Gustav Riek

deutscher Prähistoriker

Johannes Gustav Riek (* 23. Mai 1900 in Stuttgart; † 1. November 1976 ebenda)[1] war ein deutscher Prähistoriker. Neben seinen Verdiensten für die Urgeschichte Baden-Württembergs steht seine Verstrickung in Verbrechen im Dritten Reich, an denen er als SS-Hauptsturmführer im SS-Sonderlager Hinzert beteiligt war.

Gustav Riek

Wissenschaftlicher Werdegang Bearbeiten

Nach einem Studium der Geologie war Riek zunächst wissenschaftlicher Assistent in Halle (Saale), dann am Urgeschichtlichen Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen. 1931 grub er in der Bärenhöhle im Wolfstal bei Lauterach, wo Funde aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit zutage traten. Anschließend im selben Jahr leitete er die Ausgrabungen in der Vogelherdhöhle im Lonetal. Die Publikation in einer Monographie festigte seinen Ruf als Wissenschaftler.[2] 1934 habilitierte er sich mit dieser Arbeit und erhielt die Lehrbefugnis für Ur- und Frühgeschichte, gleichzeitig wurde er Privatdozent an der Universität Tübingen. 1935 wurde er außerordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Ur- und Frühgeschichte.

1937 trat Riek der SS (Mitgliedsnummer 289.678) bei[3] und arbeitete in den Folgejahren im SS-Ahnenerbe mit.[4] Seine Forschungen standen im Zeichen der NS-Ideologie und wurden vor allem unter dem Gesichtspunkt germanischer Vorgeschichtsforschung gefördert. Die Untersuchungen auf dem Hohmichele, eines Grabhügels der Hallstattzeit, standen „unter dem Schutz des RFSS, des Reichsführers SS“ Heinrich Himmler. Ein SD-Dossier von 1938 wies Riek als „politisch und weltanschaulich unbedingt zuverlässigen“ „alten Nationalsozialisten“ aus.

Funktionsträger im Dritten Reich Bearbeiten

Bereits 1929 wurde Riek Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 142.993).[3] Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten trat er 1933 zusätzlich der SA bei.[4]

Von Januar 1940 bis März 1942 war er im SS-Sonderlager Hinzert bei Hermeskeil im Hunsrück zunächst als SS-Obersturmführer der Waffen-SS, dann als Hauptsturmführer eingesetzt. Dieser Dienstgrad entsprach einem Hauptmann der Wehrmacht, nach dem Kommandanten und dessen Stellvertreter hatte er damit den dritthöchsten SS-Rang im Lager inne. Riek war für die „politische Schulung“ der Häftlinge zuständig.[4] Im deutsch besetzten Luxemburg konnte er zur selben Zeit auf der Aleburg bei Befort archäologische Ausgrabungen durchführen; er pendelte also zwischen der Ausgrabung bei Befort und dem SS-Sonderlager Hinzert.

Laut Alexandra Gatzen war Riek im Herbst 1941 im SS-Sonderlager Hinzert an der Ermordung von siebzig sowjetischen Soldaten aus dem Kriegsgefangenenlager Baumholder durch Zyankali-Injektionen beteiligt.[5] Riek sperrte mit den Soldaten der Wachkompanie alle zum Lager führenden Straßen und sonstigen Zugänge, und ein anderer Teil der Wachkompanie riegelte im nahegelegenen Wald das Massengrab ab, das zur Beseitigung der Leichen ausgehoben worden war. Soldaten der Wachkompanie waren auch innerhalb des Lagers am Transport der Leichen zu einem LKW beteiligt.[6] Rieks Wachkompanie sollte offenbar die Zeugenschaft von Passanten auf der am Lager vorbeiführenden öffentlichen Straße an der Mordaktion gegen die sowjetischen Kriegsgefangenen verhindern. Im Dezember 1961 wurde Riek dazu im Verfahren gegen Josef Brendel und Werner Fenchel aus dem SS-Sonderlager Hinzert vor dem Schwurgericht bei dem Landgericht in Trier als Zeuge angehört, aber nicht selbst angeklagt.[7]

Forschungstätigkeit nach 1945 Bearbeiten

Nach dem Krieg war er erst Kriegsgefangener und dann bis 1948 interniert. Anschließend blieb ihm die Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit verwehrt, so dass für die prähistorische Archäologie in Tübingen Kurt Bittel und dann Wolfgang Kimmig berufen wurden.[8] 1956 wurde Riek wieder außerordentlicher Professor[3] und war bis 1968 Professor für Urgeschichte an der Universität Tübingen. Von 1955 bis 1964 führte er Ausgrabungen in der Nähe von Blaubeuren durch. In der Brillenhöhle (1955–1963), dem Hohlefels (1958–1961) sowie in der Großen Grotte bei Blaubeuren (1959–1964) wurden dabei bedeutende Fundschichten des Mittel- und Jungpaläolithikums untersucht. Im Helga-Abri oberhalb des Hohlefels (1958–1960) wurden Funde des Spätglazials der Würmeiszeit und des Mesolithikums entdeckt.

1965 regte er die Gründung des Urgeschichtlichen Museums Blaubeuren an. Auf Riek geht die bis heute enge Zusammenarbeit zwischen dem Museum und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen zurück.[9]

1966 wurde Gustav Riek zum Ordinarius des Tübinger Instituts ernannt, im Jahr darauf emeritiert.[4]

Familie Bearbeiten

Riek heiratete am 20. März 1934 Eleonore Cailloud (* 1905), aus der Ehe gingen die Söhne Roland (* 1936) und Ludolf (* 1940) hervor.[1]

Schüler Bearbeiten

Die Mammutjäger vom Lonetal Bearbeiten

Wie das Zusammentreffen von Cro-Magnon-Menschen („modernen“ Menschen) und Neandertalern seiner Ansicht nach abgelaufen sein könnte, schilderte Riek in seiner 1934 erschienenen Erzählung Die Mammutjäger vom Lonetal.[10] Die Prähistorikerin Miriam Haidle schreibt darüber: „In dieser Geschichte sind die modernen Menschen aufgrund ihrer höheren Kinderzahl gezwungen, als ‚Volk ohne Raum‘ die ortsansässigen, zwar freundlichen, aber von der Intelligenz her deutlich unterlegenen Neandertaler zu verdrängen. Ohne größere Abneigung, mehr aus dem Gefühl der Notwendigkeit eines unbevölkerten Lebensraums heraus werden die Neandertaler in schnellen und kurzen Angriffen ausgerottet.“[11] Die Handlung trägt deutliche Züge einer rassistischen Ideologie. Nach heutigem Stand der Wissenschaft sind kriegerische Auseinandersetzungen zwischen modernen Menschen und Neandertalern nicht zu beweisen. Es sind bislang keine Skelette mit entsprechenden Verletzungen bekannt.[11]

Publikationen (Auswahl) Bearbeiten

  • Kulturbilder aus der Altsteinzeit Württembergs (1935).
  • Der Hohmichele. In: Robert Wetzel / Hermann Hoffmann (Hgg): Wissenschaftliche Akademie Tübingen des NSD.-Dozentenbundes, Band 1: 1937, 1938, 1939, Tübingen: Mohr 1940, S. 131–139.
  • Ein Fletthaus aus der Wende ältere-jüngere Hunsrück-Eifel-Kultur bei Befort in Luxemburg. Germania 26, 1942, S. 26–34.
  • Das Paläolithikum der Brillenhöhle bei Blaubeuren. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Bad.-Württ. 4/1, Stuttgart 1973.
  • Drei jungpaläolithische Stationen am Bruckersberg in Giengen an der Brenz. Veröff. Staatl. Amt Denkmalpfl. Stuttgart A 2, Stuttgart 1957.
  • Der Hohmichele. Ein Fürstengrabhügel der späten Hallstattzeit. Heuneburgstudien 1. Röm.-German. Forsch. 26, Berlin 1962.
  • Die Eiszeitjägerstation am Vogelherd im Lonetal, Bd. I: Die Kulturen. Akademische Verlagsbuchhandlung Franz F. Heine, Tübingen, 1934.
  • Die Mammutjäger vom Lonetal (Erzählung) Stuttgart, 1934. Neuauflagen: Ulm 2000, Bad Schussenried (Gerhard Hess Verlag) 2010, 2014 ISBN 978-3-87336-462-2.

Literatur Bearbeiten

  • Hansjürgen Müller-Beck: Ein schwäbischer Urgeschichtler und sein Reichsführer: Professor Dr. Gustav Riek. In: Wolfgang Proske (Hrsg.): Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus Baden-Württemberg, Band 2: NS-Belastete aus dem Raum Ulm/Neu-Ulm. Ulm : Klemm + Oelschläger, 2013, ISBN 978-3-86281-008-6, S. 150–162
  • E. Wagner: Fundberichte aus Baden-Württemberg 3, 1977, 617–618.
  • Raymond Waringo: Die „Aleburg“ bei Befort. In: Beaufort im Wandel der Zeiten Bd. 1, Beaufort 1993, S. 55–82. ISBN 2-919985-00-0 (Hier: Das SS-Sonderlager Hinzert und die Rolle Rieks in Hinzert S. 77–81.)
  • Michael Strobel: Lebendige und völkische Vorzeit. Ein Beitrag zur Geschichte der prähistorischen Archäologie in Württemberg zwischen 1918 und 1945 In: Christoph Kümmel u. a. (Hrsg.): Archäologie als Kunst. Darstellung – Wirkung – Kommunikation. Tübingen 1999, hierzu S. 76 Anm. 48.
  • Uta Halle: „Der Reichsführer SS wird sich für positive Ergebnisse an den Externsteinen stark interessieren.“ Die Mittelalterarchäologie im Spannungsfeld nationalsozialistischer Forschung und Propaganda. In: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 12, 2001, Internet-Veröffentlichung
  • Albert Pütz: Das SS-Sonderlager/KZ Hinzert 1940–1945: Angehörige der ehemaligen Lager-SS, Gestapo und NS-Justiz vor Gericht. Teil 2; Frankfurt am Main: Lang, 2001; ISBN 3-631-37679-0.
  • Achim Leube / Morten Hegewisch (Hrsg.): Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945. Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2, Heidelberg 2002. [Auf Riek wird besonders in den Beiträgen von Michael Strobel (282, 283) und Laurent Oliver (591–594) eingegangen].
  • Hans-Peter Kuhnen (Hrsg.): Propaganda. Macht. Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus. Schriftenreihe des Rheinischen Landesmuseums Trier 24 Trier 2002.
  • Alexandra Gatzen: Die Ausgrabung auf der Aleburg bei Befort im Jahre 1941. In: L'archéologie nationale-socialiste dans les pays occupés a l'Ouest du Reich. Actes de la table ronde internationale “Blut und Boden” tenue à Lyon (Rhône) dans le cadre du Xe congrès de la European Association of Archaeologists (EAA), les 8 et 9 septembre 2004 / sous la dir. de Jean-Pierre Legendre, Laurent Olivier. Gollion, Infolio, 2007, S. 257–270. ISBN 978-2-88474-804-9.
  • Alexandra Gatzen: Johann Gustav Riek. In: L'archéologie nationale-socialiste dans les pays occupés a l'Ouest du Reich. Actes de la table ronde internationale “Blut und Boden” tenue à Lyon (Rhône) dans le cadre du Xe congrès de la European Association of Archaeologists (EAA), les 8 et 9 septembre 2004 / sous la dir. de Jean-Pierre Legendre, Laurent Olivier. Gollion, Infolio, 2007, S. 457 f. ISBN 978-2-88474-804-9.
  • Martijn Eickhoff, Uta Halle, Jean-Pierre Legendre und Otto H. Urban: Die Fortsetzung der archäologischen Karrieren. In: Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz. Herausgegeben vom Focke-Museum [Bremen] unter Mitarbeit von Sandra Geringer u. a. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Focke Museum – Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, 10. März bis 8. September 2013. Bremen und Stuttgart 2013, S. 164–171.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Sibylle Wolf, Benjamin Schürch, Jens Axel Frick, Michael Seifert: Der abenteuerliche Weg der Vogelherd-Figurinen – von ihrer Auffindung bis heute. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte, Band 30, 2021. Kerns Verlag Tübingen, 2. August 2022, abgerufen am 21. August 2022.
  2. Gustav Riek: Die Eiszeitjägerstation am Vogelherd im Lonetal, Bd. I: Die Kulturen. Leipzig, 1934
  3. a b c Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 486.
  4. a b c d Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. aktualisierte Auflage, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 497.
  5. Gatzen (1) 2007, S. 259.
  6. Siehe dazu Pütz 2001, S. 146, S. 158f. und S. 159f. im dort faksimilierten Urteilstext des Verfahrens des Landgerichts Trier vom 24. Juli 1962 gegen Josef Brendel und Werner Fenchel (Seitenzählung darin S. 17, S. 29f. und S. 30f.). Pütz hat den Namen Riek zwar geschwärzt, jedoch steht aus dem geschilderten Zusammenhang des Urteilstextes die Person fest. Auf S. 146 bei Pütz bzw. S. 17 im Urteilstext heißt es: „SS-Hauptsturmführer Prof. Dr. R... hielt als 'Schulungsführer' politische Vorträge vor den 'Zöglingen' des Häftlingslagers. Die meiste Zeit hielt er sich jedoch zur Erledigung von Forschungsaufträgen (Ausgrabungen) in Luxemburg und Frankreich auf.“ Auf der Seite 158f. bzw. S. 29f. heißt es: „Gegen Abend erhielt der am Vortag von einem Forschungsvorhaben in Luxemburg zurückberufene SS-Hauptsturmführer Prof. Dr. R... vom Lagerkommandanten Pister den Befehl, mit Leuten der Wachkompanie alle zum Lager führenden Straßen und sonstigen Zugänge abzusperren. ... Dr. R... [hier der Titel so] will angenommen haben, die Gefangenen seien rechtmäßig verurteilt gewesen, da sie andernfalls nicht von der Wehrmacht an die SS übergeben worden seien. Innerlich habe er sich jedoch gegen diese Art [dieses Wort im Urteilstext unterstrichen] der Exekution („Abspritzen“) aufgelehnt“. Im Bundesarchiv in Berlin gibt es im Bestand NS 4 Hi einen fünfseitigen maschinenschriftlichen Bericht des „SS-Obersturmführers der Reserve“ Gustav Riek vom 26. Dezember 1940 über seine „Erziehungsmassnahmen“ gegenüber den „Zöglingen“ des Lagers, aber keine Aussage über das spätere Verbrechen.
  7. Der Aufsatz von Eickhoff u. a. 2013 spricht zwar vom „Anteil am NS-Terror“ von Riek (S. 169), bezeichnet jedoch weder den Mord an den sowjetischen Kriegsgefangenen vom Herbst 1941 im Lager Hinzert noch den Prozess von 1961 beim Landgericht Trier.
  8. Gatzen (2) 2007, S. 458.
  9. Eiszeitarchäologie auf der Schwäbischen Alb. Die Fundstellen im Ach- und Lonetal und in ihrer Umgebung, hrsg. von Nicholas J. Conard, Michael Bolus, Ewa Dutkiewicz und Sibylle Wolf, Kerns Verlag Tübingen, 2015, S. 257, ISBN 978 3 935751 24 7
  10. Gustav Riek: Die Mammutjäger vom Lonetal. Mit 26 Zeichnungen von Willy Planck und Zeichnungen nach Funden des Verfassers. Stuttgart, Thienemann, 1934.
  11. a b Miriam Haidle: Familientreffen, Konkurrenzkampf oder Techtelmechtel? Begegnungen zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen (Memento vom 2. Oktober 2013 im Internet Archive). In: Nicholas John Conard, Stefanie Kölbl, Wolfgang Schürle (Hrsg.): Vom Neandertaler zum modernen Menschen. Ostfildern, Jan Thorbecke Verlag, 2005. ISBN 3-7995-9087-0, S. 95–104.