Maßerweiterungssatz von Carathéodory

mathematischer Satz

Der Maßerweiterungssatz von Carathéodory, englisch Carathéodory’s extension theorem, oder auch Satz von Carathéodory über Fortsetzung von Maßen, ist ein Satz aus dem mathematischen Teilgebiet der Maßtheorie. Dieser Satz dient dazu, Prämaße, die auf Mengenringen definiert sind, zu Maßen auf σ-Algebren fortzusetzen. Mit dieser auf Constantin Carathéodory zurückgehenden Methode kann insbesondere das Lebesguemaß auf die Längenbestimmung von Intervallen zurückgeführt werden.

Formulierung des Satzes Bearbeiten

Es sei   ein Prämaß auf einem Mengenring   von Mengen aus einer Grundmenge  . Dann gibt es eine   umfassende σ-Algebra   auf   und eine Erweiterung   von   zu einem Maß auf  , so dass   ein vollständiger Maßraum ist.[1]

Konstruktion Bearbeiten

Man definiert mittels des auf dem Ring gegebenen Prämaßes ein auf der gesamten Potenzmenge   definiertes äußeres Maß und daraus mittels einer geeigneten Einschränkung ein Maß auf einer σ-Algebra. Diese Konstruktion wird nun im Einzelnen beschrieben und parallel auf die Konstruktion des Lebesguemaßes angewandt.

Maße auf Ringen Bearbeiten

Ein Mengenring enthält die leere Menge und ist bezüglich endlicher Vereinigungen und Bildung von Differenzmengen abgeschlossen. Ein Prämaß auf einem solchen Mengenring ist eine Funktion   mit   und  , falls   abzählbar viele paarweise disjunkte Mengen aus   sind, deren Vereinigung wieder in   liegt.[2] Das Standardbeispiel ist die Menge   aller endlichen Vereinigungen halboffener Intervalle   in  , wobei stets   sei. (Für   ergibt sich die leere Menge). Derartige Vereinigungen können immer auch als disjunkte Vereinigung   solcher Intervalle geschrieben werden, und die Festsetzung  , wobei   die Länge eines solchen Intervalls sei, definiert ein Prämaß auf  , das sogenannte Lebesguesche Prämaß.

Dies verallgemeinert sich leicht auf   Dimensionen, wenn man auf   den Mengenring   aller endlichen Vereinigungen n-dimensionaler Intervalle (Quader)   betrachtet, wobei stets   sei. Auch hier kann man sich auf disjunkte Vereinigungen beschränken und in einem solchen Fall

 

definieren, wobei   das übliche elementargeometrische Volumen eines Quaders sei. Man nennt auch dieses Beispiel das n-dimensionale lebesguesche Prämaß.[3]

Konstruktion des äußeren Maßes Bearbeiten

Es sei ein Inhalt   auf einem Mengenring   von Mengen aus einer Grundmenge   gegeben. Für jede Teilmenge   sei

 

wobei  . Dann ist   ein äußeres Maß auf  . Man kann zeigen, dass

  1.  
  2.  

für alle   und  . Die erste Eigenschaft besagt, dass   das vorgegebene Maß fortsetzt, die zweite, dass jede Menge des Grundraums durch jede Menge des vorgegebenen Ringes in zwei Teile zerlegt wird, die sich bzgl.   additiv verhalten.[4]

Übergang zu messbaren Mengen Bearbeiten

Der Kern in Carathéodorys Konstruktion ist die Definition von

 ,

der Nachweis, dass dies eine σ-Algebra definiert, die sogenannte σ-Algebra der Carathéodory-messbaren Mengen, und dass die Einschränkung   ein Maß ist. Wegen obiger zweiter Eigenschaft des äußeren Maßes ist   und wegen der ersten ist   eine Fortsetzung von  .[5] Schließlich zeigt man, dass   jede Menge mit äußerem Maß 0 enthält, woraus sich dann die Vollständigkeit des Maßraums   ergibt.

Wendet man diese Konstruktion auf unser Beispiel des lebesgueschen Prämaßes an, so erhält man das Lebesguemaß auf der lebesgueschen σ-Algebra. In diesem Fall kann man zeigen, dass die lebesguesche σ-Algebra echt größer ist als die von   erzeugte σ-Algebra, die mit der borelschen σ-Algebra zusammenfällt.[6] Allerdings ist der Unterschied nicht zu groß, denn jede Menge der lebesgueschen σ-Algebra unterscheidet sich nur um eine  -Nullmenge von einer Borelmenge, das heißt die lebesguesche σ-Algebra ist die Vervollständigung der borelschen.[7]

Bemerkungen Bearbeiten

Eindeutigkeit Bearbeiten

Als Folgerung aus obigem Satz erhält man, dass sich jedes Prämaß auf einem Ring zu einem Maß auf der vom Ring erzeugten σ-Algebra fortsetzen lässt. Man erhält hier aus dem Eindeutigkeitssatz eine Eindeutigkeitsaussage, wenn man zusätzlich voraussetzt, dass   als abzählbare Vereinigung von Ringmengen endlichen Prämaßes geschrieben werden kann, das Prämaß also  -endlich ist.

Größe der Fortsetzung Bearbeiten

Es lässt sich zeigen, dass wenn das zur Konstruktion verwendete äußere Maß ein metrisches äußeres Maß ist, dass dann die σ-Algebra der messbaren Mengen die Borelsche σ-Algebra enthält. Dies ist eine weitere Erklärung dafür, dass lebesguesche σ-Algebra echt größer ist als die borelsche σ-Algebra.

Halbringe Bearbeiten

Statt von Mengenringen kann man auch vom allgemeineren Begriff des Halbrings ausgehen. Ein Maß bzw. Prämaß auf einem Halbring   wird wie auf Ringen definiert, das heißt, es handelt sich um eine Mengenfunktion  , so dass   und  , falls   paarweise disjunkte Mengen aus   sind, deren Vereinigung wieder in   liegt.[8]

Um in dieser Situation zu einer Maßerweiterung zu kommen, bildet man zunächst den von   erzeugten Ring  , der gleich der Menge aller endlichen, disjunkten Vereinigungen von Mengen aus   ist.[9] Ist   eine solche disjunkte Vereinigung, so wird durch die Festsetzung   ein Prämaß   auf dem Mengenring   erklärt.[10] Darauf kann dann die oben beschriebene Konstruktion angewendet werden.

Das Standardbeispiel ist der Halbring   aller halboffenen n-dimensionalen Intervalle (Quader)

 

mit   und das darauf erklärte Maß des elementargeometrischen Inhalts. Die hier vorgestellte Konstruktion führt also direkt von der Definition des Quadervolumens als Produkt der Seitenlängen zum Lebesguemaß. Sie kann direkt auf allgemeine Produktmaße verallgemeinert werden.

Verallgemeinerungen Bearbeiten

Allgemeiner lässt sich zeigen, dass wenn   ein Halbring ist und   eine additive,  -subadditive und  -endliche Mengenfunktion, eine eindeutige Fortsetzung von   auf   existiert, die ein Maß ist und auf jeder Menge des Halbrings mit der Mengenfunktion übereinstimmt. Diese Formulierung enthält die obige als Spezialfall.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ludger Rüschendorf: Wahrscheinlichkeitstheorie, Springer-Verlag (2016), ISBN 978-3-662-48937-6, Satz 1.2.29
  2. Ernst Henze: Einführung in die Maßtheorie (BI-Hochschultaschenbücher. Bd. 505). Bibliographisches Institut, Mannheim u. a. 1971, ISBN 3-411-00505-X, Kap. 2.
  3. Heinz Bauer: Wahrscheinlichkeitstheorie. 4., völlig überarbeitete und neugestaltete Auflage. de Gruyter, Berlin 1991, ISBN 3-11-012191-3, Kap. I, § 4.
  4. Heinz Bauer: Wahrscheinlichkeitstheorie. 4., völlig überarbeitete und neugestaltete Auflage. de Gruyter, Berlin 1991, ISBN 3-11-012191-3, Kap. I, Satz 5.2.
  5. Heinz Bauer: Wahrscheinlichkeitstheorie. 4., völlig überarbeitete und neugestaltete Auflage. de Gruyter, Berlin 1991, ISBN 3-11-012191-3, Kap. I, Satz 5.4.
  6. Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Satz 2.1.9.
  7. Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Satz 1.5.2
  8. Ernst Henze: Einführung in die Maßtheorie (BI-Hochschultaschenbücher. Bd. 505). Bibliographisches Institut, Mannheim u. a. 1971, ISBN 3-411-00505-X, Kap. 2.
  9. Ernst Henze: Einführung in die Maßtheorie (BI-Hochschultaschenbücher. Bd. 505). Bibliographisches Institut, Mannheim u. a. 1971, ISBN 3-411-00505-X, Kap. 1.5, Satz 6.
  10. Ernst Henze: Einführung in die Maßtheorie (BI-Hochschultaschenbücher. Bd. 505). Bibliographisches Institut, Mannheim u. a. 1971, ISBN 3-411-00505-X, Kap. 2.3, Satz 2.