Thiocyanogen

chemische Verbindung

Thiocyanogen, auch Dirhodan, (SCN)2, ist ein Pseudohalogen das aus dem Thiocyanat [SCN] ableitet[3] und die Bindung NCS-SCN hat.[4]

Strukturformel
Strukturformel von Thiocyanogen
Allgemeines
Name Thiocyanogen
Andere Namen
  • Dicyanodisulfan
  • Dirhodan
  • Schwefelcyanid
Summenformel C2N2S2
Kurzbeschreibung

Farblose Kristalle oder Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 505-14-6
PubChem 68160
ChemSpider 61468
Wikidata Q930955
Eigenschaften
Molare Masse 116,16 g·mol−1
Schmelzpunkt

−2,5 °C[1]

Siedepunkt

≈20 °C (Zersetzung)[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[2]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Geschichte

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Jöns Jacob Berzelius schlug als Erster vor, dass Thiocyanogen auf Grundlage seiner Radikaltheorie existieren kann, jedoch erwies sich die Isolation der Verbindung als problematisch. Justus von Liebig versuchte diese ebenfalls in einer eine Vielzahl von Versuchen, aber selbst mit der Hilfe von Friedrich Wöhler gelang es nur, eine komplexe Mischung mit Anteilen der Thiocyansäure herzustellen.

1861 konnte Eduard Linnemann eine große Menge Thiocyanogen durch Reaktion einer Suspension von Silberthiocyanat in Diethylether mit elementarem Iod herstellen, identifizierte jedoch das Produkt fälschlicherweise als Schwefeliodidcyanid (ISCN).[5] Die Reaktion steht im Gleichgewicht zu Schwefeldicyanid,[6] was auf die schwache Oxidationsstärke des Iods zurückzuführen ist. Im folgenden Jahr stellte Christian Schneider Thiocyanogen aus Silberthiocyanat und Dischwefeldichlorid her, jedoch disproportionierte das Produkt in Schwefel und Trischwefeldicyanide.[5]

Das Thema wurde bis zu den 1910er Jahren nicht mehr erforscht, bis Niels Bjerrum begonnen hatte, Goldthiocyanat-Komplexe zu untersuchen. Einige eliminierten reduktiv und reversibel, während andere scheinbar irreversibel Cyanid- und Sulfatsalz-Lösungen erzeugten. Um den Prozess zu verstehen, war eine Neuanalyse der Zersetzung von Thiocyanogen mit den damals neuen Techniken der physikalischen Chemie erforderlich. Bjerrums Arbeiten ergaben, dass Wasser die Zersetzung des Thiocyanogens zu Hypothiocyansäure katalysiert. Außerdem fand er heraus, dass das Redoxpotenzial von Thiocyanogen 0.769 Volt beträgt, was etwas höher ist als bei Iod, jedoch niedrig als bei Brom.[5]

1919 konnte Eric Söderbäck erfolgreich das Thiocyanogen durch die Oxidation von Bleithiocyanat mit Brom isolieren.[5][6]

Vorkommen

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In der Lunge kann Thiocyanat durch das Lactoperoxidase bis zum Thiocyanogen[7] oder Hypothiocyanid oxidiert werden.

Gewinnung und Darstellung

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Moderne Synthesen unterscheiden sich kaum von Söderbäcks Prozess. Durch die Reaktion einer wasserfreien Bleithiocyanat-Suspension in Eisessig mit elementarem Brom erhält man eine Thiocyanogen-Lösung, die mehrere Tage stabil ist.[8] Alternativ kann eine Lösung von Brom in Dichlormethan zu einer Suspension von Bleithiocyanat ebenfalls in Dichlormethan bei 0 °C gegeben werden:[9]

 

Die Reaktionen verlaufen exotherm.

Eine alternative Synthese ist die thermische Zersetzung von Kupfer(II)-thiocyanat bei 35–80 °C:

 

Eigenschaften

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Thiocyanogen wird in Lösungen aufbewahrt, da der Reinstoff über 20 °C explosionsartig zu einem Rot-Orangen Polymer polymerisiert. In Wasser zersetzt es sich:[10]

 

Thiocyanogen ist ein schwaches Elektrophil, welches stark aktivierte Phenole, Aniline und polycyclische Aromaten angreift.[11] Es greift Carbonyle in der α-Position an. Heteratome werden leichter angegriffen. Es addiert trans an Alkene um 1,2-bis(thiocyanat) Verbindungen zu bilden. Thiocyanogen kann dabei nur einmal an Alkine addiert werden. Radikalische Polymerisationen sind dabei die häufigsten Nebenreaktionen, die Ausbeuten verbessern sich bei Kälte und Dunkelheit.[11]

Verwendung

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Thiocyanogen wird dazu verwendet, den Grad der Ungesättigtheit von Fettsäuren zu bestimmen (siehe Doppelbindungsäquivalent), ähnlich der Iodzahl.[5][11]

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Commons: Thiocyanogen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c Wood, John L.: Substitution and addition reactions of thiocyanogen. Hrsg.: Roger Organic Reactions Wiley / Chapman Hall. 3. Auflage. New York/London August 1947, S. 241–266.
  2. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  3. Schwan, Adrian L.: Thiocyanogen. In: John Wiley & Sons, Ltd (Hrsg.): Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. Chichester 2001, ISBN 0-471-93623-5, doi:10.1002/047084289x.rt095.
  4. James Jensen: Vibrational frequencies and structural determination of thiocyanogen. In: Journal of Molecular Structure: THEOCHEM. 2005, S. 137–141, doi:10.1016/j.theochem.2004.09.046 (englisch).
  5. a b c d e Kaufmann, H. P.: Das freie Rhodan und seine Anwendung in der Maßanalyse. Eine neue Kennzahl der Fette. Hrsg.: Archiv der Pharmazie und Berichte der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. 1925, S. 675–721.
  6. a b Söderbäck, Erik 419 (3): 217–322: Studien über das freie Rhodan. In: Justus Liebigs Annalen der Chemie. 1919, S. 217–322, doi:10.1002/jlac.19194190302.
  7. Thomas M. Aune, Edwin L. Thomas: Accumulation of hypothiocyanite ion during peroxidase-catalyzed oxidation of thiocyanate ion. In: European Journal of Biochemistry. 1977, S. 209–214, doi:10.1111/j.1432-1033.1977.tb11873.x (englisch).
  8. William Howlett Gardner, Weinberger Harold: Inorganic Syntheses. Band 1. Harold 1939, ISBN 0-470-13232-9, S. 84–86, doi:10.1002/9780470132326.ch29 (englisch).
  9. E Block, Birringer, M, DeOrazio, R, Fabian, J, Glass, RS, Guo, C, He, C, Lorance, E, Qian, Q: Synthesis, Properties, Oxidation, and Electrochemistry of 1,2-Dichalcogenins. In: J. Am. Chem. Soc. 2000, S. 5052–5064, doi:10.1021/ja994134s (englisch).
  10. G. Stedman, P. A. E. Whincup: Oxidation of metal thiocyanates by nitric and nitrous acids. Part I. Products. In: Journal of the Chemical Society A: Inorganic, Physical, Theoretical. 1969, S. 1145, doi:10.1039/j19690001145 (englisch).
  11. a b c John L. Wood: Organic Reactions. Hrsg.: Roger Adams. 3rd reprint Auflage. Band 3. Wiley / Chapman Hall, New York / London August 1947, Substitution and addition reactions of thiocyanogen, S. 241–266 (englisch, chemistry-chemists.com [PDF] [1946]).