Theater an der Ruhr
Das Theater an der Ruhr wurde 1980 von dem italienischen Regisseur Roberto Ciulli und dem Dramaturgen Helmut Schäfer als gGmbH in Mülheim an der Ruhr gegründet. Die Stadt Mülheim wurde ebenfalls Mehrheitsgesellschafter der gGmbH.[1] Das Konzept war eine künstlerische und wirtschaftliche Alternative zum herkömmlichen Modell kommunaler Bühnen, da ein im Vergleich hoher Eigenanteil bis heute zur Finanzierung des Etats durch Gastspiele und Drittmittel eingeworben wird. Die internationale Theaterarbeit und die Stiftung transkultureller Diskurse ist eine wesentliche konzeptionelle Säule des Theater an der Ruhr. 2001 wurde Sven Schlötcke Mitglied der künstlerischen Leitung, der u. a. professionelle Projekte für ein junges Publikum etabliert hat.
Seit 2019 besteht die künstlerische Leitung des Theater an der Ruhr aus dem Regisseur Philipp Preuss sowie den Dramaturgen Helmut Schäfer und Sven Schlötcke, der zudem Geschäftsführer ist.[2]
Spielorte sind seit 1981 die Mülheimer Stadthalle und das Theater an der Ruhr im Raffelbergpark, das in den 90er Jahren mit Mitteln des Landes Nordrhein – Westfalen saniert und zu einem vollwertigen Theater umgebaut wurde. Darüber hinaus spielt das Theater auf zahlreichen Bühnen im In- und Ausland.[3]
GeschichteBearbeiten
1981 wurde das Theater an der Ruhr von Roberto Ciulli, Helmut Schäfer und Gralf-Edzard Habben gegründet. Die erste Premiere war Lulu von Frank Wedekind im November 1981. Von Beginn an waren die Inszenierungen so konzipiert, dass sie gastspielfähig waren. Die Gastspielreisen dienten in den ersten zwei Jahrzehnten auch wesentlich der Finanzierung des Theaters.
1988 wurde es von der Fachzeitschrift Theater heute zum Theater des Jahres gewählt, zudem zum Berliner Theatertreffen mit den Inszenierungen „Tote ohne Begräbnis“ (Sartre) und Peter Handkes „Kaspar“ eingeladen, Regie Roberto Ciulli.
Internationale TheaterarbeitBearbeiten
Das Theater im Ausland:
Einen großen Stellenwert hat die internationale Arbeit des Theaters, die von Anbeginn den Austausch favorisierte.
1983 erhielt das Theater an der Ruhr die erste Einladung ins Ausland auf das Theaterfestival in Parma (Italien) mit der Inszenierung des Sommernachtstraums von William Shakespeare. Ebenfalls 1983 gastiert das Theater mit Sommernachtstraum nach Zagreb und dem Belgrader Festival BITEF, die Inszenierung wird vom jugoslawischen Fernsehen aufgezeichnet. Die entstandenen Kontakte sorgen dafür, dass das Theater an der Ruhr 1985 das erste bundesdeutsche Theater sein wird, das in Jugoslawien auf Tournee geht, die jugoslawische Schauspielerin Gordana Kosanovic war Gründungsmitglied des Theater an der Ruhr.
Wichtige weitere Auslandstourneen: 1988 in Polen, 1990 in der Türkei, 1992 in Südamerika, 1994 wieder in der Türkei und erstmals in Russland, 1996 in Schweden, 2001 in Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und Turkmenistan, sowie 2012 Kurdistan.
Zahlreiche Einladungen zu Theaterfestivals führten das Theater u. a. 1985 nach Athen (Griechenland), 1998 nach Bogotá (Kolumbien) und 1999, 2000, 2001, 2004 und 2007 nach Teheran (Iran), 2013 nach Bejaia und Algier (Algerien) oder 2018 nach Budapest (Ungarn) und Neapel (Italien). Das Theater an der Ruhr war das erste westliche Theater, das nach der islamischen Revolution im Iran auftrat. Es folgten bis in die Gegenwart weitere Einladungen in verschiedene Länder.
Zu Gast im Theater an der Ruhr:
Das Theater an der Ruhr organisierte zahlreiche internationale Festivals in den letzten 30 Jahren. Außerdem gab es dem Roma-Theater Pralipe Asyl, als es in den 90er Jahren vom Bürgerkrieg geprägten Jugoslawien nicht mehr existieren konnte.[4] 2016 gründete sich das syrische Kollektiv Ma’louba am Theater an der Ruhr und erarbeitet hier seine Inszenierungen.[5]
Wichtige InszenierungenBearbeiten
Regie führte jeweils Roberto Ciulli:
- Lulu von Frank Wedekind (1981)
- Der Zyklop von Euripides (1981)
- Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare (1982)
- Gott von Woody Allen (1982)
- Die Möwe von Anton P. Tschechow (1984)
- Dantons Tod von Georg Büchner (1986), (2004) und (2008)
- Tote ohne Begräbnis von Jean-Paul Sartre (1987)
- Der kroatische Faust von Slobodan Šnajder (1987)
- Kaspar von Peter Handke (1987)
- Die Bakchen von Euripides (1988)
- Warten auf Godot von Samuel Beckett (1989)
- Der Diener zweier Herren von Carlo Goldoni (1994)
- Titus Andronicus von William Shakespeare (2002)
- Die Wände von Jean Genet (2003)
- Es geht immer besser, besser - immer besser ... Ein Tanzvergnügen von Ödön von Horváth (2004)
- Dona Rosita von Federico García Lorca (2005)
- König Lear von William Shakespeare (2006)
- Der Hausschrat von Wilhelm Genazino (Uraufführung 13. Februar 2007)
- Verrückt von Eduardo De Filippo (Premiere am 13. Dezember 2007)
- Diese Gespenster von Eduardo De Filippo (Premiere am 14. Dezember 2007)
- Die Kunst der Komödie von Eduardo De Filippo (Premiere am 15. Dezember 2007)
- Die Treppe nach Oben/Stairs to the Roof von Tennessee Williams (Deutsche Erstaufführung 27. November 2008)
- FASSBINDER (Nur eine Scheibe Brot/Der Müll, die Stadt und der Tod/Blut am Hals der Katze) von Rainer Werner Fassbinder (2009)
- Sirenengesang von Péter Nádas (2010)
- KAOS nach Novellen von Luigi Pirandello (2011)
- Verbrechen von Luigi Pirandello (2011)
- Immer noch Sturm von Peter Handke (2012)
- Woyzeck von Georg Büchner (2012)
In der Regie von Thomaspeter Goergen, seit 2004 Regiemitarbeiter von Roberto Ciulli, seit 2007 Regisseur am Haus:
- Die Unterrichtsstunde (La Leçon) von Eugène Ionesco (Premiere 2. Februar 2007)
- Der Vater von August Strindberg (Premiere 4. April 2008)
- Helden von Ewald Palmetshofer (Uraufführung 20. März 2009)
- Das Liebekonzil nach Oskar Panizza und Heinrich Lautensack (Premiere 15. September 2010)
In der Regie von Simone Thoma, seit 1993 Schauspielerin am Haus:
- Traumnovelle von Arthur Schnitzler (Premiere am 16. Dezember 2010)
In der Regie von Karin Neuhäuser:
- Was ihr wollt von William Shakespeare (Premiere am 21. September 2011)
- Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück von Gotthold Ephraim Lessing (2012)
In der Regie von Friederike Felbeck, Regisseurin, von 1995 bis 2000 Regiemitarbeiterin am Haus,
- Schweinestall von Pier Paolo Pasolini (Premiere am 13./14. September 2000)
- Marie und Bruce von Wallace Shawn (Premiere am 15. Dezember 2001)
JugendarbeitBearbeiten
In den frühen 2000er Jahren erweitert das Theater an der Ruhr seine Jugendarbeit, nun werden auch professionell erarbeitete Inszenierungen Teil des Programms, die für junge Zuschauer gemacht sind; dies verstärkte die Zusammenarbeit mit den Schulen in der Region, von denen einige Partnerschaftsverträge mit dem Theater geschlossen haben.
Zur gleichen Zeit entwickeln einzelne Gruppen von Jugendlichen unter theaterpädagogischer Anleitung mehrere Produktionen, deren Vorstellungen am Ende der Theatersaison zu sehen sind.
FördervereinBearbeiten
Der Förderverein des Theater an der Ruhr, gegründet 1986, verleiht jährlich den Gordana-Kosanović-Schauspielerpreis.[6] Er fördert zudem die internationale Arbeit des Theaters sowie Projekte, die von oder für Jugendliche entwickelt werden.
VerschiedenesBearbeiten
Am 2. Juli 2012 wurde das umfangreiche Archiv des Theaters (Fotografien, Programmhefte, Plakate und Inszenierungsdokumente) offiziell an die Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln übergeben und damit öffentlich zugänglich gemacht.[7]
2021 wurde das Theater als eines von 11 Theatern mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. Die Würdigung war mit einem Preisgeld von 75.000 Euro verbunden.[8]
LiteraturBearbeiten
- Heinz-Norbert Jocks: Moderne und Mythos. Das Spiel um Kunst und Leben. Eine Liebeserklärung an das Theater an der Ruhr Theater Heute, Heft 6 Juni 1988, S. 4–11, Berlin 1988, ISSN 0040-5507.
- Frank Raddatz: Botschafter der Sphinx: Zum Verhältnis von Ästhetik und Politik am Theater an der Ruhr. Theater der Zeit, Berlin 2006, ISBN 978-3-934344-76-1.
- Alexander Wewerka, Jonas Tinius (Hrsg.): Der fremde Blick – Roberto Ciulli und das Theater an der Ruhr. Gespräche, Texte, Fotos, Material. Zwei Bände. Alexander Verlag, Berlin, 2020, ISBN 978-3-89581-491-4
WeblinksBearbeiten
- Theater an der Ruhr
- Clowns in der Nacht, Film zu Ciullis Regiearbeit
- Augenblick Polen, Film zur Gastspielreise in Polen
- Filmtheatertrailer bei crew united
EinzelnachweiseBearbeiten
- ↑ Impressum - Theater an der Ruhr. Abgerufen am 13. Februar 2023.
- ↑ Über das Theater: Profil. In: theater-an-der-ruhr.de. Abgerufen am 10. Dezember 2022.
- ↑ Geschichte - Profil - Theater an der Ruhr. Abgerufen am 13. Februar 2023.
- ↑ Das Roma-Theater »Pralipe« - RomArchive. Abgerufen am 13. Februar 2023.
- ↑ Malouba: Über uns. Abgerufen am 13. Februar 2023.
- ↑ Gordana-Kosanovic-Schauspielerpreis, auf kulturpreise.de, abgerufen am 1. Dezember 2022
- ↑ "Theater an der Ruhr" : Archivübergabe an die Uni Köln, General-Anzeiger vom 2. Juli 2012, abgerufen am 1. Dezember 2022
- ↑ Theaterpreis des Bundes 2021. In: iti-germany.de. Abgerufen am 6. Juli 2021.
Koordinaten: 51° 26′ 21″ N, 6° 49′ 25″ O