Kontaktgeometrie

differentielle Approximation von Strukturen
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Das mathematische Gebiet der Kontaktgeometrie ist ein Teilgebiet der Differentialgeometrie, das sich mit bestimmten geometrischen Strukturen auf differenzierbaren Mannigfaltigkeiten befasst, nämlich mit vollständig nicht-integrierbaren Feldern von Hyperebenen im Tangentialbündel, sogenannten Kontaktstrukturen. Die derart beschriebene geometrische Idee ist recht einfach: Für jeden Punkt der Mannigfaltigkeit wird eine Ebene ausgewählt, wobei eine Zusatzbedingung den Spezialfall ausschließt, dass die Ebenen in Schichten liegen, wie sie im zweiten Bild dargestellt sind.

Ihren Ursprung hat die Kontaktgeometrie unter anderem in der geometrischen Optik und der Thermodynamik. Der norwegische Mathematiker Sophus Lie hat Ende des 19. Jahrhunderts ausführlich sogenannte Berührungstransformationen beschrieben[1], unter anderem, um Differentialgleichungen und Methoden wie die Legendre-Transformation und die kanonische Transformation der klassischen Mechanik zu studieren. Berührungstransformationen waren für das Gebiet namensgebend; in heutiger Sprache sind sie Abbildungen, welche Kontaktstrukturen erhalten, und heißen Kontaktomorphismen.

Heute werden Kontaktstrukturen wegen ihrer vielfältigen topologischen Eigenschaften und ihrer zahlreichen Verbindungen mit anderen Gebieten der Mathematik und Physik studiert, wie der symplektischen und der komplexen Geometrie, der Theorie der Blätterungen von Kodimension , dynamischen Systemen und der Knotentheorie. Besonders eng ist die Beziehung zur symplektischen Geometrie, denn in vielerlei Hinsicht sind Kontaktstrukturen, die in ungeraden Dimensionen existieren, Gegenstücke zu den symplektischen Strukturen in gerader Dimension.

Ein Ebenenfeld auf , das eine Kontaktstruktur ist

Geometrische Idee

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Ein Ebenenfeld auf  , das von einer Blätterung stammt

Die nebenstehenden Bilder stellen Ausschnitte aus Ebenenverteilungen auf   dar, das heißt, dass pro Punkt im dreidimensionalen Raum eine Ebene ausgewählt ist, von der jeweils ein kleines Stück gezeichnet wurde. Im unteren Bild passen die ausgewählten Ebenen so zusammen, dass sie überall als Tangentialebenen an eine Blätterung interpretiert werden können; solche Verteilungen heißen integrierbar. Im oberen Bild hingegen ist dies nicht der Fall, und das sogar in keinem einzigen Punkt. Eine Ebenenverteilung mit dieser Eigenschaft heißt vollständig nicht-integrierbar oder maximal nicht-integrabel und definiert eine Kontaktstruktur.

Tatsächlich sieht jede Kontaktstruktur im Kleinen ungefähr wie die im Bild dargestellte aus; dies ist die Aussage des weiter unten dargestellten Satzes von Darboux. Die Kontaktgeometrie stellt sich deshalb die Frage, wie Kontaktstrukturen auf verschiedenen Mannigfaltigkeiten im Großen aussehen können und welche Eigenschaften sie haben.

Definitionen

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Eine Kontaktstruktur auf einer Mannigfaltigkeit   ist durch ein Feld   von Hyperebenen gegeben, also für jeden Punkt   von   die Angabe einer Hyperebene im Tangentialraum  , wobei dieses Feld vollständig nicht-integrierbar sein muss. Der Satz von Frobenius besagt, wann eine Ebenenverteilung wie   integrierbar ist; eine Kontaktstruktur ist also eine Ebenenverteilung, die in keinem Punkt die Bedingungen dieses Satzes erfüllt.

Oft ist es praktischer, nicht direkt mit Kontaktstrukturen, sondern mit Kontaktformen zu arbeiten. Eine Kontaktform ist eine differenzierbare 1-Form   auf einer (2n+1)-dimensionalen Mannigfaltigkeit  , die in folgendem Sinne nirgendwo degeneriert ist:

  für alle  

wobei

 

das heißt, dass   eine Volumenform ist.

Eine Kontaktform definiert eindeutig eine Kontaktstruktur. Der Kern   von   ist ein Hyperebenenfeld und die obige Bedingung bewirkt nach dem Satz von Frobenius, dass   eine Kontaktstruktur ist: Dieses Feld ist vollständig nicht-integrierbar.

Umgekehrt, ebenfalls nach dem Satz von Frobenius, lässt sich ein integrierbares Ebenenfeld lokal als Kern einer geschlossenen (eine Differentialform   heißt geschlossen, wenn  ) 1-Form beschreiben; hingegen ist eine Kontaktstruktur ein Ebenenfeld, das sich lokal als der Kern einer Kontaktform beschreiben lässt.

Äquivalent zur Bedingung von oben kann man die Nicht-Degeneriertheit von   dadurch fordern, dass   eine symplektische Form auf dem Hyperebenenfeld sein soll.

Namenskonventionen

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Eine Mannigfaltigkeit   mit Kontaktstruktur   heißt Kontaktmannigfaltigkeit  . Die Bezeichnungen Kontaktstruktur und Kontaktmannigfaltigkeit scheinen erstmals in der Formulierung des Boothby-Wang verwendet worden zu sein.[2]

Ein Diffeomorphismus zwischen Kontaktmannigfaltigkeiten, der verträglich mit den jeweiligen Strukturen ist, nennt man einen Kontaktomorphismus, ursprünglich bei Lie Berührungstransformation. Die beiden Kontaktmannigfaltigkeiten heißen dann kontaktomorph.

Beispiele

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Eine Kontaktstruktur auf  : das Ebenenfeld

Dimension 1

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In Dimension 1 stimmen die Kontaktformen genau mit den Volumenformen überein, die Kontaktstrukturen sind dementsprechend trivial.

Dimension 3

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Als Grundbeispiel einer Kontaktstruktur gilt  , ausgestattet mit den Koordinaten   und der 1-Form

 

Die Kontaktebene   in einem Punkt   wird durch die Vektoren

 

und

 

aufgespannt. Diese Kontaktstruktur ist ganz oben im Artikel abgebildet.

Im Bild rechts ist die Kontaktstruktur

 

dargestellt, wobei   zylindrische Koordinaten für   sind.

Dimension 2n + 1

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Das Grundbeispiel auf   lässt sich zur Standardkontaktform auf   verallgemeinern: Auf  , ausgestattet mit den Koordinaten  , definieren die beiden  -Formen

 

und

 

zwei zueinander kontaktomorphe Kontaktstrukturen.

Reeb-Vektorfelder

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Eine Kontaktform enthält mehr Informationen als eine Kontaktstruktur, unter anderem definiert sie zusätzlich ein Reeb-Vektorfeld. Dieses Vektorfeld ist pro Punkt durch den eindeutigen Vektor   definiert, so dass   und  .

Die Weinstein-Vermutung besagt, dass jedes Reeb-Vektorfeld geschlossene Orbiten hat.

Kontaktgeometrie und symplektische Geometrie

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Sei   eine symplektische Mannigfaltigkeit mit konvexem Rand,   in einer Umgebung von  . Dann definiert   eine Kontaktstruktur auf  . Man sagt, die Kontakt-Mannigfaltigkeit   ist symplektisch füllbar (engl.: symplectically fillable).

Ein Liouville-Gebiet ist eine symplektische Füllung, bei der   mit   auf ganz   definiert ist.

Eine schwache symplektische Füllung einer Kontaktmannigfaltigkeit   ist eine symplektische Mannigfaltigkeit   mit   und   konform äquivalent zu  . In Dimensionen   ist jede schwach füllbare Kontaktstruktur auch symplektisch füllbar, weshalb man in diesen Dimensionen einen schwächeren Begriff von schwacher Füllbarkeit betrachtet:   ist eine schwache Füllung von   wenn   für alle   ist.[3]

Legendre-Untermannigfaltigkeiten

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Die interessantesten Untermannigfaltigkeiten einer Kontaktmannigfaltigkeit   sind ihre Legendre-Untermannigfaltigkeiten. Die Nicht-Integrabilität des Kontakt-Hyperebenenfeldes auf einer  -dimensionalen Mannigfaltigkeit bedeutet, dass keine  -dimensionale Untermannigfaltigkeit dieses Feld als Tangentialbündel besitzt, nicht einmal lokal. Allerdings lassen sich  -dimensionale (eingebettete oder immersierte) Untermannigfaltigkeiten   finden, deren Tangentialräume im Kontaktfeld liegen, d. h.

  für alle  .

Man kann zeigen, dass solche, sogenannt isotrope, Untermannigfaltigkeiten höchstens Dimension   erreichen. Eine Untermannigfaltigkeit dieser maximalen Dimension wird Legendre-Untermannigfaltigkeit genannt. Zwei solcher Untermannigfaltigkeiten heißen äquivalent, wenn sie sich durch eine Familie von Kontaktomorphismen der umgebenden Mannigfaltigkeit verbinden lassen, ausgehend von der Identität.

Betrachtet man Kontaktmannigfaltigkeiten der Dimension drei, dann bilden die zusammenhängenden kompakten Legendre-Mannigfaltigkeiten Knoten, die man Legendre-Knoten nennt. Jeder Knoten in   mit seiner Standard-Kontaktstruktur (siehe das Beispiel oben) lässt sich als Legendre-Knoten realisieren. Manchmal kann dies auf verschiedene Arten geschehen: Inäquivalente Legendre-Knoten können als gewöhnliche Knoten äquivalent sein.

Aus der symplektischen Feldtheorie lassen sich Invarianten von Legendre-Untermannigfaltigkeiten gewinnen, relative Kontakthomologie genannt, die manchmal verschiedene Legendre-Untermannigfaltigkeiten unterscheiden können, welche topologisch identisch sind.

Der Satz von Darboux

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Der Satz von Darboux ist ein grundlegendes Resultat der Kontaktgeometrie wie auch der noch bekannteren symplektischen Geometrie. Er ist nach Jean Gaston Darboux benannt, der damit das Pfaffsche Problem (nach Johann Friedrich Pfaff) löste. Eine der Konsequenzen des Satzes ist, dass zwei beliebige Kontaktmannigfaltigkeiten derselben Dimension immer lokal kontaktomorph sind. Es gibt also für jeden Punkt   aus   eine Umgebung  , die   enthält, und lokale Koordinaten auf  , in denen die Kontaktstruktur die oben angegebene Standardform hat.

Im Vergleich zur Riemannschen Geometrie ist dies ein starker Kontrast: Riemannsche Mannigfaltigkeiten haben interessante lokale Eigenschaften wie etwa die Krümmung. Im Gegensatz dazu gibt es im Kleinen nur ein einziges Modell von Kontaktmannigfaltigkeiten. Zum Beispiel sind die beiden beschriebenen und abgebildeten Kontaktstrukturen auf   lokal kontaktomorph und können deshalb (cum grano salis) beide Standardkontaktstruktur auf   genannt werden.

3-dimensionale Kontaktgeometrie

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„Tight“ vs. „overtwisted“

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In der 3-dimensionalen Kontaktgeometrie gibt es die Dichotomie zwischen straffen (engl.: tight) und überdrehten (engl.: overtwisted) Kontaktstrukturen. Eine Kontaktstruktur   heißt überdreht, wenn es eine „überdrehte“ Kreisscheibe gibt (d. h. deren induzierte Blätterung eine Singularität im Inneren und ansonsten von der Singularität in den Rand der Kreisscheibe laufende Orbits hat). Die Kontaktstruktur heißt straff, falls es keine überdrehte Kreisscheibe gibt.

Wenn eine Kontaktstruktur (schwach) symplektisch füllbar ist, dann ist sie straff. Die Inklusionen

 

sind in Dimension 3 echte Inklusionen. Neben überdrehten Kreisscheiben ist das Nichtverschwinden der Giroux-Torsion ein weiteres Hindernis für symplektische Füllbarkeit. Die Giroux-Torsion ist definiert als das maximale  , für das eine Einbettung von   in   existiert.

Für überdrehte Kontaktstrukturen gilt ein h-Prinzip, ihre Klassifikation bis auf Homotopie ist äquivalent zur Klassifikation der Ebenenfelder bis auf Homotopie.

Offene Bücher

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Satz von Giroux: Auf orientierbaren 3-Mannigfaltigkeiten gibt es eine Bijektion zwischen der Menge der Kontaktstrukturen bis auf Isotopie und der Menge der Offenen Bücher bis auf positive Stabilisierung.

Literatur

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Einführende Texte zur Kontaktgeometrie
Geschichte
  • Sophus Lie, Georg Scheffers: Geometrie der Berührungstransformationen. Chelsea Publishing, Bronx NY 1977, ISBN 0-8284-0291-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Erstausgabe: Teubner, Leipzig 1896).
  • Robert Lutz: Quelques remarques historiques et prospectives sur la géométrie de contact. In: Gruppo Nazionale di Geometria delle Varietà Differenziabili (Hrsg.): Proceedings of the conference on differential geometry and topology. (Cala Gonone/Sardinia). 1988, 09. 26–30 (= Rendiconti del Seminario della Facoltà di Scienze della Università di Cagliari. 58, Suppl., ISSN 0370-727X) Tecnoprint, Bologna, 1988, S. 361–393.
  • Hansjörg Geiges: A brief history of contact geometry and topology. In: Expositiones Mathematicae. Nr. 19, 2001, ISSN 0723-0869, S. 25–53 (englisch).
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Einzelnachweise

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  1. Sophus Lie, Georg Scheffers: Geometrie der Berührungstransformationen. B. J. Teubner, 1896 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. H. Geiges: Contact manifold (Manifold atlas)
  3. Massot-Niederkrüger-Wendl: Weak and strong fillability in higher dimensions. Inventiones Mathematicae 2013