Satz von Bing-Nagata-Smirnow

mathematischer Satz

Der Satz von Bing-Nagata-Smirnow (nach R. H. Bing, J. Nagata und J. M. Smirnow) ist ein Satz aus dem mathematischen Teilgebiet der Topologie, der diejenigen topologischen Räume charakterisiert, deren Topologie durch eine Metrik definiert werden kann.

Das Problem

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Bei einer ersten Abstraktion der in   oder   untersuchten Konvergenz stellt man fest, dass es genügt, einen Abstandsbegriff zu haben. Das führt zwanglos zum Begriff des metrischen Raums. In einer weiteren Abstraktion bezieht man sich nur noch auf offene Mengen und kommt so zum topologischen Raum.

Nicht jeder topologische Raum ist metrisierbar: Nicht zu jedem topologischen Raum existiert eine Metrik, sodass sich die offenen Mengen jener Topologie genau aus den durch den Abstandsbegriff der Metrik definierten offenen Kugeln ergeben. Es liegt daher nahe zu fragen, welche topologischen Räume metrisierbar sind, wobei man nach Bedingungen sucht, die nicht über Strukturen oder Eigenschaften argumentieren, die sich nicht ausgehend von beliebigen topologischen Räumen definieren können (wie etwa Metriken: auch im Falle metrisierbarer Räume lässt sich nicht die Metrik des Raums definieren). Dies ist das sogenannte Metrisationsproblem, das lange offen war und durch den Satz von Bing-Nagata-Smirnow gelöst wurde.

Topologische Begriffe

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Die zur Charakterisierung der metrischen Räume erforderlichen topologischen Begriffe werden hier kurz zusammengestellt. Raumklassen mit rein topologischen Definitionen sind:

  • Hausdorffraum: Ein topologischer Raum   ist Hausdorffraum, wenn es zu je zwei verschiedenen Punkten   disjunkte, offene Mengen   gibt mit   und  .
  • Regulärer Raum: Ein topologischer Raum   heißt regulär, wenn es zu jeder abgeschlossenen Menge   und jedem   disjunkte, offene Mengen   gibt mit   und  .

Auch die folgenden Begriffe sind rein topologischer Natur, das heißt, ihre Definitionen verwenden nur offene Mengen:

  • Eine Familie   von Teilmengen eines topologischen Raums   heißt diskret, wenn es zu jedem Punkt   eine offene Menge   gibt mit   und   für alle   bis auf höchstens eine Ausnahme.
  • Eine Familie   von Teilmengen eines topologischen Raums   heißt lokalendlich, wenn es zu jedem Punkt   eine offene Menge   gibt mit   und   für alle   bis auf höchstens endlich viele Ausnahmen.
  • Eine Familie   von Teilmengen eines topologischen Raums   heißt  -diskret, wenn es abzählbar viele diskrete Systeme   gibt mit  . Entsprechend heißt    -lokalendlich, wenn es abzählbar viele lokalendliche Systeme   gibt mit  .
  • Eine Familie   von Teilmengen eines topologischen Raums   heißt eine Basis des Raums, wenn jedes   offen ist und jede offene Menge in   als Vereinigung von Mengen aus   geschrieben werden kann.

Formulierung des Satzes

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Der folgende Satz von Bing-Nagata-Smirnow löst das Metrisationsproblem:

Für einen topologischen Raum   sind folgende Aussagen äquivalent:

  •   ist metrisierbar.
  •   ist ein regulärer Hausdorffraum mit einer  -diskreten Basis.
  •   ist ein regulärer Hausdorffraum mit einer  -lokalendlichen Basis.

Bemerkungen

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Historische Bemerkung

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Der Metrisierbarkeitssatz wurde Anfang der 1950er Jahre unabhängig von Bing, Nagata und Smirnow gefunden, die Version mit der  -diskreten Basis stammt von Bing, die Version mit der  -lokalendlichen Basis stammt, ebenfalls unabhängig, von Nagata und Smirnow.

Bereits in den 1920er Jahren waren von Urysohn Spezialfälle bewiesen worden:

  • Ein normaler Raum mit einer abzählbaren Basis ist homöomorph zu einer Teilmenge des Hilbertraums   und daher metrisierbar.
  • Ein kompakter Hausdorffraum ist genau dann metrisierbar, wenn er eine abzählbare Basis besitzt.

Räume mit abzählbarer Basis

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Eine wichtige Folgerung aus obigem Satz von Bing-Nagata-Smirnow ist:

Für topologische Räume mit einer abzählbaren Basis sind folgende Aussagen äquivalent:

  1.   ist metrisierbar
  2.   ist parakompakter Hausdorffraum
  3.   ist normaler Hausdorffraum
  4.   ist regulärer Hausdorffraum

Die Implikationen 1   2   3   4 sind vergleichsweise einfach. Da eine abzählbare Basis natürlich  -diskret ist, folgt 4   1 aus dem Satz von Bing-Nagata-Smirnow.

Dieser Satz ist auch als Metrisierbarkeitssatz von Urysohn bekannt.

Verallgemeinerungen metrischer Räume

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Der Satz von Bing-Nagata-Smirnow hat zu Verallgemeinerungen des metrischen Raums geführt, in dem die Bedingungen an die Eigenschaften der Basis abgeschwächt wurden. Eine Familie   von Teilmengen eines topologischen Raums   heißt Abschluss-erhaltend, wenn für jede Teilfamilie   die Beziehung   besteht, und die Familie heißt  -Abschluss-erhaltend, wenn sie eine abzählbare Vereinigung Abschluss-erhaltender Familien ist.

Man nennt einen regulären Hausdorffraum, der eine  -Abschluss-erhaltende Basis besitzt, einen  -Raum. Da  -lokalendliche Familien  -Abschluss-erhaltend sind, zeigt obiger Satz von Bing-Nagata-Smirnow, dass  -Räume Verallgemeinerungen metrischer Räume sind. Weitere Abschwächungen dieser Art führen zu weiteren Raumklassen.

Literatur

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  • R. H. Bing: Metrization of topological spaces. In: Canadian Journal of Mathematics. 3, 1951, ISSN 0008-414X, S. 175–186, online (PDF; 1,34 MB).
  • Jack G. Ceder: Some generalizations of metric spaces. In: Pacific Journal of Mathematics. 11, 1, 1961, ISSN 0030-8730, S. 105–125, online (PDF; 2,01 MB).
  • Wolfgang Franz: Topologie. Band 1: Allgemeine Topologie. de Gruyter, Berlin 1960 (Sammlung Göschen 1181, ZDB-ID 842269-2).
  • Jun-iti Nagata: On a necessary and sufficient condition of metrizability. In: Osaka City University. Journal of the Institute of Polytechnics. Ser. A: Mathematics. 1, 1950, ISSN 0388-0516, S. 93–100.
  • Y. M. Smirnov: A necessary and sufficient condition for metrizability of a topological space. In: Doklady Akademii Nauk. SSSR. Serija Matematika, Fizika 77, 1951, ZDB-ID 758308-4, S. 197–200.