Basisdaten
Preußische Provinz Hannover
Regierungsbezirk Stade
Verwaltungssitz Neuhaus an der Oste
Bestandszeitraum 1885–1932
Fläche 522,22 km²
Einwohner 27.020 (1925)
Bevölkerungsdichte 56 Einw./km² (1925)
Gemeinden 44 (1910)
Kfz-Kennzeichen I S
Lage des Kreises in der Provinz Hannover (1905)
Lage des Kreises in der Provinz Hannover

Der Kreis Neuhaus an der Oste war von 1885 bis 1932 ein Landkreis in der preußischen Provinz Hannover. Kreissitz war der Flecken Neuhaus an der Oste.

Geschichte Bearbeiten

 
Ehemaliges Amtsgericht, Neuhaus (Oste), 2008

Ein Kreis Neuhaus an der Oste (auch Steuerkreis genannt) wurde am 1. Oktober 1867 in der nun preußischen Provinz Hannover zu Militär- und Steuerverwaltungszwecken aus den Ämtern Neuhaus an der Oste und Osten gebildet. Die allgemeine Verwaltung blieb Sache der Ämter. Mit Einführung der neuen Kreisordnung für die Provinz wurde am 1. April 1885 aus den beiden Ämtern endgültig der Kreis Neuhaus an der Oste gebildet.[1]

NS-Zeit Bearbeiten

 
Ehemaliger Friedhof der Synagogengemeinde Neuhaus im „Wingster Forst“, 2014

1932 wurde durch eine Verordnung des preußischen Staatsministeriums der größte Teil des Kreises Neuhaus in den Kreis Land Hadeln eingegliedert.[2] Sitz der Kreisverwaltung war Otterndorf. Damit kamen Gebiete zusammen, die bis dahin eine durchaus unterschiedliche politische und gesellschaftliche Entwicklung durchgemacht hatten. Weder im Mittelalter, noch in der Neuzeit, war das Amt Neuhaus, oder die Börde Lamstedt, jemals Teil der historischen Landschaft Hadeln gewesen. Die drei Gemeinden Großenwörden, Hüll und Neuland.

Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und im Verlauf der 1930er Jahre forderte auch in der örtlichen Mittelschicht des Kreises, besonders in der Handwerkerschaft und unter den Kaufleuten viele Opfer. Die Steuerlast war nach dem verlorenen 1. Weltkrieg lag schwer auf allen Betrieben, und in den Zeitungen häuften sich die Konkursmeldungen. Die wirtschaftliche Notlage weiter Bevölkerungskreise war Nährboden für radikale politische Strömungen. Um 1930 bildete sich die erste NSDAP-Ortsgruppe im Kreis Neuhaus. Die Mitgliederzahl stieg bis 1933 beträchtlich. Vor allem Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes traten in die Partei ein, weil sie sonst ihre Stellung verloren hätten. Als die Orte Neuhaus/Oste und Otterndorf, wo der am 1. Oktober 1930 der NSDAP beigetretene Albert Rodegerdts vom 1. Mai 1933 bis 1. November 1936 Bürgermeister war, am 1. Oktober 1932 zusammengelegt wurden, wurde er ehrenamtlicher Kreisleiter des neuen Kreises Otterndorf.[3] Schon 1930 gelang der NSDAP bei den Kreistagswahlen der entscheidende Durchbruch. Mit ca. 21 % der Stimmen war sie die stärkste Partei neben der SPD. Bei der Reichstagswahlen 1932 näherte sich die NSDAP m Kreis Land Hadeln der 50 %-Marke. Damit lag sie deutlich über dem Reichsdurchschnitt. Besonders enttäuschte Marschenlandwirte wandten sich der NSDAP zu. Man erhoffte sich vor allem eine Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage. Allerdings wurde dabei die nach einem Wahlsieg der Nationalsozialisten zu erwartende Verfolgung der verhältnismäßig kleinen jüdischen Minderheit billigend in Kauf genommen. Bisher hatten die meisten Juden als angesehene Viehhändler gelebt. Nach der Machtergreifung der NSDAP am 30. Januar 1933 wurden vor dem Otterndorfer Rathaus die Fahnen des „alten Regimes“ verbrannt. Sofort begann man auch auf Kreisebene das Berufsbeamtentum von „fremdrassigen, ungeeigneten und politisch unzuverlässigen Elementen“ zu säubern. Alle Beamten mussten von nun an einen Ariernachweis erbringen. Bis auf Gemeindeebene hinunter wurden „mit der Idee des Nationalsozialismus verwachsene Männer“ eingesetzt. Die Rolle der Kreistage wurde bald bedeutungslos und die gesamte Verantwortung lag bei der Person des Landrats.[4][5]

Von 1933 bis 1945 gab es eine NSDAP-Kreisleitung mit Sitz in Otterndorf, später in Cuxhaven, und Ortsgruppen, SA, SS, NS-Kraftfahrkorps, Hitlerjugend (HJ), Bund Deutscher Mädel (BDM), NS-Frauenschaft, Deutsche Arbeitsfront (DAF) etc.[6][7][8] Bald nach der Machtergreifung wurden der Landrat und die Bürgermeister ihrer Ämter enthoben. An ihre Stelle traten NSDAP-Anhänger. Darauf folgte die Gleichschaltung nach dem Führerprinzip in allen anderen staatlichen Einrichtungen (Schulen, der Post etc.) und Vereinen, wie dem Schützenverein, der Feuerwehr, Gesangsverein.[9] Politisch Andersdenkende, insbesondere SPD und KPD wurden verfolgt.

Während der NS-Zeit hatten nacheinander Sup. Hermann August Friedrich Steinmetz (amt. 1906–1935) und P. Hermann Karwehl (amt. 1937–1955) das Pfarramt Neuhaus inne. Nach den Angaben im „Fragebogen zur Geschichte der Landeskirche von 1933 bis Kriegsende“ gehörten beide nicht der NSDAP an. Zum 1933 neu gewählten Kirchenvorstand schrieb P. Karwehl, ein Mitglied habe zu den führenden Männern der Partei in Neuhaus gehört, es trat später aus der Kirche aus.[10] Zur Synagogengemeinde Neuhaus gehörten auch Juden aus umliegenden kleinen Dörfern, so u. a. aus Balje, Bülkau, Geversdorf, Krummendeich und Osten. Der Zusammenschluss zu einer Synagogengemeinde war heftig umstritten und führte zu jahrelangen Querelen. Vor allem die Juden aus Osten wehrten sich vehement gegen die Integration in die Synagogengemeinde Neuhaus. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der Mitglieder der Synagogengemeinde Neuhaus immer mehr ab, so dass wegen des fehlenden Minjan keine Gottesdienste mehr abgehalten werden konnten. Die Gemeinde löste sich Anfang der 1930er Jahre völlig auf.[11] Die Novemberpogrome 1938 stießen im Kreis Neuhaus auf wenig Verständnis, da die Bevölkerung zum Großteil die Juden bemitleidet mit denen sie zum Teil, z. B. mit jüdischen Viehhändlern, auf gutem Fuße stand.[12] Drei jüdische Familien des Ortes wurden deportiert und in Vernichtungslagern ermordet.[13]

 
Schwebefähre Osten–Hemmoor
 
Verladestation, Hafen Schwarzenhütten, Werkshafen der Portland Cement Fabrik

Während des Krieges kam es zu Fliegerangriffen u. a. auf die Portland Cement Fabrik in Hemmoor[14][15], die Schwebefähre über die Oste, die Brücken über die Oste bei Hechthausen und andere Anlagen. Die Schäden blieben auf dem Lande aber vergleichsweise gering. Ab Frühjahr 1940 wurden zur Flugabwehr Flakbatterien gebaut, die größte stand an der Belumer Schanze. Bei Mittelstenahe und Balkensee wurden Scheinflugplätze angelegt. Bei Bombenangriffen auf zwei Höfe in Belum starben eine Mutter und ihre Tochter. Beim Großangriff auf Hamburg wurde am 29./30 Juli auch das Dorf Klingt bei Hechthausen heimgesucht und mehrere Einwohner getötet und verletzt. „Hinter der Bult“ ging das Anwesen des Bauern Steffens in Flammen auf. Am 2. August 1943 fanden 30 Hamburger Flüchtlinge, bzw. Obdachlose, bei Verwandten oder Freunden in Klint Quartier. Der Ortsbauernführer bestimmt das Ablieferungssoll der Landwirte an Schlachtvieh, Milch und Ernteerträgen, wie Kartoffeln, Steckrüben usw. Um die eingezogenen Männer zu ersetzen, mussten Frauen, ältere Kinder und alte Leute die Feldarbeit übernehmen. Seit 1943 wurden zunehmend auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt. Einer von ihnen, der sich am Tag des Hitler-Attentats am 20. Juli 1944 abfällig über Hitler geäußert hatte, wurde hingerichtet. Vier Personen aus dem östlichen Teil des Kreises Land Hadeln wurden ins KZ gebracht. Im Februar 1945 trafen die ersten Flüchtling-Tecks aus dem Osten ein. Je größer der Zustrom wurde, umso enger musste die einheimische Bevölkerung zusammenrücken. Bei der Annäherung der britischen Truppen wurden mehrere Gehöfte in Hechthausen sowie das Herrenhaus auf Gut Hutloh zerstört und die Brücke über die Breite Mehe von eigenen Truppen gesprengt, um ein Vorrücken der Panzer nach Lamstedt zu erschweren. Am 5. Mai, drei Tage vor der Kapitulation, herrschte im Kreis Land Hadeln Waffenstillstand. Die Besatzungsmacht inhaftierte die örtlichen politischen Leiter und brachte sie in Internierungslager in Westertimke und Fallingbostel. Außerdem befreiten sie die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. Deren Hass entlud sich in Plünderungen und Bedrohungen, nicht zuletzt seitens der polnischen Zwangsarbeiter, die besonders schlecht behandelt worden waren.[16]

Landräte Bearbeiten

 
Siegelmarke Königlich preußischer Landrat des Kreises Neuhaus-Oste
1868–1883 Georg Eisendecher (1803–1887)
1883–1884 Heinrich Glogau
1884–1889 Friedrich Wilhelm von Loebell (1855–1931)
1889–9999 Waller (vertretungsweise)
1889–1894 Ernst Rudolf Schepp (1857–1901)
1894–1905 Otto Heidborn (1855–1908)
1905–1917 George von Schröder (1867–1940)
1917–1918 Eugen Naumann (1874–1939)
1918–1932 Erich Knoepfler (* 1891)[17]

Einwohnerentwicklung Bearbeiten

Jahr 1890 1900 1910 1925
Einwohnerzahl[18] 29.111 29.684 29.383 27.020

Gemeinden Bearbeiten

Die folgende Liste enthält die Gemeinden des Kreises Neuhaus an der Oste mit den Einwohnerzahlen vom 1. Dezember 1910:[19]

Gemeinde Ew. 1910
Abbenseth 233
Altendorf 1.415
Armstorf 422
Basbeck 1.838
Belum 676
Bornberg 267
Bülkau 1.433
Cadenberge 1.373
Dornsode 50
Geversdorf 1.126
Großenwörden 508
Hackemühlen 161
Hechthausen 677
Heeßel 165
Hemm 250
Hemmoor 686
Hollen 370
Hüll 953
Ihlbeck 85
Isensee 840
Kehdingbruch 351
Kleinwörden 319
Klint 485
Lamstedt 1.364
Langenmoor 67
Laumühlen 208
Mittelstenahe 317
Moorausmoor 218
Neuhaus an der Oste 1.504
Neuland 408
Nindorf 474
Nordahn 199
Oberndorf 2.370
Oppeln 447
Osten 711
Rahden1) 82
Stinstedt 330
Varrel 107
Voigtding 222
Warstade 1.967
Westersode 1.545
Wingst 1.900
Wisch 137
Wohlenbeck 123
1)1929 nach Hackemühlen eingemeindet

Literatur Bearbeiten

Peter Winzen, F.W. von Loebell (1855–1931) als erster Landrat in Neuhaus an der Oste – eine preußische Mission. In: Jahrbuch der Männer vom Morgenstern Bd. 96 (2017/18), S. 95–118

Peter Winzen, Friedrich Wilhelm von Loebell (1855–1931). Ein Leben gegen den Strom der Zeit. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2019, 392 S. ISBN 978-3-412-50177-8

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Kreisordnung für die Provinz Hannover (1884)
  2. Daten zum Kreis Neuhaus bei territorial.de
  3. Albert Rodegerdts - Lebenslauf. „Machtergreifung am 30. Januar 1933: Die Presse der Allgemeinen Zeitung der Lüneburger Heide (AZ) informiert.“; www.yumpu.com; abgerufen: 14. April 2024.
  4. Erich von Lehe: Geschichte des Landes Wursten. Mit einem Beitrag von Werner Haarnagel. Bremerhaven 1973.
  5. Rudolf Lembcke (Hrsg.): Kreis Land Hadeln. Geschichte und Gegenwart. Otterndorf 1976.
  6. Klenck, Willi (1957): „Heimatkunde des ehemaligen Kreises Neuhaus an der Oste“. Faksimiledruck der Ausgabe von 1957. Lamstedt, W Klenck Verlag: Otterndorf, reprint: 1986, Kranichhaus-Gesellschaft, 561 S.; hier S. 192.
  7. Der Autor, W. Klenck, war hauptamtlicher Funktionär der Nationalsozialisten, und von 1943-1945 Leiter des Rassenpolitischen Amtes des NSDAP-Gaues Ost-Hannover mit Sitz in Lüneburg. Daneben schrieb er in Blättern der NSDAP und ihrer Gliederungen, u. a. zu den sogenannten „Verkartungen“ deutscher Dörfer, in denen angebliche Rassemerkmale der arisch-germanischen Rasse erforscht werden sollten. Die Darstellung der NS-Zeit auf gerade einmal 10 Seiten in seinem 561 Seiten zählenden Werk ist voreingenommen. Der Schwerpunkt der Schilderungen liegt auf den Kriegsvorbereitungen und -Auswirkungen. Die NSDAP-Geschichte des Kreises Neuhaus beschreibt er eher vage, meist ohne konkrete Daten und Namen.
  8. Hans-Jürgen Kahle: „25 Jahre Wilhelm Heidsiek Verlag. Cuxhaven“, 1996; aufgerufen: 15. April 2024.
  9. Klenck, 1957, S. 193
  10. „Kirchengemeindelexikon 1.800 Geschichten“; abgerufen: 13. April 2024.
  11. Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum – Neuhaus/Oste (Niedersachsen); abgerufen: 13. April 2024.
  12. Otto Dov Kulka & Eberhard Jäckel (Hrsg.): „Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945“, „Bürgermeister Amt Neuhaus: Aktion gegen Juden am 10.11.1938“. Droste Verlag Düsseldorf, S. 319.; abgerufen: 13. April 2024.
  13. Klenck, 1957, S. 194
  14. Der Hafen Schwarzenhütten war ab 1868 Werkshafen der Portland Cement Fabrik sowie einer Ziegelei, über den Zement über Hamburg in alle Welt verschifft wurde, von der Oste zur Elbe und weiter in die Nordsee, sowie über den Nord-Ostsee Kanal in die Ostsee bis hin zum Baltischen Meer, mit eigenen Schleppern mit einer Flotte von über 40 teils eigenen, teils gecharterten Leichtern (Schuten). Auf dem Rückweg brachten sie u. a. auch Kohle zurück.
  15. Hemmoor Zement, die Gründung; abgerufen: 17. April 2024.
  16. Klenck, 1957, S. 195–202.
  17. Ute Heinrichs: Archivalische Quellen zur politischen Krisensituation während der Weimarer Zeit in den ehemaligen Territorien des Landes Niedersachsen: Akten der staatlichen Dienststellen im Regierungsbezirk Stade, Teil 2, Vandenhoeck & Ruprecht, 1988, S. 279. (eingeschränkte Vorschau Online bei Google Book Search).
  18. Michael Rademacher: Hadeln. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com.
  19. Uli Schubert: Deutsches Gemeindeverzeichnis 1910. Abgerufen am 22. Mai 2011.