Die Kirche St. Clemens ist die römisch-katholische Hauptkirche[1] von Hannover und das Zentrum des Regionaldekanats. Seit dem 1. September 2010 gehört die Basilika minor zur Pfarrgemeinde St. Heinrich im Dekanat Hannover des Bistums Hildesheim.
St. Clemens war die erste katholische Kirche Hannovers nach der Reformation. Grundsteinlegung in der Calenberger Neustadt war am 6. Juli 1712, die Weihe am 4. November 1718. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Kirche in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 bei dem schwersten der Luftangriffe auf Hannover von Bomben zerstört und am 25. März 1945 erneut von Bomben getroffen.[2] Nach Kriegsende wurde die Kirche wiederaufgebaut und nach den ursprünglichen Plänen ihres Architekten, des Italieners Tommaso Giusti, mit der von ihm geplanten Kuppel ausgestattet. Sie ist in Norddeutschland die einzige Kirche mit rein italienischem Charakter.[3]
Geschichte
BearbeitenWährend der Reformation war es auch in Hannover immer wieder zu Unruhen zwischen Altgläubigen und Lutheranern gekommen. Als sie 1533 eskalierten, flohen am 14. September des gleichen Jahres die Bürgermeister und fast alle Ratsherren in das benachbarte katholische Hildesheim. Das katholische Leben in Hannover erstarb, zumal der Rat der Stadt 1588 den Katholiken auch das Wohnrecht in der Altstadt entzog.
Als 1665 Herzog Johann Friedrich den Herzogsthron in Hannover bestieg, änderte sich die Situation; denn Johann Friedrich war vier Jahre zuvor bei einem Besuch in Assisi zum katholischen Glauben übergetreten. Bedienstete des Hofes, vor allem Franzosen und Italiener, bildeten die kleine katholische Gemeinde und feierten Weihnachten 1665 unter Leitung von Valerio Maccioni – sein Epitaph befindet sich in der Krypta der Basilika – den ersten katholischen Gottesdienst nach der Reformation. Am 28. Dezember 1679 starb Johann Friedrich, sein jüngerer Bruder Ernst August übernahm die Regierung. Zwar wandelte er das Recht der öffentlichen Religionsausübung für die Katholiken in ein privates Recht und ließ die Schlosskirche für den dort bis dahin gefeierten katholischen Gottesdienst schließen. Trotzdem versprach er freie Religionsausübung und erlaubte den Bau einer katholischen Kirche.
Unterdessen war – außerhalb der Stadtbefestigung Hannovers, „vor dem Aegidientore“ – auf einem Teil des dortigen „Patergartens“ ab 1669 der katholische St.-Johannis-Friedhof angelegt worden. Er soll erst vier Jahre später 1673 geweiht und nach seinem herzoglichen Stifter benannt worden sein.[4][5]
Den immer wieder hinausgezögerten Kirchenbau hingegen brachte dann der italienische Priester, Komponist und Diplomat Agostino Steffani voran. Steffani war 1688 als Hofkapellmeister in den Dienst von Ernst August getreten. 1707 empfing er in Bamberg die Bischofsweihe und im April 1709 wurde ihm das Vikariat von Ober- und Niedersachsen übertragen.
Steffani übertrug seinem Landsmann Tommaso Giusti Planung und Bauleitung der neuen Kirche. Giusti entwarf einen venezianischen Kuppelbau mit zwei flankierenden Türmen. Auf Kuppel und Türme musste schließlich mangels Finanzen verzichtet werden.[7] Das von der Kirche erhaltene bauzeitliche Holzmodell mit seinen die Kuppel begleitenden schweren Voluten lässt sehr viel deutlicher als der heutige Bauzustand das Vorbild von Santa Maria della Salute von Baldassare Longhena erkennen, dessen Bau der Vater von Tommaso Giusti als Bauführer geleitet hatte.[8] Namenspatron der ersten nachreformatorischen Kirche Hannovers wurde der Namenspatron des damals regierenden Papstes, der heilige Clemens Romanus. Hintergrund: Papst Clemens XI. hatte sich in besonderer Weise für den Bau der Kirche eingesetzt und für ihre Finanzierung Geld gesammelt. 1894 wurde die Kirche von Papst Leo XIII. zur Propsteikirche erhoben.[9]
Nach den Zerstörungen durch die Luftangriffe auf Hannover im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche nach Plänen des Architekten Otto Fiederling von 1947 bis 1957 wieder aufgebaut,[10] die Baukosten betrugen knapp 1,7 Millionen Mark. Erst jetzt wurden die ursprünglich geplante Kuppel und die gedrungenen Glockentürme in modernen Formen ergänzt. Vorbereitende Arbeiten begannen bereits 1946, und am 23. November 1949 konnte Richtfest gefeiert werden.[11] Am 24. November 1957 wurde St. Clemens durch den damaligen Apostolischen Nuntius Aloysius Muench geweiht. Am 12. März 1998 erhob Papst Johannes Paul II. die Kirche mit dem Apostolischen Schreiben Inter sacras zur Basilica minor.
Von 1967 bis 1986 war der Hildesheimer Weihbischof Heinrich Pachowiak Bischofsvikar an der Propsteikirche St. Clemens in Hannover. Ihm folgte der Hildesheimer Domkapitular Joop Bergsma als Propst und Regionaldechant für die katholische Kirche in der Region Hannover, der 1996 sein Amt an Domkapitular Klaus Funke übergab. Funkes Nachfolger war 2008 Domkapitular Martin Tenge. Am 1. September 2019 folgte ihm Domkapitular Christian Wirz.[12] Zugleich blieb er Offizial der Diözese Hildesheim.[13] 2023 legte Wirz sein Amt als Propst und Regionaldechant in Hannover nieder und übernahm eine Pfarrei in Bad Salzdetfurth, zusätzlich zu seiner Position als Offizial. Ab 2023 übernahm der Pfarrer der Pfarreien St. Godehard und St. Heinrich in Hannover, Domkapitular Wolfgang Semmet, zunächst kommissarisch die Leitung der katholischen Kirche in Hannover und die Seelsorge an St. Clemens, 2024 ernannte ihn Bischof Heiner Wilmer rechtmäßig zum Propst und Regionaldechanten.
Kirchenraum
BearbeitenDie Innenausstattung entspricht dem Schlichtheitsideal der 1950er Jahre. Bemerkenswert sind mehrere überlebensgroße Apostelfiguren aus dieser Zeit. Die Bronzeportale wurden von Heinrich Gerhard Bücker entworfen.
Unter der Oberkirche befindet sich die Krypta, die ursprünglich als Begräbnisstätte für verdiente Gemeindemitglieder diente. Unter anderem ist auch der Architekt der Kirche, Tommaso Giusti, dort bestattet. Heute werden in der Krypta Gottesdienste in kleinem Rahmen gefeiert.
Orgeln
BearbeitenErste Orgel von 1718
BearbeitenDie erste Orgel von St. Clemens stammte von dem hannoverschen Orgelbauer Christian Vater und wurde am 17. September 1718 fertiggestellt. Die Orgel besaß folgende Disposition:[14]
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Die heutige Orgel
BearbeitenDie Orgel wurde 1973 von der Orgelbaufirma Johannes Klais in Bonn erbaut. Das Instrument hat 32 Register auf zwei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[15]
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- Koppeln: II/I, I/P, II/P
- Spielhilfen: zwei freie Kombinationen, eine freie Pedalkombination, Setzeranlage
Glocken
BearbeitenIn der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lieferte die Glockengießerei Otto aus Hemelingen/Bremen in den Jahren 1907, 1923/4 und zwischen 1930 und 1932 fünf Bronzeglocken mit einem Gesamtgewicht von 11 Tonnen, darunter eine b0-Glocke von 4 Tonnen Gewicht. All diese Glocken fielen den kriegsbedingten Glockenbeschlagnahme zum Opfer und wurden eingeschmolzen.[16][17]
Heute birgt der Nordturm ein vierstimmiges Geläut in der Schlagtonfolge dis1–fis1–gis1–ais1. Die beiden größeren Glocken stammen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Es handelt sich um Leihglocken, die der deutschen Staat der Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. Die anderen beiden goss die Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock (Gescher).
Sonstiges
BearbeitenIm Kaiserdom St. Bartholomäus in Frankfurt am Main befinden sich Grab und Epitaph des Erbauers der St.-Clemens-Basilika, Bischof Agostino Steffani. Das Marmorepitaph stifteten die Katholiken Hannovers aus Dankbarkeit für die Erbauung von St. Clemens. Die Kirche in ihrer ursprünglichen Form (ohne Kuppel) ist darauf abgebildet.
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- H. Haug: Die Propsteikirche zu St. Clemens. Ein venezianischer Kirchenbau in Hannover. In: Hannoversche Geschichtsblätter, Folge 21 (1918), S. 404–431
- Hans Reuther: Das Modell der St. Clemens-Propsteikirche zu Hannover. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 10 (1971), S. 202–230.
- Hans-Georg Aschoff: Um des Menschen willen: die Entwicklung der katholischen Kirche in der Region Hannover. Hrsg. vom Katholikenausschuss für den Großraum Hannover, Bernward, Hildesheim 1983, ISBN 3-87065-295-0, S. 28ff.
- Gabriele Vogt (Text), Willi Stoffers (Red.): Hannover, St. Clemens. In: Handbuch des Bistums Hildesheims. Teil 2: Region Hannover. Hrsg.: Bischöfliches Generalvikariat Hildesheim, Selbstverlag, Hildesheim 1995, S. 20–36.
- Klaus Funke, Winfried Kaldenhoff, Norbert Wollny: Die Basilika St. Clemens, Hannover. Ein Führer durch die Gemeinde und die Kirche. Verlage Schnell & Steiner und Bernward, Regensburg 2000, ISBN 978-3-7954-1326-2 und ISBN 3-7954-1326-5 und ISBN 3-89366-514-5.
- Helmut Knocke, Hugo Thielen: Goethestraße 33. In: Hannover Kunst- und Kultur-Lexikon. S. 123f.
- Hans-Georg Aschoff: St. Clemenskirche. In: Wolfgang Puschmann (Hrsg.): Hannovers Kirchen. Mit Fotografien von Ulrich Ahrensmeier und Thomas Sachtleben, Ludwig-Harms-Haus, Hermannsburg 2005, ISBN 3-937301-35-6, S. 22–25.
- Klaus Mlynek: Clemens, St. C. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.) u. a.: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 113f.
Weblinks
Bearbeiten- Propsteigemeinde Basilika St. Clemens Hannover
- Religionen in Hannover – Römisch-katholische Kirche ( vom 19. Juni 2008 im Internet Archive)
- Die Orgeln der Basilika St. Clemens Hannover – Beitrag auf dem Orgel-Verzeichnis
- Interaktives 360°-Panoramafoto der Basilika St. Clemens und des Umfelds
- Kurzbeschreibung bei hannover.de
Einzelnachweise und Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Basilika St. Clemens: Herzlich willkommen
- ↑ Hermann Seeland: Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirchen in Hannover. In: Unsere Diözese in Vergangenheit und Gegenwart. Hannover 1952, S. 97.
- ↑ abgesehen von der sehr viel kleineren Markuskirche in Equord
- ↑ Arnold Nöldeke: St.-Johannis-Friedhof. In: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover Bd. 1, H. 2, Teil 1, Selbstverlag der Provinzialverwaltung Hannover, Theodor Schulzes Buchhandlung, Hannover 1932 (Neudruck Verlag Wenner, Osnabrück 1979, ISBN 3-87898-151-1), S. 257
- ↑ Nach Nöldeke in: Johann Heinrich Redecker: Historische Collectanea von der Königlichen und Churfürstlichen Residenz-Stadt Hannover ... am 8. Julii 1723 angefangen; 2 Bände mit einem Register-Band, S. 683
- ↑ Basilika bekommt jetzt ihre Strickmütze ( des vom 11. Oktober 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. in: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 8. Oktober 2014
- ↑ Bilder der Kirche vor 1945
- ↑ Hans Reuther: Das Modell der St. Clemens-Propsteikirche zu Hannover. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 10 (1971), S. 202–230.
- ↑ Rüdiger Wala: Die Italienerin an der Leine. In: KirchenZeitung. Ausgabe 48/2017 vom 3. Dezember 2017, S. 9.
- ↑ Helmut Knocke Fiederling, Adam Otto. In: Hannoversches Biographisches Lexikon, S. 116 u.ö.; online über Google-Bücher
- ↑ Hermann Seeland: Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirchen in Hannover. In: Unsere Diözese in Vergangenheit und Gegenwart, S. 98. Hannover 1952.
- ↑ kath-kirche-hannover.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Januar 2023. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., 1. September 2019
- ↑ kath-kirche-hannover.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Januar 2023. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., 24. April 2019
- ↑ Johann Josef Böker: Die ehemalige Barockorgel der St. Clemenskirche in Hannover. In: Die Diözese Hildesheim. Jahrbuch des Vereins für Heimatkunde im Bistum Hildesheim. Band 55. Bernward Verlag 1987, ISSN 0341-9975, S. 129–135.
- ↑ Nähere Informationen zur Orgel von St. Clemens
- ↑ Gerhard Reinhold: Otto-Glocken. Familien- und Firmengeschichte der Glockengießerdynastie Otto. Selbstverlag, Essen 2019, ISBN 978-3-00-063109-2, S. 588, hier insbes. S. 516, 524, 534.
- ↑ Gerhard Reinhold: Kirchenglocken – christliches Weltkulturerbe, dargestellt am Beispiel der Glockengießer Otto, Hemelingen/ Bremen. Nijmegen/NL 2019, S. 556, hier insbes. 487, 493, 494, urn:nbn:nl:ui:22-2066/204770 (Dissertation an der Radboud Universiteit Nijmegen).
Koordinaten: 52° 22′ 23″ N, 9° 43′ 36″ O