Vollsichtkarosserie

Begriff aus der Kraftfahrzeugtechnik

Vollsichtkarosserie ist ein Begriff aus der Kraftfahrzeugtechnik, genauer dem Karosseriebau, und bezeichnete vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren besonders gestaltete Fahrzeugkarosserien. Er ist nicht eindeutig definiert; in einem weiter gefassten Sinn handelt es sich um Karosserieaufbauten mit besonders großen Fensterflächen für verbesserte Rundumsicht und einen helleren Innenraum, in einem enger gefassten Sinn ist es ein deutschsprachiges Synonym für die Karosseriebauformen Hardtop und Faux Cabriolet. Für aktuelle Fahrzeuge wird die Bezeichnung Vollsichtkarosserie hingegen nicht mehr verwendet, weil diese Art der Karosseriegestaltung vor allem wegen der heutigen Anforderungen an die Crashsicherheit und den Überschlagschutz nicht mehr üblich ist.

Mercedes-Benz 300d (W 189): Daimler-Benz bezeichnete den Aufbau seines 1957 präsentierten Modells selbst als „Vollsichtkarosserie“, als Hardtop-Limousine und mit großen gewölbten Scheiben vorn und hinten in zweifacher Hinsicht ein typischer Vertreter dieser Karosseriegattung.

Terminologie und Begriffsherkunft Bearbeiten

Im Bereich der Personenkraftwagen existieren der Alternativbegriff Vollsichtaufbau sowie als Untergruppen die Vollsichtlimousine und das Vollsichtcoupé; mitunter finden sich die Alternativschreibweisen Vollsicht-Karosserie[1] und Vollsicht-Limousine[2] (mit Bindestrich). Vielfach wird auch nur von Vollsichtscheiben gesprochen, die überdurchschnittlich hoch sowie breit sind und insbesondere auf einen störenden Mittelsteg verzichten; ein solcher war über Jahrzehnte üblich, solange die Windschutzscheibe aus zwei planen, winklig zueinander angeordneten Scheiben gebildet wurde und auch Heckscheiben aus zwei oder drei planen oder nur wenig gebogenen Elementen bestanden.

Im Bereich der Nutzfahrzeuge existieren die Begriffe der Vollsichtkabine/der Vollsichtkarosserie beispielsweise bei Lastkraftwagen,[3] Traktoren,[4][5][6][7] Gabelstaplern, Baggern[8] und Kranwagen/Portalkränen,[9][10][11] sowie der Vollsichtaufbau/die Vollsichtkarosserie bei Omnibussen.[12]

Bereits seit den 1930er-Jahren gibt es im Flugzeugbau, vor allem bei Kampfflugzeugen die Begriffe Vollsichtkabine und Vollsichtkanzel für Baumuster mit besonders guter Sicht.[13] Im Personenwagenbau gab es konstruktiv und in der Bezeichnung ähnliche Konzepte bei wenigen Fahrzeugen aus Frankreich und Italien ab 1926.

Begriffsinhalte und Definitionen Bearbeiten

Wie vielfach im Bereich des Karosseriebaus, existieren keine verbindlichen Definitionen des Begriffs Vollsichtkarosserie und seiner Abwandlungen; auch hat sich in der Praxis keine völlig einheitliche Begriffsverwendung herausgebildet.

In einem weiter gefassten Sinn nutzen Fachbuchautoren und Journalisten den Begriff und seine Abwandlungen beim Vorliegen bestimmter typischer Karosseriemerkmale wie einer großen, einteiligen, häufig gewölbten Frontscheibe,[14][15] schmalen A- und B-Säulen oder einer großen mehrteiligen oder gewölbten Heckscheibe, oft mit weit herumgezogenen Panoramascheiben.[16][17][18]

Vereinzelt nutzten auch Werbetexter bewusst den Begriff Vollsichtkarosserie, um einem neuen Fahrzeugmodell ein besonders fortschrittliches Image zu verleihen.[19] Auch im Zusammenhang mit Experimentalfahrzeugen und Designstudien wurde der Begriff und seine Abwandlungen gebraucht.[20]

Neben diesem weiten Begriffsverständnis gab es Bestrebungen, den Begriff enger und klarer zu fassen. Seit März 1959 existiert die DIN 70011 „Aufbauten für Personenkraftwagen – Benennungen und Begriffe“ des Deutschen Instituts für Normung, Normenausschuß Kraftfahrzeuge. Im Rang einer Empfehlung wird darin für das damalige Westdeutschland einschließlich West-Berlin unter Ziffer 7 die Vollsicht-Limousine und unter Ziffer 6 die „normale“ Limousine definiert. Beiden gemeinsam ist der Aufbau als „geschlossener Personenkraftwagen“ mit „4 oder mehr Sitzen“ und „2 oder 4 Türen“. Für die „Vollsicht-Limousine“ wird jedoch ergänzend gefordert: „4 Seitenfenster mit Rahmen vollständig versenkbar (Schwenkfenster in den vorderen Türen brauchen nicht versenkbar zu sein) und ohne Mittelsäulen zwischen den Seitenfenstern“. Für die normale „Limousine“ heißt es darin hingegen: „4 oder mehr Seitenfenster, mit feststehenden Rahmen und Mittelsäulen zwischen den Seitenfenstern“.[21]

Dem folgend wurde und wird der Begriff Vollsichtkarosserie, speziell die Vollsicht-Limousine mitunter auch als deutschsprachiges Synonym für die Karosseriebauformen Hardtop (im Sinne von Hardtop Sedan und Hardtop Coupé) und Faux-Cabriolet verwendet, die durch dieselben Merkmale gekennzeichnet sind. So heißt es in Dr. Gablers Verkehrslexikon:

„Faux-Cabriolet (franz. = falsches Cabriolet), Personenkraftwagen mit festem Dach, aber ohne mittleren Seitenpfosten; vielfach ist in Deutschland die Bezeichnung ‚Vollsicht-Limousine‘ üblich.“[22]

Auch ein japanisch-englisch-deutsches Fachwörterbuch aus dem Jahr 1984 übersetzt die Karosseriebauform Hardtop mit Vollsichtlimousine.[23]

Das Verständnis von Vollsicht-Limousine im engen Sinn des Anglizismus Hardtop hat sich jedoch letztlich weder in Westdeutschland noch dem weiteren deutschsprachigen Raum völlig durchgesetzt.

Der Begriff Vollsichtkarosserie in zeitgenössischen Veröffentlichungen Bearbeiten

Beispiele für Personenwagen mit Vollsichtkarosserie aus DDR-Produktion Bearbeiten

 
Der IFA F 9 ab 1954: „Vollsichtkarosserie“ mit größerer, einteiliger, gewölbter Windschutzscheibe und größerer, einteiliger Heckscheibe

Der Begriff Vollsichtkarosserie erschien 1954 in der DDR in Verbindung mit der überarbeiteten Karosserie des IFA F 9. Die im thüringischen Eisenach gebaute zweitürige Limousine hatte fortan neben einer durchgehenden, gewölbten Frontscheibe auch eine größere, ungeteilte Heckscheibe.[24] Mit Hinweis unter anderem auf die „gewölbte Windschutzscheibe“, zum Teil auch ein ursprünglich noch „zweiteiliges, über die ganze Breite gehendes Rückfenster aus Sicherheitsglas“ war schon 1953 in mehreren Berichten von einer „Vollsichtlimousine“ die Rede.[25][26][27][28]

Auch dem Nachfolger des F 9, der viertürigen Limousine Wartburg 311 von 1956 wurde attestiert, dass seine Pontonkarosserie mit einteiligen, gewölbten Scheiben vorne und hinten „Vollsicht“ biete.[29]

Beispiele für Personenwagen mit Vollsichtkarosserie aus bundesdeutscher Produktion Bearbeiten

 
Große Fensterflächen und dünne Dachsäulen, deshalb mitunter als „Vollsicht-Karosserie“ eingestuft: Der Aufbau des ab 1962 gebauten Opel Kadett A.

In der Bundesrepublik Deutschland nutzte die Daimler-Benz A.G. in Stuttgart den Begriff Vollsichtkarosserie ab 1957 für den neuen Mercedes-Benz 300d. Charakteristisch für die Hardtop-Limousine mit großen Fensterflächen waren das Fehlen einer B-Säule (jedenfalls bei den normalen Versionen ohne Trennwand), der Verzicht auf Fensterrahmen an den vier Türen, die Möglichkeit, alle sechs Seitenfenster (mit Ausnahme der kleinen Ausstellfenster an den Vordertüren) voll versenken zu können, sowie die große, gewölbte Panoramaheckscheibe. Als Vorteil dieser Vollsichtkarosserie nannte das Unternehmen eine „gesteigerte Verkehrssicherheit“ und dass sie „dem Fahrgast die Annehmlichkeiten des geschlossenen und offenen Wagens vermittelt“.[30][31][32][33]

Den Begriff Vollsichtkarosserie im Zusammenhang mit dem Mercedes-Benz 300d übernahmen auch andere Publikationen.[34][35] Unter Bezug auf zeitgenössische Quellen ist bei dem sogenannten „Adenauer-Mercedes“ mitunter auch ergänzend von „pfostenloser Vollsichtkarosserie mit rahmenlosen Türen und voll versenkbaren Seitenscheiben“ die Rede.[36][37][38][39][40][41][42]

Auch bei der 1965 präsentierten Limousinen-Baureihe Mercedes-Benz W 108 sprach die Daimler-Benz A.G. noch von einer „Vollsichtverglasung aus Sicherheitsglas“ mit einer „17 % größeren Windschutzscheibe“,[43] von einer „Vollsicht-Verglasung“ auch beispielhaft bei den Modellen 250 SE Coupé und Cabrio.[44]

Schon 1955 bot laut dem Fahrzeughersteller Messerschmitt AG sein Kabinenroller-Modell KR 200 eine „mit einer Panorama-Windschutzscheibe versehene Vollsicht-Karosseriehaube“.[45]

Bei dem neuen Opel Kapitän P des Modelljahrs 1958, einer viertürigen Limousine, erwähnte die Zeitung Die Zeit als Neuheiten ausdrücklich „Vollsicht-Panorama-Scheiben vorne und hinten“.[46]

Ebenso wurde dem 1962 präsentierten Opel Kadett A eine „Vollsicht-Karosserie“ attestiert;[47] beim Mercedes-Benz 230 SL „Pagode“ mit aufgesetztem Hardtop von 1963 wird angemerkt, dass „die Vollsicht, die das Coupe bietet, (…) ein neuer Beitrag auf dem Konto ‚eingebaute Verkehrssicherheit‘“ sei.[48]

Beispiele für Personenwagen mit Vollsichtkarosserie aus anderen europäischen Ländern Bearbeiten

 
Zweitürige Hardtop-Limousine mit großen Fensterflächen, mitunter als „Vollsichtlimousine“ bezeichnet: Hillman Minx Californian von 1955 aus britischer Produktion.
 
1957 als „Vollsichtcoupé“ vorgestellt und in nur wenigen Exemplaren in der Schweiz gebaut: Porsche 356 Beutler Spezial-Coupé.

Auch die Karosserie des britischen Hillman Minx Californian von 1955 (in der Quelle Hillman Californian genannt), eine kleine zweitürige Hardtop-Limousine, wurde als „Vollsichtlimousine“ bezeichnet; sie wurde dabei als „modern verkleidetes Fahrzeug“ mit „großen Front-, Seiten- und großem, dreiteiligen, gebogenen Heckfenster“ beschrieben.[49]

Im Frühjahr 1957 stellte das Schweizer Karosseriebauunternehmen Beutler aus Thun ein zweitüriges Stufenheck-Fahrzeug mit vier vollwertigen Sitzplätzen auf Basis des Porsche 356 A vor, das als „Vollsichtcoupé“ beworben und als formschön bewertet wurde.[50][51]

Bei der ebenfalls britischen Humber-Hawk-Limousine (Saloon) von 1959 fanden „riesige Vollsicht-Panoramascheiben vorne und hinten“ besondere Erwähnung.[52]

Bei dem französischen Peugeot 404 wurde in der Version als viertürige Limousine betont, dass die „Vollsichtverglasung der selbsttragenden Ganzstahl-Karosserie (…) das Wageninnere besonders hell“ mache.[53]

Im Fall des italienischen Fiat 124 Sport Spider von 1967 sprach die Zeitschrift Der Spiegel insbesondere wegen der hinteren, vollversenkbaren Seitenscheiben und einem großen Rückfenster von einem „Vollsicht-Klappverdeck“.[54]

Auch das britische Hardtop-Coupé Jaguar XJ 6 C von 1975 wird mit dem Begriff „Vollsicht“-Karosserie assoziiert.[55]

Der Begriff Vollsichtkarosserie in neueren Veröffentlichungen Bearbeiten

 
Die geschlossene Version des FMR Tg 500, die mitunter als „Plexiglas-Vollsichtcoupé“ bezeichnet wurde.

Bis heute wird der Begriff Vollsichtkarosserie und seine Varianten vor allem in Bezug auf Personenwagen der 1950er- und 1960er-Jahre gelegentlich verwendet. Auf spätere Fahrzeuge findet er hingegen, abgesehen von einzelnen Hardtop-Modellen, keine Anwendung, da große einteilige Front- und Heckscheiben in den 1970er-Jahren und später weltweit zum automobilen Standard geworden und die auffälligen Panoramascheiben aus der Mode gekommen waren.

Die geschlossenen Varianten des dreirädrigen Messerschmitt/FMR Kabinenroller sowie dessen vierrädrige Abwandlung FMR Tg 500 wurden auch nach ihrem Produktionsende wiederholt als „Plexiglas-Vollsichtcoupe“ bezeichnet.[56][57]

Bei dem Mercedes-Benz 300d wurde der Begriff der „Vollsichtkarosserie“ auch in späteren Jahren wiederholt in Veröffentlichungen aufgegriffen,[58] ebenso beim IFA F 9.[15]

Bezogen auf den Opel Olympia Rekord P des Modelljahrs 1957 sprach Opel anlässlich der 50-Jahr-Feier seiner Vorstellung 2007 rückblickend von einer „neuartigen“ … „Vollsicht-Panorama-Windschutzscheibe“, „die weit in die Seitenpartie hineinragt“.[59]

An die vorderen und hinteren „Vollsicht-Panorama-Scheiben“ des Opel Kapitän P von 1958 erinnerten mehrere Quellen 2013 anlässlich des Jubiläums „75 Jahre Opel Kapitän“, neben Opel selbst beispielhaft die Zeitschrift Stern und das Internetportal T-online.de.[60][61][62]

Bei dem Opel Kapitän L von 1963 wurde anlässlich einer Sonderschau auf der der Internationalen Automobil-Ausstellung 2013 in Frankfurt am Main nochmals von der „Vollsicht-Panorama-Windschutzscheibe“ und einer „schräg gestellten Panorama-Rückwandscheibe“ gesprochen, die „zu einer hervorragenden Rundumsicht“ beitrügen, sodass das „nur gering gewölbte Dach über den großen Glasflächen zu schweben“ scheine.[63]

Konstruktiv und in der Bezeichnung ähnliche Karosseriekonzepte aus dem Ausland Bearbeiten

Die Lumineuse-Modelle von Voisin ab 1926 Bearbeiten

 
Voisin C7 Berline Lumineuse von 1926, konzeptionell ein früher Vorläufer der Vollsichtkarosserie

Schon Mitte der 1920er-Jahre entwarf der Konstrukteur Gabriel Voisin leichte geschlossene Karosserien für die in seinem Unternehmen hergestellten Personenwagen der Marke Voisin nach dem Lumineuse-Konzept. Der studierte Architekt, der vor dem Ersten Weltkrieg als Hersteller selbst entworfener Flugzeuge erfolgreich war, konstruierte einen Fahrzeugaufbau, dessen Seitenscheiben und Heckscheibe für damalige Verhältnisse ungewöhnlich groß und dessen Dachsäulen vergleichsweise schmal waren. Zudem konnten bei verschiedenen Fahrzeugen die als horizontale Schiebefenster ausgeführten Seitenscheiben samt Rahmen entfernt werden. Voisin nannte sein Konzept „Lumineuse“, auf Deutsch: „Licht-“ oder „hell“.

Zwischen etwa 1926 und 1932 stattete Avions Voisin verschiedene Fahrzeugmodelle mit diesen zwei- und viertürigen Werkskarosserien des Typs Lumineuse aus, die mit unterschiedlichen Vier- und Sechszylindermotoren erhältlich waren, so die Modelle Voisin C7, C11, C14 und C23. Viele Prominente schätzten die betont streng und kantig wirkenden Aufbauten, darunter der Architekt Le Corbusier, ein enger Freund Voisins, ferner Rudolph Valentino, Maurice Chevalier und Josephine Baker.[64][65]

Während bei dem späteren Konzept der Vollsichtkarosserie praktische Gründe vorrangig waren, standen für Voisin bei den Lumineuse-Modellen vor allem ästhetische Erwägungen im Vordergrund.

Die Konzepte Vutotal und Vistotal seit 1935 Bearbeiten

 
Bugatti Type 57 Labourdette Coach Profilée von 1936 mit Vutotal-Frontscheibe ohne A-Säulen

Von 1935 bis zur Produktionseinstellung 1939 nutzte das Pariser Karosseriebauunternehmen Labourdette das Vutotal-Konzept. Auf Chassis unter anderem von Bugatti, Delahaye, Renault und Rolls-Royce entstanden Aufsehen erregende Karosserien in offener und geschlossener Ausführung, die gänzlich ohne sichtbehindernde A-Säulen auskamen. Die Bezeichnung Vutotal ergab sich aus den französischen Worten „vue totale“, im Deutschen: „ganze Sicht“.

Labourdette hatte sich die Entwicklung des französischen Ingenieurs Joseph Vigroux patentieren lassen. Kernelement war eine spezielle Windschutzscheibe aus besonders dickem, speziell gehärtetem Glas, die das Unternehmen Compagnie de Saint-Gobain herstellte. Sie bestand entweder aus einem großen planen Scheibenelement über die gesamte Breite oder zwei planen Elementen, die leicht zueinander angewinkelt und in der Mitte ohne Steg verklebt waren. Die schwere und in der Herstellung teure Scheibe ruhte in einer Schiene in der Karosserie vor dem Armaturenbrett, wodurch sie die Spritzwand quasi nach oben verlängerte.[66]

Gemeinsamkeit mit der Vollsichtkarosserie war das Ziel, die Sichtverhältnisse für den Fahrer und die Passagiere zu verbessern sowie auf einen störenden Mittelsteg in der Windschutzscheibe zu verzichten. Das französische Konzept beschränkte sich jedoch auf eine Optimierung der Frontscheibe sowie deren Einfassung und nutzte weiterhin plane statt gebogene Scheiben.

Eine Fortsetzung bildete nach 1945 das Konzept Vistotal. Saint-Gobain hatte 1939 die Fertigungsrechte erworben und gab sie an das mit ihm verbundene italienische Unternehmen Vetro Italiano di Sicurezza (V.I.S.) mit Sitz in Mailand weiter. In der Zwischenkriegszeit hatte das ebenfalls dort ansässige Karosseriebauunternehmen Castagna zahlreiche Luxusfahrzeuge eingekleidet. Castagna nutzte fortan das nun Vistotal genannte Konzept bis zur Einstellung der Produktion 1954 für mehrere Aufsehen erregende Einzelstücke auf Alfa-Romeo-, Cisitalia- und Fiat-Basis.[66][67] Die Bezeichnung Vistotal ergab sich aus der Abkürzung V.I.S. und den italienischen Worten „vista totale“, im Deutschen wiederum: „ganze Sicht“.[66]

Ein weiterentwickeltes, konstruktiv ähnliches Prinzip ohne A-Säulen, nun mit gebogenen Scheiben, nutzten auch die Designstudien

Die Granluce- und Grand’vue-Modelle von Fiat ab dem Modelljahr 1953 Bearbeiten

 
Fiat 1900 B Coupé Granluce, eine italienische Spielart der Vollsichtkarosserie

Auch der in Turin ansässige Automobilhersteller Fiat befasste sich frühzeitig mit Fahrzeugmodellen, die besonders große Fensterflächen aufwiesen. Diese trugen in Italien die Zusatzbezeichnung Granluce, im englischsprachigen Raum den Zusatz Grand Light und im übrigen Sprachraum Grand’vue. Die italienische und französische Bezeichnung bedeuten im Deutschen etwa „große (Aus-)Sicht“, die Italienische und englische auch „großes Fenster/große Fensteröffnung“. Das Konzept entsprach demjenigen der Vollsichtkarosserie.

Im Einzelnen gab es auf Basis des Fiat 1900 nacheinander mit Panoramaheckscheibe die Hardtop-Coupés

  • 1900 Coupé Granluce (1952 bis 1954),
  • 1900 A Coupé Granluce (1954 bis 1956) und
  • 1900 B Coupé Granluce (1956 bis 1958) sowie

die Hardtop-Limousine 1900 B Granluce als zweite Limousinenausführung (1957 bis 1958).

Als Fiat 1200 Granluce gab es zudem

  • eine viertürige Limousine (1957 bis 1960) mit „Fensterflächen“, die gegenüber dem preiswerteren Parallelmodell 1100/103 D „stark vergrößert“ waren, sowie
  • das zweisitzige Sportcabriolet 1200 Granluce Transformabile (1957 bis 1959) mit großer Panorama-Frontscheibe.[68]

Für das Modelljahr 1962 rückte schließlich noch das 2+2-sitzige Coupé Granluce 750 auf Basis des Fiat 600 D in das offizielle Fiat-Lieferprogramm, das bei der Carrozzeria Viotti in Turin gebaut wurde.[69]

Literatur Bearbeiten

  • Hans Trzebiatowsky: Die Kraftfahrzeuge und ihre Instandhaltung, ein Lehr- und Nachschlagebuch für Kraftfahrzeughandwerker, Kraftfahrzeugelektriker, für Reparaturwerkstätten, Meisterkurse, Fach- und Fahrschulen. 10. Auflage Fachbuchverlag Pfanneberg, Gießen 1961, Seiten 7, 489, 496 (zitiert als unveränderter Reprint, Heel Verlag (Edition Oldtimer Markt), Königswinter 2005, ISBN 978-3-89880-498-1).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Hans Trzebiatowsky: Die Kraftfahrzeuge und ihre Instandhaltung, ein Lehr- und Nachschlagebuch für Kraftfahrzeughandwerker, Kraftfahrzeugelektriker, für Reparaturwerkstätten, Meisterkurse, Fach- und Fahrschulen. 10. Auflage Fachbuchverlag Pfanneberg, Gießen 1961, Seite 7
  2. Hans Trzebiatowsky: Die Kraftfahrzeuge und ihre Instandhaltung, ein Lehr- und Nachschlagebuch für Kraftfahrzeughandwerker, Kraftfahrzeugelektriker, für Reparaturwerkstätten, Meisterkurse, Fach- und Fahrschulen. 10. Auflage Fachbuchverlag Pfanneberg, Gießen 1961, Seiten 489 und 496
  3. Patentschriften-Dossier für eine Vollsicht-Karosserie mit Sonnen- und Blendschutz, insbesondere für Straßen- und Schienenfahrzeuge von 1959 beim Eidgenössischen Amt für Geistiges Eigentum, Schweizer Patentschriften aus dem Kanton Zürich (1888 bis ca. 1978), abgerufen am 20. Oktober 2015
  4. Grundlagen der Landtechnik, VDI-Verlag, Band 28, 1978, Seite 125
  5. Motor-Kalender der DDR, Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1988, Seite 26
  6. Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (BRD), DLG-Mitteilungen, DLG-Verlag, Band 92, 1977, Seite 1092; Band 104, Ausgaben 1–12, 1989, Seite 544
  7. Landwirtschaft Schweiz (Zeitschrift), Band 5, 1992, Seiten 24 und 370
  8. Der Tiefbau (Zeitschrift), Band 15, 1973, Seite 59
  9. Technisches Zentralblatt, Abteilung Maschinenwesen, 1956, Seite 1493
  10. Hansa, wöchentlich erscheinendes Zentralorgan für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen (Zeitschrift), Band 120, 1983, Seite 302
  11. Jürgen Koop, Hans-Otto Hannover, Fritz Mechtold, Berthold Heinke, Sicherheit bei Kranen, Springer-Verlag, 2013, Seite 21
  12. Saurer-Frontlenker-Car mit 26 Plätzen und „Vollsichtkarosserie“ (Sonder-/Aufsetzkarosserie der Seitz & Co. AG, Kreuzlingen): AR – Automobil Revue (Schweizer Zeitschrift), Zeitung Nr. 22/1949 vom 11. Mai 1949, Seite 12 und Nr. 19/1951 vom 18. April 1951, Seite 30
  13. Roderich Cescotti, Kampfflugzeuge und Aufklärer: Entwicklung, Produktion, Einsatz und zeitgeschichtliche Rahmenbedingungen von 1935 bis heute, Bernard & Graefe, 1989, Seiten 64 und 216 ff.
  14. Metall (Zeitschrift), Metall-Verlag GmbH, Band 9, 1955, Seite 334
  15. a b Achim Gaier, Personenwagen in der DDR, Band 1, RM-Buch- und Medienvertrieb, 2000, Seite 65
  16. Du (Schweizer Zeitschrift), Band 14, Verlag Conzett & Huber, 1954, Seite 63
  17. Karl Kerker, Die absatzpolitische Bedeutung der Kreditgewährung im Exportgeschäft, Seite 153
  18. Halwart Schrader: Automobile in Deutschland 1950–1970 in der Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland, Heel Verlag, 1988, Seite 32
  19. So beim Mercedes-Benz 300d gemäß Mercedes-Benz Classic-Magazin, Ausgabe 1/2012, Seite 18
  20. So beim Ford XP 500 mit „Vollsichtaufbau“: Europa-Verkehr. European transport. Transport européen (Zeitschrift), Bände 2–4, 1954, Seite 183 (englisch)
  21. Wiedergegeben zum Beispiel im FAKRA-Handbuch – Normen für den Kraftfahrzeugbau, Beuth Verlag GmbH, 1969, Seite 28 und Frank P. Freudenberg, Auto A–Z, Franz Schneider Verlag, München/Wien, 1979, ISBN 3-505 07958-8, Seite 207
  22. Walter Linden (Herausgeber), Dr. Gablers Verkehrslexikon, 2013, Seite 480
  23. Japanese-English-German Dictionary of Mechanical Engineering, 和・英・独機械術語大辞典, 増補版, 和英独機械術語大辞典編纂委員会, Seiten 377, 1175 (dort mit der Schreibweise Vollsicht-Limousine) und 1378
  24. Eberhard Kittler, DDR-Automobil-Klassiker, Band 2, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 2003, Seiten 47 und 48
  25. ATZ Automobiltechnische Zeitschrift, Verlag Franck, Band 55, 1953, Seite 312
  26. Die Webseite wiki.w311.info mit Bildergalerie zum IFA F 9 (311)-Prototyp, abgerufen am 12. Oktober 2015
  27. Illustrierter Motorsport (Zeitschrift), 3. Jahrgang, Heft Nr. 17 (zweites September-Heft 1953), Fachblatt der Sektion Motorrennsport der Deutschen Demokratischen Republik, Sportverlag Berlin, 1953, Bericht zu Kraftfahrzeugen auf der Leipziger Herbstmesse (u. a. mit einem Bildbericht zum IFA-F-8-Cabriolet mit Sonderkarosserie und zur IFA F 9-Vollsichtlimousine)
  28. Das Auto (Zeitschrift), Ausgabe 20, 1953, Autoschau des Ostens in Leipzig (u. a. zum IFA F 9 als Vollsicht-Limousine mit großem, zweiteiligem Heckfenster)
  29. KFT Kraftfahrzeug-Technik, Ausgabe Februar 1956, wiedergegeben hier
  30. Daimler-Benz A.G., Corporation Annual Reports to Shareholders, 1957, Seite 15
  31. Daimler-Benz A.G., Unternehmensmitteilung, in: Baden-Württemberg (Jahrbuch), Baden-Württembergische Verlagsanstalt, 1959, Seite 57
  32. Pressefoto der Daimler-Benz A.G. zum Mercedes-Benz 300d mit Erläuterungen auf der Website daimler.com (Memento vom 13. Oktober 2015 im Webarchiv archive.today), abgerufen am 12. Oktober 2015
  33. Umfassende Internetseite zum Mercedes-Benz 300d, insbesondere dem Pullman-Cabriolet, Bj. 1960, von Papst Johannes XXIII, abgerufen am 12. Oktober 2015
  34. ATZ, Automobiltechnische Zeitschrift, Verlag Franck, Band 59, 1957, Seiten 328 und 329
  35. Technisches Zentralblatt, Abteilung Maschinenwesen, 1958, Seite 1306
  36. Webseite eines auf den Mercedes-Benz 300d spezialisierten Fahrzeugunternehmens (Memento vom 9. August 2016 im Internet Archive), abgerufen am 12. Oktober 2015
  37. Webseite eines auf den Mercedes-Benz 300d spezialisierten Mietwagenunternehmens (Memento vom 28. Januar 2016 im Internet Archive), abgerufen am 12. Oktober 2015
  38. Jürgen Zöllter, in: Die Welt (Zeitung), Offener Luxus für den Kanzler, 20. Mai 2007
  39. dpa/gms, in: Schwäbische Zeitung, Die Karosse des Kanzlers, 29. Mai 2003
  40. ADAC Motorwelt (Zeitschrift) Nr. 9 vom 1. September 1957, Seite 494/1957
  41. hwb, in: Hamburger Abendblatt (Zeitung), Das neue Mercedes-Programm, 9. August 1957
  42. Philipp Deppe, Rollende Pracht: Mercedes-Benz 300 bis 300d (W 186 II bis W 189), 1951–1962, 27. August 2011, abgerufen am 12. Oktober 2015
  43. Zeitgenössische Werksbeschreibung auf dem Portal sterntwiete.mparschau.de, abgerufen am 12. Oktober 2015
  44. Zeitgenössische Werksbeschreibung auf dem Portal zwischengas.com, abgerufen am 12. Oktober 2015
  45. Wiedergabe einer Werksveröffentlichung auf dem Portal zwischengas.com, abgerufen am 12. Oktober 2015
  46. A. B., in: Die Zeit (Zeitung), Der neue Opel Kapitän, 19. Juni 1958, Online-Version hier verfügbar, abgerufen am 12. Oktober 2015
  47. ATZ, Automobiltechnische Zeitschrift, Verlag Franck, Band 64, 1962, Seite 282
  48. Forum der freien Welt (Zeitschrift), Verlag Freie Welt, Band 5, 1963, Seite 268
  49. Technisches Zentralblatt, Abteilung Maschinenwesen, 1955, Seite 1471
  50. Roger Gloor, Alle Autos der 50er Jahre – 1945–1960, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 2007, ISBN 978-3-613-02808-1, Seiten 288, 399
  51. Private Webseite zum Porsche 356 mit Verweis auf das Beutler Vollsichtcoupé von 1957, abgerufen am 12. Oktober 2015
  52. Du (Schweizer Zeitschrift), Band 19, Ausgaben 1–6, Verlag Conzett & Huber, 1959, Seite 9
  53. Technisches Zentralblatt, Abteilung Maschinenwesen, 1961, Seite 385
  54. Rudolf Augstein, Der Spiegel (Zeitschrift), Band 21, Ausgaben 24–27, Spiegel-Verlag, 1967, Seite 129
  55. Alf Cremers, in: Auto motor und sport, Die sanfte britische Art – Jaguar XJ 6 C im Fahrbericht, 18. Juli 2011, wiedergegeben hier
  56. Hans Christoph Graf von Seherr-Thoss, Die deutsche Automobilindustrie, Deutsche Verlags-Anstalt, 1979, Seite 450
  57. In ähnlichem Sinne: Stadtarchiv Rosenheim, Fritz Fend und sein „Flitzer“, abgerufen am 12. Oktober 2015
  58. Michael Wiedmeier, Helmut Schattenkirchner, Mercedes-Benz 300: Mythos in vier Generationen; klassisch – modisch – funktional – kraftvoll, WKP-Agentur für Visuelle Kommunikation, 2004, Seiten 57, 62, 152
  59. Opel Media Deutschland, Pressemitteilung: Traumwagen für jedermann – Der Opel Olympia Rekord P1 wird 50 Jahre alt, 2. August 2007, abgerufen am 12. Oktober 2015
  60. Opel Media Deutschland, Pressemitteilung: Auf großer Fahrt – 75 Jahre Opel Kapitän, 29. April 2013, abgerufen am 12. Oktober 2015
  61. Stern.de, Nimm mich mit – 75 Jahre Opel Kapitän, 22. Mai 2013, abgerufen am 12. Oktober 2015
  62. Marcel Sommer, T-Online, Opel Kapitän – Von ihm träumten die Aufsteiger im Deutschland der Adenauer-Ära, 23. Mai 2013, abgerufen am 12. Oktober 2015
  63. Opel Media Deutschland, Pressemitteilung: Opel Monza GSE glänzt bei der IAA-Sonderschau „Die Stars von 1983“, 3. September 2013, abgerufen am 12. Oktober 2015
  64. Auktionskatalog zu dem oben abgebildeten Voisin C7 Berline Lumineuse von 1926 auf der Website des Auktionshauses Bonhams anlässlich einer Versteigerung 2009, abgerufen am 29. Oktober 2015 (englisch)
  65. Daniel Vaughan auf der Website conceptcarz.com mit Beiträgen von Dezember 2008 und April 2014 zu dem Automobilhersteller Voisin und dem Lumineuse-Konzept, abgerufen am 29. Oktober 2015 (englisch)
  66. a b c Die Geschichte der Konzepte Vutotal und Vistotal auf der Website fiatclub.nl, abgerufen am 16. Oktober 2015 (niederländisch)
  67. Zusammenstellung von Nachkriegsfahrzeugen des Karosseriebauunternehmens Castagna auf der privaten polnischen Webseite oldtimer.400.pl, abgerufen am 16. Oktober 2015
  68. Roger Gloor, Alle Autos der 50er Jahre – 1945–1960, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 1. Auflage 2007, ISBN 978-3-613-02808-1, Seiten 150 bis 153
  69. Roger Gloor, Alle Autos der 60er Jahre, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 1. Auflage 2006, ISBN 978-3-613-02649-0, Seite 397