Barockmusik
Barockmusik ist eine Periode in der abendländischen Kunstmusik, die sich an die Musik der Renaissance anschließt und sich vom Beginn des 17. bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts erstreckt. Sie zählt heute zur Alten Musik.


Als typische Merkmale dieser langen und uneinheitlichen Epoche können Affektenlehre, Stile concertato und Generalbass angeführt werden, wegen letzterem wurde auch die Bezeichnung Generalbasszeitalter vorgeschlagen. Es gibt keinen Konsens über die zeitlichen Grenzen einer Untergliederung in Früh-, Hoch- und Spätphase,[1] möglich wäre etwa:
- Frühbarock (etwa 1600 bis 1650), unter italienischer Dominanz;
- Hochbarock (etwa 1650 bis 1710), mit bedeutenden französischen Einflüssen;
- Spätbarock (etwa 1710 bis 1750), mit Tendenz zur Vereinigung regionaler Stile.
Häufig werden Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel als Vollender des musikalischen Barocks betrachtet.[2] In der italienischen Oper und Instrumentalmusik setzte ein Stilwandel in den 1720er Jahren ein. Bei den Bachsöhnen und ihrem Umkreis etablierte sich ab den 1730er-Jahren der so genannte empfindsame Stil, der über die Vorklassik der Mannheimer Schule zur Wiener Klassik mit Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart führte.
CharakterisierungBearbeiten
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufkommende Merkmale, die als Beginn eines neuen Musikzeitalters betrachtet werden können, sind außer dem Generalbass die Monodie (Sologesang oder -instrumentalstimme mit Begleitung) und die neu entstandenen Gattungen Oper sowie später Instrumentalkonzert und Oratorium.
KompositionstechnikenBearbeiten
FormBearbeiten
Während des Barocks emanzipierte sich die – vorher streng an den Gesang gekoppelte – Instrumentalmusik. Dies zeigt sich im konzertanten Prinzip, dem bewegten Zusammenwirken und quasi Wetteifern von Stimmen (vokal wie instrumental). Begünstigt wurde diese Entwicklung durch Innovationen im Bereich des Instrumentenbaus, durch den Notendruck und durch Adel und Bürgertum als Auftraggeber für Kompositionen. Es entstand das Concerto grosso; eine konzertierende Sologruppe (Concertino) und ein Orchester (Tutti, Ripieno) wechseln sich ab. Anstelle der Solistengruppe tritt im Solokonzert ein einzelner Solist auf. Weitere musikalische Formen, die sich im Barockzeitalter ausbildeten, waren etwa Suite, Fuge, Sonate, Kantate und Oratorium.
Opern hatten im 18. Jahrhundert einen sehr großen Stellenwert. Einerseits dienten sie höfischer Repräsentation, andererseits waren sie – vor allem in der reichen Republik Venedig, wo es zahlreiche öffentliche Opernunternehmen gab – gleichsam Volksspektakel. In Italien war es üblich, bekannte Arien in neue Opern zu übernehmen. Bei Wiederaufführungen wurden Opern häufig an Sänger angepasst und Teile ausgetauscht. So kam es zu sogenannten Pasticci. Insbesondere in Frankreich stellte man aus instrumentalen Zwischenspielen Suiten zusammen, die weite Verbreitung fanden.
AusdruckBearbeiten
Die musikalische Sprache und Melodienbildung beruhte auf einem reichhaltigen System von Figuren, die einer musikalischen Rhetorik entsprachen und an „Affekte“ gekoppelt waren, das heißt, menschliche Gemütszustände aufzuzeigen versuchten. Als nur eines unter vielen möglichen Beispielen sei die chromatisch absteigende Basslinie (passus duriusculus) genannt, die gerne verwendet wurde, wenn ein Klagegesang zu komponieren war.
Besonders im Frühbarock wurde die venezianische Mehrchörigkeit – mehrere Chöre (jeder an einer anderen Stelle eines großen Raumes) sangen gemeinsam – weitergeführt.
StrukturBearbeiten
Die bereits im Mittelalter entstandene und in der Renaissance zu ihrer Vollendung geführte Polyphonie, also das Zusammenklingen selbstständig geführter Melodielinien, fand breite Verwendung im Barock. Oft wurde diese polyphone Struktur imitatorisch komponiert, beispielsweise in Fugen. Zu den Melodiestimmen trat meist der Generalbass als harmonische Unterstützung.
Der gesamte Konzertsatz wurde durch das Eröffnungsmotiv melodisch wie rhythmisch geprägt; Ritornelle des Tutti gliederten den Gesamtablauf. Eine beständige Wiederholung rhythmischer und melodischer Kleinmotive (Motorik) führte zu einer festen Betonungsordnung und Akzentgliederung. Als charakteristische Schlusswendungen zur formalen Gliederung und Abgrenzung klarer Tonartenbereiche (Dur- und Moll-Tonarten) dienten Kadenzen.
KlangtheorieBearbeiten
Die Barockmusik wurde durch die Erkundung der Chromatik geprägt. Der Tendenz der Renaissance folgend werden die früher gebräuchlichen Kirchentonarten in der Kompositionspraxis und in der Musiktheorie auf die beiden Tongeschlechter Dur und Moll und die beiden bis heute geläufigen Skalen reduziert. Aus den in der Renaissance aufgekommenen mitteltönigen Stimmungen wurden später die temperierten Stimmungen entwickelt, um das Spiel in vielen Tonarten ohne extrem scharf klingende Intervalle zu ermöglichen. Es wurden zunehmend Tonarten mit mehreren Vorzeichen verwendet, und – anders als noch in der Hochrenaissance üblich – wurden Alterationen grundsätzlich immer vom Komponisten notiert.
InstrumenteBearbeiten
Viele der noch heute gebräuchlichen Instrumente wurden in der Barockzeit entwickelt. Die barocken Formen dieser Instrumente unterscheiden sich im Klang jedoch beträchtlich von ihren Nachfahren, unter anderem weil sie mit Darmsaiten bespannt waren. Das damalige Klangideal bevorzugte Instrumente, deren Klang an die menschliche Stimme erinnert. Streichinstrumente (Barockvioline), aber auch Holzblasinstrumente klangen allgemein leiser, weniger strahlend und tragfähig; sie klangen weicher.
Der große Instrumentenreichtum der Renaissance schwand im Barock. Bei den Flöten konnte sich die Blockflöte noch längere Zeit als Soloinstrument in Diskantlage behaupten, ehe sie von der Traversflöte verdrängt wurde. Die Rohrblattinstrumente der Renaissancezeit verschwanden vollständig. Aus dem Pommer wurde die wesentlich leisere Oboe entwickelt. Bassdulzian und Rankett, die noch im Frühbarock eingesetzt wurden, wurden später vom aus dem Dulzian entwickelten Fagott abgelöst. An Instrumenten mit einfachem Rohrblatt setzte sich das Chalumeau durch (nicht zu verwechseln mit der Schalmei der Renaissance). Bei den Blechblasinstrumenten wurden die Posaune und zunächst auch der Zink übernommen. Letzterer wurde bis zur Jahrhundertmitte vor allem in der Kirchenmusik eingesetzt. Bei den Streichinstrumenten verschwanden Liren, Rebecs, Fideln und zuletzt auch die Gamben und wurden durch die Violinenfamilie ersetzt. Bei den Zupfinstrumenten wurden Harfe, Laute und Gitarre übernommen und weiterentwickelt. In Italien kam die aus der Mandora entwickelte Mandoline auf. Von den Schlaginstrumenten der Renaissance wurde nur die Pauke übernommen. Dafür gab es in dieser Zeit aber einige kuriose Erscheinungen wie das pantalonische Cymbal in Sachsen und das Salterio in Italien, das sogar eine gewisse Breitenwirkung erlangte. Vor allem in der französischen Barockmusik wurden gelegentlich ältere Instrumente wie die Drehleier oder leise klingende Sackpfeifen eingesetzt.
Das auf Streichinstrumenten aufgebaute und mit Blasinstrumenten ergänzte Orchester, darunter zum Beispiel die berühmte Kurfürstlich-Sächsische und Königlich-Polnische Kapelle in Dresden und Warschau, begann sich zu standardisieren – in schrittweiser Abkehr von den freien und wechselnden Instrumentalbesetzungen der Renaissance.
Tasteninstrumente wie Cembalo und Orgel wurden mit größerem Tonumfang und mit mehr Registern gebaut; ihre Mechanik wurde verbessert.
GeschichteBearbeiten
Subepoche | Beginn | Ende | In Italien | In Deutschland | Restliches Europa |
---|---|---|---|---|---|
Frühbarock | 1580–1600 | 1630–1650 | |||
Hochbarock | 1630–1650 | 1680–1700 | |||
Spätbarock | 1680–1700 | 1730–1750 |
Vgl. auch die Liste von Barockkomponisten.
FrühbarockBearbeiten
Zu Beginn des Barocks steht um 1600 die Florentiner Camerata mit ihrem Versuch, das antike Drama als musikalische Kunst wiederzubeleben, wobei sie die Monodie mit generalbassbegleitetem ausdrucksstarkem Gesang entwickelte. Während Giulio Caccini vor allem durch seine Liedersammlung Le nuove Musiche einflussreich war, trieb Jacopo Peri in der Oper L’Euridice die Ausdruckskraft durch Regelverstöße auf die Spitze. Emilio de’ Cavalieri begründete in Rappresentatione di Anima, et di Corpo die Tendenz, durch abwechslungsreiche Verwendung von Rezitativen, Liedformen und Chören die Großform zu gestalten. Im Gegensatz zur Pastoraloper Peris ohne Konflikt und Cavalieris allegorischem Spiel vereint Claudio Monteverdis L’Orfeo Handlung und Konflikt und kann daher als erste „eigentliche“ Oper angesehen werden.[3] Dabei arbeitete er musikdramatische Einheiten heraus, Akte und Szenen haben je einen eigenen „Ton“, andererseits sorgen Wiederaufnahmen von musikalischen Einheiten für „Integration“.[4] Monteverdi wurde durch „behutsames Zurückführen der Florentiner Pioniertaten auf den Boden der Musik und ihrer Eigengesetzlichkeiten“[5] zur überragende Figur, der so bewundert und einflussreich war, dass auch von einer „Epoche Monteverdi“ gesprochen werden kann.[6] Die Regelverstöße insbesondere auf dem Gebiet der Dissonanzbehandlung rechtfertigte er durch adäquate Textausdeutung. Der Beginn der Operngeschichte ist durch die große Rolle des Textes und des Dramas charakterisiert, Rezitativ und Arie sind noch kaum unterschieden, die meist arkadische Handlung konzentriert sich auf einen kohärenten Strang, wobei der Orpheus-Mythos auf Grund des musikbezogenen Sujets besonders beliebt ist. Neben den genannten Komponisten ist insbesondere Marco da Gagliano zu nennen.
Um 1620 beginnt in der Oper eine Entwicklung, die durch Abwechslung, Opulenz und Vorherrschaft der Musik gegenüber dem Drama gekennzeichnet ist. Zahlreiche Nebenhandlungen mit komischen Figuren konkurrieren mit dem Hauptinhalt der Oper, eine Tendenz die im Werk Stefano Landis ihren Ausgang nimmt. Die Arie etabliert sich als abgesonderter Formteil insbesondere bei Francesco Cavalli, bei dem der Übergang zum Hochbarock angesetzt werden kann. Wichtige Opernkomponisten der zweiten Jahrhunderthälfte sind Antonio Cesti und Antonio Sartorio.
In der weltlichen Vokalmusik gingen auch von Claudio Monteverdi wichtige Impulse aus: In der Reihe seiner Madrigalbücher wird die Gattung etwa durch konzertierende Satzweise und Verwendung instrumentaler Praktiken mit ihrer Motorik auch in der Gesangsmelodie aufgebrochen,[7] der Stile concitato des Il combattimento di Tancredi e Clorinda mit schnellen Tonwiederholungen und Dreiklangsbrechungen wird vorbildlich für unzählige Battaglien und das Lamento d’Arianna für Klagegesänge. Es etabliert sich als neuer Gattungsbegriff für mehrgliedrige weltliche Vokalmusik mit Wechsel arioser und rezitativischer Abschnitte, oft in variierter Strophenform die Bezeichnung Kantate mit den ersten Hauptvertretern Luigi Rossi und Giacomo Carissimi.
In der geistlichen Musik bleibt die traditionelle Vokalpolyphonie als Prima pratica neben der mehr der Textausdeutung als Satzregeln folgenden Seconda pratica der Monodie gleichberechtigt erhalten, Monteverdi benannte und pflegte beide Praktiken. Wichtige Nachfolger sind Alessandro Grandi und Giovanni Rovetta.
Von großem Einfluss war durch das Prinzip des Wetteiferns verschiedener Instrumentengruppen der Venezianer Giovanni Gabrieli (ca. 1554/57–1612), der den neuzeitlichen Orchestersatz begründete.[8] Die frühen Sonaten und Kanzonen sind durch eine lose Abfolge von Abschnitten mit einander imitierenden Stimmen charakterisiert. Wichtig war die Übertragung dieser Form auf die im Folgenden sehr bedeutsamen Gattungen Solosonate (Soloinstrument und Basso continuo) und Triosonate (zwei Soloinstrumente und Basso continuo). Zwischen den Abschnitten wechseln nun neben Tempo und Taktarten auch die Faktur: die Oberstimmen dialogisieren[9], es gibt Imitation mit oder ohne Beteiligung der Bassstimme und Scheinpolyphonie durch Selbstimitation, Soli im rezitativischen Stil und Tänze. Hauptvertreter sind ab etwa 1620 Biagio Marini, Giovanni Battista Fontana und Dario Castello.
Einer der ersten großen Komponisten, deren Hauptaugenmerk der Instrumentalmusik galt, war Girolamo Frescobaldi mit Musik für Tasteninstrumente. Während zu Lebzeiten vor allem seine Beiträge zu Gattungen mit strenger kontrapunktischer Gestaltung wie Fantasie und Ricercar gerühmt wurden, gelten rückblickend seine Toccaten als typisch barocke Kunst, heterogenes Material versammelt sich zu einem abwechslungsreichen Ganzen mit imitatorischen Abschnitten und solchen, die an die Ausdruckskunst der Monodie erinnern. Bemerkenswert sind insbesondere seine Studien zu Dissonanzen und Chromatik, die im Titel bereits auf ihre Härten („Durezze“) verweisen.
Wegbereiter der deutschen Barocksuite war Johann Hermann Schein, der außerdem mit der geistlichen Motettensammlung Israelis Brünnlein zu den Hauptvertretern des deutschen Frühbarock gezählt wird. Während Michael Praetorius noch zwischen den Epochen steht, nahm sich Heinrich Schütz (1585–1672) den neuen italienischen Stil zum Vorbild und verband ihn mit den Ausdrucksformen der deutschen Sprache, was ihm als erstem deutschen Komponisten europäischen Ruf einbrachte. Wie Schütz übte der niederländische Orgelmeister Jan Pieterszoon Sweelinck großen Einfluss aus, letzterer insbesondere auf die norddeutsche Orgelschule, deren erste große Vertreter Samuel Scheidt und Heinrich Scheidemann waren. Scheidemanns Verfahren, in Choralbearbeitungen nicht nur ein Gerank von imitatorischen Begleitstimmen zu flechten, sondern auch den Choral zu diminuieren, verankert seine Orgelmusik im Gegensatz zu derjenigen Sweelincks bereits eindeutig im Barock.
HochbarockBearbeiten
Um 1650 beginnt eine Phase mit „reich und ebenmäßig klingender Musik“, die „zeremoniellen Gestus, größeres Klangvolumen, formale Glätte“ zeigt, im Zentrum stehen Gattungen wie Oratorium und Kammerkantate, französische Oper und virtuose Instrumentalmusik.[10]
Das Oratorium der Jahrhundertmitte ähnelt der Oper, hat aber einen lateinischen Text und einen Erzähler, sowie durch die vermehrte Verwendung von Chören und Ensembles einen volleren Klang.[11] Hauptvertreter ist mit ausdrucksvollen Chören Carissimi. Später differenziert Alessandro Stradella die Klanggruppen und legt damit die Grundlage der Concertostruktur.[12]
Die italienische Kantate ab Rossi und Carissimi ist durch einen Belcanto-Stil mit Bevorzugung von Schönheit gegenüber expressiver Textdarstellung auch im Rezitativ gekennzeichnet. Ariose Kantabilität dominiert als wiegendes Auf und Ab im Dreiertakt.[13]
Die italienische Sonate kombiniert nun ein Rückbesinnen auf konsequentere Imitation mit der Entwicklung von Form aus dem Spannungsverhältnis tonaler Beziehungen und unter Verwendung von mehrgliedrigen Themen, deren Imitationen den Bewegungsimpuls über ganze Abschnitte aufrechterhalten können.[14] Neben dem Hauptmeister Giovanni Legrenzi sind Maurizio Cazzati und Marco Uccellini zu nennen, letzterer übte mit Sequenzierung durch den Quintenzirkel Einfluss auf die kommenden Generationen aus. Arcangelo Corelli ist Hauptvertreter der folgenden klassizistischen Phase. Die Sonaten werden nun in einzelne Sätze zergliedert, die formal durch sorgfältige Tonartendisposition gegliedert sind, alles ist perfekt ausbalanciert. Große Klangfülle erzielt er im Concerto grosso.
In Frankreich wurde der generalbassbegleitete barocke Stil erst vergleichsweise spät heimisch, Henri Dumont etablierte ihn mit seinen Motetten in der geistlichen Musik, gefolgt von Marc-Antoine Charpentier und Jean-Baptiste Lully, der das französische Musikleben des späten 17. Jahrhunderts am Hofe Ludwigs XIV. maßgeblich prägte mit Opern, die der Deklamation der klassischen französischen Dichter sorgsam folgten. Typisch für die französische Oper ist die Integration von Balletten. Mit Tanz-Suiten, denen oftmals eine französische Ouvertüre vorangestellt wurde, übte er über die Landesgrenzen hinaus großen Einfluss aus.
Hauptvertreter der Suite auf dem Tasteninstrument war in Deutschland Johann Jakob Froberger. Von großer Bedeutung war weiterhin die norddeutsche Orgelschule, deren repräsentativster Vertreter Dietrich Buxtehude war. Aus dem geistlichen Konzert entstand hier die lutheranische Kirchen-Kantate, eine Entwicklung, die vor Buxtehude von Franz Tunder initiiert wurde.[15]
In Österreich verband Heinrich Ignaz Franz Biber in seinen Rosenkranz-Sonaten Virtuosität unter Nutzung der Skordatur mit mystischer Aussage.
In England entwickelte sich unter Henry Purcell (1659–1695) und anderen ein eigener Stil.
SpätbarockBearbeiten
Entwickelte sich im Hochbarock die Musik noch unabhängig in verschiedenen Regionen Europas, so zeichnete sich der Spätbarock durch eine grenzübergreifende Verbreitung der Stile aus. Im deutschsprachigen Raum trieb Georg Philipp Telemann (1681–1767) diese Entwicklung voran und wurde schließlich zu einer „Ikone“ unter den Komponisten. Weitere berühmte deutsche Tonschöpfer des Spätbarock waren Carl Heinrich Graun und Johann Adolph Hasse. Heutzutage gilt Johann Sebastian Bach (1685–1750) vielen als „Vollender“ des Spätbarocks. Zu Lebzeiten war er jedoch weit weniger berühmt als die oben Genannten und eher als Orgelvirtuose geschätzt denn als Komponist. Stilistisch schließt ein großer Teil seiner Musik sich eher dem Hochbarock als dem Spätbarock an.
Der italienische Violinist und Komponist Antonio Vivaldi (1678–1741), der im 20. Jahrhundert zu neuer Popularität kam, beeinflusste mit seiner Konzertform viele Komponisten. Besonders im Spätbarock erfreuten sich Opern großer Beliebtheit. In England war vor allem Georg Friedrich Händel (1685–1759) in diesem Bereich produktiv. Der Italiener Domenico Scarlatti (1685–1757), Komponist zahlreicher einsätziger Cembalo-Sonaten, siedelte 1729 nach Spanien über.
Mit dem Tod Telemanns und anderer letzter Vertreter der deutschen Barockmusik in den 1770er Jahren schwand auch die Popularität des empfindsamen und des galanten Stils zugunsten der Wiener Klassik. Es gab aber bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Komponisten, die im Barockstil komponierten, zum Beispiel den zu Lebzeiten in England sehr beliebten Niederländer Pieter Hellendaal (1721–1799).
Geistiger HintergrundBearbeiten
Typisch für die Zeit des Barock ist der Absolutismus, der seinen reinsten Ausdruck am Hofe Ludwig XIV. fand und dessen kulturelles Schaffen in ganz Europa imitiert wurde. Die Kultur blühte unter feudalistischer Förderung auf, und in Bauwerken, Gartenanlagen und anderem wurde das Repräsentative und Monumentale bis hin zum Übertriebenen angestrebt.
Die Bezeichnung dieser Epoche stammt vom portugiesischen „barroca“ – einem vieldeutigen Begriff, der u. a. Tongefäße, aber auch Lehm/Geröll bedeutet. Hingegen ist „barocca“ die spätere italienische Variante – hier bereits ausschließlich als Bezeichnung der barocken Epoche. Der Ausdruck Barock ist auf jeden Fall eine eher unfreundliche Titulierung, die erst in nachbarocker Zeit zum Namen besagter Epoche wurde. Frischs Deutsch=Französisches Wörterbuch („andere Auflage“, 1719) bezeichnet „baroque“ als eine Perle, „die nicht gantz rund“ sei.
Ansonsten fühlte sich der Zeitgenosse des Barocks als ein Vertreter einer modernen, aufgeschlossenen, „galanten“ Zeit. Problematisch ist die Tatsache, dass der Stilbegriff „Barock“ für recht verschiedene Zeitströmungen steht. Das Frühbarock neigte eher zum Derben, Rauen – völlig im Gegensatz zur Galanterie des Hochbarocks. Die Bezeichnung „Spätbarock“ ist ebenfalls problematisch, weil diese spätere Epochen überschneidet, die eigentlich einen eigenen Namen haben (Régence, Rokoko).
In den Künsten der Barockzeit interessierte man sich insbesondere dafür, die verschiedenen menschlichen Stimmungen (Affekte) zum Ausdruck zu bringen und in festen Formen zu repräsentieren (→ Affektenlehre).
Eine besondere Vorliebe hatte man für die Allegorie, damals im deutschsprachigen Raum auch als „Sinnbildniß“ bezeichnet.
Die Ideale der Galanterie waren eigentlich moralphilosophisch gemeint. Es ging dabei schlicht um die Regelung menschlichen Zusammenlebens: Rücksicht, Zuvorkommenheit, Höflichkeit, Duldsamkeit. Doch schon damals interpretierten „leichtlebige“ Gemüter das Wesen des Galanten zu einer Lebensweise um, die darauf bedacht war, das jeweils andere Geschlecht mit vorgeschütztem Anstand für sich einzunehmen. Religiöse Schwärmer nahmen dies wiederum zum Anlass, bekennend galanten Damen und Herren generell sündhafte Absichten zu unterstellen. Hier zeigt sich das Widersprüchliche des Barocks: Auf der einen Seite steht es für Lebensfreude, Lust – andererseits stößt man auch immer wieder auf streng asketische Haltungen (siehe u. a. Pietismus).
Mit dem Tode des Sonnenkönigs (1715) schien sich dann das Zeitgefühl verändert zu haben. In der Mode schlugen ab etwa 1715 völlig neue Akzente durch: der Barock verabschiedete sich langsam und es bahnte sich der Regence-Stil an – um die Mitte des Jahrhunderts abgelöst vom Rokoko. Im musikhistorischen Bereich verschwimmen die Begriffe „Barock“ und „Rokoko“ aber.
Moderne RezeptionBearbeiten
WiederentdeckungBearbeiten
Nach dem Ende des Barockzeitalters wurde Barockmusik als veraltet betrachtet und nicht mehr aufgeführt.[16] Lediglich die Musik von Händel, besonders die Oratorien, gerieten nicht in Vergessenheit und wurden auch Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgeführt. Zur gleichen Zeit beschäftigten mehrere namhafte Musikliebhaber sich mit älterer Musik, darunter Raphael Georg Kiesewetter, Simon Molitor und Johann Nikolaus Forkel.
Ein wichtiger Meilenstein für die Wiederentdeckung von Johann Sebastian Bach war die Wiederaufführung der Matthäuspassion durch Felix Mendelssohn Bartholdy im Jahre 1829. Andere Komponisten mussten bis ins 20. Jahrhundert auf ihre Entdeckung warten, etwa Antonio Vivaldi, von dem man bis in die 1920er Jahre kaum mehr kannte als Die vier Jahreszeiten.
Heutige SichtweiseBearbeiten
Mendelssohns Einsatz für die Werke von Bach war erfolgreich und nachhaltig. Es etablierte sich ein „Mythos Bach“.[17] Bach war zu Lebzeiten außerhalb von Sachsen und Thüringen aber kaum bekannt. Im 20. Jahrhundert wurden zunehmend auch Kompositionen anderer Tonschöpfer des Barocks bekannt.
Hugo Riemann und Guido Adler vermieden die durch die Architektur und bildende Kunst geprägte Epochenbezeichnung „Barock“ wie auch den Begriff der „Renaissance“ und versuchten eine rein stilgeschichtliche Typisierung. Bei Riemann nannte „Barock“-Musik „Musik des Generalbasszeitalters“.[18] Im von Adler herausgegebenen „Handbuch der Musikgeschichte“ wird der Begriff „Barockstil“ nur in einem kurzen Kapitel von Arnold Schering verwendet.[19]
Heute, im 21. Jahrhundert, wird Barockmusik meist in der historischen Aufführungspraxis aufgeführt und eingespielt.
Liste bedeutender Barockkomponisten (Auswahl)Bearbeiten
Siehe auchBearbeiten
- Liste von Barockkomponisten (eine vollständigere Liste)
- Liste von Barockinterpreten
- Barockorchester
LiteraturBearbeiten
- Isolde Ahlgrimm: Zur heutigen Aufführungspraxis der Barockmusik. In: Organa austriaca. Band 2. Braumüller, Wien 1979, ISBN 3-7003-0208-8, S. 1–36.
- Ingeborg Allihn (Hrsg.): Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550-1770. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3.
- Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8.
- Rolf Dammann: Der Musikbegriff im deutschen Barock. Volk, Köln 1967 (3. Auflage. Laaber, Lilienthal 1995), ISBN 3-89007-015-9.
- Robert Haas: Die Musik des Barock. VG Athenaion, Wiesbaden 1979, ISBN 3-7997-0728-X.
EinzelnachweiseBearbeiten
- ↑ Werner Braun schlägt im Neuen Handbuch der Musikwissenschaft vier Phasen vor: die erste ab 1590, die zweite ab 1620, die dritte ab 1650 und die vierte von 1680 bis 1720. Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 315f.
- ↑ Als zeitlich weit auseinanderliegende Quellen seien beispielsweise genannt: Franz Brendel: Geschichte der Musik in Italien, Deutschland und Frankreich, Leipzig 1855, S. 245. Andreas Liess: Die Musik des Abendlandes im geistigen Gefälle der Epochen, Jugend u. Volk, 1970, S. 107.
- ↑ Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 81.
- ↑ Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 81.
- ↑ Silke Leopold: Monteverdi und seine Zeit. 3. Auflage. Laaber-Verlag, Laaber 2002, S. 66.
- ↑ Herfrid Kier: Raphael Georg Kiesewetter (1773–1850) Wegbereiter des musikalischen Historismus. Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, B. 13, S. 117
- ↑ Silke Leopold: Monteverdi und seine Zeit. 3. Auflage. Laaber-Verlag, Laaber 2002, S. 80.
- ↑ Christoph Schüren: Giovanni Gabrieli: Canzoni e Sonate (ed. 1615), online
- ↑ Vergl. den Titel Sonata in dialogo im terzo libro de varie sonate von Salomone Rossi.
- ↑ Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 318.
- ↑ Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 222.
- ↑ Hanns-Bertold Dietz: „Musikalische Struktur und Architektur im Werk Alessandro Stradellas“. In: Studien zur italienisch-deutschen Musikgeschichte 7 (1970), S. 78–93, hier 81.
- ↑ Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 165.
- ↑ Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft hrsg. von Carl Dahlhaus, Band 4, ISBN 3-7997-0746-8, S. 282.
- ↑ Georg Karstädt: Tunder, Franz In: Stanley Sadie (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Reprint in paperback ed. Macmillan Publishers Ltd., London 1995, ISBN 1-56159-174-2, B. 19, S. 253f, hier 253.
- ↑ generell war es unüblich, Werke eines Komponisten nach dessen Tod noch zu spielen.
- ↑ Johann Michael Schmidt: Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. 2. Auflage. Kohlhammer 2014, Kapitel 2.2.3.
- ↑ Werner Keil: Musikgeschichte im Überblick. UTB 2012, S. 17.
- ↑ G. Adler (Hrsg.): Handbuch der Musikgeschichte. (1930) Nachdruck dtv, Bd. 2, S. 683 ff.