Ritt zum Ox-Bow

US-amerikanischer Film-Western

Ritt zum Ox-Bow ist ein US-amerikanischer Western von William A. Wellman aus dem Jahr 1943 über das Thema Lynchjustiz. Er basiert auf dem gleichnamigen Roman von Walter Van Tilburg Clark.

Film
Titel Ritt zum Ox-Bow
Originaltitel The Ox-Bow Incident
Produktionsland USA
Originalsprache Englisch
Erscheinungsjahr 1943
Länge 77 Minuten
Altersfreigabe
Produktions­unternehmen 20th Century Fox
Stab
Regie William A. Wellman
Drehbuch Lamar Trotti
Produktion Lamar Trotti
Musik Cyril J. Mockridge
Kamera Arthur C. Miller
Schnitt Allen McNeil
Besetzung
Synchronisation

Handlung Bearbeiten

1885: Die zwei Cowboys Gil und Art stranden in einem langweiligen Dorf in Nevada. Im örtlichen Saloon geht es rau zu. Da erscheint ein Mann mit der Botschaft, einige Viehdiebe hätten den Rancher Kinkaid erschossen. Trotz des Einspruches des besonnenen Geschäftsmannes Mr. Davis, der meint, man müsste erst den Sheriff und den Richter zurate ziehen, laufen die Männer des Dorfes nun zusammen, um sich auf die Suche nach den Tätern zu begeben. Der Sheriff ist längst bei Kinkaids Ranch und kann deshalb nicht einschreiten; der wenig durchsetzungsfähige Richter Tyler mahnt die Männer, auf die Rückkehr des Sheriffs zu warten. Als den Männern von einem mexikanischen Ranchgehilfen jedoch zugetragen wird, er habe in der Nähe Männer mit der Herde Kinkaids gesehen, sind sie nicht mehr zu halten. Der vermeintliche frühere Konföderierten-Major Tetley übernimmt das Kommando und zwingt seinen unwilligen Sohn, sich ihnen anzuschließen. Tetley schwingt sich zum Hüter von Recht und Ordnung hoch: „In Texas verlassen wir uns nicht auf die Gerechtigkeit der Gerichte, oder? Nein, darauf warten wir nicht! Wir greifen uns den Mörder schneller als irgendein aufs Honorar versessener Anwalt, der seine Zeit in den Gerichtssälen verpennt! Wir gehen hin und greifen uns den Mann und lassen ihn baumeln!“[1]

Die Männer werden vom Hilfssheriff als Bürgerpatrouille eingeschworen (womit dieser seine Kompetenzen überschreitet). Den etwa 30 Männern schließt sich „Ma“ Jenny Grier an, eine blutrünstige Frau. Auch Gil und Art reiten mit dem lynchwütigen Mob davon, da sie als Ortsfremde sonst um ihr Leben fürchten. Unterwegs hat die Gruppe ein kurzes Aufeinandertreffen mit einer Kutsche, in der sich Gils ehemalige Geliebte Rose Mapen befindet. Frustriert muss der ärmliche Cowboy Gil sehen, dass Rose ihn für den wohlhabenden Geschäftsmann Mr. Swanson verlassen hat.

Tief in der Nacht stoßen die Männer auf das Lager mit den drei Verdächtigen. Es stellt sich heraus, dass sie wirklich mit den Rindern Kinkaids unterwegs sind. Anführer der drei Verdächtigen ist der Rancher Donald Martin. Seine Gehilfen sind ein alter Mann namens Halva Harvey und der Mexikaner Juan Martínez. Obwohl alle drei ihre Unschuld beteuern, werden sie verhaftet und gelten sofort als schuldig. Martin gibt an, die Rinder von Kinkaid gekauft zu haben, kann aber keine Quittung vorweisen. Inzwischen versucht der alte Mann, sein Leben zu retten, indem er den Mexikaner als Mörder beschuldigt. Tetley lässt abstimmen. Gegen die Stimmen von Mr. Davies, Gil, Art und fünf weiteren Männern (darunter Tetleys Sohn und ein Mexikaner) entscheidet die Mehrheit, die drei Männer sofort aufzuhängen. Martin darf noch einen Abschiedsbrief schreiben und der zynische Mexikaner, der schon längst gemerkt hat, dass sie von Anfang an keine Chance gegen das vorgefasste Urteil hatten, legt seine Beichte bei einem Landsmann ab, der sie an einen Priester weiterleiten soll. Tetley zwingt seinen in seinen Augen verweichlichten Sohn dazu, als einer der Henker zu fungieren. Im Morgengrauen werden die drei Beschuldigten gehenkt.

Kurz nach dem Aufbruch wartet der Sheriff schon mit neuen Nachrichten auf sie: Kinkaid wurde nur angeschossen und nicht bestohlen, die wahren Täter sind längst verhaftet. Der Sheriff droht den Mitgliedern der Gruppe, die für die Selbstjustiz stimmten, harte Strafen an. Einer der Männer, die am schnellsten mit dem Lynchurteil waren, tut sich nun mit der Meinung hervor, dass man jetzt eigentlich Tetley lynchen sollte. Als Tetley in seiner Villa ankommt, sperrt er seinen Sohn aus. Dieser klagt nun seinen Vater als machtversessen und grausam an und unfähig, Mitleid zu empfinden. Kurz darauf erschießt sich Tetley. Im Saloon sitzen die an der Selbstjustiz beteiligten Männer schweigend da, sie haben inzwischen Geld für die Witwe gesammelt. Gil liest den anderen Männern aus Martins Abschiedsbrief an seine Frau vor. Den Brief und das Geld wollen Gil und Art nun Martins Frau überbringen.

Entstehungsgeschichte und Besonderheiten Bearbeiten

Ritt zum Ox-Bow ist in vielerlei Sicht ein außergewöhnlicher Western. Dem Publikum wird anders als in den allermeisten Western ein gewöhnlicher Charakter präsentiert, der nicht die typischen Merkmale eines Helden zeigt. Gil ist ein heruntergekommener Loser, der sich nicht gegen das – offensichtliche oder vermeintliche – „Falsche“ und „Schlechte“ behaupten kann. Obwohl sein Verstand klar und sein Herz mehr oder weniger am rechten Fleck ist, ist er in und an der Gesellschaft gescheitert. Er ist Pragmatiker. Es macht für ihn zwar einen Unterschied, ob ein Mann schuldig oder unschuldig ist – aber wenn es um sein eigenes Leben geht, ist auch er, selbst wenn er sich nicht aktiv daran beteiligt und gegen den Lynchmord war, Teil des Mobs. Ritt zum Ox-Bow beeinflusste wohl auch den Klassiker Die zwölf Geschworenen (1957), ebenfalls ein Gerechtigkeitsdrama um Vorverurteilung mit Henry Fonda in der Hauptrolle.[2] Doch während Fondas erfolgreicher Architekt in Die zwölf Geschworenen letztlich die Menschen umstimmen kann, schafft die deutlich passivere Figur des Gil dies nicht.

Die Romanvorlage The Ox-Bow Incident von Walter Van Tilburg Clark war 1940 erschienen und hatte gute Kritiken bekommen. Regisseur William A. Wellman hatte das Buch gelesen und drängte über mehrere Jahre auf eine Verfilmung. Die Rechte lagen jedoch zunächst beim Produzenten Harold Hurley, der einen Film mit Mae West als Bardame daraus machen wollte. Wellman kaufte ihm letztlich die Rechte für 6500 US-Dollar ab.[2] Allerdings lehnte Darryl F. Zanuck, der Chef der 20th Century Fox, eine Finanzierung des Projekts zunächst ab, weil er nicht an den Erfolg eines Filmes über Lynchmord glaubte. Nur Wellmans Ruf als Regisseur vieler erfolgreicher Filme veranlasste Zanuck, letztlich einer Verfilmung zuzustimmen. Als Preis dafür, diesen Film drehen zu dürfen, mussten Regisseur Wellman und Hauptdarsteller Henry Fonda in der Folgezeit an diversen von Zanucks Prestigeproduktionen mitarbeiten, die jedoch anders als Ritt zum Ox-Bow heute meist schon in Vergessenheit geraten sind. Zudem hatte Wellman nur ein geringes Budget und relativ wenig Zeit für den Film, was dazu führte, dass die Nachtszenen im Atelier gedreht wurden, da man mit dem kleinen Budget nur wenige Außenaufnahmen realisieren konnte. Dadurch wirkt die Ausstattung an manchen Stellen recht kulissenhaft.

Bei seiner Premiere im Mai 1943 war der Film in seiner Art einmalig und etwas komplett Neues für das Westerngenre. Doch die USA befanden sich im Krieg mit Japan und Deutschland, weshalb eine solche Anklage gegen faschistische Denkweisen in Amerika beim Publikum schlecht ankam. Doch von Beginn an waren die Kritiker begeistert. Er wurde als „bedeutsamer Augenblick der amerikanischen Kulturgeschichte“ (Manny Farner in The New Republican) gefeiert. Im Vorwort einer späten Auflage der Romanvorlage wies der Autor Walter Van Tilburg Clark darauf hin, dass sein Buch (und später auch der Film) vielfach falsch verstanden wurde. Es war keine Anklage gegen den europäischen Faschismus, sondern gegen den US-amerikanischen. So wurde der Film nur über einen längeren Zeitraum ein kommerzieller Erfolg. Die Kritik beeindruckte besonders, dass als Entschuldigung für die Vorgänge nicht etwa eine Hysterie ins Spiel gebracht, sondern kalt und klar analysiert wird und die Perversion aus dem inneren Antrieb und der Sozialisation der Figuren kommt. Hysterie ist nicht im Spiel, wenn man gleichsam Gott sein kann, Herr über Leben und Tod. Wegen seiner düsteren und kritischen Stimmung wird Ritt zum Ox-Bow deshalb auch häufiger als Film noir betrachtet.

Henry Fonda, der eigentlich bei der US Navy war, wurde für die Fertigstellung des Filmes von der Marine freigestellt. Harry Morgan – hier noch unter seinem eigentlichen Namen Henry Morgan, später Nebendarsteller in diversen Western und anderen Filmen und seit den 1970er Jahren Fernsehstar in Serien wie Polizeibericht und vor allem M*A*S*H – hat hier einen seiner ersten Auftritte in seiner 50-jährigen Karriere. Für die Rolle der „Ma“ wurde Oscarpreisträgerin Jane Darwell ausgewählt, nachdem Sara Allgood ersetzt wurde und Florence Bates beim Dreh vom Pferd fiel und sich verletzte.[3]

Synchronisation Bearbeiten

Die deutsche Synchronfassung für Ritt zum Ox-Bow entstand 1964 bei Riva Synchron GmbH, München, nach Dialogbuch und Dialogregie von Joachim Brinkmann.[4]

Rolle Schauspieler Deutsche Synchronstimme
Gil Carter Henry Fonda Helmo Kindermann
Donald Martin Dana Andrews Ulli Lommel
Major Tetley Frank Conroy Wolf Ackva
Arthur Davies Harry Davenport Gustl Datz
Juan Martínez, Mexikaner Anthony Quinn Norbert Gastell
Monty Smith, Dorftrinker Paul Hurst Erik Jelde
Richter Daniel Tyler Matt Briggs Thomas Reiner
Hilfssheriff Butch Mapes Dick Rich Herbert Weicker

Kritik Bearbeiten

„Es ist schwer sich einen kommerziell weniger versprechenden Film vorzustellen. In etwas über einer Stunde untersucht er die meisten der grundlegenden Schwächen der Menschen – Grausamkeit, Blutlust, Brutalität, Kleinmut und falscher Stolz. Aber er hat auch die Moral, rundweg und unablässlich, den Horror einer Mobherrschaft zu zeigen. Und er hat die Tapferkeit von kompromissloser Wahrheit. William Wellman hat beim Film mit einem Realismus Regie geführt, der so scharf und kalt wie ein Messer ist, nach einem Drehbuch von Lamar Trotti, das wunderschön direkt mit Situationen und Wörtern ist. Und eine durchweg exzellente Besetzung spielt den Film brillant. Ritt zum Ox-Bow ist nicht ein Film, der ihren Tag aufhellen oder aufheitern wird. Aber er ist einer, der in Sachen schieres, starkes Drama gegenwärtig schwer zu schlagen ist.“

Bosley Crowther in der New York Times, 10. Mai 1943[5]

„Ein in Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Faschismus entstandener klassischer Western mit der zeitlosen Botschaft, daß Respekt vor dem Recht und Ehrfurcht vor dem Menschenleben sich gegenseitig bedingen.“

„William A. Wellmans Klassiker um Selbstjustiz, Mordlust und Mitläufertum erregte aufgrund seiner sozialkritischen Haltung großes Aufsehen und galt seinerzeit in den USA – man kämpfte in Europa gegen den Faschismus – als ‚unwillkommener und unzeitgemäßer Film‘. Wellman drehte den Western nach dem Roman ‚The Ox-Bow Incident‘ von Walter van Tilburg Clark und präsentierte dem mit Helden verwöhnten Westernpublikum zum ersten Mal in der Genre-Geschichte einen ganz und gar unheroischen Helden.“

„Eindrucksvoller Western, dem es weniger um die übliche Milieudarstellung geht als um einen gewissenhaften und authentischen Bericht über faschistische Verhaltens- und Denkformen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Der beherrschende Darstellungsstil und die intellektuelle Redlichkeit des Unternehmens machen den Film trotz kleinerer Mängel zu einem ab 14 Jahren unbedingt sehenswerten Erlebnis.“

„... ein grimmiger, 'realistischer', vorbehaltlicher Stoff [...], ein eigenartig stilisierter Film mit unnatürlichen Studioschauplätzen, ein Film mit genau beobachteten und genau gezeichneten Figuren und auch mit grotesken Karikaturen.“

Auszeichnungen Bearbeiten

Der Film gewann 1943 den Preis als bester englischsprachiger Film des National Board of Review. Im Jahr 1944 wurde er als Bester Film für den Oscar nominiert, ging aber gegen Casablanca leer aus. 1998 wurde dem Film die wohl höchste Auszeichnung zuteil, die ein US-amerikanischer Film bekommen kann. Er wurde ins National Film Registry des National Film Preservation Board aufgenommen.

Medien Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Walter van Tilburg Clark: Ritt zum Ox-Bow. Western-Roman. (Originaltitel: The Ox-Bow Incident.) Heyne, München 1966.
  • Joe Hembus, Benjamin Hembus (Hrsg.): Das Westernlexikon. 1567 Filme von 1894 bis heute. 3. Auflage. Heyne, München 1995, ISBN 978-3-453-08121-5. (Heyne Filmbibliothek)

DVD-Veröffentlichung Bearbeiten

  • Ritt zum Ox-Bow. Western Legenden No. 9, Koch Media GmbH, 2011

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Originalzitat aus der deutschen Synchronfassung des Films
  2. a b Paul Tatara: The Ox-Bow Incident (1943) – Articles. In: Turner Classic Movies. Abgerufen am 26. Oktober 2019 (englisch).
  3. IMDb Trivia
  4. Ritt zum Ox-Bow bei der Deutschen Synchronkartei
  5. Ritt zum Ox-Bow, Kritik in der New York Times vom 10. Mai 1943
  6. Ritt zum Ox-Bow. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 26. Oktober 2019.
  7. Ritt zum Ox-Bow. In: prisma. Abgerufen am 26. Oktober 2019.
  8. Evangelischer Presseverband München, Kritik Nr. 584/1964
  9. Michael Kerbel: Henry Fonda : Seine Filme - sein Leben / Deutsche Übersetzung und Ergänzung: Bernd Eckhardt. Heyne, München 1982 (Heyne Filmbibliothek; 56), ISBN 3-453-86056-X, S. 160