Wiktorija Roschtschyna

ukrainische Journalistin

Wiktorija Wolodymyriwna Roschtschyna (ukrainisch Вікторія Володимирівна Рощина; * 6. Oktober 1996; † 19. September 2024) war eine ukrainische Journalistin, die über den Krieg in der Ukraine, insbesondere die Belagerung von Mariupol, berichtete. Für ihre lebensgefährlichen Einsätze wurde sie 2022 von der International Women's Media Foundation mit einem Preis ausgezeichnet. Roschtschyna starb unter bislang ungeklärten Umständen in russischer Gefangenschaft.[1]

Viktoria Roschtschyna
Quelle: en.wikipedia.org

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Leben und Arbeit

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Viktoria Roschtschyna wuchs in Saporischschja auf. Sie hatte eine Mutter, einen Vater und eine kleine Schwester.[2]

Bereits als Teenager fing sie an, als Journalistin zu arbeiten. Sie interessierte sich besonders für Themen wie organisiertes Verbrechen, Verfolgung von Aktivisten und Aktivistinnen sowie Gerichtsreportagen.[3][4] Als freie Journalistin arbeitete sie für mehrere Medien, darunter Ukrajinska Prawda, Radio Free Europe und den Internet-TV-Sender Hromadske.[5] Nach der russischen Invasion und Besetzung der Ostukraine 2022 fing sie an, intensiv über das Leben der Menschen in den besetzten Gebieten und über die russische Belagerung von Mariupol zu berichten.[6] Während ihrer Berichterstattung legte sie den Fokus auf die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung in den Konfliktgebieten.[7]

Anfang März 2022 wurde sie zum ersten Mal vom russischen Militär in der ukrainischen Stadt Wassyliwka festgenommen. Sie konnte jedoch fliehen und versteckte sich während der Nacht in einem Keller.[2] Eine Woche später wurde ihr Auto von russischen Panzern beschossen.[2][8] Sie und der Fahrer entkamen unverletzt, doch ihr Computer und ihre Kamera wurden gestohlen.[8]

Am 11. März wurde Roschtschyna erneut verhaftet, als sie Berdjansk in Richtung Mariupol verließ. Zehn Tage lang wurde sie vom russischen Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) festgehalten und der Spionage beschuldigt. Nachdem sie in einer Videoaufzeichnung erklärt hatte, die russischen Streitkräfte hätten ihr das Leben gerettet, wurde sie im Austausch gegen russische Soldaten wieder freigelassen.[9] Über die Zeit ihrer Gefangenschaft schrieb sie einen Artikel für TV Hromadske.[2] Darin beschrieb sie, wie sie mit verbundenen Augen von Tschetschenen, Dagestanern und russischen Sicherheitsbeamten verhört wurde. Das aufgezeichnete Geständnis wurde unter Zwang abgelegt, als Bedingung für ihre Freilassung.[10]

In einem Interview mit The Daily Beast beschrieb ihr Vater Wolodymyr Roschtschyn seine Tochter als leidenschaftliche Journalistin, die ihre Arbeit trotz großer persönlicher Risiken nicht aufgeben wollte:

„Für meine Tochter war der Journalismus das Wichtigste in ihrem Leben, sie war ihrem Beruf sehr zugetan. (...) Nach ihrer ersten Gefangenschaft bat ich sie, langsamer zu machen, ich sagte: ‚Viktoria, ich kann dir dein Gehalt bezahlen, nur bitte geh nicht an die Front‘, aber sie war standhaft, unaufhaltsam – sie konnte nicht aufhören, für ihre Leser über diesen Krieg in den besetzten Gebieten zu berichten.“[11]

Später im Jahr 2022 wurde sie von der International Women's Media Foundation (IWMF) mit dem Courage in Journalism Award (Preis für Mut im Journalismus) ausgezeichnet.[12] An der Preisverleihung nahm sie nicht teil, weil sie sich auf ihre Berichterstattung konzentrieren wollte. Nach ihrer Freilassung setzte sie ihre Arbeit trotz der Risiken fort und berichtete weiterhin aus den umkämpften Gebieten.[7]

Verschleppung

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Im Juli 2023 reiste Roschtschyna in die besetzte Ostukraine.[13] Ihr Ziel war es, über die Lebensumstände der Bevölkerung unter russischer Herrschaft zu berichten, insbesondere vor dem Hintergrund der illegalen Wahlen, der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und der Bedrohung durch das von russischen Truppen besetzte und verminte Atomkraftwerk Saporischschja[14]. Um die umkämpfte Front zu umgehen, plante sie ihre Reise über die baltischen Staaten nach Russland.[14] Am 3. August 2023 teilte sie ihrer Familie mit, sie habe alle Grenzkontrollen passiert. Das war ihre letzte Nachricht an die Familie.[15]

Ihre Familie wartete eine Woche lang vergeblich auf ein Lebenszeichen. Am 12. August meldete sie ihre Tochter als vermisst und erstattete am 21. September Anzeige. Die Sorge um ihr Schicksal wurde öffentlich, als The Daily Beast und Ukrajinska Prawda über ihr Verschwinden berichteten.[16] Erst ein halbes Jahr später erhielt ihr Vater, Wolodymyr Roschtschyn, einen Brief der russischen Regierung mit Datum 17. April 2024, in welchem die Inhaftierung seiner Tochter bestätigt wurde.[5][17] Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bestätigte im Mai 2024 ihre Inhaftierung in Russland, ohne jedoch Details zu ihrem Aufenthaltsort zu nennen.[7]

Die internationale Gemeinschaft, darunter die Europäische Union, verurteilte Roschtschynas Festnahme als rechtswidrig und verlangte ihre unmittelbare Freilassung.[18] Die IWMF gab eine Erklärung heraus, in der sie „die sofortige und bedingungslose Freilassung von Victoria Roshchyna und anderen illegal gefangenen Journalisten“ forderte.[19] Auch die Nationale Journalistengewerkschaft der Ukraine und Sewhil Mussajewa, ihre zuständige Redakteurin bei der Ukrajinska Prawda, setzten sich für ihre Freilassung ein.[19] Die russische Menschenrechtsaktivistin Swetlana Gannuschkina bat die Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Tatjana Moskalkowa, um Informationen über Roschtschynas Lage.[2]

Todesnachricht

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Ein halbes Jahr nach Roschtschynas Verschleppung erhielt die Familie die Nachricht vom Tod ihrer Tochter. Russische Behörden hatten ihr mitgeteilt, Wiktorija Roschtschyna sei am 19. September 2024 verstorben, jedoch keine Todesursache angegeben.[20] Am 10. Oktober 2024 gab ein Sprecher des Ukrainischen Koordinationshauptquartiers für Kriegsgefangene Roschtschynas Tod auch offiziell bekannt.[21] In einem Brief des russischen Verteidigungsministeriums vom 2. Oktober 2024 wurde der Familie mitgeteilt, dass ihr Leichnam „im Rahmen des Austauschs von Leichen von Gefangenen an die ukrainische Seite übergeben“ werde.[7]

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienstes hatte das russische Militär Roschtschyna im Untersuchungsgefängnis Taganrog nahe der ukrainischen Grenze inhaftiert.[22] Ein Nachrichtendienst berichtete, vor der Verlegung nach Taganrog sei sie in der Strafkolonie Nr. 77 in Berdjansk festgehalten worden. Beide Zentren stehen im Verdacht, Gefangene zu foltern.[23] Die Sprecherin der Medieninitiative für Menschenrechte sagte, Roschtschyna sei in Taganrog von Mai bis September in einer Einzelzelle inhaftiert gewesen:

„Es wird als Hölle auf Erden bezeichnet. In Taganrog werden insbesondere Verteidiger des umkämpften Stahlwerks Asowstal in Mariupol festgehalten. Die Freigelassenen berichten von schrecklichen Folterungen.“[24]

Von Mai bis zu ihrem Tod im September 2024 befand sich Roschtschyna Berichten zufolge in Isolationshaft.[7] Es gab Berichte, dass sie aus Protest gegen ihre Haftbedingungen in einen Hungerstreik getreten sei, doch Menschenrechtsaktivisten äußerten Zweifel daran und vermuteten einen Versuch, Russland von Verantwortung freizusprechen.[7]

Berichten zufolge stand Roschtschyna bereits auf einer Gefangenen-Austauschliste.[25][26] Sie soll sich auf dem Weg ins Moskauer Lefortowo-Gefängnis befunden haben, um in die Ukraine abgeschoben zu werden. Bei oder nach diesem Transport nach Moskau sei sie gestorben.[27] Die genaue Todesursache wurde von den russischen Behörden nicht mitgeteilt, was zu Spekulationen über mögliche Misshandlungen führte.[7]

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete Viktoria Roschtschynas Tod als „schweren Schlag“ für die Journalisten in der Ukraine.[28] Die Europäische Union[18], Reporter ohne Grenzen, die IWMF[29] und das Komitee zum Schutz von Journalisten[30] forderten eine Untersuchung der genauen Umstände von Roschtschynas Inhaftierung und ihres Todes. Sie ist die 13. Journalistin, die seit der russischen Invasion im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ums Leben kam.[28] Etwa 30 Journalistinnen und Journalisten befinden sich derzeit in russischer Haft.[31]

Am 8. November 2024 übergab Russland die Leichname von 563 ukrainischen Soldaten an die Ukraine, doch Roschtschynas Leichnam war nicht darunter.[7] Die Charkiwer Gruppe zum Schutz der Menschenrechte (KHPG) warf Russland vor, den Leichnam von Roschtschyna zu „verstecken“.[7] Menschenrechtsorganisationen fordern weiterhin die Rückgabe ihres Leichnams und eine unabhängige Untersuchung der Umstände ihres Todes.[7]

Am 11. Oktober erklärte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft, sie habe im Todesfall Wiktorija Roschtschyna ein Strafverfahren wegen Mord und möglicher Kriegsverbrechen eröffnet.[32]

Veröffentlichungen

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  • Wiktorija Roschtschyna: Тиждень у полоні окупантів. Як я вибралася з рук ФСБ, «кадирівців» і дагестанців (Ukr., übersetzt: Eine Woche in Gefangenschaft der Besatzer. Wie ich aus den Händen des FSB, Kadyrowets und Dagestanis entkam). In: Hromadske, 26 March 2022.[33]
  • Elena Vardon: Women at the heart of war. In: British Journalism Review, 2022, 33. Jg., Nr. 3, S. 27–29.
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Einzelnachweise

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  1. Viktoria Roschtschyna in russischer Haft gestorben. In: FAZ. 11. Oktober 2024, abgerufen am 22. Oktober 2024.
  2. a b c d e Victoria Roshchyna, Who Won Courage Award for Ukraine War Reporting, Is Missing. In: The Daily Beast. 4. Oktober 2023, abgerufen am 23. Oktober 2024 (englisch).
  3. Viktoriia Roshchyna: Ukrainian journalist who chronicled Russian occupation dies in prison. In: BBC. Abgerufen am 22. Oktober 2024 (britisches Englisch).
  4. What we know about Ukrainian journalist Viktoriia Roshchyna who died in Russian captivity. In: The Kyiv Independent. 11. Oktober 2024, abgerufen am 22. Oktober 2024 (englisch).
  5. a b Agence France-Presse: Ukrainian reporter died in Russian detention, Kyiv says. In: The Guardian. 10. Oktober 2024, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 23. Oktober 2024]).
  6. Ron Popeski: Ukrainian journalist dies in Russian detention, officials say. In: Reuters. 11. Oktober 2024, abgerufen am 24. Oktober 2024 (englisch).
  7. a b c d e f g h i j Nicholas Potter: Leiche von Roschtschyna noch in Russland: Selbst nach dem Tod kein Frieden. In: Die Tageszeitung: taz. 12. November 2024, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 13. November 2024]).
  8. a b Carmela Caruso: Fears Grow for Ukrainian Journalist Missing Almost 3 Months. In: Voice of America. 26. Oktober 2023, abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).
  9. Ukrainian journalist released from Russian captivity. In: The Kyiv Independant. 22. März 2022, abgerufen am 24. Oktober 2024 (englisch).
  10. Elena Vardon: Women at the heart of war. In: British Journalism Review. Band 33, Nr. 3, September 2022, ISSN 0956-4748, S. 27–29, doi:10.1177/09564748221121470 (sagepub.com [abgerufen am 13. November 2024]).
  11. Award-winning Ukrainian reporter missing since August, possibly detained in Russian territory - IWMF. Abgerufen am 22. Oktober 2024 (englisch).
  12. Victoria Roshchyna (1996-2024). In: IWMF. Abgerufen am 22. Oktober 2024 (englisch).
  13. Ukraine: RSF concerned about the disappearance of a freelance journalist heading for the occupied territories | RSF. 6. Oktober 2023, abgerufen am 24. Oktober 2024 (englisch).
  14. a b Russian military confirm Victoria Roshchyna’s captivity. In: Frontline Defenders. 29. Mai 2024, abgerufen am 25. Oktober 2024 (englisch).
  15. Ukraine: RSF concerned about the disappearance of a freelance journalist heading for the occupied territories. In: Reporters Without Borders. 6. Oktober 2023, abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).
  16. Bryan Pietsch: Ukrainian journalist missing in Russian-occupied territory In: The Washington Post, 4. Oktober 2023. Abgerufen am 10. Oktober 2024 
  17. deutschlandfunkkultur.de: Ukrainische Journalistin mutmaßlich von Russland verschleppt. 19. März 2022, abgerufen am 23. Oktober 2024.
  18. a b Statement by the Spokesperson on the death of Ukrainian journalist in Russian captivity | EEAS. Abgerufen am 24. Oktober 2024 (englisch).
  19. a b As Russia confirms it jailed missing Ukrainian journalist, calls mount for her release. In: voanews. 31. Mai 2024, abgerufen am 23. Oktober 2024 (englisch).
  20. Ukrainian journalist Victoria Roshchyna has died in a Russian jail: RSF demands an investigation into the circumstances of her death | RSF. 10. Oktober 2024, abgerufen am 23. Oktober 2024 (englisch).
  21. Nate Ostiller: Kyiv confirms death of Ukrainian journalist Viktoria Roshchyna held in Russian captivity. In: The Kyiv Independent. 10. Oktober 2024, abgerufen am 10. Oktober 2024 (englisch).
  22. Ukrainian journalist dies in Russian detention, officials say In: Reuters, 10. Oktober 2024 
  23. Martin Fornusek: Journalist Roshchyna, who died in Russian captivity, held in 'one of the most brutal detention centers,' NGO says. In: The Kyiv Independent. Abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).
  24. "Russland hat sie getötet": Kollegen über Vika Roschtschyna – DW – 15.10.2024. Abgerufen am 23. Oktober 2024.
  25. Ukrainian journalist Viktoria Roshchina dies during Russia prisoner exchange. In: Committee to Protect Journalists. 10. Oktober 2024, abgerufen am 24. Oktober 2024 (amerikanisches Englisch).
  26. Julica Jungehülsing, dpa, AFP: Ukraine: Ukrainische Journalistin in russischer Haft gestorben. In: Die Zeit. 11. Oktober 2024, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 23. Oktober 2024]).
  27. Reporter ohne Grenzen e.V: Verschwundene Journalistin Roschtschyna ist tot. Abgerufen am 22. Oktober 2024 (deutsch).
  28. a b Vermisste Journalistin in Russland-Haft verstorben – Selenskyj schockiert: „Schwerer Schlag“. In: FR. 13. Oktober 2024, abgerufen am 23. Oktober 2024.
  29. Investigation demanded after Ukrainian journalist dies in Russian captivity - UPI.com. Abgerufen am 22. Oktober 2024 (englisch).
  30. Constant Méheut: Ukrainian Journalist Has Died in Russian Captivity, Ukraine Says In: The New York Times, 11. Oktober 2024 
  31. Anastasia Magasowa: Verstorbene ukrainische Journalistin: Tod in russischer Haft. In: Die Tageszeitung: taz. 11. Oktober 2024, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 23. Oktober 2024]).
  32. Journalist Roshchyna, who died in Russian captivity, held in 'one of the most brutal detention centers,' NGO says. In: The Kyiv Independent. 11. Oktober 2024, abgerufen am 24. Oktober 2024 (englisch).
  33. Тиждень у полоні окупантів. Як я вибралася з рук ФСБ, «кадирівців» і дагестанців. 26. März 2022, abgerufen am 23. Oktober 2024 (ukrainisch).