Das auf Élie Cartan zurückgehende Cartan-Kriterium ist ein mathematischer Satz aus der Theorie der Lie-Algebren, der ein Kriterium für die Auflösbarkeit einer Lie-Algebra darstellt. Das sich daraus ergebende Kriterium für Halbeinfachheit wird oft ebenfalls Cartan-Kriterium genannt. Manche Autoren sprechen daher genauer vom Cartan-Kriterium für Auflösbarkeit und vom Cartan-Kriterium für Halbeinfachheit.

Definitionen

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Für einen endlichdimensionalen Vektorraum   bezeichne   die Spur des Endomorphismus   auf   und   die allgemeine lineare Lie-Algebra über  , das ist die Lie-Algebra aller Endomorphismen mit der Kommutatorklammer.

Für eine Lie-Algebra   bezeichne   die von allen Kommutatoren   erzeugte Lie-Unteralgebra von  . Das kann man iterieren, indem man   definiert. Eine Lie-Algebra   heißt auflösbar, falls es ein   mit   gibt. Schließlich sei   die adjungierte Darstellung, die jedes   auf den Endomorphismus   abbildet.

Cartan-Kriterium für Auflösbarkeit

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Es seien   ein endlichdimensionaler Vektorraum über einem Körper der Charakteristik 0 und   eine Lie-Unteralgebra von  . Dann sind folgende Aussagen äquivalent:[1][2][3][4]

  •   ist auflösbar.
  •   für alle   und  .

Korollar zum Satz

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Für eine endlichdimensionale Lie-Algebra   über einem Körper der Charakteristik 0 sind folgende Aussagen äquivalent:

  •   ist auflösbar.
  •   für alle   und  .

Ist nämlich   auflösbar, so auch das homomorphe Bild   und wegen   folgt die genannte Bedingung aus obigem Satz. Ist umgekehrt die Bedingung erfüllt, so folgt aus obigem Satz, dass   auflösbar ist. Da der Kern der adjungierten Darstellung das Zentrum der Lie-Algebra ist und dieses als abelsche Lie-Algebra trivialer Weise auflösbar ist, folgt insgesamt die Auflösbarkeit von  .

Verwendet man die Definition der Killing-Form  , so kann die Bedingung in obigem Korollar auch kurz als   geschrieben werden.

Cartan-Kriterium für Halbeinfachheit

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Für eine endlichdimensionale Lie-Algebra   über einem Körper der Charakteristik 0 sind folgende Aussagen äquivalent:[5][6]

Bemerkungen

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Das oben vorgestellte Cartan-Kriterium für Auflösbarkeit wird dazu verwendet, das ebenfalls auf Cartan zurückgehende Kriterium für Halbeinfachheit zu beweisen, es wird aber nicht von allen Autoren so bezeichnet. Die unten genannten Lehrbücher von Humphreys oder Hilgert-Neeb nennen das Kriterium für Auflösbarkeit einfach das Cartan-Kriterium und schreiben das Halbeinfachheitskriterium nicht ausdrücklich Cartan zu, während beispielsweise die Autoren Sagle-Walde oder Knapp die hier vorgestellten Satzbezeichnungen verwenden.

Die Kriterien gelten nicht im Falle positiver Charakteristik des Grundkörpers. Ist   für eine Primzahl   und   die Witt-Algebra   mit kanonischer Basis   und Produkt  , so ist   eine einfache Lie-Algebra, deren Killing-Form 0 ist.[7] Damit ist   für beide Kriterien ein Gegenbeispiel: Wäre das Cartan-Kriterium für Auflösbarkeit hier richtig, wäre die Bedingung wegen des Verschwindens der Killing-Form trivialer Weise erfüllt und die Algebra müsste auflösbar sein, sie ist aber einfach. Wäre das Cartan-Kriterium für Halbeinfachheit hier gültig, so müsste die Killing-Form der einfachen und somit halbeinfachen Algebra   nicht-degeneriert sein, sie verschwindet aber identisch.

Einzelnachweise

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  1. Joachim Hilgert, Karl-Hermann Neeb: Lie-Gruppen und Lie-Algebren, Vieweg, 1999, ISBN 3-528-06432-3
  2. James E. Humphreys: Introduction to Lie Algebras and Representation Theory, Berlin, New York: Springer-Verlag (1972), ISBN 978-0-387-90053-7, Kapitel II, 4.3: Cartan's Criterion
  3. Arthur A. Sagle, Ralph Walde: Introduction to Lie groups and Lie algebras, Academic Press (1973), ISBN 0-080-87366-9, Satz 12.16
  4. Anthony W. Knapp: Lie Groups Beyond an Introduction, Birkhäuser (2002), ISBN 0-8176-4259-5, Satz 1.46.
  5. Arthur A. Sagle, Ralph Walde: Introduction to Lie groups and Lie algebras, Academic Press (1973), ISBN 0-080-87366-9, Satz 12.17
  6. Anthony W. Knapp: Lie Groups Beyond an Introduction, Birkhäuser (2002), ISBN 0-8176-4259-5, Satz 1.45
  7. Dmitriy Rumynin: Modular Lie Algebras, Lecture Notes 2010