Karl Lueger [luˈeːɡɐ] (* 24. Oktober 1844 in Wieden, heute Teil von Wien; † 10. März 1910 in Wien) war ein österreichischer Politiker, Gründer der Christlichsozialen Partei (CS) und von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister. Wegen seiner Bedeutung für die Entwicklung Wiens zu einer modernen Großstadt einerseits und seines Antisemitismus andererseits kommt es um seine Person bis heute zu teilweise heftigen Kontroversen.

Karl Lueger mit der Bürgermeisterkette (1897)

Leben vor der Politik Bearbeiten

Karl Lueger wurde in Wieden als Sohn des aus Neustadtl an der Donau stammenden Leopold Lueger und dessen Frau Juliane geboren. Sein Geburtshaus befindet sich am heute westlichen Teil des Hauptgebäudes der Technischen Universität am Karlsplatz, wo Luegers Vater als Saaldiener am Wiener Polytechnikum arbeitete. Lueger stammte aus ärmlichen Verhältnissen und besuchte die Theresianische Ritterakademie (das heutige Theresianum) in Wien als Externer. Er studierte danach Rechtswissenschaft und wurde 1870 zum Dr. iur. utr. promoviert. Er war Mitglied der katholischen Studentenverbindung KaV Norica Wien im CV. Ab 1874 war Lueger als Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei tätig und galt als Anwalt der „kleinen Leute“.

Politische Laufbahn Bearbeiten

 
Karl Lueger in historischem Kostüm mit Gnadenmedaille (Gemälde von Hermann Nigg, 1876)

Vor dem Bürgermeisteramt Bearbeiten

Dem Vorbild des jüdischen Arztes und Bezirkspolitikers Ignaz Mandl folgend, der in Luegers Wohnbezirk Landstraße als Abgott der „kleinen Leute“ galt, ging Lueger in die Politik und schloss sich zunächst Liberalen an. 1875 erhielt Lueger als „Nachrücker“ ein Mandat im Wiener Gemeinderat, welches er 1876 wieder verlor. 1878 wurder er erstmals selbst in den Gemeinderat gewählt, dem er von da an bis zu seinem Tod durchgehend angeörte.

Mit der 1885 auf kommunaler Ebene in Wien umgesetzten Herabsetzung des Steuerzensus von zehn auf fünf Gulden, für die Lueger sich sehr eingesetzt hatte, erlangten breite Schichten des unteren Mittelstandes das Wahlrecht.[1][2] Die verbreitete antiindustrielle, antikapitalistische und antisemitische Einstellung dieser, von zum Teil übermächtiger Konkurrenz bedrohten, Modernisierungsverlierer prägte auf lange Zeit die Ideologie der von Lueger gegründeten Partei, und Lueger bediente als begabter Demagoge die Bedürfnisse und Ängste seiner sprichwörtlich gewordenen „Fünf-Gulden-Männer“.[3]

1885 und 1891 wurde Lueger für den fünften Bezirk Wiens in den Reichsrat gewählt. Seit 1890 saß er im Landtag von Niederösterreich.

1888 schlossen sich bei den Wiener Gemeinderatswahlen Deutschnationale und Christlichsoziale unter dem Namen „Antisemitenliga“[4] zu einer Wahlgemeinschaft zusammen, die später auch als „Vereinigte Christen“ bekannt wurde. Auffallend an dieser Bewegung war das starke Hervortreten des niederen Klerus. Die soziale Frage, die Existenzmöglichkeit der Kleingewerbetreibenden beschäftigte das Denken dieser jungen Kapläne. Sie glaubten, die soziale Frage durch eine Lösung der „Judenfrage“ klären zu können. Eine Verbesserung der Lebenslage der Handwerker und Kleingewerbetreibenden war für sie nur durch eine antijüdische Gesetzgebung gegenüber den Wiener Juden zu bewerkstelligen.

Lueger bereitete mit Karl von Vogelsang, Aloys von Liechtenstein – die ihn beide politisch, insbesondere in seinem Antisemitismus, stark beeinflussten – und dem Theologen Franz Martin Schindler den 2. Österreichischen Katholikentag 1889 vor. Daraus entwickelten sich die „Enten-Abende“, benannt nach den regelmäßigen Diskussionsrunden im Hotel „Zur Goldenen Ente“, Riemergasse 4 im 1. Bezirk. Aus diesem Zirkel ging 1893 die von Lueger gegründete österreichische Christlichsoziale Partei (CS) als moderne Massenpartei hervor. Gestützt auf das durch Industrialisierung und Wanderungsbewegungen verunsicherten Wiener kleine und mittlere Bürgertum erlangte Lueger mit seiner antikapitalistischen, antiliberalen und antisemitischen Rhetorik breite Popularität.

Wahl zum Bürgermeister Bearbeiten

 
Anlässlich der Bestätigung Luegers durch Franz Joseph geprägte Medaillie

1895 wurde Lueger zunächst Vizebürgermeister der Stadt Wien unter Bürgermeister Raimund Grübl und später, als Grübl sein Amt niederlegte, dessen Nachfolger. Lueger hatte hierzu schon am 29. Mai die nötige Mehrheit (70 Stimmen), lehnte die Wahl aber ab. Der Gemeinderat wurde aufgelöst, womit auch Luegers Ratsmandat erlosch. Nach einer agitativen Kampagne wurde Lueger aber wieder in den Rat und am 29. Oktober mit nunmehr 93 Stimmen auch zum Bürgermeister Wiens gewählt.[5] Kaiser Franz Joseph, der die Gleichberechtigung aller Bürger unter einem Bürgermeister Lueger nicht gewährleistet sah, verweigerte ihm wegen seines Radau-Antisemitismus die erforderliche Bestätigung.

Der Rat stimmte am 13. November erneut mit deutlicher Mehrheit für Lueger. Der Kaiser blieb jedoch bei seiner Ablehnung, und zwar auch, als nach erneuter Auflösung des Rates Lueger am 18. April 1896 ein weiteres Mal zum Bürgermeister gewählt wurde. Nach einer Audienz beim Kaiser am 27. April verzichtete Lueger zunächst auf das Amt und der anschließend am 6. Mai gewählte Josef Strobach wurde vom Kaiser bestätigt. Lueger fand als Vizebürgermeister Zustimmung, galt jedoch gemeinhin als der eigentliche politische Entscheidungsträger.

Am 8. April 1897 wurde Lueger erneut zum Bürgermeister gewählt. Nach einer Intervention von Papst Leo XIII. gab der Monarch am 16. April 1897 sein Einverständnis und Lueger wurde im fünften Anlauf in das Amt des Bürgermeisters berufen.

Politik als Bürgermeister und Kommunale Projekte Bearbeiten

 
Karl Lueger mit Bürgermeisterkette (Alois Delug um 1900)
 
Wien, Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus (Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche)

Lueger war von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister. Gemeinsam mit seinen Gefolgsleuten etablierte er ein effizientes kommunales Machtsystem, das stark auf Ämterpatronage beruhte.

In seine Zeit als Bürgermeister fallen wesentliche Reformen und Bauvorhaben der Stadtverwaltung, mit denen Wien auf seine geplante Funktion als europäische Metropole von etwa vier Millionen Einwohnern vorbereitet werden sollte. Seine Amtszeit ist gekennzeichnet durch zahlreiche kommunale Großprojekte, etwa die II. Wiener Hochquellenwasserleitung, Kommunalisierung der Gas- und Elektrizitätsversorgung sowie der Straßenbahnen, Bau von großen Sozialeinrichtungen wie dem Versorgungsheim Lainz oder dem Psychiatrischen Krankenhaus am Steinhof.

Lueger hatte seine Wahlerfolge in Wien einem ungleichen Kurien- und Zensuswahlrecht zu verdanken. Es kam allerdings, dem Zug der Zeit entsprechend, zu weiteren Wahlrechtserweiterungen. Durch das cisleithanische Wahlreformgesetz vom 14. Juli 1896 wurde unter Ministerpräsident Graf Kasimir Felix Badeni der Mindestzensus auf vier Gulden gesenkt, und eine neue, allgemeine Kurie ohne Zensus eingeführt. 1907 wurden die ersten Reichsratswahlen mit allgemeinem gleichen Männer-Wahlrecht abeghalten.[6] Dies hätte, auf Wiener Gemeindeebene nachvollzogen, das Ende der Dominanz der Christlichsozialen im Wiener Gemeinderat bedeutet. Aus diesem Grund verzögerten Lueger und seine Nachfolger eine entsprechende kommunale Wahlreform bis zum Ende der Donaumonarchie. Noch vor dem Ersten Weltkrieg errang die von Lueger stets erbittert bekämpfte Sozialdemokratie die absolute Mehrheit der Stimmen in Wien, blieb aber aus Gründen des Wahlrechts bis 1919 von der kommunalen Regierungsverantwortung ausgeschlossen.

Krankheit, Tod und Begräbnis Bearbeiten

Lueger verstarb im Amt an den Folgen seiner Zuckerkrankheit. Hunderttausende nahmen an dem Trauerzug teil. Lueger liegt in der Kirchengruft 6 der sogenannten „Bürgermeistergruft“ der in seiner Amtszeit geplanten Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche (heute Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus) auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben. Die Popularität seiner Bewegung reduzierte sich nach seinem Tod erheblich.

Antisemitismus als Programm Bearbeiten

 
Rote Graffiti „Schande“ auf dem Denkmal am Dr.-Karl-Lueger-Platz in Anspielung auf die antisemitische Haltung Luegers, Sept. 2020

Lueger bekannte sich ab 1887 öffentlich zum Antisemitismus. Kapital und Börse sah Lueger als von „Geldjuden“ gelenkt, Zuwanderer bezeichnete er als „Betteljuden“ und kritische Journalisten als „Tintenjuden“. Der katholischen Kirche warf er vor, sich gegenüber dem „Gottesmördervolk“ zu zahm zu verhalten.

Lueger spielte geschickt einzelne Zuwanderergruppen gegeneinander aus – so konzentrierte er seine feindselige Rhetorik auf die Juden, die damals im Wiener Handel und den freien Berufen einen starken sozialen Aufstieg erlebten, während er die mehrheitlich proletarischen und katholischen „Böhmen“ explizit in Schutz nahm. In einer Rede am 20. Juli 1899 vor dem christlich-sozialen Arbeiterverein in Wien sagte Lueger:

„Der Einfluß auf die Massen ist bei uns in den Händen der Juden, der größte Teil der Presse ist in ihren Händen, der weitaus größte Teil des Kapitals und speziell des Großkapitals ist in Judenhänden und die Juden üben hier einen Terrorismus aus, wie er ärger nicht gedacht werden kann. Es handelt sich uns darum, in Österreich vor allem um die Befreiung des christlichen Volkes aus der Vorherrschaft des Judentums. (Lebhaftes Bravo! Redner mit erhobener Stimme:) Wir wollen auf dem Boden unserer Väter freie Männer sein und das christliche Volk soll dort herrschen, wo seine Väter geblutet haben. (Tosender Beifall.) Aller Zwist, auch der bei uns in Österreich herrscht, ist darum durch die Juden entfacht, alle Anfeindungen unserer Partei rühren daher, weil wir der Herrschaft der Juden endlich einmal zu Leibe gerückt sind. Darum sind Juden, Sozi und Deutschnationale jetzt so an der Arbeit, um den verhaßten Mann zu stürzen (Hoch Lueger!) und ihre Fahnen wieder auf dem Rathausturm aufzupflanzen. (Bravo!)“[7]

1901 zeigte der Advokat und Schriftsteller Adolf von Ofenheim Lueger wegen antisemitischer Äußerungen an.[8]

Der Historiker John W. Boyer fasst Luegers Antisemitismus folgendermaßen zusammen:

„Die antisemitische Rhetorik, deren Lueger sich in der Öffentlichkeit bediente, war krud, beleidigend und nicht selten herzlos. […] Dass das öffentliche Herumhacken auf den Juden eine abscheuliche Praxis war, dass sie unschuldigen Menschen eine psychologische Bürde auferlegte […] und dass sie ein Vorbild für künftige Politiker abgab, die eine viel stärkere Neigung hatten, die Dinge wörtlich zu nehmen, ist eine Last, die der österreichische ‚Christliche Sozialismus‘ auf ewige Zeiten mit sich herumschleppen muss.“

John W. Boyer: Karl Lueger – Christlich-Soziale Politik als Beruf, Wien 2010[9]

Édouard Drumont, einer der Väter des modernen Antisemitismus als Welterklärungsmodell und einer der Hauptvertreter des Antisemitismus in Frankreich, führte Lueger als Impulsgeber an.

Rezeption Bearbeiten

Zu Lebzeiten Bearbeiten

 
Ball im Wiener Rathaus mit Bürgermeister Karl Lueger (Gemälde von Wilhelm Gause, 1904)

Karl Lueger selbst betrieb schon zu Lebzeiten als eine der signifikantesten politischen Figuren in der Zeit der Entstehung der Massenparteien Legendenbildung und einen Kult um seine Person, der damals innovativ war.

Von Lueger gibt es zahlreiche Porträts, etwa von Wilhelm Gause, es gab auch Ansichtskarten, Karikaturen, Reliefs und vieles mehr. Lueger wurde sogar auf Altarbildern verewigt, meist vom Maler Hans Zatzka, dessen Bruder Ludwig Zatzka Stadtbaumeister im Kabinett Luegers war, etwa in den Kirchen in Lainz und in Hietzing. Die Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche (Karl-Borromäus-Kirche) am Wiener Zentralfriedhof wurde 1908–1911 von Max Hegele erbaut. Auf der Wandmalerei Das jüngste Gericht (auch von Hans Zatzka) ist Lueger im Totenhemd dargestellt. Für Lueger, der auch „Herrgott von Wien“ genannt wurde, verbreiteten Flugblätter 1896 ein Glaubensbekenntnis, das mit den Worten Ich glaube an Dr. Lueger, Schöpfer des christlichen Wiens beginnt, und ein Lueger-Vaterunser: Vater Lueger, der du wohnst in Wien, gelobet sei dein Name, beschütze unser christliches Volk (...) sondern erlöse uns von dem Juden-Übel. Amen.[10]

Lueger blieb unverheiratet, galt aber nicht zuletzt deswegen – seiner Anti-Feministischen Haltung zum Trotz – als Schwarm vieler Frauen. Die Illusion der „Verfügbarkeit“, kultivierte Lueger auch durch die Geheimhaltung seiner romantischen Beziehungen. Bei Wahlkampfveranstaltungen wurden sogenannte „Lueger-Teller“ als Unterlage für Würstel mit Senf ausgeteilt, die dem Esser durch das Porträt Luegers nach dem Verzehr am Teller anzeigten, wem sie das Essen verdankten. Es wurden mehrere[11][12] Lueger-Märsche komponiert und zu Lueger-Feiern aufgeführt. Lueger war schon zu Lebzeiten das Sujet literarischer Werke, etwa von Andreas Eckhart und Karl Conte Scapinelli.[13]

Luegers Name prägte und prägt auch den öffentlichen Raum in Wien, etwa durch Denkmäler und Büsten sowie zahlreiche Tafeln an Gebäuden mit der Inschrift „Errichtet unter Bürgermeister Karl Lueger“. 1907 erfolgte Umbenennung des Rathausplatzes in Karl-Lueger-Platz.

1910 bis 1933 Bearbeiten

Der Nimbus und die Popularität des „schönen Karl“, auch nach seinem Tod, spiegeln sich beispielhaft im so genannten „Lueger-Lied“ wider („Der Doktor Lueger hat mir einmal die Hand gereicht“), einem Chanson aus der Operette „Essig und Öl“ von Robert Katscher (1932), das in der Interpretation von Hans Moser berühmt wurde. Bezeichnenderweise wird der Sänger, ein alter Lebensmittelhändler (Greißler), dabei vom Bürgermeister als „Steuerträger“ angesprochen, zählt also zu den vom Zensuswahlrecht Privilegierten.

1926 wurde auf dem dafür so benannten Dr.-Karl-Lueger-Platz das von tausenden privaten Spendern[14] finanzierten Lueger-Denkmal von Josef Müllner aufgestellt.

Im Austrofaschismus Bearbeiten

 
2-Schilling-Münze von 1935

Karl Lueger war eine wichtige Identifikationsfigur für die Austrofaschisten. In den Jahren 1933 bis 1938 fanden am Lueger-Ehrenmal sowohl zu seinem Geburts-, als auch zu seinem Todestag festliche Kranzniederlegungen statt sowie Festgottesdienste in der Votivkirche im Beisein von Regierungsmitgliedern statt.[15]

Das Mammutdrama „Lueger, der große Österreicher“ von Hans Naderer wurde 1934 als am Wiener Volkstheater aufgeführt und auf Wunsch von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und Kardinal Innitzer in einer groß angelegten Werbekampagne propagiert.

Ebenfalls 1934 wurde der Abschnitt der Wiener Ringstraße zwischen Stadiongasse und Schottengasse in von der Ring des 12. November in Dr.-Karl-Lueger-Ring umbenannt. 1935 würde eine Doppelschillingmünze mit dem Porträt Luegers ausgegeben. 1936 wurde an seinem Geburtshaus eine Gedenktafel angebracht. 1938 eröffnete eine Lueger-Ausstellung im Rathaus.[16]

Im Nationalsozialismus Bearbeiten

 
Ehemalige Gedenktafel an der Geburtsstätte von Karl Lueger. Ansicht aus dem Jahr 2014. Bei Renovierungsarbeiten im Herbst 2015 versehentlich übermalt[17]

Karl Lueger war für Adolf Hitler eine prägende Figur. Er gilt neben Karl Hermann Wolf und Georg von Schönerer als einer der Politiker, von denen sich der junge Hitler das politische Handwerk abgeschaut hat.[18] In seinen Wiener Jahren beobachtet Hitler Lueger und nimmt sich insbesondere seine Demagogie zum Vorbild, während Luegers Antisemitismus ihm nicht weit genug geht. Auch Luegers Einbindung der mächtigen Institution der Kirche, die mehr auf Darstellung und Projektion beruhte als auf Glauben, beschäftigte den Atheisten Hitler.

Hitler selbst schrieb über Lueger:

„Jedenfalls lernte ich langsam den Mann und die Bewegung kennen, die damals Wiens Schicksal bestimmten: Dr. Karl Lueger und die christlich-soziale Partei. Als ich nach Wien kam, stand ich beiden feindselig gegenüber. Der Mann und die Bewegung galten in meinen Augen als ‚reaktionär‘. Das gewöhnliche Gerechtigkeitsgefühl aber mußte dieses Urteil in eben dem Maße abändern, in dem ich Gelegenheit erhielt, Mann und Werk kennenzulernen; und langsam wuchs die gerechte Beurteilung zur unverhohlenen Bewunderung. Heute sehe ich in dem Manne mehr noch als früher den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten.“

Adolf Hitler: Mein Kampf. S. 54–65.

1943 wurde der in den Wiener Rosenhügelstudios gedrehte NS-Propagandafilm „Wien 1910[19] (Karl Lueger, Bürgermeister von Wien) unter der Regie von E. W. Emo mit Rudolf Forster (Lueger), Heinrich George (Georg Ritter von Schönerer), Rosa Albach-Retty, Lil Dagover und O. W. Fischer uraufgeführt, in der Luegers als Hitler-Vorläufer verklärt wird. Eine Wiederaufführung des Films in den 1970er Jahren im Wiener Bellaria-Kino führte zu heftigen Protesten.

1944 brachten die Nationalsozialisten an der TU-Wien eine Gedenktafel für Karl Lueger an.

Heinrich Mann urteilte in seinen Memoiren: "Der Antisemitismus, dieser steckengebliebene Sozialismus des ‚dummen Kerls von Wien‘, wie man zur Zeit des Bürgermeisters Lueger sagte, ist endlich doch die ganze – die ganze – geistige Grundlage einer versuchten Welteroberung geworden."

Nach 1945 Bearbeiten

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts genoss Karl Lueger zwar nicht mehr den Kultstatus den er im Austrofaschismus und im NS-Regime innehatte, doch zeigt beispielsweise die Benennung der Dr.-Karl-Lueger-Brücke in Wien, dass seine Person und seine öffentlichen Ehrungen, beziehungsweise die von ihm vertretenen Anschauungen, nicht problematisiert wurden. Das änderte sich ab dem Jahr 2000, angestoßen durch Eric Kandel. 2012 wurde der nach ihm benannte Ring-Abschnitt in Universitätsring umbenannt. 2009 veranstaltete die Universität für Angewandte Kunst Wien einen inoffiziellen Wettbewerb um Ideen für die Umgestaltung des Lueger-Ehrenmals zu sammeln. Seither werden die Stimmen für eine Entfernung Ehrenmals vom Dr.-Karl-Lueger-Platz und eine Umbenennung des Platzes immer lauter.

Ehrungen Bearbeiten

 
Lueger-Ehrenmal auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz, Wien
 
Lueger Denkmal auf dem Gelände des Krankenhaus Lainz, Wien
 
Lueger-Denkmal auf dem Cobenzl, Wien
 
Leuchtobelisk am Mariahilfer Gürtel, Wien

Orden Bearbeiten

Ehrungen Bearbeiten

Denkmäler Bearbeiten

Bauten Bearbeiten

  • Wien: Lueger-Hof (benannt 1896)
  • Wien: Brunnen am Siebenbrunnenplatz (errichtet 1904)
  • Wien: Dr. Karl Lueger-Gedächtniskirche (Karl-Borromäus-Kirche) auf dem Wiener Zentralfriedhof. Auf der Wandmalerei „Das jüngste Gericht“ von Hans Zatzka ist Lueger im Totenhemd dargestellt (errichtet 1910)
  • Wien: Rolandbrunnen (errichtet 1913)
  • Neustadtl: Lueger-Kapelle (errichtet 1938)

Gedenktafeln Bearbeiten

  • Wien: Gedenktafel Lueger-Wohnhaus Penzinger Straße 72 (errichtet 1911)
  • Wien: Gedenktafel Lueger-Geburtshaus Hamburgerstraße 9 (errichtet 1936)
  • Wien: Karlsplatz, am westlichen Teil des Haupthauses der Technischen Universität (errichtet 1944)

Verkehrsflächen Bearbeiten

  • Eggenburg: Luegerring
  • Feldkirch: Luegerstraße (benannt 1910)
  • Fischbach: Luegerweg
  • Gasen: Luegerweg
  • Graz: Doktor-Karl-Lueger-Straße
  • Klagenfurt: Luegerstraße
  • Mariazell: Doktor-Karl-Lueger-Gasse
  • Sankt Gilgen: Luegerstraße
  • Sankt Gilgen: Lueger-Waldweg
  • Wien: Dr.-Karl-Lueger-Ring (1934–2012); heute Universitätsring
  • Wien: Dr.-Karl-Lueger-Platz (benannt 1926)
  • Wien: Dr. Karl-Lueger-Brücke (errichtet 1955)
  • Neubruck: Luegerbrücke der II. Wiener Hochquellenleitung, größtes Aquädukt der Leitung

Münzen Bearbeiten

  • Zwei-Schilling-Münze (1935), zum 25. Todestag[25]
  1. Ilse Reiter: Gustav Harpner (1864–1924): vom Anarchistenverteidiger zum Anwalt der Republik. Böhlau, Wien 2008 S. 23.
  2. Gemeinderat, Wiener. In: dasrotewien.at – Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie. SPÖ Wien (Hrsg.)
  3. Robert Maximilian Ascher: Der Schuhmeier. – Neunzehntes Kapitel.
  4. Antisemitenliga im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
  5. Karl Lueger: Dr. Luegers Bürgermeisterrede. In: Grazer Volksblatt, Nr. 250/1895 (XXVIII. Jahrgang), 31. Oktober 1895, S. 9 (unpaginiert). (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/gre
  6. Die “Fünfguldenmänner” und Eine fünfte Kurie, dann das allgemeine Wahlrecht für Männer auf parlament.gv.at, abgerufen am 30. November 2014.
  7. Weiningers Nacht, Europa-Verlag, Wien 1989
  8. Lueger und der Antisemitismus, www.wienbibliothek-digital.at, abgerufen am 22. September 2020.
  9. John W. Boyer: Karl Lueger (1844–1910). Böhlau Verlag Wien, 2010, ISBN 978-3-205-78366-4, S. 208. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  10. Eva Philippoff: Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Ein politisches Lesebuch. Presses Universitaires du Septentrion, 2002, ISBN 2-85939-739-6. Seite 123 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  11. Ablehnung und Verehrung. In: Wienbibliothek im Rathaus. Abgerufen am 25. November 2022.
  12. Burgenländisches Volksliedwerk: Die Sammlung. Böhlau Verlag Wien, 2005, ISBN 978-3-205-77265-1, S. 170. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  13. Harald D. Gröller: Die vielen Facetten des Personenkults um Karl Lueger.
  14. Franz Schausberger,Hannes Schönner: Gastkommentar - Wohin mit Karl Lueger und seinem Platz? Abgerufen am 27. Mai 2021.
  15. Elisabeth Heimann: Inszenierungsstrategien eines modernen Populisten. In: Zeitgeschichte. 44. Jahrgang, Band 5. Studienverlag, Innsbruck, S. 310.
  16. Anna Jungmayr: Propaganda im 3/4-Takt. In: Wien Museum Magazin. 24. November 2022, abgerufen am 25. November 2022.
  17. Lueger-Tafel versehentlich übermalt. ORF, 15. Januar 2016, abgerufen am 11. August 2018.
  18. Brigitte Hamann: Hitlers Wien. München 1998, S. 496 f.
  19. Online im Internet Archive in eher schlechter Qualität.
  20. a b c d e f g h i j k l m Ignaz Tenger (Hrsg.): Österreichischer Bürgermeister-Almanach. Verlag des Österr.-ungar. Invalidendank, Wien 1908, S. 570.
  21. a b c Hof- und Staats-Handbuch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie für das Jahr 1910. Jahrgang XXXVI. Druck und Verlag der K. K. Hof und Staatsdruckerei, Wien 1910, S. 448.
  22. Lueger, Karl. In: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Abgerufen am 23. November 2022.
  23. Luegerkapelle. Abgerufen am 20. Oktober 2022.
  24. a b c d Bgm. Reichsrats-Abg. LAbg. RA Dr. Karl Lueger. Abgerufen am 20. Oktober 2022.
  25. Coin > 2 Schilling (25th ...) colnect.com, abgerufen am 21. Mai 2021.