Livländische Ritterschaft

Organisation

Die Livländische Ritterschaft war von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis 1920 der politische und rechtliche Zusammenschluss des vornehmlich deutschbaltischen Adels im Norden des heutigen Lettland und im Süden des heutigen Estlands. Durch die vom jeweiligen Souverän garantierten Standesprivilegien, den politischen Einfluss und den agrarischen Großgrundbesitz war die Ritterschaft außerhalb der Städte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die herrschende Schicht des Landes. Die Livländische Ritterschaft hatte ihren Sitz von 1755 bis 1865 im Alten Ritterhaus sowie von 1862 bis 1920 im 1862 neuerrichteten Ritterhaus jeweils in Riga.

Die russischen Ostseegouvernements; in der Mitte das Gouvernement Livland (1721–1919)
Das Ritterhaus in Riga heute

Die Ritterschaft ist Mitglied im Verband der Baltischen Ritterschaften.

Geschichte Bearbeiten

Innerhalb der einzelnen Territorien Altlivlands schlossen sich die Vasallengeschlechter zur Verteidigung und Erhaltung ihrer Rechte und Besitztümer zu Ritterschaften zusammen. Diese korporative Organisationen war bereits im 14. Jahrhundert mit landständischen Rechten versehen und hoheitlich anerkannt.

Die Privilegien der Ritterschaft wurden bei wechselnden Souveränen jeweils bestätigt, so geschehen 1561 durch den König von Polen Sigismund II. August, 1629 durch Gustav II. Adolf, den König von Schweden, und 1710 durch den russischen Zar Peter I.

Durch die Agrargesetzgebung der Jahre 1816 bis 1819 wurden dem landbesitzenden Adel der Ostseegouvernements das Recht und die Pflicht zur Einrichtung von Volksschulen (auch „Bauernschulen“ genannt) in den ihnen gehörenden Gutsbezirken und Dörfern übertragen.[1] So gaben Fragen der Bildung der ländlichen Bevölkerung im Livländischen Ritterschaftlichen Landtag immer wieder den Anlass für Debatten zwischen den Konservativen und den Reformern im livländischen Adel, ebenso in der Livländischen Provinzialsynode der Evangelisch-lutherischen Kirche.[2]

Im Zuge der Oktoberrevolution in Russland 1917 und der Wirren des Ersten Weltkriegs erklärten Estland am 24. Februar 1918 sowie Lettland am 18. November 1918 als Republiken ihre staatliche Unabhängigkeit von Russland. Versuche des deutschen Kaiserreichs, das Baltikum mit der Schaffung des Vereinigten Baltischen Herzogtums politisch unter deutsche Oberhoheit zu bringen, scheiterten im November 1918 endgültig. Die Livländische Ritterschaft wurde daraufhin als Körperschaft des öffentlichen Rechts aufgelöst.

In Riga wurde daraufhin zunächst 1920 der Livländische Gemeinnützige Verband gegründet, und die in das Deutsche Reich emigrierten Ritterschaftsangehörigen gründeten in Rostock den Verband des Livländischen Stammadels. Diese Verbände setzten die Tradition der Ritterschaft fort. Im Jahre 1949 wurde dann der heutige Verband der Baltischen Ritterschaften e. V. gegründet, in dem die Livländische Ritterschaft gemeinsam mit ihren drei Schwesterritterschaften integriert ist.

Seit der Wiederherstellung der lettischen Unabhängigkeit 1990/1991 erwacht in Lettland ein neues Interesse an der deutschbaltischen Geschichte und damit auch an der livländischen Ritterschaft.[3]

Wappen der Ritterschaft Bearbeiten

 
Wappen der Livländischen Ritterschaft

Das Wappen der Livländischen Ritterschaft wurde vom König von Polen im Jahre 1566 anlässlich der Vereinigung Livlands und Litauens verliehen. Es handelt sich um das Wappen des livländischen Administrators und Feldherrn Jan Chodkiewicz mit den Initialen des Königs Sigismund II. August.

Landmarschälle der Livländischen Ritterschaft Bearbeiten

Von 1695 bis 1710 gab es „Landtagsdirektoren“ und von 1783 bis 1797 „Adelsmarschälle[4].

Zugehörigkeit Bearbeiten

Livländische Matrikel Bearbeiten

Die Adelsmatrikel wurde nach zwei Entwürfen der Jahre 1742 und 1745 im Jahre 1747 fertiggestellt. Insgesamt 172 Geschlechter waren damals bei der Livländischen Ritterschaft immatrikuliert. Heute umfasst die livländische Matrikel 446 Eintragungen, die 378 Geschlechter betreffen, wovon 110 bis in die Gegenwart fortbestehen.

Immatrikulierte Geschlechter Bearbeiten

Innerhalb der Ritterschaft erloschene Geschlechter sind mit (†) gekennzeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass diese gänzlich, also auch außerhalb der Livländischen Ritterschaft, im Mannesstamm abgegangen sind. Weiterhin können mehrere Linien, Zweige oder Häuser einer Familie getrennt und unabhängig voneinander immatrikuliert sein, weswegen Doppeltnennungen vorkommen.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Anton Friedrich Büsching: Ritterschaftliche Matrikel des Herzogthums Liefland. In: Magazin für die neue Historie und Geographie. Teil 3, Hamburg 1769, S. 231–240.
  • August Wilhelm Hupel: Materialien zu einer liefländischen Adelsgeschichte. In: Nordische Miscellaneen. St. 15–17, Riga 1788, S. 11–732.
  • Carl Arvid Klingspor: Baltisches Wappenbuch. Stockholm 1882, S. 31ff.
  • Alexander von Tobien: Die Livländische Ritterschaft in ihrem Verhältnis zum Zarismus und russischen Nationalismus. 2 Bände, Löffler de Gruyter, Riga; Berlin 1925.
  • Genealogisches Handbuch der baltischen Ritterschaften.
    • Teil 1, 1: Livland, Görlitz 1929 (Volltext).
    • Teil 1, 2: Livland, Lfg. 9–15, Görlitz 1929 (Volltext).
  • Astaf von Transehe-Roseneck: Genealogisches Handbuch der livländischen Ritterschaft. Band 2, Görlitz (ca.) 1935, (Volltext).
  • Georg von Krusenstjern: Die Landmarschälle und Landräte der Livländischen und der Öselschen Ritterschaft in Bildnissen. Hamburg 1963.
  • Zur Geschichte der Ritterschaften von Livland und Oesel. Hrsg. von der Livländischen Ritterschaft und von der Oeselschen Ritterschaft, Pfaffenhofen/Ilm 1974.
  • Vija Rozentāle, Pārsla Pētersone (Berab.): Vidzemes bruņniecība un Latvija. Izstādes katalogs = Livländische Ritterschaft und Lettland. Ausstellungskatalog. Cēsu vēstures un mākslas muzejs, Cēsis 2020, ISBN 978-9934-8472-7-1.

Weblinks Bearbeiten

Fußnoten Bearbeiten

  1. Vija Daukšte: Die Bildung als politischer Faktor in der Geschichte Lettlands. Die Bauernschul- und Bildungspolitik der deutschbaltischen Ritterschaften im 19. Jahrhundert. In: Imbi Sooman, Stefan Donecker (Hg.): The „Baltic Frontier“ revisited. Power structures and cross-cultural interactions in the Baltic Sea Region. Wien 2009, ISBN 978-3-9501575-1-2, S. 107–120, hier S. 110–111.
  2. Vija Daukšte: Die Bildung als politischer Faktor in der Geschichte Lettlands. Die Bauernschul- und Bildungspolitik der deutschbaltischen Ritterschaften im 19. Jahrhundert. In: Imbi Sooman, Stefan Donecker (Hg.): The „Baltic Frontier“ revisited. Power structures and cross-cultural interactions in the Baltic Sea Region. Wien 2009, ISBN 978-3-9501575-1-2, S. 107–120, hier S. 112–115.
  3. Gvido Straube: Zur Revision lettischer Sichtweisen auf die Livländische Ritterschaft. In: Vija Rozentāle, Pārsla Pētersone (Berab.): Vidzemes bruņniecība un Latvija. Izstādes katalogs = Livländische Ritterschaft und Lettland. Ausstellungskatalog. Cēsu vēstures un mākslas muzejs, Cēsis 2020, S. 38–45, hier S. 45.
  4. C. von Rautenfeld: Die livländischen Landmarschälle von 1643 bis 1899. Mit einer Einleitung von Friedrich Bienemann. In: Baltische Monatsschrift 47, 1899, S. 145–212; Georg von Krusenstjern: Die Landmarschälle und Landräte der Livländischen und der Öselschen Ritterschaft in Bildnissen. Hamburg 1963.