Klaus Hinrichsen

deutscher Kunsthistoriker

Klaus Ernst Hinrichsen (* 19. April 1912 in Lübeck; † 7. September 2004 in London[1]) war ein deutsch-britischer Kunsthistoriker und Unternehmer.

Kurt Schwitters: Porträt Klaus Hinrichsen, Hutchinson Internment Camp, Frühjahr 1941

Leben Bearbeiten

Klaus Hinrichsen war ein Sohn des Lübecker Rechtsanwalts und Notars Felix Hinrichsen (1878–1956) und seiner Frau Ida, geb. Junge (1879–1959).[2] Seine väterlichen Vorfahren stammten von Ruben Henriques ab, einem Sepharden, der 1646 nach Glückstadt gekommen war und dessen Nachkommen über mehrere Generationen Hofagenten in Mecklenburg-Schwerin wurden. Damit war er weitläufig mit Siegmund Hinrichsen und Henri Hinrichsen verwandt.

Er wurde, wie schon sein Vater, evangelisch getauft und wuchs in großzügigen Verhältnissen in der Hohelandstraße 61 auf. Ab 1918 besuchte er das Katharineum zu Lübeck bis zum Abitur Ostern 1931. Zu seinen ersten prägenden Kunsterfahrungen zählte die Emil-Nolde-Ausstellung in der Katharinenkirche zur Nordischen Woche 1921.[3] Von 1931 bis 1936 studierte er Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Germanistik an den Universitäten München (zwei Semester), Rostock (Sommersemester 1932[4]), Berlin (ein Semester) und Hamburg. 1937 wurde er in Hamburg mit einer von Carl Georg Heise angeregten[5] und von Ludwig Heinrich Heydenreich betreuten Dissertation über Tönnies Evers den Jüngeren zum Dr. phil. promoviert. Etliche der in ihr untersuchten Werke von Evers fielen dem Luftangriff auf Lübeck am 29. März 1942 zum Opfer, was der Dissertation besonderen dokumentarischen Wert gibt.

Aufgrund seiner nach den Nürnberger Gesetzen nichtarischen Abstammung bestanden keine Aussichten auf Anstellung. Er schrieb zunächst Artikel für das Allgemeine Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart und das Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Im Mai 1939 gelang ihm die Emigration nach Großbritannien. Seine beiden jüngeren Brüder Jürgen Joachim (1915–2011)[6] und Joachim Otto (1920–1948) emigrierten nach Argentinien.

Hinrichsen fand eine Anstellung als Londoner Agent eines Schweizer Fachverlags für medizinische Publikationen.[7] Zunächst in die Kategorie C eingestuft und damit zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von der Internierung befreit, wurde er nach dem Beginn des deutschen Westfeldzugs 1940 wie alle Enemy Aliens in Großbritannien interniert. Er kam in das Hutchinson Internment Camp, ein Internierungslager in Douglas auf der Isle of Man, dank des blühenden künstlerischen und intellektuellen Lebens seiner Internierten auch als das „Lager der Künstler“ bekannt. Innerhalb von vier Tagen nach seiner Ankunft wurde Hinrichsen zum Sekretär der Kulturabteilung berufen. In dieser Position arrangierte er Ausstellungen, Lesungen und Konzerte. Seine besondere Bedeutung liegt darin, dass er Dokumente wie die Lagerzeitung The Camp aufbewahrte und zum Chronisten des Camps und seiner Insassen wurde. Besondere Freundschaften verbanden ihn mit Erich Kahn und Kurt Schwitters. Schwitters schuf im Winter 1940/41 ein Porträt von Hinrichsen, das später eine Briefmarke der Post der Isle of Man schmückte.[8] Im Juni 1941 wurde Hinrichsen aus der Internierung entlassen. Er meldete sich freiwillig zum Dienst in der British Home Guard und stellte seine Verbindungen in die Schweiz dem britischen Nachrichtendienst zur Verfügung.[1]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs baute er in London ein erfolgreiches Handelsunternehmen für chemische und pharmazeutische Grundstoffe auf. Am 7. Juni 1948 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft.[9] 1962 zeichnete ihn die City of London als Freeman of the City aus.[1]

Seit 1942 war er verheiratet mit Margarete, geb. Levy (geb. 21. Oktober 1919 in Bad Polzin), die 1937 nach Großbritannien gekommen war. Ihr Vater Leo Levy (1881–1938) war während der Novemberpogrome 1938 in seinem Haus in Bad Polzin von der SA erschossen worden.[10] Das Ehepaar lebte in Highgate im London Borough of Camden.

Nachlass Bearbeiten

Hinrichsens Familie übergab seine Sammlung von Unterlagen zur Internierung 2005 dem Archiv der Tate Gallery, wo sie der Forschung zur Verfügung steht und weitgehend digitalisiert ist.[11]

Veröffentlichungen Bearbeiten

  • Tönnies Evers (1558–1613). Ein Beitrag zur Geschichte des Stilwandels in der deutschen Plastik um 1600. Dissertation Hamburg 1937.
  • Visual Arts Behind The Wire. In: David Cesarani, Tony Kushner (Hrsg.): The Internment of Aliens in 20th-Century Britain. London 1993, S. 188–209.

Literatur Bearbeiten

  • Ulrike Wendland: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler. Teil 1: A–K. K. G. Saur, München 1999, ISBN 3-598-11339-0, S. 306.
  • Shulamith Behr: Klaus E. Hinrichsen: The Art Historian behind 'Visual Art behind the Wire'. In: Shulamith Behr, Marian Malet (Hrsg.): Arts in Exile in Britain 1933–1945: Politics and Cultural Identity (= The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies 6). Rodopi, Amsterdam, New York 2005, ISBN 90-420-1786-4, S. 17–41.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c Obituary: Klaus Hinrichsen. In: The Guardian. 28. September 2004 (theguardian.com).
  2. Ulrike Wendland: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. …. 1999, ISBN 3-598-11339-0, S. 306.
  3. Shulamith Behr: Klaus E. Hinrichsen: The Art Historian behind ‘Visual Art behind the Wire’. In: Shulamith Behr, Marian Malet (Hrsg.): Arts in exile in Britain 1933–1945: politics and cultural identity. Rodopi, Amsterdam / New York 2005, ISBN 90-420-1786-4, S. 17–41, hier S. 27.
  4. Klaus Hinrichsen (1932 SS). im Rostocker Matrikelportal.
  5. Lebenslauf. In: Tönnies Evers (1558–1613). Ein Beitrag zur Geschichte des Stilwandels in der deutschen Plastik um 1600. (Eingeschränkte Ansicht, books.google.de).
  6. Nachruf, abgerufen am 26. Oktober 2019
  7. Shulamith Behr: Klaus E. Hinrichsen: The Art Historian behind 'Visual Art behind the Wire'. In: Shulamith Behr, Marian Malet (Hrsg.): Arts in exile in Britain 1933–1945: politics and cultural identity. Rodopi, Amsterdam, New York 2005, ISBN 90-420-1786-4, S. 17–41, hier S. 31.
  8. Briefmarke; zu Schwitters 20-30 Porträts im Camp siehe Shulamith Behr: Klaus E. Hinrichsen: The Art Historian behind 'Visual Art behind the Wire'. In: Shulamith Behr, Marian Malet (Hrsg.): Arts in exile in Britain 1933–1945: politics and cultural identity. Rodopi, Amsterdam, New York Rodopi 2005, ISBN 90-420-1786-4, S. 17–41, hier S. 20–22.
  9. Naturalisation Certificate: Klaus Ernst Hinrichsen, The National Archives, abgerufen am 26. Oktober 2019; die ausführlichen Naturalisierungsunterlagen sind ebenfalls erhalten, aber bis 2066 gesperrt.
  10. Interview mit Margarete Hinrichsen, in Marian Malet, Anthony Grenville (Hrsg.): Changing Countries: The Experience and Achievement of German-speaking Exiles from Hitler in Britain, from 1933 to Today. London 2002, ISBN 1-870352-61-0.
  11. 224 digitalisierte Objekte, Tate Gallery, abgerufen am 27. Oktober 2019.