Die Nebenbahnen im Weinviertel, auch Lokalbahnen genannt, sind die niederrangigen Eisenbahnstrecken im Weinviertel, der Nordostregion Niederösterreichs, welche heute zum Großteil eingestellt sind.
Geschichte
BearbeitenAufbau des Netzes in der Monarchie
BearbeitenSchon in den Zeiten der Österreichischen Monarchie wurden im Zentralraum der Residenzstadt Wien Richtung Norden und Nordosten vier Hauptbahnen erstellt: Die Nordbahn Wien Nordbahnhof–Lundenburg (Breslau)–Krakau Richtung Galizien 1836/37, die Nordwestbahn Wien Nordwestbahnhof–Retz–Znaim nach Böhmen 1838, und die Ostbahn mit Ostlinie Wien Südbahnhof–Pressburg–Budapest über Marchegg nach Ungarn ab 1850 und Nordlinie Wien Ostbahnhof–Brünn–Prag–Tetschen-Bodenbach über Mähren nach Schlesien und Preußen in den 1870ern.
Nach 1885 wurden im Weinviertel zahlreiche, Lokalbahn genannte Nebenbahnen errichtet, das Kronland Niederösterreich hatte ein eigenes Lokalbahngesetz. Bis 1915 entstand das dichteste Nebenstreckennetz der heutigen österreichischen Länder.[1] Die erste solche war die Stammersdorfer Lokalbahn, welche am 26. April 1903 zwischen Stammersdorf und Auersthal in Betrieb ging. Alle Bahnstrecken wurden in der Normalspur errichtet. Mit der Eröffnung der Bahnstrecke von Siebenbrunn-Leopoldsdorf nach Engelhartstetten und Orth an der Donau am 30. Juni 1909 war das Netz der Weinviertler Nebenbahnen komplett.
Zweite Republik
BearbeitenNach dem Ersten, und noch mehr nach den Zweiten Weltkrieg wurde das Weinviertel vom zentraleuropäischen Transitraum zu einer von Eisernen Vorhang abgeriegelten „Sackgasse“. Die Bahnen gingen durchwegs auf die Niederösterreichischen Landesbahnen über. Obwohl das Weinviertel zu einem Großteil Pendlereinzugsgebiet der Metropolregion Wien ist, wurde der Personenverkehr auf fast alle Nebenbahnen im Weinviertel eingestellt, teilweise auch der Güterverkehr. Diese Strecken sind heute großteils überwachsen und wegen Unbefahrbarkeit gesperrt, bei einigen wurden sogar die Gleise gänzlich abgetragen. Auf einigen Strecken wird noch Güterverkehr abgewickelt.
Selbst nach dem Ende des Ostblocks, der landesorientierten Nahverkehrsmilliarde des Jahres 1976, und sogar der Wiederaufnahme der Grenzverkehrsströme und dem kommenden EU-Beitritt Tschechiens und der Slowakei 2004 wurde der Rückbau des Netzes fortgesetzt – entgegen den Protesten der Regionalpolitik.[2] Die bislang letzte aufgegebene Bahnstrecke zwischen Bad Pirawarth und Gaweinstal wurde 2004 eingestellt.
Die drei einzig noch in Betrieb befindlichen Lokalbahnen sind die Lokalbahn Absdorf–Stockerau (Verbindung Nordbahn–Franz-Josefs-Bahn), die Lokalbahn Gänserndorf–Marchegg (Verbindung Nordbahn–Ostbahn) sowie die Weinviertel-Landesbahn, bestehend aus Strecken der ehemaligen Stammersdorfer Lokalbahn und Lokalbahn Gänserndorf–Mistelbach. Die Lokalbahn Absdorf–Stockerau ist außerdem die einzige elektrifizierte Nebenbahn im Weinviertel.
Aktuelle Verkehrskonzepte
BearbeitenDas Weinviertel ist heute eines der NUTS-3-Zielregionen Österreichs. Das Netz der Verkehrsanbindung an den Zentralraum Wien ist stark radial ausgerichtet, und tangential stark ausgedünnt. Es ist noch immer primär Pendelereinzugsgebiet Wiens. Durch den Ausbau des Wiener Aussenautobahnrings (Regionenring) und der angeschlossenen Nord Autobahn A 5 (Brünn) und Marchfeld Schnellstraße S 8 (Bratislava) ist zu erwarten, dass der Pendlerverkehr noch deutlicher vom ÖPNV auf den Individualverkehrsektor umgelagert wird.[3]
Zum anderen versucht sich das Weinviertel, ausgehend von der Medienpräsenz der Hainburger Auen und dem erfolgreichen grenzübergreifenden Nationalpark Thayatal-Podyjí, als Tourismusdestination zu etablieren, wobei hier durch die nicht vorhandene massentouristische Erschließung die Chancen primär am Sektor Sanfter Tourismus gesehen werden. Ein weiterer regionalentwicklerischer Ansatz beruht auf dem Erfolg der ökologischen Landwirtschaft in Österreich, womit sich das agrarisch geprägte Weinviertel noch intensiver als hochqualititaver Nahversorger des Raumes Wien etablieren könnte.[4] Für beide Konzepte ist die fehlende öffentliche Nahverkehrsstruktur ein Hindernis.
Lokale Initiativen fordern eine Neuorientierung der Verkehrskonzepte für das Weinviertel insbesondere unter Wiederbelebung der Nebenbahnen,[5] und es bestehen Absichtserklärungen der Niederösterreichischen Raumplanung, darauf einzugehen.[1] Angedacht wurden auch seitens der Wiener Linien, die 1945 stillgelegte Pressburger Bahn wieder zu reaktivieren.[6]
Übersicht über die Nebenlinien des Weinviertels
BearbeitenName | Verlauf | Bemerkung |
---|---|---|
Stammersdorfer Lokalbahn | Stammersdorf – Obersdorf – Groß-Schweinbarth – Bad Pirawarth – Sulz-Nexing – |
Stammersdorf – Obersdorf: abgetragen Obersdorf – Sulz-Nexing: in Betrieb Sulz-Nexing – Dobermannsdorf: gesperrt |
Lokalbahn Drösing–Zistersdorf | Drösing – Zistersdorf | nur Güterverkehr |
Lokalbahn Gänserndorf–Mistelbach | Gänserndorf – Groß-Schweinbarth – Bad Pirawarth – Gaweinstal – Mistelbach | Gänserndorf – Bad Pirawarth: in Betrieb Bad Pirawarth – Gaweinstal: nur Güterverkehr Gaweinstal – Mistelbach: gesperrt |
Lokalbahn Korneuburg–Hohenau | Korneuburg – Ernstbrunn – Mistelbach – Dobermannsdorf – Hohenau | Korneuburg – Ernstbrunn: nur Güterverkehr Ernstbrunn – Mistelbach: gesperrt1 Mistelbach – Hohenau: nur Güterverkehr |
Lokalbahn Absdorf–Stockerau | Absdorf-Hippersdorf – Stockerau | in Betrieb |
Poysdorfer Bahn | Enzersdorf bei Staatz – Poysdorf – Dobermannsdorf | Enzersdorf – Poysdorf: abgetragen Poysdorf – Dobermannsdorf: gesperrt |
Lokalbahn Siebenbrunn–Engelhartstetten | Siebenbrunn-Leopoldsdorf – Breitstetten – Engelhartstetten / Orth an der Donau | gesperrt |
Lokalbahn Gänserndorf–Marchegg | Gänserndorf – Marchegg | in Betrieb |
Pulkautalbahn 2 | Novosedly – Laa an der Thaya – Zellerndorf – Sigmundsherberg | Novosedly – Laa an der Thaya: abgetragen Laa an der Thaya – Zellerndorf: nur Güterverkehr Zellerndorf – Sigmundsherberg: gesperrt |
Lokalbahn Retz–Drosendorf 2 | Retz – Weitersfeld – Drosendorf | Retz – Drosendorf: Reblaus Express Retz – Weitersfeld: auch Güterverkehr |
1 Der Abschnitt Ernstbrunn – Mistelbach wird derzeit als Touristenbahn genutzt und mit Eisenbahn-Draisinen befahren.
2 Teile der Strecke liegen im Waldviertel.
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Wolfdieter Hufnagl: Die Niederösterreichischen Landesbahnen. Transpress-Verlag
Weblinks
Bearbeiten- Otfried Knoll: Zur Situation der Niederösterreichischen Lokalbahnen. Niederösterreichische Verkehrsorganisationsgesellschaft m.b.H. (NÖVOG), abgerufen im Januar 2010.
- Eisenbahn in Österreich, besonders Wien Umgebung (Linksammlung auch zu Niederösterreichische Nebenbahnen/Schmalspurbahnen)
- STAU-Wien, Stadt-Umlandbeziehungen in der Region Wien – Siedlungsentwicklung, Interaktionen und Stoffflüsse, Forschungsprojekt im Rahmen der Kulturlandschaftsforschung II, gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft (Wolfgang Loibl, Austrian Research Centers Seibersdorf–Systemforschung/Umweltplanung, GIS-Gruppe)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b Weblink Knoll/Niederösterreichische Verkehrsorganisationsgesellschaft
- ↑ Muzik: Nebenbahnen - Land Niederösterreich darf die ÖBB nicht aus dem Nahverkehrsvertrag entlassen. In: OTS. APA, 7. März 2001, abgerufen am 4. Februar 2010 (OTS 20010307 OTS0024).
- ↑ Vergl. Karte. In: BMVIT (Hrsg.): Rahmenplan 2009 für Niederösterreich. 2009 (bmvit.gv.at [PDF; abgerufen am 3. Februar 2010]).
- ↑ Konzepte etwa die Genuss Regionen des Waldviertels. Genuss Region Österreich: Karte. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
- ↑ Beispiel: Unbekannt: Das Weinviertler Nebenbahnkonzept. Abgerufen am 26. Januar 2010.
- ↑ Wiener Lokalbahnen wollen Pressburger-Bahn wiederbeleben. wieninternational.at, abgerufen am 5. Februar 2010.
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