Dieser Text ist eine vorübergehende Arbeitskopie des Artikels Kempten und ist nicht Bestandteil des enzyklopädischen Bereichs der Wikipedia.

Der Text wurde am 3. Januar 2022 kopiert. Die Autoren des unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 stehenden Originaltextes sind in der Versionsgeschichte einsehbar.

Geschichte Bearbeiten

 
Heizungsanlage der Kleinen Thermen von Cambodunum

Antike: Cambodunum Bearbeiten

Kempten zählt neben Speyer, Worms, Trier, Köln und Augsburg zu den ältesten Städten Deutschlands. Die Geschichte Kemptens reicht mindestens bis in die Zeit der römischen Eroberung des Alpenvorlandes um 15 v. Chr. zurück. In dem vor 18 n. Chr. verfassten vierten Buch des Geografen Strabon ist die keltische Polis Kambodounon erstmals schriftlich bezeugt. Allerdings fehlen bislang sichere archäologische Zeugnisse für eine größere Siedlung aus vorrömischer Zeit. Als gesichert gilt dagegen die Existenz der römischen Stadt Cambodunum seit etwa der Zeit der besagten römischen Eroberung des Alpenvorlandes durch Drusus und Tiberius. Wahrscheinlich war Cambodunum im ersten und zweiten Jahrhundert die Hauptstadt der Provinz Rätien, bevor das neu gegründete Augsburg seit dem späten 2. Jahrhundert diese Funktion übernahm.[1]

Die Blütezeit der Stadt war das 1. und 2. Jahrhundert. Im 3. Jahrhundert wurde Kempten durch die Verlegung des Donau-Iller-Rhein-Limes zur römischen Grenzstadt. Auf und bei dem heute als Burghalde bezeichneten Hügel im Flusstal entstand eine ummauerte spätrömische Kastellsiedlung; sie trug den Namen Cambidanum und erstreckte sich von der Burghalde nach Norden bis zu der Kuppe, auf der heute die St.-Mang-Kirche steht. Eine Abteilung der 3. Italischen Legion war dort dauerhaft stationiert.[2]

Mittelalter: Zwei Städte Bearbeiten

 
Situation vor dem Dreißigjährigen Krieg: Das Marienmünster des Fürststifts Kempten vor den Toren der Reichsstadt Kempten

Die mittelalterliche Siedlungsgeschichte Kemptens ist komplex; die stadtgeschichtliche Literatur bietet etliche einander widersprechende Versionen. Intensive archäologische Forschungen seit Gründung der Stadtarchäologie 1982 konnten viele Irrtümer ausräumen.

Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts bestand auf der linken Illerhochterrasse ein Kloster in Kempten, als dessen Abt und erster Gründer für das Jahr 752 Audogar genannt ist. Wahrscheinlich diente als Klosterkirche eine wenige Jahre zuvor entstandene, vom Augsburger Bischof Wikterp geweihte Marienkirche. Ihr Erbauer war der St. Galler Mönch Theodor, der zusammen mit dem Heiligen Magnus ins Allgäu gekommen war. Das frühmittelalterliche Kloster stand im Bereich des Ostflügels der heutigen Residenz und nicht am St.-Mang-Platz oder auf der Burghalde, wie in der älteren Literatur gemutmaßt wurde.

Die beiden alten Kemptener Pfarrkirchen St. Mang und St. Lorenz haben frühmittelalterliche Vorläufer: Es wurden unter bzw. neben beiden Kirchen Reste der Vorgängerbauten sowie umfangreiche Gräberfelder archäologisch untersucht, die bei beiden Kirchen bis ins späte 7. Jahrhundert zurückreichen.[3] Damit ist die Existenz einer frühmittelalterlichen Siedlung vor der Gründung des Klosters belegt.

Ab 773 förderte angeblich Königin Hildegard, die Ehefrau Karls des Großen, das Kloster Kempten. Sie wurde seitdem als (zweite) Gründerin und Stifterin verehrt. Angeblich bestätigte Karl 774 die Rechte und den Besitz des Klosters. 777 soll Papst Hadrian I. das Kloster in Kempten geweiht haben, doch ist kein Aufenthalt dieses Papstes nördlich der Alpen belegt.[4]

Durch die Förderung der Karolinger, nach Hildegard und Karl auch durch ihren Sohn Ludwig den Frommen, stieg das Kloster Kempten zum flächenmäßig größten und bedeutendsten Herrschaftsträger im Allgäu auf. Dem Fürstabt (Titel seit dem 12. Jahrhundert belegt) gelang es, aus der Siedlung am Flussübergang eine Stadt zu entwickeln. Kloster und Stadt waren bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts durch die Iller getrennt, die erst kurz vor 1300 in ihr heutiges Bett verlegt wurde.[5] Die Iller war zugleich die Grenze zwischen den Bistümern Konstanz und Augsburg; die alte Grenzlinie wurde nach der Flussverlegung noch bis 1827 beibehalten.

 
Die ummauerte Reichsstadt Kempten mit dem vor den Reichsstadtmauern liegenden Fürststift in einem Holzschnitt von 1569

Der Stauferkönig Friedrich II. belehnte 1213 den Abt des Fürststiftes mit der Grafschaft Kempten. Ein Privileg König Rudolfs von Habsburg im Jahre 1289 war der erste Schritt auf dem langen Weg der Reichsstadt aus dem Hoheitsbereich des Abtes. Die Privilegien des 14. Jahrhunderts festigten Kemptens Status als Reichsstadt.

Doch erst im sogenannten „Großen Kauf“ von 1525 gab der Fürstabt seine immer noch umfangreichen Besitz- und Nutzungsrechte innerhalb der Reichsstadt auf. Die wirtschaftliche Grundlage Kemptens bildete der vom Reich geschützte Fernhandel mit Salz sowie der Handel mit lokal gefertigten Leinenstoffen und Schmiedeerzeugnissen.

Der Status Kemptens als reichsunmittelbare Stadt inmitten des Herrschaftsgebietes des Fürststifts führte zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Bürgern der Reichsstadt und dem Fürstabt des Fürststifts Kempten. So nutzten 1363 Kemptener Bürger die alljährliche Einladung des Abtes zum Martinsessen zur Eroberung der Stadtburg auf der Burghalde, die dem Abt gehörte und mit einem Vogt besetzt war. Der Bau einer eigenen Schule (1358) und die Stiftung einer Kirchenbibliothek für die Stadtprediger (1437) unterstrichen die Eigenständigkeit der Stadt.

An der Iller entstand 1477 mit den ersten beiden Papiermühlen ein neuer Wirtschaftszweig.

Durch Kaiser Friedrich III. erhielt die Reichsstadt Kempten im Jahr 1488 das Recht, den Reichsadler mit der Kaiserkrone in ihrem Stadtwappen zu führen. Ein Kemptener Truppenkontingent hatte sich bei der Befreiung des in Brügge gefangenen jungen Königs Maximilian besonders ausgezeichnet. Der Reichsadler ziert heute noch die vom Träger aus rechte Hälfte des Stadtwappens.

Reformation und Religionskriege Bearbeiten

Vor den Toren der Reichsstadt stand das katholische Kloster mit seiner eigenen Siedlung, bestehend aus Bediensteten, Zünften und Bauern. Die Reformation und damit verbundenen Bauernkriege brachten das Kloster in eine schwierige Situation. Immerhin erlangte die Reichsstadt durch das Ausnutzen einer misslichen Situation des Fürstabts eine weitestgehende Unabhängigkeit vom Kloster. Der Weg zu einer religiösen Reformation in der Reichsstadt war geebnet. Nach der Entwicklung zu einer protestantischen Reichsstadt war die Situation zwischen Reichsstadt und Kloster angespannter als jemals zuvor.

„Großer Kauf“ und neue religiöse Strömungen Bearbeiten

 
Der reichsstädtische Bürgermeister Gordian Seuter, nebenbei auch Kaiserlicher Rat und Bundesrat im Schwäbischen Bund, verhandelte mit dem Fürstabt um den „Großen Kauf“: Durch den Kauf befreite sich die Reichsstadt von der Fürstabtei.

Die vollständige Unabhängigkeit vom Fürststift erwarb die Reichsstadt 1525 im „Großen Kauf“. Im Bauernkrieg kam es zur Plünderung des Klosters durch stiftkemptische Bauern. Der Fürstabt Sebastian von Breitenstein ersuchte auf der Flucht vor den aufständischen Bauern um Asyl in der Reichsstadt, das ihm der Bürgermeister Gordian Seuter gewährte. Doch nutzte er die Situation aus, um den Fürstabt zur Abtretung seiner verbliebenen Rechte über die Reichsstadt zu bewegen: Der Abt wurde so lange nicht aus der Reichsstadt freigelassen, bis er seine Rechte verkauft hatte. Der auf Bargeld angewiesene Sebastian von Breitenstein verkaufte am 6. Mai 1525 für 30.000 Gulden seine verbliebenen herrschaftlichen Rechte in der Stadt an die Bürger. Um diesen immensen Geldbetrag aufwenden zu können, wurden die Bürger der Reichsstadt mit einer zusätzlichen Abgabe besteuert und verkauften als entbehrlich angesehene Kirchenschätze. Darunter fallen Reliquiare, Kelche und Monstranzen.[6]

Damit war zugleich der Weg für den Wechsel der Reichsstadt zur Reformation geebnet. Die Reichsstadt gehörte 1529 zu den Vertretern der protestantischen Minderheit (Protestation) auf dem Reichstag zu Speyer für Martin Luthers Lehre. 1530 unterzeichnete die Reichsstadt Kempten die Confessio Augustana (Augsburger Bekenntnis). Ihre Bürgerschaft forderte die ungehinderte Ausbreitung des evangelischen Glaubens.

In Kempten entwickelte sich die Situation anders als geplant. Die Bürger entfernten sich immer mehr von Martin Luther und näherten sich Huldrych Zwingli an. Im Jahr 1527 wurde Jakob Haystung erster protestantischer Prediger der St.-Mang-Kirche; er war Anhänger von Zwingli und predigte offensiv seine Lehren. Zum Dreikönigstag ließ der Rat die Bürger über die Bilderfrage abstimmen, 500 forderten die Zerstörung jeglichen Kirchenschmucks – 174 setzten sich für den Erhalt ein. Daraufhin kam es zum Bildersturm in der reformierten St.-Mang-Kirche. Die Leinwandmacher wollten die Fresken mit Tüchern abdecken, konnten sich aber gegen die Anhänger Zwinglis nicht durchsetzen. Die Fresken wurden übermalt, die Ausstattung zerstört. Die 1480 von einer reichen Patrizierfamilie gestiftete Orgel blieb erhalten, wurde aber 40 Jahre lang nicht verwendet.[6][7]

Die Dominanz von Zwinglis Lehre nahm jedoch nur einen kurzen Zeitabschnitt ein. 1553 kam der slowenische Reformator und Anhänger Martin Luthers Primož Trubar als Prediger in die St.-Mang-Kirche. Ihm gelang es, die konfessionellen Spannungen zu mindern und er legte das Augsburger Bekenntnis als Basis für die Kirchenordnung fest. In seiner Zeit in Kempten übersetzte er das Neue Testament ins Slowenische. Die lutherische Lehre dominierte wieder.[8]

Der protestantische Pfarrer Ottmar Stab unterzeichnete die lutherische Konkordienformel noch im August 1577, der Bürgermeister Paulus Röhr folgte 1579 mit seiner Unterschrift im Namen des Stadtrates.[9] Weitere wichtige Personen der Reformationszeit waren Matthias Waibel sowie der Pfarrer Sixtus Rummel von St. Mang. An der religiösen Lage des Stifts änderte sich nichts.

Dreißigjähriger Krieg, Aufklärung und letzter Hexenprozess auf deutschem Boden Bearbeiten

 
Fürstäbtliche Residenz (ehemaliges Benediktinerkloster) mit der Stiftskirche (2011)

Im Dreißigjährigen Krieg gehörten die katholische Fürstabtei und die evangelische Reichsstadt den beiden einander feindlich gesinnten Konfessionsparteien an und unterstützten ihre jeweiligen Bündnispartner bei der Bekämpfung ihres Nachbarn. So wurde das Kloster auf Anstiftung der Reichsstadt 1632 durch die Schweden zerstört. Hinzu kamen zwei Pestzüge, so dass die Bevölkerung der Reichsstadt von 6000 Einwohnern vor dem Krieg auf 900 im Jahre 1635 zusammenbrach.[10]

Kurz vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begann Fürstabt Roman Giel von Gielsberg mit der Planung für den Neubau des zerstörten Klosters. Als Zentrum waren die Klosterkirche und die fürstäbtliche Residenz vorgesehen, an die eine Planstadt anschließen sollte. Die frühbarocke Kirchen- und Klosteranlage wurde zwischen 1651 und 1674 errichtet. Fürstabt Rupert von Bodman erwirkte für die städtische Siedlung beim Kloster im Jahre 1728 die Erhebung zur Stadt. Unter Fürstabt Anselm Reichlin von Meldegg wurde die Residenz mit einer monumentalen, verschwenderischen Rokokoausstattung versehen. 1773 scheiterte der Versuch, die Fürstabtei als eigenes Bistum von Konstanz und Augsburg zu eximieren.

Von 1421 bis 1775 gerieten in Kempten 19 Personen in Hexenprozesse.[11] 1775 war Kempten Schauplatz eines der letzten Hexenprozesse in Deutschland. Anna Maria Schwegelin wurde als Hexe zum Tode durch das Schwert verurteilt, jedoch nicht hingerichtet, sondern begnadigt. Sie starb 1781 im Stockhaus, dem stiftkemptischen Gefängnis. An der Südostseite der ehemaligen fürstäbtlichen Residenz wurde 2002 zu ihrem Gedenken ein Brunnen errichtet. Seit Dezember 2018 informiert eine Stele vor Ort über das Leben von Anna Maria Schwegelin und den Prozessverlauf.[12]

Neue bayerische Herrschaft Bearbeiten

Das 19. Jahrhundert markierte in Kempten einen kompletten Umbruch der historischen Struktur aus zwei Städten. Das moderne Kempten ist in einem langwierigen Verschmelzungsvorgang aus einer freien Reichsstadt und einem fürstlichen Benediktinerkloster mit eigener Stadt entstanden. Das im Grunde traditionell schwäbische Kempten ist erst seit dem 19. Jahrhundert bayerisch. Mit der Anbindung an Bayern waren auch kulturelle Verluste zusammenhängend. Zahlreiche Besitztümer des Klosters wurden von Bayern beschlagnahmt und verkauft, die prunkvolle Residenz wurde zu einem Verwaltungssitz der bayerischen Herrschaft.

Besetzung durch Bayern und Vereinigung der Doppelstadt Bearbeiten

 
Kempten 1809
„Hauptstadt des Illerkreises“

Im Jahre 1802 marschierten kurfürstlich bayerische Truppen ins Allgäu ein und vollzogen die Mediatisierung der Reichsstadt und die Säkularisation der Fürstabtei; beide wurden dem bayerischen Staatsgebiet angeschlossen. Die bisherigen Selbstverwaltungsrechte von Kloster und Reichsstadt mit eigenen Herrschafts- und Verfassungsformen waren als „nebenstaatliche“ Existenzen in der schematischen Verwaltungsgliederung Bayerns nicht integrierbar.

Die bayerische Verwaltung beschloss die Vereinigung der Reichsstadt und der Stiftsstadt. Die Verwaltungsakte dafür erforderten wenige Jahre, die kulturellen und gesellschaftlichen Folgeprobleme waren noch im 20. Jahrhundert zu spüren. Kempten wurde 1806 Hauptstadt des neu entstandenen Illerkreises, der anfangs bis nach Dornbirn reichte. 1809 gab es von der Vorarlberger Bevölkerung aus wiederholte Versuche, nahe bayerische Städte zu besetzen um sich vom neuen Herrscher Bayern zu lösen. Dazu gehörte auch Kempten, hier gab es mehrere Versuche einer Besetzung. Sämtliche Aufstände von Vorarlbergern wurden niedergeschlagen, hierbei erlitt die ehemals österreichische Seite hohe Verluste. Ein Zeugnis hiervon sind die Vorarlberger Gräber im Südwesten von Kempten. 1817 erfolgte die Auflösung des Illerkreises und seine Angliederung an den Oberdonaukreis. Am 17. Mai 1818 wurde die Vereinigung der Reichsstadt und der Stiftsstadt offiziell vollzogen, wobei die ländlichen Orte des Umlandes abgetrennt und zu den beiden Ruralgemeinden Sankt Mang und St. Lorenz zusammengefasst wurden.

Industrialisierung und erster gewerblich genutzter Dieselmotor Bearbeiten

Den Beginn der Industrialisierung markiert der Bau der König-Ludwig-Brücke im Jahr 1847. Der erste Bahnhof, damals noch ein Kopfbahnhof, wenige Meter vor den Stadtmauern gelegen, wurde 1852 mit der Einfahrt des ersten Zuges feierlich eingeweiht. Es entstanden entlang der Iller zahlreiche Fabriken. Zwischen 1852 und 1853 wurde in Kempten am rechten Illerufer eine große siebenstöckige mechanische Baumwollspinnerei und -weberei erbaut, in der Ende der 1850er Jahre bereits 566 Webstühle von fast 1000 Arbeiterinnen und Arbeitern bedient wurden. Der Betrieb wurde erst 1992 eingestellt, das ursprüngliche Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts steht unter Denkmalschutz und wurde zu einer Wohnanlage umgebaut.[13] Einen weiteren Anstoß für die Urbanisierung und Industrialisierung setzte der Bürgermeister Adolf Horchler; während seiner Amtszeit von 1881 bis 1919 wuchs die Bevölkerung Kemptens von 12.000 auf 21.000 Einwohner, insbesondere die vielen Arbeitsplätze ließen aus dem Umland viele bisher in der Landwirtschaft beschäftigte Menschen nach Kempten ziehen. Das Überangebot an billigen Arbeitskräften ergab für Fabrikanten die Möglichkeit, neue Fabriken zu erbauen. Die geringen Lohnkosten machten den Nachteil des damals schlechten Standortes, abseits von sämtlichen Ballungszentren, wieder wett.[14]

 
Überschwemmte Bäckerstraße während eines Illerhochwassers (1910)

Am 15. März 1898 wurde der erste gewerblich genutzte Dieselmotor der Welt von der Maschinenfabrik Augsburg in der Zündholzfabrik Kempten in Betrieb genommen,[15][16] ein Jahr später fuhr zum ersten Mal ein Automobil durch die Stadt[17] und kurz vor dem Ersten Weltkrieg flog über Kempten erstmals ein Flugzeug. Um die Jahrhundertwende wuchs die Stadt in Richtung Süden. Grund dafür war unter anderem der Kopfbahnhof der Stadt.

Kempten im 20. Jahrhundert Bearbeiten

Otto Merkt wurde 1919 Nachfolger von Bürgermeister Adolf Horchler. Die Zeit Merkts ist gekennzeichnet durch den Ausbau der Stadt zur „Hauptstadt des Allgäus“. So kamen unter Merkt erste Pläne für einen Mittleren Ring, der damals schon als mehrspurige Umführung der Stadt geplant war, auf. Diese städtischen Entwicklungskonzepte wirken bis in die Gegenwart.

Die Zeit des Flachsanbaus im Allgäu war schon zu Ende, Merkt war bemüht, die Region zur Grünlandwirtschaft und damit zur industriellen Käseproduktion umzustrukturieren. Die Weberei veränderte sich unter Nutzung des vorhandenen Know-hows und der Wasserkraft der Iller vom Manufakturwesen hin zur industriellen Baumwollverarbeitung. Die benötigte Technik führte zur Entwicklung feinmechanischer Maschinenbaufabriken. Relativ früh entwickelte sich im Allgäu dazu der Tourismus als weiteres Standbein der Wirtschaft.[18]

Zeit des Nationalsozialismus Bearbeiten

 
Braune Gestalten nach der Machtergreifung 1933: Bürgermeister Otto Merkt mit Zylinderhut auf dem Haupt und rechts daneben der spätere Bürgermeister Anton Brändle auf dem Königsplatz in Kempten, dieser hieß 1942 bis 1945 Platz des Führers.
 
1937 unter den Nationalsozialisten erbaut und 1945 durch Luftangriffe teilweise zerstört: Artillerie-Kaserne

Im Jahre 1935 wurde Kempten zum Stadtkreis erhoben; die Stadt rückte seitdem von einer Kleinstadt zu zentraler Bedeutung und Funktion in der Region auf. Im Nationalsozialismus entwickelte sich in der Stadt mit der Prinz-Franz-Kaserne (1936) und Scharnhorstkaserne (1937) eine große Garnison. 1942 wurde Otto Merkt als Oberbürgermeister abgesetzt und durch den radikaleren Anton Brändle ersetzt.

Von Herbst 1943 bis April 1945 wurden zwei KZ-Außenlager des Konzentrationslagers Dachau für 1500 bis 2000 Häftlinge betrieben. Die KZ-Häftlinge des KZ-Außenlagers Kempten waren unter anderem in der sonst für Viehhandel genutzten Tierzuchthalle am Bahnhof untergebracht. In der Keselstraße 14 arbeiteten etwa 800 bis 1000 Zwangsarbeiter und mindestens 650 bis 850 KZ-Häftlinge für die Helmuth Sachse KG, diese war einer der wichtigsten Zulieferer für BMW (Kommandogerätefertigung für den 801-Motor). Die 750, teilweise über 1000 Häftlinge des KZ-Außenlagers Kottern-Weidach mussten für Messerschmitt Zwangsarbeit in der Produktion von Teilen für Kriegsflugzeuge verrichten.[19] Die Produktion von kriegswichtigen Teilen war nach Kempten verlagert worden, da Großstädte wie München durch Luftangriffe eher bedroht waren als das ländlichere Allgäu.[20]

Auch die wenigen Juden in Kempten wurden nicht verschont. Jüdische Geschäfte wurden boykottiert und geschlossen, fast alle Juden in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Das Kriegsende erlebten in Kempten nur zwei Jüdinnen sowie acht sogenannte Halbjuden.[21]

Bombenangriffe auf Kempten von Alliierten gab es in den Jahren 1942 bis einschließlich 1945. Am 23. Oktober 1942 warfen britische und US-amerikanische Flugzeuge 200 Brandbomben auf den Bahnhof Kempten-Hegge ab. Südwestlich von Kempten kämpften alliierte und deutsche Flugzeuge am 18. Juli 1944, am Folgetag griffen die Alliierten Kempten an. Bombardiert wurden Fabrikhallen, in denen die Produktion von Messerschmitt untergebracht war. 29 Menschen wurden getötet und einige Häuser zerstört.

Am 3. August 1944 griffen Bomber die Oberen Illerbrücken sowie die nahe gelegene Spinnerei und Weberei an. Neben zerstörten Häusern gab es auch Todesopfer. Den 22. Februar, 12. und 16. April 1945 griffen die Alliierten das Bahnhofsgelände sowie Wehrmachts- und Rüstungsanlagen an, darunter wurde auch die Scharnhorstkaserne zerstört. Die größte Zahl an Bombenopfern war im Juli bzw. August 1944 zu vermelden, es gab bei diesen Bombentreffern 146 Tote und 79 Schwerverletzte. Noch heute erinnern im wenig bebauten Süden von Kempten zahlreiche Bombentrichter bei dem Ortsteil Adelharz an diese Bombenabwürfe. Die Bausubstanz Kemptens wurde während der Bombenangriffe um 1,8 Prozent zerstört.[22] (Zum Vergleich: Während der Luftangriffe auf München waren rund 50 Prozent der Stadt zerstört.)

Am 27. April 1945 besetzten von Norden kommende US-amerikanische Truppen die Stadt und befreiten in Kempten samt Umgebung über 4000 Zwangsarbeiter und politische Häftlinge. Der nationalsozialistischen Herrschaft wurde damit ein Ende gesetzt. Der Bürgermeister Anton Brändle versuchte in einer Mönchskutte auf einem Fahrrad vor den Truppen zu fliehen, wurde aufgefangen und in der Stadt auf einer Lkw-Pritsche vorgeführt.

Oberflächliche „Nazi-Entfernung“ Bearbeiten

Unter der US-amerikanischen Besatzung wurde Captain Hulin Webb als Leiter der Militärregierung in Kempten und Landkreis ab 30. April 1945 eingesetzt. Ein weiterer Teil des Landkreises war französisch besetzt. Diverse Persönlichkeiten Kemptens schlugen den früheren Bürgermeister Otto Merkt als aushilfsweisen Oberbürgermeister vor. Trotz Vorbehalte wurde ihm am 24. Mai dieses Amt zugesprochen.

Merkt gelang es, einen vorläufigen Stadtrat aus Vertretern verschiedener Berufe zusammenzusetzen. Dieser scheiterte bereits bei der ersten Sitzung, da alle früher NSDAP-Mitglieder waren. Merkt selbst wurde, weil auch NSDAP-Mitglied, am 21. Juli 1945 von seinem Amt entfernt und durch Alfred Weitnauer, der jedoch ebenfalls NSDAP-Mitglied war, ersetzt.

Zum Jahreswechsel 1946/47 nahm in Kempten eine Hauptspruchkammer zur Entnazifizierung ihre Arbeit auf. Bis 1949 wurden über 3000 Fälle behandelt in der Abstufung Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Bald wurden jedoch Amnestiegesetze veranlasst: Galten anfangs rund 500 Personen als Belastete, lag diese Zahl 1949 bei nur noch 70 Personen. Von anfangs 42 Hauptschuldigen, sank die Zahl bis 1949 auf neun Personen. [23]

Zum Jahresende 1945 wurden schrittweise politische Parteien (zunächst CSU, später Kommunistische Partei und SPD) seitens Militärregierung mit einer gewissen Skepsis erlaubt. Später wurden auch wieder Vereine, überwiegend mit Berufung auf die Tradition der gescheiterten Weimarer Republik gegründet. 1946 verzeichnete die CSU große Erfolge, scheiterte 1948 erheblich und musste Stimmen an die Bayernpartei abgeben. Diese hatte bei nächsten Wahlen weiterhin Bedeutung, verlor in den 50ern zunehmend an Bedeutung. Die Teilung der konservativen Lagers war später aufgehoben. Hinzu kam 1947 die Gründung der FDP und die Aufhebung des Parteigründungverbots für Ausgewiesene und Vertriebene, deren genaue NS-Vergangenheit in ihrer neuen Heimat weitgehend unbekannt war.

Mit der ersten Stadtratswahl im Mai 1946 verlor die Militärregierung bewusst an Bedeutung. Bestärkt wurde diese Entwicklung durch den als freundlich geltenden neuen US-Kommandanten Richard F. Wagner. Damit wurde die Selbstverwaltung gestärkt. Bürgermeister Stirnweiß war lediglich kommissarisch eingesetzt, sodass der Stadtrat auf neue, unbelastete Personen für das Oberbürgermeisteramt aus war. Am 23. August wurde dann der unbelastete Jurist Anton Götz aus München gewählt. Sein Vertreter wurde Albert Wehr (SPD). Insgesamt war die Verwaltung mit der Nachkriegszeit überfordert: Es fehlten Lebensmittel und Wohnraum. Die Betreuung von Displaced Person und Ausgewiesenen, Befolgung der amerikanischen Richtlinien und Aufbau kommunaler Aktivitäten war intensiv. Zugespitzt hat sich die Situation mit einer amerikanischen Wohnungsbeschlagnahme im Frühjahr 1948, all dies führte zu einer Stadtratskrise. Nachfolger von Götz wurde der frühere Kaufbeurer Oberbürgermeister Georg Volkhardt, der mit seiner kommunalen Erfahrung die Bürokratie sanierte. Insgesamt litt die Stadtverwaltung bis 1947 wegen der Entnazifizierung an einem Fachkräftemangel. Da sich diese Politik änderte, konnten viele im Hauptspruchkammerverfahren als Mitläufer/Belastete in ihre Bürokratiekarriere zurückkehren – jedoch schieden zeitgleich auch zahlreiche Verfolgte des Naziregimes aus.[24]

Noch 1945 ist das NS-Regime aus dem Straßenbild entfernt worden. So wurde als Beispiel aus dem Adolf-Hitler-Platz ein Audogarplatz, aus dem Platz des Führers wieder ein Königsplatz. Dennoch wurde 1973 eine Straße nach dem hochrangigen Nazi Eduard Dietl benannt, die trotz Proteste ab 1986 erst 1993 umbenannt worden ist. Auch 1973 erfolgte die Benennung einer Straße nach Richard Knussert, die erst ab 2018 einem gesellschaftlichen Diskurs unterzogen wurde. Zahlreiche weitere Fälle weisen auf eine fehlende Aufarbeitung des lokalen Nationalsozialismus hin. Diese sind zum Beispiel Straßen die nach NSDAP-Mitgliedern Ferdinand Porsche, Alfred Weitnauer, Else Eberhard-Schobacher, Joseph Freundorfer, Franz Weiß, Willy Messerschmitt und auch Otto Merkt. Die lokale Geschichtsschreibung weist überwiegend Lücken und Schönungen auf. Noch 1952 ist mit August Fischer wieder ein NSDAP-Mitglied als Oberbürgermeister gewählt und ein Platz nach ihm benannt worden.

Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder Bearbeiten

Am 29. September 1946 veranstalteten amerikanische Soldaten im Illerstadion in Kempten ein Fest für die vom Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit geprägten Kinder. Beim Illersteg-Unglück stürzt die Brücke in die Iller. Etwa 800 Personen standen auf der Brücke. Sechs Menschen starben bei diesem Unfall, rund 200 wurden verletzt.

Der Zuzug von 10.000 Vertriebenen, Abgeschobenen, Geflüchteten und Aussiedlern aus Mittel- und Osteuropa brachte einen raschen Bevölkerungsanstieg, aber auch einen akuten Wohnplatzmangel. Mit der vom Oberbürgermeister August Fischer gegründeten Sozialbau-Gesellschaft (Sozialbau Kempten) kam es zu regen Baumaßnahmen. Diese befriedigten zwar die Nachfrage nach Wohnraum, die übereilte und intensive Sanierungswelle reduzierte aber auch die wertvolle historische Bausubstanz. Kempten war Teil eines Pilotprojekts des Bundes für Altstadtsanierungsmaßnahmen. Die in Kempten gemachten Erfahrungen – auch die schlechten – flossen in andere Stadtsanierungen ein. Im Mittelpunkt der Verkehrspolitik standen der Bau des Mittleren Ringes und der neue Hauptbahnhof an anderer Stelle, welcher den alten Kopfbahnhof ersetzte. Die Randlage in Bayern und die vergleichsweise große Vielfalt in der Wirtschaft sowie das rege Bauen sorgen seitdem für ein allmähliches, aber stetes Wachstum sowie moderate Auswirkungen von Kriegen und Krisen bis heute. 1977 wurde unter Oberbürgermeister Josef Höß die Errichtung der Fachhochschule Kempten beschlossen, die heute als Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten auftritt. Ursprüngliches Ziel war die Ansiedlung einer Universität in Kempten.

Deutschlandweit bekannt wurde Kempten als Sitz der türkischen rechtsextremen Gruppierung „Graue Wölfe“. Am 9. April 1973 wurde offiziell beim Ordnungsamt ein lokaler Verein der MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, dt. Partei der Nationalistischen Bewegung) gegründet und ohne Widerspruch genehmigt.[25] Zu Beginn der 1990er Jahre hat sich in Kempten auch die Russenmafia, zusätzlich zu den bestehenden italienischen Mafiastrukturen der 1950er/60er, einen wichtigen strategischen Punkt aufgebaut.[26]

Entwicklungen seit den 1990er Jahren Bearbeiten

 
Wohnkaufhaus XXXLutz in Hauptbahnhofsnähe, vor der Fertigstellung (März 2015)

Als Nachfolger von Höß wurde 1990 mit Wolfgang Roßmann das erste Stadtoberhaupt Kemptens gewählt, das von der SPD gestellt wurde. Er strebte den Neubau der Justizvollzugsanstalt Kempten an und ließ den öffentlichen Personennahverkehr modernisieren. Mit dem Einkaufszentrum Forum Allgäu, das Roßmann an Stelle des ehemaligen Bahnhofes vorschlug, wurde die über Jahrzehnte brachliegende Fläche im Zentrum wiederbelebt.

1996 wurde Ulrich Netzer gewählt. Die letzten Jahre von Netzers Amtszeit waren von Sparmaßnahmen und „offenen Baustellen“ der Finanzkrise ab 2007 und Eurokrise geprägt. Die erste langwierige Baustelle war der Neubau eines XXXLutz-Wohnkaufhauses im Süden. Die Frage wurde durch einen Bürgerentscheid im Oktober 2007 geklärt, in dem sich eine Mehrheit der Bürger für den Bau entschloss. Eröffnet wurde das Kaufhaus im Juli 2015. 2007 begannen die Gespräche für ein Geschäftshaus namens August-Fischer-Haus in der Innenstadt. Die tiefe Baustelle des Hauses lag seit 2011 brach und wurde mehrere Male vor Gerichten behandelt: Im Sommer 2015 wurde die Tiefgarage fertiggestellt, dennoch ist das „Große Loch“ (Stand: März 2018) nach wie vor nicht fertig bebaut worden. Das architektonisch besondere Wasserkraftwerk Keselstraße wurde 2010 fertiggestellt und ersetzte damit den Bau aus den späten 1950er Jahren. Zu einem weiteren Bürgerentscheid kam es im April 2011, als sich eine Mehrheit gegen die Pläne der CSU, dem Bau einer Tiefgarage unter dem Hildegardplatz, aussprach.

Koksskandal und Mafiastrukturen Bearbeiten

Anfang 2014 wurde der Leiter der Drogenfahndung der Kriminalpolizei des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West mit Sitz in Kempten festgenommen, später fanden Polizeibeamte auf Hinweis der Ehefrau in seinem Spind in der Kripo-Dienststelle in der Hirnbeinstraße 1,85 Kilogramm Kokain[27] im Marktwert von über 250.000 Euro, das er angeblich zu Übungszwecken dort aufbewahrte. Bei den Ermittlungen wurde klar, dass der seit 2000 als Leiter der Drogenfahndung tätige Beamte mindestens seit 2007 selber kokainsüchtig ist und das Rauschmittel regelmäßig konsumierte. Das gefundene Rauschgift soll aus der Asservatenkammer stammen, ein Staatsanwalt soll es ihm überlassen haben, um andere im Erkennen von Drogen zu schulen. Der Beamte wurde zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.[28][29][30] [31] Der Drogenskandal in Kempten war 2014 auch Thema in einem Innenausschuss des Bayerischen Landtags.[32]

Die Presse stellte im Nachhinein einen Zusammenhang des Skandals zur italienischen Mafia dar: 1998 wurde der Mafioso und Auftragskiller Giorgio Basile der Mafiaorganisation ’Ndrangheta am Hauptbahnhof in Kempten festgenommen. Davor versuchte ein italienischer Clan eine Schreibkraft als Spionin in die Kemptener Staatsanwaltschaft einzuschleusen, was rechtzeitig entdeckt wurde. 1992 schrieb Der Spiegel über die Mafia umfangreich, auch über die Herkunft der kriminellen Strukturen. Im Bericht „Die Mafia spricht Schwäbisch“ vom März 2014 berichtete die Süddeutsche Zeitung über mafiöse Strukturen der ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra in Schwaben, insbesondere in Kempten mit Umkreis. Mit dem Eintreffen zahlreicher italienischer Gastarbeiter aus dem Gebiet um Adrano in Sizilien sei in den 1950er und 1960er Jahren in Schwaben, insbesondere in Kempten, ein Zentrum dieser Organisationen in Süddeutschland entstanden. 1992 hatten Kemptener Ermittler 130 mutmaßliche Mafiosi im Visier.[33] In den 1980er und 1990er Jahren wurden zahlreiche Mafiamitglieder verhaftet. Nach einer Razzia verkündete der Präsident des bayerischen Landeskriminalamts, Heinz Lenhard, dass die Region um Kempten nicht nur als Rückzugsgebiet für organisierte Kriminelle diene, denen es in Italien zu riskant geworden ist, mittlerweile sei die Region Drehscheibe für den mitteleuropäischen Drogenhandel.

Salafismus und Dschihadismus Bearbeiten

Große Medienaufmerksamkeit erzeugten auch mehrere jüngere Männer aus Kempten, die sich öffentlich zum Salafismus und Dschihadismus bekannten. Der Deutsche David G. besuchte mit seiner christlich geprägten Familie regelmäßig Gottesdienste. Mit 18 Jahren konvertierte er zum Islam und studierte seither den Koran. Bereits davor hatte er Kontakt zu einem Türken, der mit Internetseiten für einen radikalen Islam und Heiligen Krieg Propaganda betrieb. Im Lauf der Zeit radikalisierte sich der junge Mann, der sich mittlerweile Dāwūd nannte, und übernahm weitere Verantwortung beim Erstellen von Propaganda-Inhalten. Im August 2013 versuchte er in die Türkei zu reisen, was ihm durch Polizeibeamte in Deutschland verwehrt wurde. Im September gelang ihm schließlich die Flucht in die Türkei über eine Grüne Grenze in Bulgarien. Im Dezember war er in einem Terrorcamp an der türkisch-syrischen Grenze um sich für den „Heiligen Krieg“ vorzubereiten. Im Januar 2014 kamen Meldungen über den Tod des Mannes, als wahrscheinlich gilt sein Tod in der Nähe von Aleppo. Die ARD berichtete im Report München über die Ereignisse.[34]

Ein weiterer Mann, der sich dem IS anschloss und vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, war der mit zwei Jahren aus der Türkei nach Kempten mit seinen Eltern umgesiedelte, 1992 geborene Erhan A. Er radikalisierte sich trotz erfolgreichem Abitur und Studium an der Hochschule Kempten im Bereich Wirtschaft. Erhan A. propagierte seinen Glauben zunächst durch das regelmäßige Beten in Richtung Mekka auf öffentlichen Plätzen, woraufhin ihm die Polizei während der Allgäuer Festwoche Platzverbote erteilte. Er versuchte mehrfach eine Ausreise nach Syrien, um sich dort als Kämpfer dem IS anzuschließen. Ihm wurde der Pass abgenommen und ein Ausreiseverbot erteilt, dennoch schaffte er es in die Türkei, wurde kurz vor der Überquerung der türkisch-syrischen Grenze jedoch von türkischen Beamten aufgehalten und zurück nach Deutschland gebracht. Im Oktober 2014 wurde Erhan A. durch die bayerische Landesregierung in einem Eilverfahren durch den Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann aus Deutschland in sein Geburtsland Türkei abgeschoben.[35][36] Im August 2016 teilte das Innenministerium mit, dass Erhan A. tot sei.[37]

Bevölkerungszuwachs unsd Wohnungsmangel Bearbeiten

Mit dem Umbau und damit verbundener Modernisierungen vieler Geschäftshäuser rund um den Allgäu Tower wurde die nördliche Bahnhofstraße in der Innenstadt wiederbelebt. Mit der Schließung der Artillerie-Kaserne im Jahr 2016 ist auch die letzte militärische Einrichtung in der Stadt geschlossen worden, nachdem 1992 die Prinz-Franz-Kaserne aufgelöst wurde. Das Gelände der ehemaligen Artillerie-Kaserne, das dem Bund gehört, will die Stadt erwerben und für eine Gewerbeansiedlung nutzen. Der Bund plant dort ab 2019 die Einrichtung einer Erstaufnahme- und Übernachtungseinrichtung für etwa 1000 Migranten und Flüchtlinge. Damit soll eine gleiche Einrichtung in Donauwörth geschlossen werden. Ende 2016 lebten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Kempten 1313 Asylsuchende (siehe auch Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015), der Großteil davon stammte aus Nigeria mit 103 und aus Afghanistan mit 129 Personen.[38]

2017 steuerte die Stadt nach ständigem Wachstum die 70.000 Einwohner an, was im November erlangt war. In Kempten ist der Wohnungsmarkt angespannt, was teilweise durch den Bedarf der über 6000 Studenten der Hochschule verstärkt wird, aber auch durch die ständig steigende Einwohnerzahl. Dieser Bedarf kann durch Neubaugebiete kaum gedeckt werden. Beim geplanten Neubaugebiet „Auf der Halde“ wurde der Baubeginn ab 2014 durch ständige Planänderungen aufgeschoben, zudem wurde der Umfang von 2014 geplanten 500 Wohneinheiten bis 2017 auf 350 reduziert.[39]

Im Mai 2017 beschloss der Stadtrat die kostspielige Sanierung der maroden König-Ludwig-Brücke von 1851 für 5,2 Millionen Euro, woraufhin diese demontiert und auf einem nahe gelegenen Parkplatz zur Instandsetzung aufgestellt wurde. Im Juli 2018 waren die Arbeiten beendet. Dabei wurden auch die hölzernen Brückenteile mit mehreren Schwerlastkränen erneut in die Pfeiler eingefügt, wobei die vierspurigen Oberen Illerbrücken zwei Wochen lang gesperrt werden mussten.

Anfang 2018 fand mit der Fertigstellung der Sanierung und dem Umbau an der historischen Fasshalle die langjährigen Baustelle auf der früheren Produktionsfläche des Allgäuer Brauhauses im Zentrum ein langsames Ende. Das Jahr 2018 wurde vom 200-jährigen Jubiläum des vereinten Kemptens geprägt. Dies wurde aber durch die verspätete Fertigstellung des neuen Stadtmuseums im Zumsteinhaus getrübt, das nach den ursprünglichen Plänen zum Jubiläum hätte wiedereröffnen sollen; die Arbeiten wurden aber erst Ende 2019 abgeschlossen.

  1. Gerhard Weber (Hrsg.): Cambodunum-Kempten. Mainz 2000, S. 43 f.; Wolfgang Czysz in: Die Römer in Bayern. 1995, S. 200; Tilmann Bechert u. a. (Hrsg.): Orbis Provinciarum. Die Provinzen des römischen Reiches. Einführung und Überblick. Mainz 1999, S. 152.
  2. Gerhard Weber: Die Römerstadt Cambodunum. In: Alexander Herzog von Württemberg: Stadt Kempten (= Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]: Denkmäler in Bayern. Band VII.85). Verlag Schnell & Steiner, München/Zürich 1990, ISBN 3-7954-1003-7, S. XXXII f.
  3. Birgit Kata, Gerhard Weber: Die archäologischen Befunde im Bereich der Kemptener Residenz und ihrer Umgebung. In: Birgit Kata u. a. (Hrsg.): „Mehr als 1000 Jahre …“ – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802. (Archäologische Forschungen zur Allgäuer Geschichte; 1) Likias Verlag, Friedberg 2006, S. 41–75.
  4. Birgit Kata: Die Jubelfeiern zur Geschichte des Fürststiftes Kempten zwischen 1777 und 2002 in ihren historischen Kontexten. In: Birgit Kata u. a. (Hrsg.): „Mehr als 1000 Jahre“ … – Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752–1802. (Archäologische Forschungen zur Allgäuer Geschichte; 1) Likias Verlag: Friedberg 2006, S. 77–149, hier insb. 84–94.
  5. Birgit Kata: Vorhang auf! 400 Jahre Theater in Kempten. LIKIAS, Kempten/Friedberg 2007, ISBN 3-9807628-8-2, S. 137.
  6. a b Gudrun Litz: Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten. Mohr Siebeck, 2007, ISBN 3-16-149124-6, S. 213 f.
  7. Gudrun Litz: Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten. Mohr Siebeck, 2007, ISBN 3-16-149124-6, S. 218.
  8. Gudrun Litz: Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten. Mohr Siebeck, 2007, ISBN 3-16-149124-6, S. 221.
  9. Vgl. BSLK, S. 766; vgl. S. 17.
  10. Josef Höß (Hrsg.): Das Rathaus zu Kempten im Wandel der Geschichte. Eine Dokumentation. Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten 1987, ISBN 3-88006-128-9, S. 74–78.
  11. Namen der Opfer der Hexenprozesse Kempten (PDF; 159 kB; abgerufen am 27. April 2016)
  12. Wolfgang Petz: Die „letzte Hexe“ – der Fall der Maria Anna Schwegelin. In: Wolfgang Petz: Zweimal Kempten. Geschichte einer Doppelstadt (1694–1836). Ernst Vögel Verlag, München 1998, ISBN 3-89650-027-9, S. 425 ff.
  13. Winfried Nerdinger (Hrsg.): Zwischen Glaspalast und Maximilianeum. Architektur in Bayern zur Zeit Maximilians II. 1848–1864. Minderva, Eurasburg 1997, S. 126–127.
  14. Karl Filser: Industrialisierung und Urbanisierung Kempten 1850 bis 1918. In: Volker Dotterweich, Karl Filser u. a. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten. Dannheimer, Kempten 1989, ISBN 3-88881-011-6.
  15. Alfred Weitnauer: Kempten: Sehenswertes und Wissenswertes aus Geschichte, Kunst und Wirtschaft der Allgäuer Hauptstadt. Volkswirtschaftlicher Verlag, Kempten 1949, S. 69.
  16. Johannes Bähr, Ralf Banken, Thomas Flemming: Die MAN: Eine deutsche Industriegeschichte. C. H. Beck, München 2008, S. 167.
  17. Alfred Weitnauer: Allgäuer Chronik – Bilder und Dokumente. Verlag für Heimatpflege, Kempten 1962, S. 463.
  18. Herbert Müller: Kempten während der Weimarer Republik. In: Volker Dotterweich, Karl Filser u. a. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten. Dannheimer, Kempten 1989, ISBN 3-88881-011-6, S. 428 ff.
  19. Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Band 1. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1995, ISBN 3-89331-208-0, S. 154.
  20. Edith Raim: Kempten und Kottern in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2: Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. C.H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52962-3, S. 373–378.
  21. Franz Rasso Böck, Ralf Lienert, Joachim Weigel: JahrhundertBlicke auf Kempten 1900–2000. Verlag Tobias Dannheimer – Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten (Allgäu) 1999, ISBN 3-88881-035-3, S. 252.
  22. Herbert Müller: Kempten im Dritten Reich. In: Volker Dotterweich, Karl Filser u. a. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten. Dannheimer, Kempten 1989, ISBN 3-88881-011-6, S. 447.
  23. Herbert Müller: Militärverwaltung, Entnazifizierung. In: Volker Dotterweich u. a. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten. Im Auftrag der Stadt Kempten (Allgäu). Verlag Tobias Dannheimer, Kempten 1989, ISBN 3-88881-011-6, S. 449f.
  24. Herbert Müller: Wiederbeginn des politischen Lebens: die Parteien und Kommunale Selbstverwaltung In: Volker Dotterweich u. a. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Kempten. Im Auftrag der Stadt Kempten (Allgäu). Verlag Tobias Dannheimer, Kempten 1989, ISBN 3-88881-011-6, S. 450–454.
  25. Achmed Raschid: Hintermänner des Papst-Attentäters: „Jedes Markstück ist eine Kugel“ In: zeit.de, 22. Mai 1981 (abgerufen am 13. Juli 2018)
  26. Wie die Mafia-Clans Bayern unter sich aufgeteilt haben. In: welt.de, 17. April 2011 (abgerufen am 18. Juli 2018)
  27. Anmerkung: In Medien finden sich auch widersprüchliche Angaben über 1,5 bzw. 1,6 Kilogramm Kokain.
  28. Chef-Drogenfahnder legt Geständnis ab. In: spiegel.de, 26. Januar 2015 (abgerufen am 5. Juli 2018)
  29. Julia Jüttner: Urteil gegen Kemptener Chef-Drogenfahnder: Späte Erkenntnis. In: spiegel.de, 9. Februar 2015 (abgerufen am 5. Juli 2018)
  30. Wie im Film: Von Superbullen, Drogen und der Mafia im Allgäu. In: augsburger-allgemeine.de, 1. Juni 2014 (abgerufen am 5. Juli 2018)
  31. Michael Munkler: Ein Jahr nach Kokainprozess: Verfahren gegen Kollegin von Allgäuer Drogenfahnder Armin N. eingestellt. In: all-in.de, 15. Januar 2016 (abgerufen am 5. Juli 2018)
  32. Jürgen Umlauft: Innenausschuss: Landespolizeipräsident berichtet über Drogenfund bei Kripo Kempten. In: bayern.landtag.de, 22. Oktober 2014 (abgerufen am 14. Juli 2018)
  33. „Vito nickt mit dem Kopf“ In: spiegel.de, 24. August 1992 (Der Spiegel, 35/1992)
  34. Allgäuer wollten sich Terrorgruppe anschließen - David G. aus Kempten tot. In: all-in.de, 17. Februar 2014 (abgerufen am 30. Juni 2018)
  35. Nach Tod von Erhan A.: Grüne attackieren Staatsregierung. In: br.de, 16. August 2018 (abgerufen am 30. Juni 2018)
  36. »Ich glaub, das steht irgendwo im Koran« In: sz-magazin.sueddeutsche.de, 3. Oktober 2014 (abgerufen am 30. Juni 2018)
  37. Allgäuer Dschihadist in Syrien getötet: Kemptener Islamist Erhan A. vermutlich tot. In: allgaeuhit.de, 16. August 2016 (abgerufen am 30. Juni 2018)
  38. Christine Tröger: Asylsituation in Kempten. In: kreisbote.de, 14. April 2017 (abgerufen am 25. März 2018)
  39. Claudia Benz: Wann wird auf der Halde-Nord in Kempten endlich gebaut? In: all-in.de, 12. Juni 2017 (abgerufen am 24. März 2018)