Die (Links- bzw. Rechts-)Ore-Bedingungen sind in der Ringtheorie, einem Teilgebiet der Algebra, ein Kriterium, welches es erlaubt, die Bildung von Quotientenkörpern oder allgemeiner Lokalisierungen auch auf den Fall zu verallgemeinern, in dem der zugrundeliegende Ring nicht kommutativ ist. Sie sind benannt nach ihrem Entdecker Øystein Ore. Ringe, die sie erfüllen, werden (Links- bzw. Rechts-)Ore-Ringe genannt.

Motivation

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In der kommutativen Algebra ist die Lokalisierung von Ringen ein nützliches Hilfsmittel. Diese besteht grob gesagt darin, dass Elemente einer Teilmenge   des Rings invertierbar gemacht oder „als Nenner zugelassen“ werden. Damit dies sinnvoll definiert werden kann, ist dort nur nötig, dass die Menge   multiplikativ ist und die 1 enthält (üblicherweise wird zudem noch   gefordert).

Sobald man versucht, dieses Vorgehen auf nicht-kommutative Ringe zu verallgemeinern, stößt man auf mehrere Probleme. Zwar kann man abstrakt stets einen Ring bilden, in dem die Elemente von   invertierbar werden und der einer geeigneten universellen Eigenschaft analog zu derjenigen im kommutativen Fall genügt, aber dieser hat im Allgemeinen schlechte Eigenschaften und ist nicht leicht konkret anzugeben. Selbst für nullteilerfreie Ringe treten Schwierigkeiten auf. Zum Beispiel ist gezeigt worden, dass es nullteilerfreie Ringe gibt, die sich in keinen Schiefkörper einbetten lassen.[1] Insbesondere kann es nicht in voller Allgemeinheit eine Art „Quotientenschiefkörper“ analog zum Quotientenkörper für Integritätsbereiche geben.

Der norwegische Mathematiker Øystein Ore gab 1931 in einem Artikel[2] ein Kriterium an, das die Bildung gewisser Ringe von Quotienten erlaubt. Ores Überlegungen wurden später von Keizo Asano[3] und anderen verallgemeinert.

Spezialfall: Nullteilerfreie Ringe

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Sei   ein Ring (mit 1) ohne Nullteiler.   erfüllt die Rechts-Ore-Bedingung, wenn für alle   gilt:

 .

Das heißt,   und   haben noch weitere gemeinsame Vielfache „von rechts“ außer der 0. Man nennt   dann auch einen Rechts-Ore-Ring.

Analog wird die Links-Ore-Bedingung durch   für alle   definiert.

Bildung von „Quotientenschiefkörpern“

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Erfüllt   die Rechts-Ore-Bedingung, so kann man ähnlich wie bei der Bildung des Quotientenkörpers einen Quotientenschiefkörper bilden. Die Elemente werden wieder als Brüche geschrieben, etwa als

  mit  .

Dabei werden zwei „Brüche“   und   identifiziert, wenn es weitere Elemente   gibt, so dass   und   gilt. (Formal wird damit eine Äquivalenzrelation auf der Menge   definiert, und   bezeichnet die Äquivalenzklasse von  .)

Für diese „Brüche“ werden nun die Addition und die Multiplikation nach bestimmten Formeln definiert, die ein wenig komplizierter sind als die üblichen Regeln beim Bruchrechnen. Für die Definitionen (ebenso wie dafür, dass obige Identifikation tatsächlich eine Äquivalenzrelation war) muss jeweils die Rechts-Ore-Bedingung ausgenutzt werden.

Die so definierte Addition und Multiplikation machen die Menge jener „Brüche“ tatsächlich zu einem Schiefkörper  , und die Abbildung   definiert eine Einbettung von   nach  .

Zusätzlich gilt folgende universelle Eigenschaft: Ist   ein Ringhomomorphismus derart, dass   für alle   eine Einheit in   ist, so setzt sich   eindeutig zu einem Ringhomomorphismus   fort.

Analog lässt sich alles „von links“ definieren. Es ist zu beachten, dass ein Ring die Links-Ore-Bedingung erfüllen kann, ohne ein Rechts-Ore-Ring zu sein, und umgekehrt (siehe Beispiele). Ist ein Ring jedoch sowohl ein Links- als auch ein Rechts-Ore-Ring (man sagt dann einfach „Ore-Ring“), so sind die zugehörigen Links- bzw. Rechts-Quotientenschiefkörper isomorph.

Eigenschaften und Beispiele

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  • Jeder (links-/rechts-)noethersche nullteilerfreie Ring erfüllt die (Links-/Rechts-)Ore-Bedingung.
  • Ein nullteilerfreier Ring ist genau dann ein (Links-/Rechts-)Ore-Ring, wenn er als (Links-/Rechts-)Modul über sich selbst uniform ist, d. h. jeweils zwei nicht-triviale Untermoduln haben nichttrivialen Schnitt.
  • Der Ring der ganzzahligen Quaternionen ist ein Ore-Ring und hat als Quotientenschiefkörper den der rationalen Quaternionen.
  • Sei   und   der Frobeniushomomorphismus (d. h.  ). Dann ist der Ring der Schiefpolynome   ein nullteilerfreier Links-Ore-Ring, aber kein Rechts-Ore-Ring.

Ore-Ringe

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Sei nun   ein beliebiger nicht-kommutativer Ring. Es können Links- oder Rechtsnullteiler auftreten, und diese können zunächst einmal nicht vernünftiger Weise als Nenner zugelassen werden. Als Nenner bietet sich stattdessen die Menge   aller regulären Elemente (d. h. solche, die weder Links- noch Rechtsnullteiler sind) an. Diese ist multiplikativ, enthält die 1, aber nicht die 0. Im obigen Spezialfall war  .

  erfüllt die Rechts-Ore-Bedingung, wenn für alle   Elemente   existieren, so dass

 

oder äquivalent:

 .

(Man kann leicht zeigen, dass dies im obigen Spezialfall äquivalent zur dort gegebenen Bedingung ist.)

Ein Ring, der die Rechts-Ore-Bedingung erfüllt, heißt Rechts-Ore-Ring. Durch Umdrehen aller Produkte erhält man die analogen Definitionen für die Links-Ore-Bedingung und Links-Ore-Ringe.

Ring von (Rechts-)Quotienten

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Wir möchten nun einen Ring von Rechts-Quotienten   sowie einen injektiven Ringhomomorphismus   konstruieren, der folgende Bedingungen erfüllen soll:

  • Für alle   ist   eine Einheit.
  • Jedes Element von   lässt sich als   mit geeigneten   schreiben.

Wiederum sind analoge Definitionen „von links“ möglich, man schreibt dann  .

Der Satz von Ore gibt ein exaktes Kriterium dafür an, wann es einen solchen Ring von Quotienten gibt:

  besitzt genau dann eine Einbettung in einen Ring von Rechts-Quotienten  , wenn   ein Rechts-Ore-Ring ist.

  heißt hier auch der „klassische Ring von Rechtsquotienten“ und wird mit   bezeichnet. (Analog alles „von links“ mit der Bezeichnung  .)

Falls   sowohl ein Links- als auch ein Rechts-Ore-Ring ist, so sind die zugehörigen klassischen Ringe von Links- bzw. Rechtsquotienten isomorph:  .

Eigenschaften und Beispiele

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  • Jeder kommutative Ring ist ein Ore-Ring. (Alle Links-/Rechts-Eigenschaften fallen zusammen, und die gewöhnliche Lokalisierung ist der Ring von Quotienten.)
  • Sei   ein Körper,   der Polynomring in der Variablen   und   der Ring der rationalen Funktionen über   in  . Dann ist der Ring

  zwar ein Rechts-Ore-Ring mit klassischem Ring von Rechtsquotienten  , aber R ist kein Links-Ore-Ring. Zum Beispiel ist  , d. h. die Links-Ore-Bedingung ist verletzt.

Weitere Verallgemeinerung

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Die obige Definition eines Ringes von (Rechts-)Quotienten   lässt sich leicht modifiziert auch auf allgemeinere   übertragen (im Gegensatz zum „klassischen“   reguläre Elemente von  ). Im Allgemeinen können wir dann aber nicht mehr verlangen, dass   injektiv ist. Ein vernünftiger Ersatz dafür ist die zusätzliche Bedingung:

  • ker  .

Es stellt sich heraus, dass ein solcher Ring von (Rechts-)Quotienten bezüglich   genau dann gebildet werden kann, wenn   folgende Eigenschaften erfüllt:

  • Für alle   existieren Elemente  , so dass  . (Dies ist nur die Verallgemeinerung der Rechts-Ore-Bedingung für die Menge  .)
  • Sei  . Existiert ein   mit  , so auch ein   mit  . (Diese Bedingung war zuvor leer, da   nur aus regulären Elementen bestand.)
  1. Lam, S. 292, Theorem 9.11. (Das Beispiel stammt von A. I. Malzew aus dem Jahr 1937.)
  2. Øystein Ore: Linear equations in non-commutative fields. In: Annals of Mathematics. 32, 1931, ISSN 0003-486X, S. 463–477.
  3. Keizo Asano: Über die Quotientenbildung von Schiefringen. In: Journal of the Mathematical Society of Japan. Vol. 1, No. 2, 1949, ISSN 0025-5645, S. 73–78, doi:10.2969/jmsj/00120073.

Literatur

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