Von Wiesbadenern und Neumünsteranern
BearbeitenDie Bezeichnung von Städtern aus deutschsprachigen Landen wirft regelmäßig Fragen auf. „Warum eigentlich? Ist doch alles ganz einfach...“, mag man sich hier denken. Jemand aus Köln ist ein Kölner, aus Stuttgart ein Stuttgarter und aus Potsdam ein Potsdamer. Doch halt, so einfach ist das nun auch nicht. Es gibt, selbst schon bei den bekannten Städten, eine große Zahl von Abweichungen, die Auswärtige gelegentlich rätseln lassen. Hier lohnt sich, ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Fangen wir doch mal bei den großen Städten an. Wenn man aus Berlin ist, ist man ein Berliner. Und wenn man aus Hamburg ist, dann is(s)t man ein(en) Hamburger. Doch schon im Falle der drittgrößten Stadt der Bundesrepublik, ihres Zeichens Hauptort einer süddeutschen Provinz, stößt man auf eine erste Frage: Heißt es Münchner oder Münchener? Zieht der alteingesessene Bayer natürlich die erstgenannte Version vor, die allerdings als dialektal kritisiert wird, neigt der Zugezogene (und Unwissende) eher zur Variante mit dem zusätzlichen wie zum Verständnis de facto unwichtigen e, die irgendwie gekünstelt wirkt. Dass dies schon zu den groteskesten Auseinandersetzungen geführt hat, sei hier nur am Rande mit dem Fall der Münchner Freiheit erwähnt. Einen ganz ähnlich gelagerten Fall gibt es im sächsischen Elbflorenz. Schon rein gefühlsmäßig bezeichnet sich der Einwohner dieser Kunst- und Kulturstadt als Dresdner und nicht etwa als Dresdener. Ganz aus der Nähe von Dresden, nämlich aus Radeberg, kommt übrigens eines der ältesten nach Pilsner Brauart gebrauten Biere Deutschlands. Wer hier ein Pilsener verlangt, entlarvt sich sofort als Tourist. Nicht verschwiegen werden soll hierbei, dass jeweils beide Formen, egal ob im Falle Münchens, Dresdens oder Pilsens, im Duden zu finden sind.
Zugegeben, die Normalität bei Städtenamen, die auf –en enden, sieht so aus, dass einfach ein –er angehängt wird. Aber umso beeindruckender ist die große Zahl von Unregelmäßigkeiten. Ein Mann aus Essen wird zum Essener, sein Kollege aus Bremen ist aber kein Bremener, sondern ein Bremer. Gehen zwei Damen aus Emden und Cuxhaven auf eine Seereise, so bleibt die eine die Cuxhavenerin, die andere wird aber seltsamerweise zur Emderin – kommt der Kapitän des Schiffs aus dem ostfriesischen Norden und spricht plattdeutsch, so handelt es sich um einen Nörder (klingt gefährlicher, als es ist). Treten zwei Jungs aus Siegen und Erlangen zu einem Wettstreit gegeneinander an, so wird der Siegener nur dann zum Sieger, wenn er auch gewinnt. Anders bei seinem Gegner, der, auch wenn es nicht zum Erlangen des Sieges reicht, ein Erlanger ist. Auch ein Blick in den Süden offenbart Unstimmigkeiten, denn nur ein Sankt Galler und ein Sankt Pöltener können sich als Einwohner einer der größten Städte ihres jeweiligen Alpenlands bezeichnen, niemals aber ein Sankt Gallener und ein Sankt Pölter. Auch existieren nur Saarbrücker und nicht etwa Saarbrückener, genauso wie es nur Lüner und Bad Salzufler gibt. Bei den Leuten aus den Örtchen Pforzen und Pissen kommt die Regel übrigens nicht zur Anwendung, weniger Glück haben Personen aus Pups und Wiechs.
Na klar, der bekannte Rattenfänger war ein Hamelner. Aber war das Idol des Wunders von Bern, der Walter Fritz, ein Kaiserslauterner? Nein, er war ein Kaiserslauterer. Ebenfalls in der Pfalz, aber etwas weiter östlich am Rhein, steht Speyer mit dem stolzen Speyerer Dom. Doch warum ist das bekannte Gotteshaus in Münster dann nicht auch der Münsterer St.-Paulus-Dom? Nein, es ist der Münsteraner Dom, genauso wie es ja Salzgitteraner gibt. Interessant ist ferner die Wandlung einiger dieser Bezeichnungen. War ein Weimaraner zu Goethes Zeiten natürlich eine Person aus Weimar, die heute als Weimarer bekannt ist, so ist der heutige Weimaraner eher hündischer Natur. Im Gegensatz zum Hannoveraner, der neben einer menschlichen auch eine ganz tierische Seite hat. Den Vogel schießen jedoch eindeutig die Dinge aus Eschweiler ab, die schlicht – und scheinbar jeder Logik entbehrend – als Eschweiler bezeichnet werden (zum Beispiel der Eschweiler Geschichtsverein).
Ganz besonders kreativ zeigt man sich in Kassel: Lebt man als Zugezogener in dieser Stadt, ist man ein Kasseler. Wurde man dort geboren, ist man immerhin ein Kasselaner, und stammt man gar von Eingeborenen ab, wird man zum Kasseläner auserkoren – quasi das Nonplusultra in Niederhessen. „Das“ Kassler kommt, wenn wir einmal dabei sind, übrigens aus Berlin. Die Wesen aus Wesel sind – ebenso wie jene aus Kassel – keine Wesler, sondern Weseler. Ganz anders wiederum verhält es sich mit denjenigen aus Wolfenbüttel und Basel, die ganz selbstverständlich Wolfenbüttler und Basler sind – Mario wird dies bestätigen können. Überhaupt haben die Schweizer noch ganz andere Ausnahmen vorzuweisen, wie ein Blick auf die Zürcher, die Einwohner Zürichs, beweist, die in der Regel nur von Bundesdeutschen als Züricher mit „i“ betituliert werden. Auch die Leute aus dem Kanton Uri legen auf diesen Buchstaben keinen Wert und bezeichnen sich als Urner.
Noch verzwickter wird die Sache bei den Bewohnern von Städten, die auf –e enden. Zwar kann durchaus vorkommen, dass man auf einen Herner (aus Herne) und einen Celler (aus Celle) trifft, aber einem Rheiner (aus Rheine) wird man nie gegenüberstehen – höchstens einem Rainer aus Rheine. Dieser Rainer bezeichnet sich selbst jedoch als Rheinenser und empfohlen wird, dem Folge zu leisten. Höchst eigenartig auch die Leute aus Halle: Während sich die Saalestädter Hallenser zu nennen pflegen, genügt den Westfalen nur Haller. Bei diesem Beispiel handelt es sich um zwei verschiedene Städte, aber teilweise existieren, siehe das schon erwähnte Kassel, auch innerhalb einer Stadt Unterschiede. Um ein weiteres Beispiel dafür zu sehen, können wir gleich in Halle (Saale) bleiben: Neben den Hallensern fristen dort nämlich noch Halloren und Hallunken ihr Dasein. Doch während es in Jena Jenenser und Jenaer gibt, wird man im nahe gelegenen Gera hingegen nur Geraer finden und keine Gerenser. Und Personen aus Hamm bezeichnen sich auch teilweise als Hammenser. Das ist einfach nur der Hammer, wird sich hingegen manch anderer aus Hamm denken.
Von Hamm aus kann man über die A2 bis an deren Ende nach Oberhausen gelangen und dort über die Oberhausener Straßen weiter ins Ruhrgebiet vordringen. Nicht ganz so weit ist es bis nach Recklinghausen, allerdings wird man hier keine Recklinghausener, sondern nur Recklinghäuser Straßen befahren (Die Einwohner der bekannten Stadt nahe dem Rheinfall sind übrigens weder Schaffhausener noch Schaffhäuser, sondern Schaffhauser). Es mag sogar sein, dass man auf dieser Strecke zufällig einen Anhalter mitnimmt – sei es einen Tramper oder jemanden aus Anhalt. Die Bewohner dieses Landesteils von Sachsen-Anhalt werden nämlich so genannt. Anhaltiner hingegen gibt es nur für Unwissende und Außenstehende beziehungsweise solche, die zu oft 101 Dalmatiner gesehen haben. Einen ähnlichen Schabernack treibt der gemeine Schwoob gelegentlich mit dem Badenser, der doch eigentlich ein Badner ist. Gleichermaßen verhält es sich mit den Einwohnern des Erzgebirges, die in die sich ihrer Identität bewussten Erzgebirger und die Erzgebirgler, die diesen Spottnamen für sich übernahmen, gespaltet sind. Doch das hat nichts mehr mit Städten gemein, sondern ist ein anderes Thema... DynaMoToR