Boulangerit

Mineral aus der Gruppe der Sulfosalze

Boulangerit ist ein häufig vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Sulfide und Sulfosalze“ mit der chemischen Zusammensetzung Pb5Sb4S11 und damit chemisch gesehen ein komplexes Blei-Antimon-Sulfid, dass strukturell zu den Sulfosalzen zählt.

Boulangerit
Einige Calcite auf einem Bett aus Boulangerit aus der Stari Trg Mine, Trepča, Kosovo
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Symbol

Bou[1]

Chemische Formel Pb5Sb4S11[2]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Sulfide und Sulfosalze
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

II/D.07
II/E.19-030[3]

2.HC.15
03.05.02.01
Ähnliche Minerale Cosalit
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramidal; 2/m2/m2/m
Raumgruppe Pnam (Nr. 62, Stellung 6)Vorlage:Raumgruppe/62.6[4]
Gitterparameter a = 23,49 Å; b = 21,24 Å; c = 4,02 Å[4]
Formeleinheiten Z = 4[4]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 2,5 bis 3[5]
Dichte (g/cm3) gemessen: ≈ 6,2; berechnet: 6,21[5]
Spaltbarkeit deutlich bis gut nach {100}[5][6]
Bruch; Tenazität in dünnen Kristallen biegsam; spröde[5]
Farbe bleigrau mit bläulicher Tönung,[6] grauschwarz[7]
Strichfarbe bräunlich[5] bis schwarz[6][7]
Transparenz undurchsichtig (opak)[5]
Glanz Metallglanz, Seidenglanz, matt

Boulangerit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt meist körnige oder feinfaserige Aggregate, selten aber auch nadelige, gestreifte Kristalle von grauschwarzer Farbe und schwarzer Strichfarbe. Das Mineral ist in jeder Form undurchsichtig (opak) und zeigt bei kristalliner Ausbildung einen metallischen Glanz. Faserige Aggregaten schimmern dagegen eher seidenähnlich. Seine Mohshärte schwankt zwischen 2,5 und 3, lässt sich also von einem Fingernagel nicht mehr, mit einer Kupfermünze dagegen schon noch ritzen.

Etymologie und Geschichte Bearbeiten

Erstmals entdeckt wurde Boulangerit in der Gemeinde Molières-Cavaillac im französischen Département Gard[8] und analysiert zunächst von Charles Louis Boulanger (1810–1849), einem französischen Bergbau-Ingenieur. Eine nochmalige, genauere Analyse führte Moritz Christian Julius Thaulow[9] durch, dessen Analyse einen Gehalt von 18,86 % Schwefel, 24,60 % Antimon und 55,57 % Blei ergab. Er publizierte seine Analyse eines Antimonerzes vom Nasafjeld in Lapland 1837 in den Annalen der Physik und Chemie und schlug vor, das neue Mineral nach Boulanger zu benennen.[10]

Das Typmaterial des Minerals wird im Muséum national d’histoire naturelle (MHN-Paris) unter der Katalog-Nummer 5072 und in der Mines ParisTech (auch École nationale supérieure des mines de Paris; Abkürzung: ENSM) unter der Katalog-Nummer 14038 aufbewahrt.[11][12]

Da der Boulangerit bereits lange vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) bekannt und als eigenständige Mineralart anerkannt war, wurde dies von ihrer Commission on New Minerals, Nomenclature and Classification (CNMNC) übernommen und bezeichnet den Boulangerit als sogenanntes „grandfathered“ (G) Mineral.[2] Die ebenfalls von der IMA/CNMNC anerkannte Kurzbezeichnung (auch Mineral-Symbol) von Boulangerit lautet „Bou“.[1]

Klassifikation Bearbeiten

In der veralteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Boulangerit zur Mineralklasse der „Sulfide und Sulfosalze“ und dort zur Abteilung der „Komplexe Sulfide (Sulfosalze)“, wo er zusammen mit Jamesonit die „Jamesonit-Boulangerit-Gruppe (Bleiantimonspießglanze)“ mit der System-Nr. II/D.07 und den weiteren Mitgliedern Dadsonit, Fülöppit, Guettardit, Heteromorphit, Launayit, Madocit, Meneghinit, Parajamesonit (diskreditiert 2006), Plagionit, Playfairit, Robinsonit, Semseyit, Sorbyit, Sterryit, Tintinait, Twinnit, Veenit und Zinkenit bildete.

Im zuletzt 2018 überarbeiteten und aktualisierten Lapis-Mineralienverzeichnis nach Stefan Weiß, das sich im Aufbau noch nach dieser alten Form der Systematik von Karl Hugo Strunz richtet, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. II/E.19-030. In der „Lapis-Systematik“ entspricht dies ebenfalls der Abteilung „Sulfosalze (S : As,Sb,Bi = x)“, wo Boulangerit zusammen mit Ardait, Falkmanit, Jaskólskiit, Moëloit und Pillait die unbenannte Gruppe II/E.19 bildet.[3]

Die von der International Mineralogical Association (IMA) zuletzt 2009 aktualisierte[13] 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Boulangerit in die neu definierte Abteilung der „Sulfosalze mit SnS als Vorbild“ ein. Diese ist zudem weiter unterteilt nach der Art der beteiligten Kationen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Nur mit Blei (Pb)“ zu finden ist, wo es nur noch zusammen mit Falkmanit und Plumosit die unbenannte Gruppe 2.HC.15 bildet.

Auch die Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Boulangerit in die Klasse der „Sulfide und Sulfosalze“ und dort in die Abteilung der „Sulfosalze“. Hier ist er zusammen mit Falkmanit in der unbenannten Gruppe 03.05.02 innerhalb der Unterabteilung der „Sulfosalze mit dem Verhältnis 2,5 < z/y < 3 und der Zusammensetzung (A+)i(A2+)j[ByCz], wobei A = Metalle, B = Halbmetalle, C = Nichtmetalle“ zu finden.

Kristallstruktur Bearbeiten

Boulangerit kristallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Pnam (Raumgruppen-Nr. 62, Stellung 6)Vorlage:Raumgruppe/62.6 mit den Gitterparametern a = 23,49 Å; b = 21,24 Å und c = 4,02 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[4]

Bildung und Fundorte Bearbeiten

 
Nadeliger Boulangerit in Matrix aus dem Bergwerk Bottino, Seravezza, Italien

Boulangerit bildet sich durch hydrothermale Vorgänge bei niedrigen bis mittleren Temperaturen. Begleitminerale sind unter anderem verschiedene Blei-Sulfide- und Sulfosalze wie Arsenopyrit, Galenit, Pyrit, Sphalerit und Stibnit, aber auch Siderit und Quarz.

Als häufige Mineralbildung ist Boulangerit an vielen Fundorten anzutreffen. Weltweit sind bisher rund 1000 Fundorte dokumentiert.[14] Außer an seiner Typlokalität in der Gemeinde Molières-Cavaillac im Département Gard trat das Mineral in der Region Okzitanien noch in mehreren Départements auf wie unter anderem Ariège, Aude, Pyrénées-Orientales und Tarn. Weitere Fundorte in Frankreich liegen unter anderem in Auvergne-Rhône-Alpes, der Bretagne, Grand Est, Nouvelle-Aquitaine und Provence-Alpes-Côte d’Azur.

Bekannte Vorkommen in Deutschland sind beispielsweise die Umgebung von Sulzburg in Baden-Württemberg, der Bergbaubezirk Brandholz-Goldkronach (Grube Silberne Rose) und die Grube Bayerland bei Pfaffenreuth (Leonberg) in Bayern, die Bergbaureviere Sankt Andreasberg und Rammelsberg in Niedersachsen sowie mehrere Gruben im Hochsauerlandkreis und Kreis Siegen-Wittgenstein in Nordrhein-Westfalen, in der Gemeinde Altenahr und im Landkreis Altenkirchen (Westerwald) in Rheinland-Pfalz, in den Landkreisen Harz und Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt, im sächsischen Erzgebirgskreis und den thüringischen Kreisen Greiz und Saale-Orla.

In Österreich fand sich Boulangerit bisher vor allem in Kärnten (Sankt Veit an der Glan, Spittal an der Drau) und der Steiermark (Bruck-Mürzzuschlag, Schladming), aber auch in Niederösterreich (Eichberg, Semmering), Salzburg (St. Johann im Pongau) und Tirol (Innsbruck, Kitzbühel) trat das Mineral gelegentlich zutage.

In der Schweiz konnte Boulangerit unter anderem in den Kantonen Graubünden (Berninapass, Surselva), Tessin (Lugano) und Wallis (Bruson, Binntal, Val d’Anniviers) gefunden werden.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Afghanistan, Algerien, Ägypten, Argentinien, Armenien, Aserbaidschan, Australien, Bolivien, Bosnien und Herzegowina, Brasilien, Bulgarien, Chile, China, der Dominikanischen Republik, Ecuador, Finnland, eorgien, Ghana, Griechenland, Grönland, Indien, Indonesien, Iran, Irland, Italien, Japan, Kanada, Kasachstan, Kirgisistan, Kolumbien, Nord- und Südkorea, Kosovo, Kroatien, Kuba, Malawi, Malaysia, Marokko, Nordmazedonien, Mexiko, Mongolei, Namibia, Neuseeland, Nigeria, Norwegen, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Südafrika, Tadschikistan, Tschechien, der Türkei, Ukraine, Ungarn, Usbekistan, Venezuela, im Vereinigten Königreich (UK), den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Vietnam.[15]

Auch in Mineralproben vom Mittelatlantischen Rücken (Hydrothermalfeld „Ashadze 1“)[16] und vom Juan-de-Fuca-Rücken-Komplex im Pazifischen Ozean, genauer vom Escanaba-Tal am Gorda-Rücken[17] konnte Boulangerit nachgewiesen werden.

Verwendung Bearbeiten

Boulangerit wird bei lokaler Anhäufung als Bleierz genutzt,[7] hat aber allgemein keine wirtschaftliche Bedeutung.[6]

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • M. C. J. Thaulow: Analyse eines Antimonerzes vom Nasafjeld in Lapland. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 41, 1837, S. 216–221 (rruff.info [PDF; 394 kB; abgerufen am 22. Oktober 2023]).
  • Robert Allan, Carl Friedrich Alexander Hartmann: Die Mineralogie. Gottf. Basse Verlag, Quedlinburg und Leipzig 1838, S. 239 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 22. Oktober 2023]).
  • A. Skowron, I. D. Brown: Refinement of the structure of boulangerite, Pb5Sb4S11. In: Acta Crystallographica. C 46, 1990, S. 531–534, doi:10.1107/S0108270189008334 (englisch).

Weblinks Bearbeiten

Commons: Boulangerite – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 351 kB; abgerufen am 22. Oktober 2023]).
  2. a b Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: September 2023. (PDF; 3,8 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, September 2023, abgerufen am 17. Oktober 2023 (englisch).
  3. a b Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
  4. a b c Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 134 (englisch).
  5. a b c d e f Boulangerite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 52 kB; abgerufen am 17. Oktober 2023]).
  6. a b c d Helmut Schröcke, Karl-Ludwig Weiner: Mineralogie. Ein Lehrbuch auf systematischer Grundlage. de Gruyter, Berlin; New York 1981, ISBN 3-11-006823-0, S. 299–300.
  7. a b c Hans Jürgen Rösler: Lehrbuch der Mineralogie. 4. durchgesehene und erweiterte Auflage. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (VEB), Leipzig 1987, ISBN 3-342-00288-3, S. 350.
  8. Typlokalität Molières-Cavaillac beim Mineralienatlas (deutsch) und bei Mindat (englisch), abgerufen am 22. Oktober 2023.
  9. Bjørn Pedersen: Moritz Christian Julius Thaulow. Store norske leksikon, 21. April 2023, abgerufen am 22. Oktober 2023.
  10. M. C. J. Thaulow: Analyse eines Antimonerzes vom Nasafjeld in Lapland. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 41, 1837, S. 216–221 (rruff.info [PDF; 394 kB; abgerufen am 22. Oktober 2023]).
  11. Catalogue of Type Mineral Specimens – B. (PDF 373 kB) Commission on Museums (IMA), 9. Februar 2021, abgerufen am 22. Oktober 2023.
  12. Catalogue of Type Mineral Specimens – Depositories. (PDF; 311 kB) Commission on Museums (IMA), 18. Dezember 2010, abgerufen am 22. Oktober 2023.
  13. Ernest H. Nickel, Monte C. Nichols: IMA/CNMNC List of Minerals 2009. (PDF; 1,9 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Januar 2009, abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
  14. Localities for Boulangerite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
  15. Fundortliste für Boulangerit beim Mineralienatlas (deutsch) und bei Mindat (englisch), abgerufen am 17. Oktober 2023.
  16. Anna Firstova, Tamara Stepanova, Georgy Cherkashov, Alexey Goncharov, Svetlana Babaeva: Composition and formation of gabbro-peridotite hosted seafloor massive sulfide deposits from the Ashadze-1 hydrothermal field, Mid-Atlantic Ridge. In: Minerals. Band 6, Nr. 1, 2016, S. 12, doi:10.3390/min6010019 (englisch).
  17. Tuomo Törmänen: Ore mineralogy, geochemistry, and formation of the sediment-hosted sea floor massive sulfide deposits at Escanaba Trough, NE Pacific, with emphasis on the transport and deposition of gold. Oulu University Press, Oulu 2005, ISBN 951-42-7626-4, S. 24 (englisch, jultika.oulu.fi [PDF; 16,1 MB; abgerufen am 22. Oktober 2023]).