Die Exponentialfunktion als motivierendes BeispielBearbeiten
Als einfaches Beispiel betrachten wir folgende Fragestellung: Welche Funktion ergibt abgeleitet ein Vielfaches dieser Funktion? Als Gleichung:
Diese gewöhnliche Differentialgleichung 1. Ordnung ist eindeutig lösbar, wenn noch eine Anfangsbedingung festgelegt wird:
Für setzen wir nun eine Potenzreihe an:
Die Anfangsbedingung übersetzt sich zu , weil .
Die Ableitung von ist folglich:
Eingesetzt in obige Differentialgleichung heißt das:
Da dies für alle gelten soll, müssen die Koeffizienten vor usw. gleich sein. Folglich ist: usw.
Dies lässt sich umstellen und einsetzen: , , .
Allgemein ist:
Zur theoretischen Begründung dieses Verfahrens sollte man bereits im Vorfeld wissen, dass es eine holomorphe Lösung gibt, das heißt eine Lösung, die sich in eine Potenzreihe entwickeln lässt.
Natürlich kann man das einfach annehmen, auf Basis dieser Annahme wie im einleitenden Beispiel eine Lösung konstruieren und dann diese durch Einsetzen prüfen. Kann man aber die Rekursion der Koeffizienten nicht auflösen und kann man nur einige Koeffizienten berechnen, so hat man ein Polynom als Approximation einer möglichen Lösung, aber das ist nur sinnvoll, wenn die Existenz einer holomorphen Lösung gesichert ist. Das liefert der folgende Satz:
Satz: Seien sowie gegeben und holomorph, wobei und . Dann existiert genau eine holomorphe Lösung des Anfangswertproblems
Der durch den Satz zugesicherte Konvergenzradius von kann also kleiner sein als der tatsächliche Konvergenzradius der Lösung, der im vorliegenden Beispiel bekanntlich unendlich ist. Der Identitätssatz für holomorphe Funktionen zeigt dann, dass die gefundene Lösung auch außerhalb des Konvergenzradius noch das Anfangswertproblem löst, solange man in einer zusammenhängenden Umgebung des Konvergenzkreises noch bilden kann.
Insbesondere zeigt dieser Satz, dass der Potenzreihenansatz im Falle holomorpher rechter Seite des Anfangswertproblems zum Erfolg führt.
Um die weitere Rechnung einfacher zu gestalten, wurde in diesem Ansatz im Vergleich zum letzten Beispiel ein Faktor eingeführt.
Folglich ist:
Eingesetzt in die Differentialgleichung heißt das:
Der Koeffizientenvergleich ergibt für die konstanten Terme (): und für alle weiteren ():
.
Multiplikation mit ergibt:
, d. h.
.
Sind die Koeffizienten und bspw. aus Anfangsbedingungen bekannt, dann lassen sich alle weiteren Koeffizienten berechnen und ggf. als Reihe zusammenfassen.
Die analytische Lösung der Differentialgleichung lautet also:
Earl A. Coddington, Norman Levinson: Theory of Ordinary Differential Equations. McGraw–Hill, New York 1955.
Einar Hille: Ordinary Differential Equations in the Complex Plane, Dover Publications, Mineola, New York, 1976
Gerald Teschl Ordinary Differential Equations and Dynamical Systems, publisher=American Mathematical Society, Providence, Rhode Island, 2012, ISBN 978-0-8218-8328-0, pdf