Das Doppelverhältnis ist in der Geometrie im einfachsten Fall das Verhältnis zweier Teilverhältnisse. Wird zum Beispiel die Strecke sowohl durch einen Punkt als auch durch einen Punkt in jeweils zwei Teilstrecken und bzw. und (s. erstes Beispiel) geteilt, so ist das Verhältnis das (affine) Doppelverhältnis, in dem die Teilpunkte die gegebene Strecke teilen. Die große Bedeutung erhält das Doppelverhältnis als Invariante bei Zentralprojektionen, denn das anschaulichere Teilverhältnis ist zwar invariant unter Parallelprojektionen, aber nicht unter Zentralprojektionen. Eine Verallgemeinerung führt zur Definition des Doppelverhältnisses für Punkte einer projektiven Gerade (das heißt, einer affinen Geraden, der ein Fernpunkt hinzugefügt wird).

Beispiele von Doppelverhältnissen ( sind die zugehörigen Teilverhältnisse).
Das 3. Beispiel zeigt 4 harmonisch liegende Punkte, siehe harmonische Teilung.

Ein besonderer Fall liegt vor, wenn das Doppelverhältnis den Wert −1 annimmt. In diesem Fall spricht man von einer harmonischen Teilung der Strecke durch das Punktepaar und sagt, liegen harmonisch.

Während man das Teilverhältnis dreier Punkte noch gut an der Lage der Punkte abschätzen kann, ist dies für das Doppelverhältnis fast unmöglich. Das Doppelverhältnis hat in der analytischen und projektiven Geometrie hauptsächlich theoretische Bedeutung (Invariante bei projektiven Kollineationen).[1] In der Darstellenden Geometrie allerdings wird es (ohne Rechnung) zur Rekonstruktion ebener Figuren verwendet.[2][3]

Affines Doppelverhältnis

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Zur Parameterdarstellung einer Geraden

Eine Gerade im affinen Raum   lässt sich mit zwei fest gewählten Vektoren   durch

 

parametrisieren. Für vier Punkte   einer Geraden   seien   die Parameter bezüglich der Parameterdarstellung der Geraden  . Dann heißt das Verhältnis der Teilverhältnisse  

 

das affine Doppelverhältnis der Punkte  .

Eigenschaften

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Liegen beide Teilpunkte   zwischen   (innere Teilungen) oder beide außerhalb, so ist das Doppelverhältnis positiv, in den anderen Fällen (ein Teilpunkt innen, der andere außen) ist das Doppelverhältnis negativ.

Harmonischer Punkt

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Ist das Doppelverhältnis  , so sagt man,   liegen harmonisch. Siehe Harmonische Teilung.

Beispiele

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Haben   die Parameter  , so ist  .

  1. Für   ist das Doppelverhältnis   (siehe Bild in der Einleitung).
  2. Liegen   harmonisch, so gilt:  , d. h., das harmonische Mittel der Zahlen   ist  .

Doppelverhältnis

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Das „normale“ Doppelverhältnis wird für vier Punkte auf einer projektiven Gerade erklärt.

Projektive Gerade

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Eine projektive Gerade   über einem Körper   ist die Menge der eindimensionalen Unterräume in einem zweidimensionalen  -Vektorraum. Nach Wahl einer Basis   sind die Punkte der projektiven Geraden dann durch homogene Koordinaten   mit   gegeben, wobei der Punkt mit homogenen Koordinaten   dem eindimensionalen Unterraum

  •  
 
Projektive Gerade: homogene (oben) und inhomogene (unten) Koordinaten

entspricht und demzufolge   für alle   ist. Man kann die projektive Gerade   auch mit   identifizieren, dabei werden homogene Koordinaten in inhomogene Koordinaten übergeführt:   entspricht dem Punkt   und   dem Punkt  .

Das Doppelverhältnis

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Für vier Punkte   einer projektiven Geraden   mit den zugehörigen homogenen Koordinaten   heißt

  •  

das Doppelverhältnis von  .

Eigenschaften des Doppelverhältnisses:

  1.   (Vertauschen von  )
  2.   (Vertauschen von  )
  3.  
  4.  
  5. Das Doppelverhältnis ist gegenüber einem Basiswechsel invariant (siehe Regeln für Determinanten).
  6. Sind die vier Punkte vom Fernpunkt   verschieden, lassen sie sich mit homogenen Koordinaten so beschreiben, dass   ist. In diesem Fall ergibt sich das (affine) Doppelverhältnis (s. o.)
 
 
Invarianz des Doppelverhältnisses bei Zentralprojektion

Invarianz des Doppelverhältnisses

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In einer projektiven Koordinatenebene über einem Körper sind die projektiven Kollineationen diejenigen Kollineationen, die von linearen Abbildungen erzeugt werden. Da bei geeigneter Koordinatisierung vier kollineare Punkte   immer so beschrieben werden können, dass

 

ist und eine lineare Abbildung den Faktor   invariant lässt, bleibt damit auch das Doppelverhältnis   invariant.

In der Darstellenden Geometrie werden Geraden des Raumes mit einer Zentralprojektion in eine Bildtafel projiziert. So eine Zentralprojektion lässt sich zu einer projektiven Kollineation des Raumes fortsetzen und projektive Kollineationen lassen das Doppelverhältnis invariant. Also gilt:

  • Das Doppelverhältnis bleibt bei einer Zentralprojektion invariant. (s. Bild)

Doppelverhältnis von 4 kopunktalen Geraden

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Zum Berechnen des Doppelverhältnisses mit Winkel

Wegen der Invarianz des Doppelverhältnisses bei Zentralprojektion lässt es sich auch für vier in einer Ebene liegende kopunktale Geraden erklären:

  • Das Doppelverhältnis von vier kopunktalen Geraden einer Ebene ist das Doppelverhältnis der vier Punkte   einer die 4 Geraden schneidenden Geraden (s. Bild).

Da der Betrag einer (2 × 2)-Determinante gleich dem doppelten Flächeninhalt des Dreiecks, das von den Spaltenvektoren aufgespannt wird, ist und der Flächeninhalt eines Dreiecks durch   (  sind Seiten des Dreiecks und   der eingeschlossenen Winkel, siehe Dreiecksfläche) ausgedrückt werden kann, lässt sich das Doppelverhältnis auch wie folgt beschreiben:

  •   (siehe Bild).

(Die Seitenlängen kürzen sich alle heraus!)

Projektive Geometrie

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In einem projektiven Raum kann das Doppelverhältnis aus den projektiven Koordinaten der vier kollinearen Punkte berechnet werden, dabei ist es von der speziellen Wahl des Koordinatensystems unabhängig. Umgekehrt können projektive Koordinaten als Doppelverhältnisse aufgefasst werden. → Siehe dazu Projektives Koordinatensystem.

Das Doppelverhältnis ist eine Invariante jeder projektiven Abbildung, d. h., es behält bei Anwendung einer solchen Abbildung seinen Wert. Diese Eigenschaft kann als kennzeichnendes Merkmal der projektiven Geometrie angesehen werden. Siehe dazu: Erlanger Programm. Diese Zusammenhänge waren schon im Altertum bekannt und finden sich z. B. bei Pappos. Sie sind der entscheidende Grund dafür, dass der Begriff Doppelverhältnis überhaupt entwickelt wurde.

Eine Verallgemeinerung des Doppelverhältnis in der projektiven Geometrie ist das Tripelverhältnis.

Doppelverhältnis und hyperbolischer Abstand

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Die reelle projektive Gerade ist der Rand im Unendlichen der hyperbolischen Ebene. Der hyperbolische Abstand lässt sich aus dem Doppelverhältnis rekonstruieren wie folgt.

Für zwei Punkte   und   der hyperbolischen Ebene sei   die (eindeutig bestimmte) durch diese beiden Punkte verlaufende Geodätische und   seien deren Endpunkte im Unendlichen. Seien   die durch   bzw.   verlaufenden Horosphären mit Mittelpunkt   und seien   die Mittelpunkte der beiden zu   und   tangentialen Horosphären. Dann kann der hyperbolische Abstand berechnet werden durch

 .

Umgekehrt kann das Doppelverhältnis aus dem hyperbolischen Abstand rekonstruiert werden durch die Formel

 

wobei die Konvergenz   entlang einer Geodätischen erfolgt.

Diese Formel erlaubt eine direkte Verallgemeinerung des Doppelverhältnisses für 4-Tupel von Punkten im Unendlichen eines beliebigen CAT(-1)-Raumes, insbesondere einer Hadamard-Mannigfaltigkeit negativer Schnittkrümmung.[4]

Geschichte

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Das Doppelverhältnis und seine Invarianz unter Projektivitäten wurde in der Antike von Pappos verwendet[5] und um 1640 von Desargues wiederentdeckt.[6] Es wurde zu einem Standardwerkzeug in der Blüte der projektiven Geometrie im 19. Jahrhundert. Cayley benutzte es 1859 in Sixth memoir on quantics zur Definition einer Metrik in der projektiven Geometrie, siehe Hilbert-Metrik. Felix Klein bemerkte 1871 in Ueber die sogenannte Nicht-Euclidische Geometrie, dass man auf diese Weise die hyperbolische Metrik der Kreisscheibe erhält, siehe Beltrami-Klein-Modell.

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. H. Lüneburg: Die euklidische Ebene und ihre Verwandten. Springer-Verlage Basel, ISBN 978-3-7643-5685-9, S. 79.
  2. Siehe Darstellende Geometrie für Architekten. (PDF; 1,5 MB). Skript (Uni Darmstadt), S. 133.
  3. Ulrich Graf, Martin Barner: Darstellende Geometrie. Quelle & Meyer, Heidelberg 1961, ISBN 3-494-00488-9, S. 310.
  4. Jean-Pierre Otal: Sur la géometrie symplectique de l’espace des géodésiques d’une variété à courbure négative. Rev. Mat. Iberoamericana 8 (1992), Nr. 3, S. 441–456.
  5. Proposition 129 in Buch VII von Pappus’ Mathematical Collection (ca. 300 v. Chr.).
  6. Abraham Bosse: Manière universelle de Mr Desargues pour pratiquer le perspective par petit-pied. Pierre Des-Hayes, Paris 1648 (Online [abgerufen am 30. Januar 2017]).