Internationaler Häftlingsaustausch im August 2024

Austausch von Gefangenen zwischen westlichen Staaten und Russland im August 2024

Im August 2024 erfolgte ein Häftlingsaustausch zwischen Russland und westlichen Staaten. Er gilt als bislang größter Gefangenenaustausch seit der Selbstauflösung der Sowjetunion im Jahre 1991.

Insgesamt umfasste der Häftlingsaustausch 26 Personen, die zuvor in Belarus, Deutschland, Norwegen, Polen, Russland, Slowenien und den USA inhaftiert waren.

Beteiligte Personen

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Der Westen verfügte die Begnadigung, Freilassung und Ausweisung von zehn inhaftierten Russen, darunter:

  • Wadim Krassikow, Geheimdienst­mitarbeiter, zu lebenslanger Haft verurteilt wegen des Mordfalls Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten.
  • Wladislaw Kljuschin, Geschäftsmann, verurteilt zu neun Jahren Haft in Boston wegen Hackertätigkeit,[1]
  • Roman Selesnjow, mutmaßlich einer der erfolgreichsten Kreditkarten-Betrüger, verurteilt 2016 in Seattle,[1][2]
  • Michail Mikuschin, Geheimdienstoffiziers des GRU, der im Norden Norwegens tätig und inhaftiert war,[1][2]
  • Wadim Konoschtschenok, mutmaßlicher Agent des FSB und Schmuggler,[2]
  • Artjom Dulzew und Anna Dulzewa, zwei Spione, die in Slowenien inhaftiert waren,[1][2]
  • Pawel Rubzow/Pablo González, russischer Geheimagent, in Polen verhaftet und inhaftiert.[2]

Der Osten verfügte die Begnadigung, Freilassung und Ausweisung von 16 inhaftierten Personen, darunter drei Amerikaner und eines Dissidenten, dessen Wohnsitz in den USA liegt:

  • Evan Gershkovich, US-amerikanischer Journalist, Wall Street Journal, zu 16 Jahren Lagerhaft verurteilt,
  • Wladimir Kara-Mursa, russisch-britischer Politiker und Journalist, im April 2023 zu 25 Jahren Haft verurteilt,
  • Alsu Kurmasheva, russisch-US-amerikanische Journalistin, Radio Free Europe/Radio Liberty, zu 6,5 Jahren Haft verurteilt,[2]
  • Paul Whelan, US-amerikanischer Ex-Marinesoldat, 2020 zu 16 Jahren Haft verurteilt,[2]

und fünf deutsche Staatsbürger, darunter:

  • Rico Krieger, deutscher Staatsbürger und Rettungssanitäter, in Belarus zum Tode verurteilt, dann begnadigt,[2]
  • Kevin Lick, 18-jähriger Deutschrusse, der jüngste Beschuldigte, der bisher in Russland wegen Landesverrats verurteilt wurde,[3][2]
  • German Moyzhes, deutsch-russischer Jude, früher im Kölner Gemeinderat tätig, Ende Mai 2024 in St. Petersburg verhaftet,[4][2]
  • Patrick Schöbel, ein 35-jähriger Hamburger, der wegen sechs Cannabis-Gummibärchen am Flughafen Pulkowo in St. Petersburg festgenommen wurde,[5][2]
  • Demuri bzw. Dieter Woronin, deutsch-russischer Politologe.[6][2]

sowie sieben Personen russischer Staatsbürgerschaft, die als Oppositionelle angesehen werden:

Ablauf, Vorbereitung

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Der Austausch der Gefangenen erfolgte am Flughafen Ankara-Esenboğa.[9] Die Türkei gab bekannt, federführend an der Operation beteiligt gewesen zu sein. Nach eigenen Angaben war der türkische Geheimdienst Millî İstihbarat Teşkilâtı bei der Vermittlung, Organisation und Austragung des Austauschs involviert. Insgesamt umfasst der Austausch dem türkischen Präsidialamt zufolge 26 Personen aus den USA, Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen, Russland und Belarus. Es war der größte Gefangenenaustausch seit dem Ende des Kalten Krieges.[10] Zehn Gefangene wurden nach Russland, dreizehn nach Deutschland und drei in die USA überstellt.[11]

Die wesentliche Achse des Gefangenenaustausches war die Kommunikation zwischen den USA und Deutschland, wo sich Wadim Krassikow in Haft befand. Laut CNN lief die Kommunikation zwischen diesen beiden Staaten nicht über deren Außenminister Blinken und Baerbock, obwohl Blinken seine deutsche Amtskollegin im April 2023 darauf angesprochen hatte. Für die russische Seite war die Freilassung von Wadim Krassikow eine Conditio sine qua non. Im Januar und Februar 2024 verhandelten Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz über diese Cause, erst am Telefon, dann persönlich im Oval Office. Der Tod von Alexei Nawalny Mitte Februar 2024 veränderte die Verhandlungen dramatisch. Ursprünglich war ein Tausch Krassikow gegen Nawalny geplant.[12] Scholz konnte schließlich – im Gegenzug zur Freilassung von Wadim Krassikow – die Freilassung von fünf deutschen Staatsbürgern und von sieben russischen Dissidenten durchsetzen.[13]

Einen öffentlichkeitswirksamen Gefangenenaustausch zwischen den USA und Russland hatte es zuvor im Dezember 2022 gegeben. Dabei wurde die US-amerikanische Basketballerin Brittney Griner, in Haft wegen Cannabis-Besitzes, gegen den russischen Waffenhändler Wiktor But, der 2012 in New York zu 25 Jahren verurteilt worden war, ausgetauscht.[14] Jake Sullivan, Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, kommentierte, dass zu Lebzeiten von Alexei Nawalny auch eine Freilassung von Nawalny beabsichtigt und darüber mit Russland verhandelt worden war.[15]

Reaktionen

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Präsident Joe Biden sprach von einer „Meisterleistung der Diplomatie und Freundschaft“.[16] FAZ-Herausgeber Berthold Kohler hingegen kritisierte unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Deals selbigen harsch: „Wer sich als erpressbar erweist, wird weiter erpresst werden“.[17]

Einzelnachweise

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  1. a b c d Drew Hinshaw, Joe Parkinson, Aruna Viswanatha: WSJ Reporter Evan Gershkovich Is Free. In: Wall Street Journal. 1. August 2024, abgerufen am 1. August 2024 (englisch).
  2. a b c d e f g h i j k l m n o p q Christina Hebel, Alexander Kauschanski: (S+) Gefangenenaustausch mit Russland: Diese Menschen sind frei. In: Der Spiegel. 1. August 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. August 2024]).
  3. Deutsch-Russe Kevin Lick: »Mama, wenn sie dir sagen, dass ich mich aufgehängt habe, glaub das nicht!« In: Der Spiegel. Abgerufen am 1. August 2024.
  4. Mascha Malburg: Russland lässt German Moyzhes frei. In: Jüdische Allgemeine. 1. August 2024, abgerufen am 1. August 2024.
  5. Hamburger in russischem Gefängnis: "Dein Patrick aus der Hölle von Sankt Petersburg". In: Stern. 17. Juli 2024, abgerufen am 1. August 2024.
  6. Markus Ackeret: Drakonische Strafe für journalistische Arbeit – in Moskau wird Iwan Safronow im Hochverratsprozess zu 22 Jahren Haft verurteilt. In: Neue Zürcher Zeitung. 5. September 2022, abgerufen am 1. August 2024.
  7. Lisa Mahnke: Historischer Gefangenen-Deal: Putin empfängt Tiergarten-Mörder persönlich – Scholz nennt Details. In: Merkur. 1. August 2024, abgerufen am 1. August 2024.
  8. Der Spiegel: Gefangenenaustausch mit Russland – auch US-Reporter Gershkovich kommt frei, 1. August 2024
  9. Ankara'da Soğuk Savaş sonrası en büyük esir takası – DW – 01.08.2024. Abgerufen am 1. August 2024 (türkisch).
  10. Großer Gefangenenaustausch mit Russland. In: tagesschau.de. 1. August 2024, abgerufen am 1. August 2024.
  11. Evan Gershkovich and Paul Whelan released in Russia-West prisoner swap. In: reuters.com. 1. August 2024, abgerufen am 1. August 2024.
  12. Der Spiegel: Putin soll Angebot für Gefangenenaustausch erhalten haben, 26. Februar 2024
  13. CNN: Russia releases Evan Gershkovich and Paul Whelan in historic prisoner swap with West, 1. August 2024
  14. Tagesschau: Waffenhändler, Sportlerin, Geheimdienstler, aktualisiert am 1. August 2024
  15. Alexej Nawalny hätte Teil des Gefangenenaustauschs sein sollen. In: Der Spiegel. 1. August 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. August 2024]).
  16. Deadline: Joe Biden Celebrates Release Of Evan Gershkovich And Other Americans Held In Russia As “A Feat Of Diplomacy And Friendship”, 1. August 2024
  17. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein verhängnisvoller Fehler, Kommentar von Berthold Kohler, 1. August 2024