Taylor-Formel

Funktionalapproximation durch ein Polynom
(Weitergeleitet von Taylor-Polynom)

Die Taylor-Formel (auch Satz von Taylor) ist ein Resultat aus dem mathematischen Teilgebiet der Analysis. Sie ist benannt nach dem Mathematiker Brook Taylor. Man kann diese Formel verwenden, um Funktionen in der Umgebung eines Punktes durch Polynome, die sogenannten Taylorpolynome[1], anzunähern. Man spricht auch von der Taylor-Näherung. Die Taylor-Formel ist aufgrund ihrer relativ einfachen Anwendbarkeit und Nützlichkeit ein Hilfsmittel in vielen Ingenieur-, Sozial- und Naturwissenschaften geworden. So kann ein komplizierter analytischer Ausdruck durch ein Taylorpolynom geringen Grades (oftmals gut) angenähert werden, z. B. in der Physik oder bei der Ausgleichung geodätischer Netze. Die oft verwendete Kleinwinkelnäherung des Sinus ist eine nach dem ersten Glied abgebrochene Taylorreihe dieser Funktion.

Eng verwandt mit der Taylor-Formel ist die sogenannte Taylorreihe (Taylor-Entwicklung).

Motivation Bearbeiten

Annäherung durch Tangente Bearbeiten

Eine Näherung für eine differenzierbare Funktion   an einer Stelle   durch eine Gerade, also durch ein Polynom 1. Grades, ist gegeben durch die Tangente mit der Gleichung

 .

Sie lässt sich dadurch charakterisieren, dass an der Stelle   die Funktionswerte und die Werte der 1. Ableitung (= Steigung) von   und   übereinstimmen:  .

Wenn man den Rest   definiert, so gilt  . Die Funktion   approximiert   in der Nähe der Stelle   in dem Sinne, dass für den Rest gilt

  (siehe bei der Definition der Ableitung).

Annäherung durch Schmiegparabel Bearbeiten

Man kann vermuten, dass man für zweimal differenzierbares   eine noch bessere Näherung erhält, wenn man dazu ein quadratisches Polynom   verwendet, von dem man verlangt, dass zusätzlich noch   gilt. Der Ansatz   führt durch Berechnung der Ableitungen auf   und  , also

 .

Diese Näherungsfunktion bezeichnet man auch als Schmiegparabel.

Man definiert nun dazu den passenden Rest  , sodass wieder  . Dann erhält man, dass die Schmiegparabel die gegebene Funktion bei   in der Tat besser approximiert, da nun (mit der Regel von de L’Hospital):

 

gilt.

Annäherung durch Polynome vom Grad n Bearbeiten

Dieses Vorgehen lässt sich nun leicht auf Polynome  -ten Grades   verallgemeinern: Hier soll gelten

 .

Es ergibt sich

 .

Mit der Regel von de L’Hospital finden wir außerdem:

 .

Daher ergibt sich mit vollständiger Induktion über  , dass für   gilt:

 .

Qualitative Taylorformel Bearbeiten

Ist    -mal differenzierbar, so folgt sofort aus der obigen Betrachtung, dass

 

wobei   für die Landau-Notation steht. Diese Formel nennt man „qualitative Taylorformel“.

Je näher   bei   liegt, desto besser approximiert also   (das sog. Taylorpolynom, siehe unten) an der Stelle   die Funktion  .

Definitionen und Satz Bearbeiten

Im Folgenden wird die Taylor-Formel mit Integralrestglied vorgestellt. Die Taylor-Formel existiert auch in Varianten mit anderem Restglied; diese Formeln folgen jedoch aus der Taylor-Formel mit Integralrestglied. Sie stehen unten im Abschnitt Restgliedformeln.

Sei   ein Intervall und   eine  -mal stetig differenzierbare Funktion. In den folgenden Formeln stehen   für die erste, zweite, …,  -te Ableitung der Funktion  .

Taylorpolynom Bearbeiten

Das  -te Taylorpolynom an der Entwicklungsstelle   ist definiert durch:

 

Damit gehört es zu den Potenzreihen.

Integralrestglied Bearbeiten

Das  -te Integralrestglied ist definiert durch:

 

Satz (Taylorformel mit Integralrestglied) Bearbeiten

Für alle   und   aus   gilt:

 

Beweis Bearbeiten

Der Beweis der Taylor-Formel mit Integralrestglied erfolgt durch vollständige Induktion über  .

Der Induktionsanfang   entspricht dabei genau dem Fundamentalsatz der Analysis, angewendet auf die einmal stetig differenzierbare Funktion  :

 

Der Induktionsschritt   (es ist zu zeigen, dass die Formel stets auch für   gilt, falls sie für ein   gilt) erfolgt durch partielle Integration. Für  -mal stetig differenzierbares   ergibt sich:

 

und somit

 .

Restgliedformeln Bearbeiten

Es gibt außer der Integralformel noch andere Darstellungen des Restgliedes.

Schlömilch-Restglied und dessen Herleitung Bearbeiten

Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung ergibt sich für jede natürliche Zahl   mit  , dass es ein   zwischen   und   gibt, sodass:

 

Damit folgt die Schlömilchsche Restgliedform:

 

für ein   zwischen   und  .

Spezialfälle des Schlömilch-Restglieds Bearbeiten

Ein Spezialfall, nämlich der mit  , ist die Form nach Cauchy:

 

für ein   zwischen   und  .

Im Spezialfall   erhalten wir das Lagrangesche Restglied:

 

für ein   zwischen   und  . Bei dieser Darstellung braucht die  -te Ableitung von   nicht stetig zu sein.

Peano-Restglied Bearbeiten

Mit der Taylorformel mit Lagrange-Restglied erhält man für  -mal stetig differenzierbares   außerdem:

 

Darum kann man als Restglied auch

 

verwenden, wobei   hier nur  -mal stetig differenzierbar sein muss. Dieses Restglied nennt man Peano-Restglied.

Weitere Darstellung Bearbeiten

Setzt man  , das heißt  , so erhält die Lagrangesche Darstellung die Form

 ,

die Schlömilchsche

 ,

und die Cauchysche

 

jeweils für ein   zwischen 0 und 1.

Restgliedabschätzung Bearbeiten

Liegt das Intervall   in   (der Definitionsbereich von  ), kann man mit dem Restglied von Lagrange (siehe im Abschnitt Restgliedformeln) für alle   und wegen   zwischen   und   (und somit auch  ) folgende Abschätzung herleiten:

 

Gilt   für alle  , so gilt daher für das Restglied die Abschätzung

 .

Restgliedabschätzungen sind nicht auf den „reellen Fall“ beschränkt. Ist   (mit  ) konvex (für   zum Beispiel ein Intervall und für   ein konvexes Gebiet) mit  , so existiert für jede  -mal stetig differenzierbare Abbildung   ein stetiges Restglied  , sodass[2]

 

Das Restglied genügt für   der Abschätzung

 

Näherungsformeln für Sinus und Kosinus Bearbeiten

Eine Anwendung der Taylorformel sind Näherungsformeln, hier vorgestellt am Beispiel Sinus und Kosinus (wobei das Argument im Bogenmaß angegeben wird).

Für   gilt  , also lautet das 4. Taylorpolynom der Sinusfunktion an der Entwicklungsstelle 0

 

Aus   ergibt sich für das Restglied von Lagrange   mit   zwischen 0 und  . Wegen   folgt die Restgliedabschätzung  .

Liegt   zwischen   und  , dann liegt die relative Abweichung   von   zu   bei unter 0,5 %.

Tatsächlich genügt für die Annäherung des Sinus auf diese Genauigkeit sogar schon das Taylorpolynom 3. Ordnung, da   für  , und daher  . Daraus ergibt sich auch folgende weitere Abschätzung für drittes und viertes Taylorpolynom, die bei sehr großen x genauer ist:

 

Die folgende Abbildung zeigt die Graphen einiger Taylorpolynome des Sinus um Entwicklungsstelle 0 für  . Der Graph zu   gehört zur Taylorreihe, die mit der Sinusfunktion übereinstimmt.

 
 
Approximation des Sinus durch Taylorpolynome   bis  

Das vierte Taylorpolynom   der Kosinusfunktion an der Entwicklungsstelle 0 hat im Horner-Schema diese Gestalt:

 

Liegt x zwischen   und  , dann liegt die relative Abweichung   bei unter 0,05 %.

Auch für Kotangens und Tangens kann man diese Formeln nutzen, denn es ist

 

mit einer relativen Abweichung von unter 0,5 % für  , und   mit derselben relativen Abweichung (dabei ist   kein Taylorpolynom des Tangens).

Braucht man eine noch höhere Genauigkeit für seine Näherungsformeln, dann kann man auf höhere Taylorpolynome zurückgreifen, die die Funktionen noch besser approximieren.

Taylor-Formel im Mehrdimensionalen Bearbeiten

Sei nun im Folgenden   eine  -mal stetig differenzierbare Funktion und  . Sei ferner  ,  , wobei  .

Sei ferner wie in der Multiindex-Notation  . Im folgenden Abschnitt wird die Multiindex-Notation verwendet, damit man sofort sieht, dass der mehrdimensionale Fall für   tatsächlich dieselben Formeln ergibt wie der eindimensionale Fall.

Mehrdimensionales Taylorpolynom Bearbeiten

Mit der mehrdimensionalen Kettenregel und Induktion erhält man, dass

 ,

wobei   der Multinomialkoeffizient ist, siehe auch Multinomialtheorem.

Stellt man   im Punkt 1 durch ein Taylorpolynom mit Entwicklungsstelle 0 dar, so erhält man durch diese Formel die Definition des mehrdimensionalen Taylorpolynoms von   an der Entwicklungsstelle  :

 

Hierbei hat man verwendet, dass  .

Schmiegquadrik Bearbeiten

Das zweite Taylorpolynom einer skalarwertigen Funktion in mehr als einer Variable kann bis zur zweiten Ordnung kompakter geschrieben werden als:

 

Dabei ist   der Gradient und   die Hesse-Matrix von   jeweils an der Stelle  .

Das zweite Taylorpolynom nennt man auch Schmiegquadrik.

Mehrdimensionales Integralrestglied Bearbeiten

Ebenso definiert man das mehrdimensionale Restglied mithilfe der Multiindex-Notation:

 

Mehrdimensionale Taylor-Formel Bearbeiten

Aus der eindimensionalen Taylor-Formel folgt, dass

 

Nach der obigen Definition von   erhält man daher:

 

Mehrdimensionale Restgliedformeln Bearbeiten

Man kann auch die eindimensionalen Nicht-Integral-Restgliedformeln mithilfe der Formel für   für den mehrdimensionalen Fall verallgemeinern.

Das Schlömilch-Restglied wird so zu

 ,

das Lagrange-Restglied zu

 ,

und das Cauchy-Restglied zu

 

für jeweils ein  .

Qualitative Taylorformel Bearbeiten

Nach der mehrdimensionalen Taylorformel ergibt sich mit dem Lagrange-Restglied:

 

Wegen   erhalten wir ferner:

 

Der letzte Teil geht gegen null, da die partiellen Ableitungen vom Grad   nach Voraussetzung alle stetig sind und   sich zwischen   und   befindet und somit auch nach   konvergiert, falls  .

Wir erhalten folgende Abschätzung, welche „(mehrdimensionale) qualitative Taylorformel“ genannt wird:

 

für  , wobei   für die Landau-Notation steht.[3]

Beispiel Bearbeiten

Es soll die Funktion

 

um den Punkt   entwickelt werden.

 
Funktion (rot) und Taylorentwicklung (grün)

In diesem Beispiel soll die Funktion bis zum zweiten Grad entwickelt werden, d. h., man will ein Taylorpolynom zweiter Ordnung berechnen, also die sog. Schmiegquadrik. Es gilt also  . Wegen   müssen, gemäß der Multiindexschreibweise, die Tupel  ,  ,  ,  ,   und   berücksichtigt werden. Dabei gilt wegen des Satzes von Schwarz, dass

 .

Die partiellen Ableitungen der Funktion lauten:

 
 
 
 
 

Es folgt mit der mehrdimensionalen Taylor-Formel:

 

Benutzt man die alternative Darstellung mit Hilfe des Gradienten und der Hesse-Matrix, so erhält man:

 

Taylor-Formel für Operatoren auf Banachräumen Bearbeiten

Mit überraschend wenig Aufwand lässt sich die Taylor-Formel noch weiter verallgemeinern: Seien   Banachräume,   offen und nichtleer. Weiter sei   ein  -fach Fréchet-differenzierbarer Operator, sowie   mit   für alle  . Dann gilt:

 

Hierbei ist   die  -te Fréchet-Ableitung von  , d. h. eine stetige  -Linearform auf   mit Werten in  . Das Restglied   erfüllt die folgende Eigenschaft: Für jedes Element des Dualraumes   gilt:

 

Beweis: Sei   ein beliebiges Funktional, dann ist   eine  -fach stetig differenzierbare, reellwertige Funktion, d. h. lässt sich mit der eindimensionalen Taylor-Formel schreiben als

 

Mit Hilfe der Kettenregel für die Fréchet-Ableitung folgt hieraus die gewünschte Formel für  . Da dies für jedes Element des Dualraumes gilt, folgt aus der Trennungsaussage des Satzes von Hahn-Banach die entsprechende Formel für  .

Literatur Bearbeiten

  • Otto Forster: Analysis. Band 1: Differential- und Integralrechnung einer Veränderlichen. 8., verbesserte Auflage. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8348-0088-0 (Vieweg Studium. Grundkurs Mathematik).
  • Otto Forster: Analysis. Band 2: Differentialrechnung im Rn. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 7., verbesserte Auflage. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8348-0250-6 (Vieweg Studium. Grundkurs Mathematik).
  • Bernhard Heck: Rechenverfahren und Auswertemodelle der Landesvermessung. Klassische und moderne Methoden. Wichmann, Karlsruhe 1987, ISBN 3-87907-173-X, Kapitel 4, 7 und 13 (Mathematische Modelle und Grundlagen).
  • Konrad Königsberger: Analysis. Band 2. 3., überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u. a. 2000, ISBN 3-540-66902-7.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Brook Taylor: Methodus Incrementorum Directa et Inversa. Pearson, London 1717, S. 21.
  2. Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis 1. Dritte Auflage. Birkhäuser, S. 354.
  3. Königsberger: Analysis. Band 2. 2000, S. 66.