Eine Pseudonorm ist in der Algebra eine abgeschwächte Variante einer Norm, bei der die Eigenschaft der Homogenität zur Subhomogenität abgeschwächt wird. So wie die Norm als eine Verallgemeinerung eines Betrages ins Mehrdimensionale angesehen werden kann, verhält sich die Pseudonorm zu einem Pseudobetrag, bei dem im Gegensatz zum Betrag die Bedingung der Multiplikativität zur Submultiplikativität abgeschwächt wird.

Definition

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Sei   ein  -(Links-)Modul über einem unitären Ring   mit Pseudobetrag. Eine Abbildung   in die nichtnegativen reellen Zahlen heißt eine Pseudonorm, wenn für alle   und   folgende Eigenschaften gelten:[1]

(1)   (Definitheit)
(2)   (Subhomogenität)
(3)   (Dreiecksungleichung).

Wird (2) verschärft zu

(2a)   (Homogenität),

so heißt   eine Norm.

Die Begrifflichkeit ist in der Literatur nicht eindeutig; bei manchen Autoren wird der Pseudobetrag auch bereits als Pseudonorm bezeichnet.[2][3]

Eigenschaften

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  • Ist die Pseudonorm   sogar eine Norm auf  , so ist notwendigerweise der zugehörige Pseudobetrag   ein Betrag auf  .

p-Pseudonormen

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Definition

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Ist   ein unitärer Ring mit Pseudobetrag, so wird auf dem  -Modul   durch

 

für jedes   bzw. durch

 

für   eine Pseudonorm, die p-Pseudonorm erklärt. Damit diese Definition sinnvoll ist, sind die Pseudonormeigenschaften zu zeigen. Für den Nachweis der Dreiecksungleichung benutzt man die Minkowski-Ungleichung.

Eigenschaften

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  • Für   gilt stets  .
  • Für   gilt stets  .

Anwendung

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Ist   ein unitärer Ring mit Pseudobetrag, so können wir die Polynomringe   oder   und die Matrizenringe   auch als  -Module auffassen. Dies geschieht durch das „Hintereinanderschreiben“ der Koeffizienten. Damit können durch oben genannte Definition die  -Pseudonormen erklärt werden. Diese sind im Allgemeinen auf den Polynomalgebren und auf den Matrizenalgebren nicht submultiplikativ. Umso wertvoller sind folgende Spezialfälle:

  • Die  -Pseudonorm ist auf der Polynomalgebra   submultiplikativ.
  • Für zwei multiplizierbare Matrizen   und   sowie gewählte   mit   gilt
 ,
 .
  • Für den Beweis dieser Aussage verwendet man die Hölder-Ungleichung und die Minkowski-Ungleichung.
  • Ist  , so ist die  -Pseudonorm also submultiplikativ für alle multiplizierbaren Matrizen über  , und dies gilt insbesondere auf den Algebren   der quadratischen Matrizen.
  • Beispiel für die  -Pseudonorm: Ist R ein kommutativer Ring mit Pseudobetrag und M eine  -Matrix über R mit den Zeilen  , so gilt die abgeschwächte Hadamard-Ungleichung   mit der 1-Pseudonorm.

Anwendungen und Bedeutung

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Assoziative Algebren

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Auf assoziativen Algebren sind Strukturen, die gleichzeitig Norm- und Betragseigenschaften besitzen, relativ einfach zu klassifizieren: Sei   eine assoziative  -Algebra über einem kommutativen unitären Ring   mit Pseudobetrag.

  • Ist   eine submultiplikative Pseudonorm auf   als Modul, so ist   ein Pseudobetrag auf   als Ring.
  • Ist   sogar eine multiplikative Pseudonorm, so ist   ein Betrag auf  .

Iterativer Aufbau von Polynom- und Matrizenalgebren

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Eine Vielzahl an wichtigen Komplexitätsabschätzungen in der Computeralgebra funktioniert für Pseudonormen in Matrizen- und Polynomalgebren über Ringen mit Pseudobetrag.

Zur Gewinnung solcher Abschätzungen dient häufig folgende iterative Konstruktion von assoziativen Algebren wie Polynom- und Matrizenalgebren:

Ausgehend von einem Grundring R mit Pseudobetrag (das kann in der Praxis noch oft ein echter Betrag sein) sei eine assoziative R-Algebra A mit einer submultiplikativen Pseudonorm gegeben. Dann ist A insbesondere auch selbst ein Ring mit Pseudobetrag, über dem man wiederum Module, Polynom- und Matrizenringe betrachten kann. Auf diese Art ist zum Beispiel die iterative Konstruktion der Polynomalgebren   möglich, wobei jede Zwischenalgebra selbst mit einer Pseudonorm ausgestattet ist.

Beispiel: Pseudodivision von Polynomen in mehreren Variablen

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Sei R ein kommutativer unitärer Ring und   die Polynomalgebra in n Variablen über R. Dann wird durch   ein nicht-archimedischer Pseudobetrag auf dem Polynomring erklärt. Dabei sei   der totale Grad von f mit der zusätzlichen Konvention  . Die Einschränkung dieses Pseudobetrags auf R ergibt den trivialen Pseudobetrag, der immer 1 ist mit Ausnahme der Null, die den Wert 0 erhält. Bezüglich dieses Pseudobetrags auf R ist der Betrag   auch eine Norm auf  , nun aufgefasst als R-Modul. Ist R zusätzlich ein Integritätsring, so ist   sogar ein nicht-archimedischer Betrag auf dem Polynomring. Mit diesen Hilfsmitteln kann man eine wertvolle Abschätzung des Koeffizientenwachstums bei der „Pseudodivision mit Rest“ bezüglich einer Variablen von Polynomen in mehreren Variablen herleiten.

Literatur

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  • Jürgen Klose: Schnelle Polynomarithmetik zur exakten Lösung des Fermat-Weber-Problems. Hrsg.: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Juli 1993. Hier S. 48–62.

Einzelnachweise

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  1. Vincenzo Ancona, Edoardo Ballico, A. Silva, Alessandro Silva (Hrsg.): Complex Analysis and Geometry. CRC Press, 1995, ISBN 978-0-8247-9672-3, S. 54 f.
  2. L. A. Bokhut', I. V. L'vov, I. R. Shafarevich: Noncommutative Rings. In: A. I. Kostrikin, I. R. Shafarevich (Hrsg.): Algebra II. Springer, Berlin 1991 (englisch).
  3. George E. Collins, Ellis Horowitz: The Minimum Root Separation of a Polynomial. In: Mathematics of Computation. Band 28, Nr. 126, April 1974, S. 589–597 (englisch).