Höhenschnittpunkt

Geometrische Eigenschaft

Der Höhenschnittpunkt (auch: Orthozentrum) eines Dreiecks ist der Schnittpunkt seiner drei Höhen, d. h. der Lote zu den Dreiecksseiten durch die gegenüberliegenden Ecken.[1] Der Höhenschnittpunkt ist einer der vier klassischen ausgezeichneten Punkte des Dreiecks.

Höhenschnittpunkt

In der Skizze sind die Höhen mit [AHa], [BHb] und [CHc] bezeichnet. Ist das gegebene Dreieck ABC spitzwinklig, so befindet sich der Höhenschnittpunkt H innerhalb des Dreiecks. Hat das Dreieck dagegen einen stumpfen Winkel (also einen Winkel über 90°), so liegt H außerhalb. Im rechtwinkligen Fall schließlich stimmt H mit dem Scheitel des rechten Winkels überein.

 
Dreieck mit Höhen und Parallelen zu den Seiten

Zum Beweis, dass sich alle drei Höhen des Dreiecks   in einem Punkt schneiden, zeichnet man die Parallelen zu den Dreiecksseiten durch die gegenüberliegenden Ecken, sodass ein größeres Dreieck   entsteht. Je zwei der vier Teildreiecke des neuen Dreiecks bilden ein Parallelogramm. In einem Parallelogramm sind gegenüberliegende Seiten gleich lang. Daher sind die Seiten des neuen Dreiecks doppelt so lang wie die entsprechenden Seiten des ursprünglichen Dreiecks. Die Höhen des ursprünglichen Dreiecks stimmen daher mit den Mittelsenkrechten (Streckensymmetralen) des neuen Dreiecks überein. Da sich die Mittelsenkrechten eines Dreiecks in einem Punkt schneiden (→ siehe Umkreis), muss dies auch für die Höhen des Ausgangsdreiecks gelten.

Umgekehrt kann man dem Dreieck   das Dreieck   als Dreieck seiner Mittelparallelen einbeschreiben. Damit fällt der Umkreismittelpunkt des ursprünglichen Dreiecks mit dem Höhenschnittpunkt des einbeschriebenen Dreiecks zusammen.

Verallgemeinerung in der synthetischen Geometrie

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Die im Beweis mitbewiesene Äquivalenz des Höhenschnittpunktsatzes zum Mittellotensatz, lässt sich in der synthetischen Geometrie auf affine Translationsebenen mit einer Orthogonalitätsrelation verallgemeinern, falls jede Strecke der Ebene eine Mitte hat, d. h. falls die Ebene das affine Fano-Axiom erfüllt. Dann kann aus der Existenz dieser Schnittpunkte für beliebige Dreiecke geschlossen werden, dass die Translationsebene eine pappussche Ebene ist. Insofern wird der Höhenschnittpunktsatz in der synthetischen affinen Geometrie als Axiom behandelt.

Eigenschaften

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  • Das Dreieck aus den Fußpunkten Ha, Hb und Hc der Höhen bezeichnet man als das Höhenfußpunktdreieck des Dreiecks ABC. Ist das Dreieck ABC spitzwinklig, dann ist der Höhenschnittpunkt H des Dreiecks ABC der Inkreismittelpunkt des Höhenfußpunktdreiecks; ist das Dreieck ABC stumpfwinklig, dann ist der Höhenschnittpunkt H des Dreiecks ABC ein Ankreismittelpunkt des Höhenfußpunktdreiecks.
  • Die Produkte der Höhenabschnitte sind gleich:
 .
  • Die Fußpunkte der Höhen und die Mittelpunkte der „oberen Höhenabschnitte“ (jeweils zwischen dem Höhenschnittpunkt und einer Ecke) liegen auf dem Feuerbach-Kreis.
  • Spiegelt man den Höhenschnittpunkt an den drei Seiten des Dreiecks, so liegen die Bildpunkte auf dem Umkreis.

Koordinaten

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Die trilinearen Koordinaten des Höhenschnittpunkts ( ) sind

 .[2]

Die baryzentrischen Koordinaten sind (gleichwertig)

  oder
 .[2]

Dabei sind   die Seitenlängen des Dreiecks und   die Größen der Innenwinkel.

Orthozentrische Quadrupel

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Gegeben seien ein Dreieck   und sein Höhenschnittpunkt  . Dann gelten die folgenden Aussagen:

  • Der Höhenschnittpunkt des von drei der vier Punkte  ,  ,   und   gebildeten Dreiecks ist jeweils der vierte Punkt.
  • Die von drei der vier Punkte  ,  ,   und   gebildeten Dreiecke haben kongruente Umkreise.

Die vier Punkte  ,  ,   und   werden auch als orthozentrisches Quadrupel bezeichnet.

 
Figur 5

Beweis:

Die erste Aussage resultiert unmittelbar aus den Figuren 1 bis 4.
Der Beweis der zweiten Aussage basiert auf Figur 5. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit wird die Kongruenz der Umkreise für die beiden Dreiecke   und   gezeigt.
Im Dreieck   ergänzen sich der rot markierte Winkel   und der Winkel   zu 90°. Ebenso ergänzen sich im Dreieck   der rot markierte Winkel   und der Winkel   zu 90°. Hieraus folgt, dass die beiden rot markierten Winkel gleich groß sind.
Der Punkt   ist der zweite Schnittpunkt des Umkreises des Dreiecks   mit der verlängerten Dreieckshöhe durch  . Der rot markierte Winkel   und der grün markierte Winkel   sind als Umfangswinkel am Kreisbogen über   gleich groß. Damit sind auch der rot markierte Winkel   und der grün markierte Winkel   gleich groß. Folglich sind nach dem Kongruenzsatz WSW dann auch die rechtwinkligen Dreiecke   und   kongruent. Somit sind nach dem Kongruenzsatz SWS auch die Dreiecke   und   kongruent, also sind auch ihre Umkreise kongruent.
Da demnach der Umkreis des Dreiecks   auch der des Dreiecks   ist und die Umkreise der Dreiecke   und   kongruent sind, haben auch die Dreiecke   und   kongruente Umkreise. Damit ist die zweite Aussage bewiesen.

Spezialfall der ersten Aussage:

  • Sind drei der vier Punkte  ,  ,   und   Eckpunkte eines rechtwinkligen Dreiecks, so fällt der jeweils vierte Punkt mit einem der drei anderen zusammen.[3]

Geschichtliches

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In den Elementen des Euklid wird der Höhenschnittpunkt nicht erwähnt. Er findet sich aber im Buch der Lemmata (Liber assumptorum), einer Sammlung geometrischer Sätze, die dem griechischen Mathematiker Archimedes zugeschrieben wird. Auch in den Collectiones (VII, 62) des Pappos wird der Höhenschnittpunkt als bekannt vorausgesetzt.[4][5][6] Im 11. Jahrhundert wurde der Satz von Ali ibn Ahmad al-Nasawi in seinem Kommentar zum Buch der Lemmata formuliert und bewiesen. Al-Nasawi schrieb ihn Abu Sahl al-Quhi (10. Jahrhundert) zu.[7]

Dieser Beweis in arabischer Sprache wurde im frühen 17. Jahrhundert für lateinische Ausgaben des Buchs der Lemmata übersetzt, erreichte aber in Europa keinen hohen Bekanntheitsgrad. Daher wurde der Satz vom 17. bis zum 19. Jahrhundert mehrere Male neu bewiesen. Samuel Marolois bewies ihn in seiner Geometrie (1619), auch Isaac Newton in seiner unvollendeten Schrift Geometry of Curved Lines.[5] 1749 folgte ein Beweis von William Chapple.[8]

Der oben dargestellte Beweis, der den Schnitt der Höhen auf den Schnitt der Mittelsenkrechten zurückführt, wurde 1804 von François-Joseph Servois[9][6] und – unabhängig davon – 1810 von Carl Friedrich Gauß gefunden[10] und 1873 neu herausgegeben[11].

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Wolfgang Grundmann: Dreieckgeometrie. AVM, München 2010, ISBN 978-3-89975-808-5, S. 71–72.
  2. a b Clark Kimberling: Enyclopedia of Triangle Centers, X(4) = Orthocenter. Abgerufen am 31. Januar 2025.
  3. Günter Aumann: Kreisgeometrie. Eine elementare Einführung. Springer Spektrum, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015, ISBN 978-3-662-45305-6, Seiten 29 und 30
  4. Max Koecher, Aloys Krieg: Ebene Geometrie. 3. Auflage. Springer, Berlin Heidelberg New York 2007, ISBN 978-3-540-49327-3, S. 119.
  5. a b Isaac Newton: The Mathematical Papers of Isaac Newton. Band 4. Cambridge University Press, 1971, 3.1 The 'Geometry of Curved Lines', S. 454–455 (englisch, archive.org – beschränkte Ansicht). Man beachte die Fußnoten (90) bis (92) von Whiteside, S. 454–456.
  6. a b John Sturgeon Mackay: The Triangle and its Six Scribed Circles §5. Orthocentre. In: Proceedings of the Edinburgh Mathematical Society. Band 1, 1883, S. 60–96, doi:10.1017/S0013091500036762.
  7. Mowaffaq Hajja, Horst Martini: Concurrency of the Altitudes of a Triangle. In: Mathematische Semesterberichte. Band 60, Nr. 2, 2013, S. 249–260, doi:10.1007/s00591-013-0123-z (englisch, researchgate.net).
  8. Thomas Stephens Davies: XXIV. Geometry and geometers. In: Philosophical Magazine. Band 37, Nr. 249, 1850, S. 198–212, doi:10.1080/14786445008646583 (englisch, zenodo.org). Fußnote auf S. 207-208.
    Zitiert von Alexander Bogomolny: A Possibly First Proof of the Concurrence of Altitudes. In: Cut The Knot. 2010, abgerufen am 15. Januar 2025 (englisch).
  9. François-Joseph Servois: Solutions peu connues de différens problèmes de Géométrie-pratique. Devilly, Metz et Courcier, 1804, S. 15 (französisch).
  10. Carl Friedrich Gauß: Geometrie der Stellung (Zusätze). 1810.
  11. Carl Friedrich Gauß: Werke. Hrsg.: Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Band 4, 1873, Zusätze, S. 396 (archive.org).