58,6 % 4 2 +1 −1
Kanton Luzern  Luzern 8 3 39,8 % 3 5
Kanton Neuenburg  Neuenburg 7 1 62,2 % 3 −1 2 2 +1
Kanton Nidwalden  Nidwalden 1 1 26,4 % 1
Kanton Obwalden  Obwalden 1 1 23,4 % 1
Kanton Schaffhausen  Schaffhausen 2 1 86,8 % 2
Kanton Schwyz  Schwyz 3 1 59,4 % 1 2
Kanton Solothurn  Solothurn 6 1 44,6 % 2 −2 2 +1 2 +1
Kanton St. Gallen  St. Gallen 15 5 77,3 % 7 6 2
Kanton Tessin  Tessin 8 2 34,4 % 6 +1 2 −1
Kanton Thurgau  Thurgau 7 1 78,4 % 4 1 1 1 +1 −1
Kanton Uri  Uri 1 1 30,3 % 1
Kanton Waadt  Waadt 16 3 46,7 % 11 5
Kanton Wallis  Wallis 6 2 50,1 % 1 5
Kanton Zug  Zug 1 1 49,6 % 1
Kanton Zürich  Zürich 25 5 70,9 % 15 −3 7 +1 −1 2 +2 1 +1
Schweiz 189 49 59,8 % 103 −9 41 +4 22 +4 12 −4 7 +3 3 +3 1 ±0 −1

Ständerat Bearbeiten

Die Wahlberechtigten konnten die Mitglieder des Ständerates in 19 Kantonen selbst bestimmen: In den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Genf, Graubünden, Luzern, Schwyz, Solothurn, Tessin, Thurgau, Waadt, Zug und Zürich an der Wahlurne, in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nidwalden, Obwalden und Uri an der Landsgemeinde. In allen anderen Kantonen erfolgte die Wahl indirekt durch die jeweiligen Kantonsparlamente. In vielen Kantonen fanden die Ständeratswahlen damals zudem nicht gleichzeitig mit den Nationalratswahlen statt.

Sitzverteilung Bearbeiten

Die Sitzverteilung im Ständerat sah wie folgt aus:

Partei Wahlen 1917 Wahlen 1914
FDP 24 24
KVP 16 16
LPS 2 2
DP 1 1
SP 1 1
1
1
24
2
16
24 16 
Insgesamt 44 Sitze

Gewählte Ständeräte Bearbeiten

Kanton 1. Ständeratssitz 2. Ständeratssitz
Kanton Aargau  Aargau Peter Emil Isler, FDP Gottfried Keller, FDP
Kanton Appenzell Ausserrhoden  Appenzell Ausserrhoden Johannes Baumann, FDP nur 1 Sitz
Kanton Appenzell Innerrhoden  Appenzell Innerrhoden Johann Baptist Edmund Dähler, KVP nur 1 Sitz
Kanton Basel-Landschaft  Basel-Landschaft Gustav Schneider, FDP nur 1 Sitz
Kanton Basel-Stadt  Basel-Stadt Paul Scherrer, FDP nur 1 Sitz
Kanton Bern  Bern Gottfried Kunz, FDP Adolf von Steiger, FDP
Kanton Freiburg  Freiburg Georges Python, KVP Georges de Montenach, KVP
Kanton Genf  Genf Adrien Lachenal, FDP Jacques Rutty, LPS
Kanton Glarus  Glarus David Legler, DP Philippe Mercier, FDP
Kanton Graubünden  Graubünden Andreas Laelys, FDP Friedrich Brügger, KVP
Kanton Luzern  Luzern Josef Dürig, KVP Josef Winiger, KVP
Kanton Neuenburg  Neuenburg Auguste Pettavel, FDP Pierre de Meuron, LPS
Kanton Nidwalden  Nidwalden Jakob Konstantin Wyrsch, KVP nur 1 Sitz
Kanton Obwalden  Obwalden Adalbert Wirz, KVP nur 1 Sitz
Kanton Schaffhausen  Schaffhausen Albert Ammann, FDP Heinrich Bolli, FDP
Kanton Schwyz  Schwyz Martin Ochsner, KVP Josef Räber, KVP
Kanton Solothurn  Solothurn Casimir von Arx, FDP Robert Schöpfer, FDP
Kanton St. Gallen  St. Gallen Johannes Geel, FDP Heinrich Scherrer, SP
Kanton Tessin  Tessin Stefano Gabuzzi, FDP Adolfo Soldini, FDP
Kanton Thurgau  Thurgau Johann Georg Leumann, FDP Albert Böhi, FDP
Kanton Uri  Uri Karl Huber, KVP Franz Muheim, KVP
Kanton Waadt  Waadt Henri Simon, FDP Émile Dind, FDP
Kanton Wallis  Wallis Joseph Ribordy, KVP Julius Zen Ruffinen, KVP
Kanton Zug  Zug Josef Andermatt, KVP Josef Hildebrand, KVP
Kanton Zürich  Zürich Oskar Wettstein, FDP Paul Usteri, FDP

Literatur Bearbeiten

  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 1, erster Teil. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1442-9.
  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 1, zweiter Teil. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1443-7.
  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 2. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1444-5 (Anmerkungen).
  • Erich Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919. Band 3. Francke Verlag, Bern 1978, ISBN 3-7720-1445-3 (Tabellen, Grafiken, Karten).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Sozialdemokrat. Partei der Schweiz: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages in Zürich, 4. und 5. November im Gesellschaftshaus zu "Kaufleuten". o. O. u. J., S. 122 ff.
  2. Prokoll über die Verhandlungen des ausserordentlichen Parteitages der Sozialdemokratischen Partei vom 9. und 10. Juni 1917, im Volkshaus Bern. Bern 1917, S. 108 ff.
  3. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 787–788.
  4. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 789–791.
  5. Eidgenössische Volksinitiative 'für die Proporzwahl des Nationalrates'. admin.ch, 12. August 2014, abgerufen am 18. August 2014.
  6. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 797.
  7. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 369.
  8. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 1, zweiter Teil, S. 795.
  9. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 485.
  10. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 313–323
  11. Gruner: Die Wahlen in den Schweizerischen Nationalrat 1848–1919, Band 3, S. 368.