Otto Grotewohl

deutscher Politiker (SPD, SED), MdR, MdV, Ministerpräsident der DDR

Otto Emil Franz Grotewohl (* 11. März 1894 in Braunschweig; † 21. September 1964 in Ost-Berlin) war ein deutscher Politiker (SPD, ab 1946 SED). Er war Mitglied des Politbüros der SED sowie von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik.

Otto Grotewohl (1950)

Leben Bearbeiten

 
Gedenktafel am Haus, Majakowskiring 46, in Berlin-Niederschönhausen
 
Grotewohl auf einer 20-Mark-Gedenkmünze der DDR aus dem Jahr 1973
 
Gedenktafel am ehemaligen Kaufhaus Jonaß in Berlin

Vor 1933 Bearbeiten

Von 1908 bis 1912 erlernte er das Buchdrucker-Handwerk. Nach Abschluss der Lehre trat Grotewohl dem Verband der Deutschen Buchdrucker und der SPD bei.

Grotewohl diente im Ersten Weltkrieg im Infanterie-Regiment 137 und wurde mehrfach verwundet.[1]

Von 1918 bis 1922 gehörte Grotewohl der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an, für die er 1920 in den 2. Landtag des Freistaates Braunschweig gewählt wurde, dem er später für die SPD bis 1926 angehörte. Im kurzlebigen Kabinett Antrick (28. März bis 22. Mai 1922, SPD/USPD-Koalition) war er Minister der Ressorts Justiz und Volksbildung; im Kabinett Jasper II (23. Mai 1922 bis 24. Dezember 1924) war er ab Februar 1923 Minister für Justiz. Zum 1. Oktober 1928 wurde er Präsident der Landesversicherungsanstalt.[2] Das Wirken Grotewohls (als „Karl Könnemann“) schilderte 1930 Felix Riemkasten, der als Insider der braunschweigischen politischen Szene galt, in seinem satirischen Erfolgs-Roman „Der Bonze“.[3]

Am 31. Oktober 1925 war Grotewohl als Nachrücker für die verstorbene Elise Bartels in den Reichstag gelangt. Nach der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 zog er erneut in den Reichstag ein; ebenso nach der Reichstagswahl vom 14. September 1930, der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, der Reichstagswahl vom 6. November 1932 und der Reichstagswahl März 1933 (Wahlkreis 16: Südhannover–Braunschweig (Land)). Mit der gesamten SPD-Fraktion stimmte Grotewohl am 24. März 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz.

Zeit des Nationalsozialismus Bearbeiten

Im Zuge der Machtergreifung Hitlers seines Amtes enthoben, musste Grotewohl 1933 Braunschweig verlassen.[4] Er zog zunächst nach Hamburg. Ab 1938 lebte er in Berlin als Lebensmittelhändler und Industrievertreter. Er arbeitete in einer Widerstandsgruppe um Erich Gniffke (ebenfalls SPD), den er aus Braunschweig kannte. Die Heibacko-Gruppe diente ihren Mitgliedern zur Pflege persönlicher Kontakte und zum wirtschaftlichen Überleben. Aktive Widerstandshandlungen sind nicht bekannt.[5] Im August 1938 wurde er verhaftet und wegen Hochverrats vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Das Verfahren wurde nach sieben Monaten eingestellt und Grotewohl am 4. März 1939 aus der Untersuchungshaft entlassen.[5]

Nach dem Elser-Attentat auf Hitler am 8. November im Bürgerbräukeller wurde er wiederum verhaftet und saß etwa acht Wochen in Untersuchungshaft.[5] Nach seiner Entlassung arbeitete Grotewohl wieder in Berlin als kaufmännischer Angestellter, daneben widmete er sich in seiner Freizeit vermehrt der Malerei (1944/45 entstand u. a. ein Zyklus von acht Ölgemälden Menschen der Stille). Als er nach dem 20. Juli 1944 angesichts der Aktion Gewitter abermals befürchtete, verhaftet zu werden, tauchte er für einige Wochen mit Hilfe von Freunden unter.[6] Grotewohl, der die Schlacht um Berlin erlebte, blieb als Beschäftigter einer „Bedarfsstelle“ vom Kriegseinsatz verschont.[7]

Nachkriegszeit Bearbeiten

Am 17. Juni 1945 unterschrieben Otto Grotewohl, Erich Gniffke, Max Fechner, Gustav Dahrendorf und Hermann Harnisch den Gründungsaufruf für die SPD in Berlin. Grotewohl wurde Vorsitzender des Zentralausschusses der SPD in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und, obwohl anfangs gegenteiliger Meinung, führender Befürworter einer Vereinigung von KPD und SPD. Sie war vor allem von dem aus sowjetischem Exil heimgekehrten KPD-Funktionär Walter Ulbricht forciert worden, der zunächst der spontanen Bildung einer Einheitspartei zugunsten der Wiederherstellung der KPD entgegengetreten war.

Laut Aussagen von Zeitzeugen wie Egon Bahr und Jakob Kaiser änderte Grotewohl seine Meinung unmittelbar nach einer Einbestellung zur Sowjetischen Militäradministration (SMAD) nach Karlshorst.[8]

Schließlich veranstaltete nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen die Berliner SPD am 31. März 1946 eine Urabstimmung zur Frage der Vereinigung. In den Westsektoren stimmten über 80 Prozent auf die Frage: „Bist Du für den sofortigen Zusammenschluss beider Arbeiterparteien?“ mit „Nein“. Im sowjetischen Sektor verhinderte die SMAD die Abstimmung und ließ im Admiralspalast am 22. April 1946 die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED stattfinden. Vorsitzende wurden Grotewohl und der vorherige KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck. In den kommenden Jahren erlangten Ulbricht und Pieck, obwohl dieser mit ihm formal gleichberechtigt war, dank des Einflusses der SMAD weit mehr Macht in der Politik der SBZ.

Im Jahr 1948 wurde Grotewohl Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Deutschen Volksrats, des Vorläufers der DDR-Volkskammer.

Ministerpräsident der DDR Bearbeiten

 
Symbolischer Händedruck, der die Vereinigung von KPD und SPD zur SED besiegelte.
 
Der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, bei der Unterzeichnung des Vertrages zum Warschauer Pakt 1955

Nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurde Grotewohl ihr Ministerpräsident. In allen seinen Entscheidungen war er bis 1955 abhängig von der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland und ihren Nachfolgeeinrichtungen.

Im Juli 1950 war Grotewohl Mitglied der Delegation, die das Görlitzer Abkommen über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen unterzeichnete. Im Jahr 1957 befürwortete er den Rapacki-Plan für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa. Wegen schwerer Erkrankung zog er sich 1960 aus dem politischen Leben zurück und lebte fortan zurückgezogen in der Waldsiedlung Wandlitz, seine Funktion wurde faktisch durch seinen Ersten Stellvertreter, Willi Stoph, der ihm auch als Vorsitzender des Ministerrates nachfolgte, ausgeübt. Grotewohl starb 1964 in Berlin-Niederschönhausen an den Folgen eines Schlaganfalls.[9]

 
Grabstätte von Otto Grotewohl
 
Grabstätte von Johanna Grotewohl

Privates Bearbeiten

Grotewohl war von 1919 bis 1949 mit Marie Martha Luise Ohst (1894 – nach 1976) verheiratet und hatte mit ihr zwei Kinder, darunter Sohn Hans (1924–1999).[10] Nach der Scheidung 1949 heiratete er im selben Jahr seine Sekretärin Johanna Schumann, geborene Danielzig.[11] Er war ein begeisterter Zeichner, Maler (u. a. Ölbild von August Bebel und Aquarell-Zykluss „Menschen der Stille“ ) und Amateurfilmer. Otto Grotewohls Urne wurde im Mittelrondell der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde bestattet, die Urne seiner Witwe Johanna Grotewohl (1909–1976)[12] in der benachbarten Gräberanlage Pergolenweg.

Ehrungen Bearbeiten

Otto Grotewohl war Träger des Leninordens (1964, anlässlich seines 70. Geburtstages durch Walter Ulbricht überreicht), des Karl-Marx-Ordens, des Vaterländischen Verdienstordens der DDR in Gold und Ehrenbürger der Stadt Dresden.

Die Deutsche Post der DDR gab 1974 zu seinen Ehren eine Sondermarke in der Serie Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung heraus.

In der DDR trugen zahlreiche Straßen und Plätze – darunter der Ostberliner Abschnitt der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte – seinen Namen, ebenso wurden öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kasernen oder das Otto-Grotewohl-Stadion in Aue nach ihm benannt. Dem Kombinat „Otto Grotewohl“ Böhlen wurde bei seiner Überführung in volkseigenen Besitz im November 1952 sein Name verliehen.[13] Grotewohl besuchte mehrfach dieses Werk und ließ sich vielfach über die Probleme und die politische Gesinnung der Führungskräfte berichten, aber auch das Werk nutzte den Kontakt zu ihm, um Interessen durchzusetzen.[14] Brigaden in volkseigenen Betrieben bewarben sich darum, Grotewohls Namen zu tragen. In der Sprache der Strafgefangenen hießen die Gefangenensammeltransportwagen der Deutschen Reichsbahn „Grotewohl-Express“.[15] Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurden die meisten dieser Namensgebungen getilgt.

Darstellung Grotewohls in der bildenden Kunst der DDR (Auswahl) Bearbeiten

Schriften Bearbeiten

  • Die Verfassung der Gemeinden und Kreise im Freistaat Braunschweig. Zweite, neu bearbeitete und ergänzte Auflage, Braunschweig 1928.
  • Dreissig Jahre später. Die Novemberrevolution und die Lehren der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Dietz, Berlin 1948.
  • Gedanken zur Kultur. Werden und Wirken, Weimar 1949.
  • Die Rolle der Arbeiter- und Bauernmacht in der Deutschen Demokratischen Republik. Referat auf der 3. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin, 24. bis 30. März 1956. Dietz, Berlin 1956.
  • Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze. 6 Bände. Berlin 1959–1962.
  • Über Politik, Geschichte und Kultur. Ausgewählte Reden und Schriften 1945–1961. Dietz, Berlin 1979.
  • Skizzen, Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde. Dietz, Berlin 1984.

Literatur Bearbeiten

  • Monika Kaiser, Helmut Müller-EnbergsGrotewohl, Otto Emil Franz. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964). Eine politische Biographie. Oldenbourg, München 2009, ISBN 978-3-486-59032-6 (Veröffentlichungen zur SBZ-/DDR-Forschung im Institut für Zeitgeschichte).[18]
  • Matthias Loeding: Zwischen Führungsrolle, Konfrontation und Kooperationswillen. Der Zentralausschuss der SPD und das Büro Schumacher in Hannover im Vorfeld der Wennigsener Konferenz. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Band 48, 2006 (2008), Heft 1, S. 113–140.
  • Matthias Loeding: Von der Wennigsener zur 1. Sechziger Konferenz. Der Zentralausschuss der SPD im Kampf um seine Eigenständigkeit. Kovac, Hamburg 2005, ISBN 3-8300-2049-X.
  • Matthias Loeding: Otto Grotewohl kontra Kurt Schumacher. Die Wennigsener Konferenz im Oktober 1945. Kovac, Hamburg 2004, ISBN 3-8300-1391-4.
  • Matthias Loeding: Erste politische Akzente der Berliner SPD nach dem Zusammenbruch: Die Rede Otto Grotewohls auf der ersten Nachkriegsfunktionärskonferenz der SPD am 17. Juni 1945 in Berlin. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Band 45, 2003, Heft 4, S. 101–110.
  • Matthias Loeding: Führungsanspruch und Einheitsdrang. Der Zentralausschuss der SPD in Berlin im Jahre 1945. Kovac, Hamburg 2002, ISBN 3-8300-0770-1 (zugleich Dissertation, Universität Hannover, 2002).
  • Wolfgang Triebel: Gelobt und geschmäht. Wer war Otto Grotewohl? Aufsätze und Interviews mit Zeitzeugen. Trafo-Verlag Weist, Berlin 1998, ISBN 3-89626-133-9.
  • Markus Jodl: Amboß oder Hammer? Otto Grotewohl; eine politische Biographie. Aufbau-Taschenbuch, Berlin 1997, ISBN 3-7466-1341-8.
  • Martin Schumacher (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Otto Grotewohl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Preußische Verlustliste Nr. 560 vom 21. Juni 1916, Deutsche Verlustlisten/Seite 13037: Infanterie-Regiment 137 (Nachtrag) Grotewohl, Otto (1. Genes.-Komp.) – Braunschweig – verw. 11. August 1915; Nr. 583 vom 18. Juli 1916, S. 13421: Infanterie-Regiment 92, 4. Kp.: Otto Grotewohl – Braunschweig – leicht verw.; Nr. 931 vom 7. September 1917, S. 20467: Grotewohl, Otto – 11.3. Braunschweig – schwer verw.
  2. Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964): eine politische Biographie, S. 148 ff. (online bei google books)
  3. Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964). Eine politische Biographie, S. 5.
  4. Dierk Hoffmann (2009), Otto Grotewohl (1894–1964): eine politische Biographie, S. 158 ff. (online)
  5. a b c Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964): eine politische Biographie, Oldenbourg 2009, S. 189 ff. (online)
  6. Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964). Eine politische Biographie. Oldenbourg, 2009, S. 192 ff.
  7. Laut Heinz Voßke: Otto Grotewohl. Biographischer Abriß. Dietz Verlag, Berlin 1979, S. 106 ff., habe sich Grotewohl kurz vor Kriegsende seiner Einberufung zum Volkssturm durch Untertauchen entziehen können; Hoffmann, Otto Grotewohl (1894–1964): eine politische Biographie, Oldenbourg, 2009, S. 190, weist auf fehlende Belege hin und zitiert dagegen aus der Freistellung der Militärbehörde für Grotewohl.
  8. Egon Bahr und Peter Ensikat: 'Gedächtnislücken: Zwei Deutsche erinnern sich'. Aufbau Verlag, Berlin 2012.
  9. Heinz Voßke: Otto Grotewohl. Biographischer Abriß. Dietz, Berlin 1979, S. 316.
  10. Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964). Oldenbourg, München 2009, S. 36 (online).
  11. Heinz Voßke: Otto Grotewohl. Biographischer Abriß. Dietz, Berlin 1979, S. 298 (Ausschnitt).
  12. Begräbnisse und Ehrungen für Parteiveteranen bei argus.bstu.bundesarchiv.de
  13. Martin Baumert: Autarkiepolitik in der Braunkohlenindustrie. Ein diachroner Systemvergleich anhand des Braunkohlenindustriekomplexes Böhlen-Espenhain, 1933 bis 1965. Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 240 = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 40. de Gruyter, Berlin/Boston 2022, ISBN 978-3-11-073478-2, S. 183.
  14. Martin Baumert: Autarkiepolitik in der Braunkohlenindustrie. Ein diachroner Systemvergleich anhand des Braunkohlenindustriekomplexes Böhlen-Espenhain, 1933 bis 1965. Veröffentlichungen aus dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum, Nr. 240 = Schriften des Montanhistorischen Dokumentationszentrums, Nr. 40. de Gruyter, Berlin, Boston 2022, ISBN 978-3-11-073478-2, S. 188 f., 231, 285, 306.
  15. Gabriel Berger: Mir langt’s, ich gehe. Der Lebensweg eines DDR-Atomphysikers von Anpassung zu Aufruhr. Herder, Freiburg im Breisgau 1988, ISBN 3-451-08408-2, S. 237.
  16. Bildende Kunst, Berlin, 12/1964, nach S. 641 (Abbildung)
  17. Büste des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. In: Deutsche Fotothek. Abgerufen am 5. Juni 2022.
  18. Rezension. In: H-Soz-u-Kult, 4. Dezember 2009.