Felix Christian Matthes
Felix Chr. Matthes

Felix Chr. Matthes (* 13. Mai 1962 in Berlin) ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Ökonom.[1] Er arbeitet als Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut[2] und ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten. Darüber hinaus ist er als Politikberater für verschiedene Regierungen (unter anderem Deutschland, Europäische Union, China) zu Fragen der nationalen und internationalen Energie- und Klimapolitik tätig und hält zahlreiche Vorträge zu diesen Themen bei Tagungen und Kongressen.

Werdegang und Wirken

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Parallel zur Erlangung der Hochschulreife absolvierte Matthes an der Polytechnischen Oberschule in Berlin-Friedrichshagen eine Berufsausbildung als Elektriker. 1981 begann er ein Studium an der Technischen Hochschule Leipzig und erwarb 1986 sein Diplom als Elektroingenieur. Danach wurde Matthes zunächst bei der Deutschen Reichsbahn als Planer für Oberleitungen tätig.

Bereits während des Studiums engagierter er sich in der „AG Umweltschutz“ des Leipziger Stadtjugendpfarramtes und geriet mit der Schrift „Umweltschutz im Haushalt“ in die Fänge der Stasi.[3] 1990 war Matthes einige Monate Assistent in der ersten frei gewählten Volkskammer für die Abgeordneten Günter Nooke und Dr. Ernst Dörfler und war dort beteiligt an der Formulierung des Kommunalvermögensgesetzes,[4] das es den ostdeutschen Kommunen ermöglichte Stadtwerke zu gründen.[5]

Ab Januar 1991 hat Matthes das Berliner Büro des Öko-Instituts aufbaut. Parallel zu seiner wissenschaftlichen Tätigkeit am Öko-Institut studierte er ab 1996 Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und wurde 1999 mit seiner Dissertation „Stromwirtschaft und deutsche Einheit - Eine Fallstudie zur Transformation der Elektrizitätswirtschaft in Ost-Deutschland“[6] zum Dr. rer. pol. promoviert. Von 1997 bis 2008 war er Koordinator des Bereichs Energie- und Klimaschutz und von 2002 bis 2004 zugleich Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts. Seit 2008 ist er dort Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik.

Arbeitsfelder (Auswahl)

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Als Mitarbeiter des Öko-Instituts hat Matthes das 1980 am Öko-Institut entwickelte Konzept der Energiewende mit vorangetrieben und weiterentwickelt. Bereits 1991 bzw. 1992 war er maßgeblich beteiligt an der Entwicklung von Energiewende-Szenarien für Ost- und Westdeutschland[7] sowie an der Entwicklung von Energie-Szenarien und einem energiepolitischen Handlungskonzept für das wiedervereinigte Berlin.[8] Während zunächst der Ausstieg aus der Atomenergienutzung, die Verbesserung der Energieeffizienz sowie die Ausweitung der Nutzung erneuerbarer Energiequellen im Vordergrund standen, gewannen Klimaschutz und der vollständige Ersatz fossiler Energiequellen in späteren Aktualisierungen der Energiewende-Szenarien zunehmend mehr Bedeutung.[9] 2011 wurde Matthes als Experte von der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung angehört.

Seit 2003 hat Matthes die Diskussion um die Ausgestaltung und Umsetzung der Europäischen Emissionshandelsrichtlinie mitgeprägt. Er war an der Erstellung mehrerer Nationaler Allokationspläne maßgeblich beteiligt und hat zu diversen im Kontext des Emissionshandels relevanten Subthemen wissenschaftliche Beiträge geliefert (Benchmarking, Auktionierung, sektoraler Erfassungsbereich, CO2-Mindestpreise, etc.). Darüber hinaus hat er die Ausgestaltung und Entwicklung von Emissionshandelssystemen in verschiedenen Ländern analysiert und verglichen und schrieb mit zwei weiteren Leitautoren das internationale Handbuch „Emissions Trading in Practice“.[10]

Bewertung umweltpolitischer Instrumente: Nach der Einführung des Emissionshandels wird teilweise argumentiert, dass zusätzliche Klimaschutzinstrumente wie z.B. das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Mehrkosten induzieren.[11] Matthes verweist auf die dieser Argumentation zugrunde liegenden zum Teil idealisierende Annahmen sowie auf den kurzen Zeitraum, der für die Dekarbonisierung zur Verfügung steht und propagiert einen klimapolitischen Policy-Mix[12] mit dem innerhalb der verbleibenden Jahre bis 2050 die gesamte Wirtschaft klimaverträglich umgestaltet werden kann.

Strategien zur Dekarbonisierung in Deutschland[13] und Europa[14]: Für den Wandel zu einer klimaverträglichen Wirtschaftsweise sei es unabdingbar, heute die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen (vom Ziel her denken). Denn die Mehrheit der Minderungspotenziale der Treibhausgasemissionen sei an sehr langfristige Investitions- und Infrastrukturentscheidungen geknüpft. Darüber hinaus muss Klimaschutz alle Sektoren erfassen. Politik, die auf die kurzfristig preiswerten Minderungsoptionen ausrichtet ist, führe nach Auffassung von Matthes in die Irre. In der Studie „Modell Deutschland - Klimaschutz bis 2050: Vom Ziel her denken“[13] zeigte Matthes, dass der geforderte Wandel zu einer klimaverträglichen Wirtschaftsweise möglich und bezahlbar ist und wie dieser Umbau technisch ausgestaltet und politisch erreicht werden kann.

Darüber hinaus hat Matthes die Rolle und Beiträge einzelner Technologien für die Entwicklung eines klimaverträglichen Stromsystems bewertet.[15] 1999-2002 war er als Gutachter des Bundesumweltministeriums in die Entwicklung und 2010-2012 in die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetztes (KWKG) involviert.[16] Im Auftrag des Deutschen Bundestages untersuchte er 2006-2007 technische und rechtliche Aspekte der CO2-Abscheidung und ‑Ablagerung bei Kraftwerken sowie deren Akzeptanz in der Bevölkerung.[17]

Die Stromversorgungssysteme in Deutschland stehen nach Ansicht von Matthes spätestens seit 2010 vor neuen Herausforderungen, da die fossilen Kraftwerke, die noch zu Zeiten vor der Strommarktliberalisierung im Jahr 1998 ans Netz gingen, nach und nach das Ende ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer erreichen. Der liberalisierungsbedingte Wettbewerb und der rasche Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien führen zur Stilllegung von nicht mehr benötigten Kapazitäten und lässt langfristige Investitionen in flexible neue Kraftwerke kaum zu, was mittelfristig zu einem Rückgang der Versorgungssicherheit führen könnte.[18] Vor diesem Hintergrund entwickelte Matthes das Konzept eines fokussierten Kapazitätsmarktes, bei dem Zahlungen für die Aufrechterhaltung der Kapazität an Betreiber von Kraftwerken und Anbieter von steuerbaren Lasten in zwei Segmenten versteigert werden. Das eine Segment hat einen Planungshorizont von 4 Jahren und fokussiert auf Bestandsanlagen während das andere Segment einen Planungshorizont von 15 Jahren hat und auf Neubaukraftwerke ausgerichtet ist, die hohen Flexibilitäts- und Umweltanforderungen genügen.[19]

Ausgehend von der Erkenntnis, dass das deutsche Treibhausgasminderungsziel für 2020 mit bisherigen Politiken nicht erreicht wird, beschloss die Bundesregierung im Dezember 2014 das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020, in dem zusätzliche Minderungsmaßnahmen für alle Sektoren beschlossen wurden.[20] Der Stromsektor soll dabei durch einen 2015 von Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) vorzulegenden Regelungsvorschlag 22 Mrd. t CO2-Äq. beitragen. Matthes war als Berater des BMWi maßgeblich an der Erarbeitung des „Nationaler Klimaschutzbeitrag“ genannten Regelungsentwurfs beteiligt.[21] Dieser Entwurf sah vor, dass Kraftwerke in Abhängigkeit von Alter und Wirkungsgrad ab 2017 zusätzliche Emissionsrechte hätten einreichen müssen, so dass insbesondere der Betrieb von älteren und weniger effizienten Kohlekraftwerken unrentabel geworden wäre. Der Regelungsentwurf wurde aufgrund der Kritik von Kraftwerksbetreibern, Industrieverbänden, Gewerkschaften und Bundesländern zugunsten einer Kapazitätsreserve Mitte 2015 verworfen, die jedoch weniger zur CO2-Einsparung beiträgt und/oder höher Kosten verursacht.[22]

Mitgliedschaften

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  • 2000-2002: Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ des 14. Deutschen Bundestages
  • 2011: Mitglied der Beratergruppe für die Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission zur „Energy Roadmap 2050“
  • Mitglied der Gesellschaft für Energiewissenschaft und Energiepolitik (GEE, deutsche Sektion der International Association for Energy Economics, IAEE)
  • Mitglied der Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW)

Schriften

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Bücher und Buchbeiträge (Auswahl)

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  • Matthes, F.C./ Herold, A./Sommer, K./Streck, C. 1998: Bodenbelastungen durch Luftschadstoffe - Perspektiven eines umweltpolitischen Handlungsfeldes. Springer, ISBN 978-3-642-58967-6
  • Matthes, F.C. 2000: Stromwirtschaft und deutsche Einheit - Eine Fallstudie zur Transformation der Elektrizitätswirtschaft in Ost-Deutschland. Dissertation, Berlin, ISBN 3-89811-806-1
  • Riedel, M./Matthes, F.C. 2004: KWKG (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) – Kommentar. Beck, C.H., ISBN 3-406-49546-X
  • Matthes. F.C./Schafhausen, F. 2007: Experiences from Member States in Allocating Allowances: Germany. In: Allocation in the European Emissions Trading Scheme - Rights, Rents and Fairness. Ellerman, A.D./Buchner, B.K./Carraro, C. (Hrsg.), Cambridge/UK, Cambridge University Press, ISBN 9780521875684
  • Ellerman/D./Convery, FJ./De Perthuis, C./Alberola, E./Buchner, B.K./Delbosc, A./ Hight, C./Keppler, J.H./Matthes, F.C. 2010: Pricing Carbon - The European Union Emissions Trading Scheme. Cambridge/UK, Cambridge University Press, ISBN 978-0-521-19647-5

Studien und Fachaufsätze (Auswahl)

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Einzelnachweise

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  1. faz.net: F.A.Z.-Ökonomenranking 2016, abgerufen am 28.03.2017
  2. oeko.de: Öko-Institut: Dr. Felix Christian Matthes, abgerufen am 08.05.2017
  3. justiz.sachse.de: Dicke Luft: Buchpremiere und Diskussion zur DDR-Umweltbewegung, abgerufen am 28.03.2017
  4. gesetze-im-internet.de: Gesetz über das Vermögen der Gemeinden, Städte und Landkreise (Kommunalvermögensgesetz - KVG), abgerufen am 28.03.2017
  5. Financial Times Deutschland, 23.05.2011: Die grüne Eminenz - Felix Matthes prägt die deutsche Energiedebatte wie kein Zweiter. Die Stromkonzerne hat er schon viele Milliarden gekostet, abgerufen am 28.07.2017
  6. Matthes, F.C. 2000: Stromwirtschaft und deutsche Einheit - Eine Fallstudie zur Transformation der Elektrizitätswirtschaft in Ost-Deutschland, Berlin 2000, ISBN 978-3-89811-806-4, abgerufen am 10.05.2017
  7. Fritsche, U./Matthes, F.C./Seifried, D. 1991: Energiewende-Szenarien für Ost- und Westdeutschland bis zum Jahr 2010, Endbericht im Auftrag von Greenpeace Deutschland, Öko-Institut e.V., Darmstadt/Berlin/Freiburg, abgerufen am 06.05.2017
  8. Borch, G./ Matthes, F.C./ Ziesing, H.J. 1992: Aktualisierung von Energieszenarien und Erarbeitung eines energiepolitischen Handlungskonzepts für Berlin, Studie i.A. der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Berlin
  9. Matthes, F.C./Cames, M. 2000: Energiewende 2020 - Der Weg in eine zukunftsfähige Energiewirtschaft. Eine Studie des Öko-Instituts herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, abgerufen am 06.05.2017
  10. Partnership for Market Readiness (PMR); International Carbon Action Partnership (ICAP) 2016. Emissions Trading in Practice: A Handbook on Design and Implementation. World Bank, Washington, DC. © World Bank. https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/23874 License: CC BY 3.0 IGO
  11. Siehe z.B. Juergen B. Donges, J.B./Eekhoff, J/Feld, L.P./Möschel W./Neumann, M.J.M 2009: Für einen wirksamen Klimaschutz, abgerufen am 05.05.2017 sowie Lars P. Feld, L.P./Fuest, C./ Haucap, J./Schweitzer, H./Wieland, V./Wigger, B.U. 2014: Neustart in der Energiepolitik jetzt! abgerufen am 05.05.2017
  12. Matthes, F.C. 2010: Der Instrumenten-Mix einer ambitionierten Klimapolitik im Spannungsfeld von Emissionshandel und anderen Instrumenten. Berlin, abgerufen am 06.05.2017
  13. a b Matthes, F.C./Kirchner, A./Ziesing, H.J. et al. 2009: Modell Deutschland - Klimaschutz bis 2050: Vom Ziel her denken. Berlin/Basel, abgerufen am 06.05.2017
  14. Matthes, F.C./Hermann, H./Zimmer, W. 2011: The Vision Scenario for the European Union 2011 Update for the EU-27. Berlin, abgerufen am 06.05.2017
  15. Horn, M./Ziesing, H.J./Matthes, F.C./Harthan, R.O./Menzler, G. 2007: Ermittlung der Potenziale für die Anwendung der Kraft-Wärme-Kopplung und der erzielbaren Minderung der CO2-Emissionen einschließlich Bewertung der Kosten. Umweltbundesamt (UBA), Climate Change 10/07, ISSN 1862-4359, abgerufen am 06.05.2017
  16. Matthes, F.C./Cames, M./Schneider, L./Neveling, S./Riedel, M./Schwintowski, H.P./Mez, L./Piening, A. 2001: Ausgestaltung eines Pflichtanteilsmodells für die Kraft-Wärme-Kopplung, Endbericht für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Berlin (unveröffentlicht), sowie Matthes, F.C. 2012: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetztes (KWKG), abgerufen am 06.05.2017
  17. Matthes, F./Repenning, J./Hermann, A./Schulze, F./Dross, M./Kallenbach-Herbert, B./Akinsara-Minhans, A. 2007: CO2-Abscheidung und ‑Ablagerung bei Kraftwerken - Rechtliche Bewertung, Regulierung, Akzeptanz, abgerufen am 06.05.2017
  18. Growitsch, C./Matthes, F.C./Ziesing, H.J. 2013: Clearing-Studie Kapazitätsmärkte, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Berlin, abgerufen am 06.05.2017
  19. Matthes, F.C./Schlemmermeier, B./Diermann, C./Hermann, H./v. Hammerstein, C. 2012: Fokussierte Kapazitätsmärkte - Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem. Berlin, abgerufen am 06.05.2017
  20. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) 2014: Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 – Kabinettsbeschluss vom 3. Dezember 2014. Berlin, abgerufen am 07.05.2017
  21. Matthes, F.C./Loreck, C./Hermann, H./Peter, F./Wünsch, M/Ziegenhagen, I 2015: Das CO2-Instrument für den Stromsektor - Modellbasierte Hintergrundanalysen. Berlin, abgerufen am 07.05.2017
  22. Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) 2015: Teurer Klimaschutz mit Kapazitätsreserve - Vergleich der Konzepte zur CO2-Reduktion im Stromsektor bis 2020 durch Stilllegung und Vergütung von Kohlekraftwerken. Berlin, abgerufen am 10.05.2017