Justizvollzugsanstalt Braunschweig

Gefängnisanlage und Haftanstalt

Die Justizvollzugsanstalt Braunschweig, auch JVA Braunschweig oder JVA Rennelberg, ist ein Gefängnis in Braunschweig. Es ist das ehemalige Kreis- und Untersuchungsgefängnis. Der Gebäudekomplex auf dem Rennelberg steht unter Denkmalschutz.[1]

Eingangsbereich der JVA Braunschweig, Rennelbergstraße 10, von der Rennelbergstraße aus gesehen

Geschichtlicher Hintergrund Bearbeiten

Braunschweig verfügte seit dem Mittelalter über mehrere Gefängnisse. Im Weichbild Altstadt befand sich der sogenannte „Diebskeller“ mit Folterkammer im Untergeschoss des Altstadtrathauses. Weitere Gefängnisse waren im Keller der Ratsapotheke am Eiermarkt und bereits seit 1368 im „Langen-“ oder „Wipperturm“ am Südende der Straße Kattreppeln. Dort kamen unter ungeklärten Umständen mehrere Verbrecher und ungehorsame Kinder aus der Oberschicht ums Leben. Als das Bauwerk 1723 abgerissen wurde, fand man dort zahlreiche Skelette.[2] Im „Lauenturm“ zwischen Kohlmarkt und Hutfiltern sowie im 1786 abgerissenen Turm des Fallersleber Tores saßen unter anderem Schuldner ein. Zwischen 1671 und 1830 befand sich zudem ein Gefängnis im Westflügel des Neustadtrathauses. Das Militärgefängnis befand sich von 1806 bis 1832 im umgebauten Augusttor, anschließend von 1832 bis 1867 im Aegidienkloster, wo sich auch seit 1832 die Haftanstalt für den Kreisgerichtsbezirk Braunschweig und seit 1840 die Landesstrafanstalt befand.[3] Um erhöhten Sicherheitsanforderungen an Gefängnissen nachzukommen, wurde 1884/1885 auf dem Rennelberg das neue Kreis- und Untersuchungsgefängnis erbaut.

Kreis- und Untersuchungsgefängnis ab 1885 Bearbeiten

 
Grundriss von 1884

Der Gebäudekomplex wurde auf dem Gelände des Kreuzklosters Braunschweig errichtet. Er ist in drei Hauptgebäude, ein Küchen- und Wirtschaftsgebäude, zwei unternehmerische Betriebe, einen Werkbetrieb sowie eine Kirche und ein Verwaltungsgebäude untergliedert. Ursprünglich verfügte das Gefängnis über 150 Zellen für 296 Personen.[4] Die Einzelzellen hatten eine Abmessung von 2 m Breite und 3 m Länge sowie jeweils einen Abtritt in einer Ecke.

Im Jahr 1885[4] wurde es auf dem Rennelberg in Betrieb genommen, nachdem die bisherige Unterbringung von Gefangenen in dem Gebäude des Aegidienklosters nach der Änderung vom 31. Mai 1870 des Strafgesetzbuches nicht mehr den Anforderungen entsprach.[3] Im nördlichen Flügel des Gebäudetraktes war das Untersuchungsgefängnis untergebracht. Die Strafabteilungen für Männer befanden sich im südlichen Flügel und im Obergeschoss des mittleren Gebäudes, während die Frauen in der mittleren Etage untergebracht waren.[5]

Auf dem rund 14.000 m² großen Grundstück hatten sich bis dahin ein Meiereigarten, Scheunen und Lagergebäude des Klosters befunden. 1884 wurde die neue Rennelbergstraße angelegt, die zum Eingang des Gefängnisses führt. Bei einer Meuterei und dem anschließenden Ausbruchsversuch am Anfang des Jahres 1919 soll es 15 mit Beilen bewaffneten Häftlingen gelungen sein, bis auf die Rennelbergstraße zu gelangen.[6]

Die Untersuchungshaftanstalt Rennelberg Bearbeiten

Im Hauptgebäude waren im Mittelbau zunächst die Geschäftsräume und das Frauengefängnis untergebracht. Die beiden Seitenflügel wurden als Strafgefängnis und als Untersuchungsgefängnis für Männer genutzt. In der Zeit des Nationalsozialismus lag die durchschnittliche Belegung bei rund 344 Männern und 50 Frauen. Diese Zahl lag oberhalb der eigentlichen Kapazität des Gefängnisses. In dieser Zeit wurden dort auch Oppositionelle untergebracht, die in Schutzhaft genommen worden waren. Es gab unterschiedliche, meist willkürliche Gründe für die Inhaftierung. Oftmals handelte es sich um Menschen, die vom nationalsozialistischen Regime als Andersdenkende oder politische Gegner eingestuft wurden.[7]

Die Justizvollzugsanstalt Bearbeiten

Einige Gebäude von außerhalb fotografiert
Mauern von der Petristraße aus gesehen

Aufgabe der JVA Braunschweig ist der Vollzug der Untersuchungshaft an männlichen Häftlingen. Für jugendliche Untersuchungsgefangene stehen zudem 21 gesonderte Haftplätze zur Verfügung. Am 1. Januar 2011 wurde die bis dahin selbständige JVA Braunschweig mit dem Bereich Helmstedt im Zuge der Neuordnung des Strafvollzugs in Niedersachsen der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel als Abteilung unterstellt.[8]

In der Anstalt können bis zu 143 Häftlinge untergebracht werden, ihnen stehen während der Zeit ihrer Inhaftierung in der JVA Braunschweig mehrere Betätigungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Beschäftigungsmöglichkeiten
In den Werk- und Unternehmerbetrieben können unterschiedliche Arbeiten verrichtet werden, beispielsweise in der Papier- und Kunststoffverarbeitung. Hier werden Massendruckerzeugnisse sortiert und konfektioniert, Versandartikel eingeschweißt und verpackt sowie Klebe-, Montage- oder Etikettierarbeiten ausgeführt.
Ferner bestehen Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich der Wäscherei und in der Küche oder der Gebäudereinigung. Auch die Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen innerhalb der Anstalt werden unter qualifizierter Anleitung von Inhaftierten ausgeführt.[9]
Freizeitgestaltung
Für die sportliche Ertüchtigung werden den Häftlingen neben Mannschaftssportarten wie Fußball unter anderem Tischtennis, Fitness- oder Lauftraining angeboten. Zusätzlich gibt es Gemeinschaftsräume, in denen Gesellschaftsspiele oder Fernsehgeräte bereitstehen. Auch schulische Weiterbildungsmaßnahmen oder Kunstkurse werden angeboten.[10] Im Jahr 2011 gab der Cellist Peter Bruns ein Konzert für die Insassen der Anstalt, das von rund 50 Häftlingen besucht wurde.[11]

Bekannte Inhaftierte Bearbeiten

Name Bemerkung Jahr / Zeitraum
Ernst Böhme SPD-Politiker, von 1929 bis 1933 sowie von 1945 bis 1948 Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig. Er wurde 1933 von den Nationalsozialisten in „Schutzhaft“ genommen.[12] 12. März bis 19. April 1933
Klaus Geyer Pfarrer, 1998 wegen Totschlags im Affekt an seiner Frau verurteilt.[13] 30. Juli 1997 bis 16. April 1998
Erich Gniffke[14] SPD-, später SED-Politiker wurde mehrmals in „Schutzhaft“ genommen.[15] 1933 und
August 1938 bis Juni 1939
Otto Grotewohl[14] SPD-, später SED-Politiker, von 1949 bis 1964 Ministerpräsident der DDR. August 1938 bis März 1939[16]
Berthold Heilig SS-Kreisleiter wegen Mordes am 12. Juni 1947 zum Tode verurteilt, er konnte jedoch aus dem Gefängnis entfliehen. ab 28. März 1946
Auguste Imlau Sie wurde als bekennende Zeugin Jehovas wegen „Aufrechterhaltung und Fortsetzung einer verbotenen Organisation“ 1934 zunächst zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Insgesamt verbrachte sie 14 Monate in der Haftanstalt am Rennelberg, ehe sie in das KZ Ravensbrück überführt wurde.[12] 1934, 1937 und 1938
Heinrich Jasper SPD-Politiker und mehrfacher Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig wurde im Rennelberg misshandelt und gefoltert. Er starb später im KZ Bergen-Belsen.[12] 18. März bis 19. April 1933
Dietrich Klagges von 1933 bis 1945 ernannter NSDAP-Ministerpräsident Landes Braunschweig
(von US-Truppen verhaftet, später zu Haftstrafe verurteilt)
ab 13. April 1945
Albert Rohloff Braunschweiger SPD-Politiker. März bis April 1933,
1935 und 1938[17]
Ferenc Sos 5-fach-Mörder der Familie Kraemer, saß 1977 in der JVA ein.[18] 1977
Otto Thielemann Braunschweiger SPD-Politiker und Redakteur des Braunschweiger Volksfreundes wurde vom Sondergericht Braunschweig aufgrund des Heimtückegesetzes zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.[12] 1933 bis Juli 1936
Klaus Volkert[19] Gewerkschafter, ehemaliger VW-Betriebsratsvorsitzender 21. November bis
12. Dezember 2006
Erna Wazinski Sie wurde vom Sondergericht wegen angeblicher Plünderungen als Volksschädling zum Tode verurteilt. Vor ihrer Hinrichtung in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel war sie im Gefängnis Rennelberg untergebracht.[12] Oktober/November 1944
Hans-Walter Zech-Nenntwich SS-Offizier, konnte 1964 mit Hilfe von zahlreichen Komplizen unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen aus der Haft entkommen.[20] Frühjahr 1964 bis 21./22. April 1964

Schließungspläne Bearbeiten

Es war geplant, die Abteilung Braunschweig bis zum Ende des Jahres 2018 zu schließen, nachdem im Jahr 2013 bekannt wurde, dass ein 17-jähriger Insasse vermutlich durch sechs seiner Mithäftlinge monatelang misshandelt worden war.[21][22] Schon zuvor war es im Januar des Jahres zu einem Zwischenfall in der JVA gekommen, als sich ein 75-jähriger Untersuchungshäftling mit einem Gürtel in seiner Zelle erhängt hatte.[23] Die Häftlinge sollen nach der Schließung in die Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel verlegt werden. Der Investitionsaufwand für eine Sanierung der Rennelberg-Gebäude wird auf 5 bis 8 Millionen Euro geschätzt.[5]

Die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz bestätigte den Beschluss zur endgültigen Aufgabe des Standorts Braunschweig und kündigte an, dass die Investitionsmittel stattdessen für den Ausbau der JVA Wolfenbüttel genutzt werden sollen. Das dortige „Graue Haus“ soll für rund 15 Millionen Euro umgebaut werden, für die jugendlichen Straftäter werden zusätzliche 8 Millionen Euro in die Modernisierung des Jugendgefängnisses in Hameln investiert.[24] Die endgültige Stilllegung der Anlage ist inzwischen festgelegt. Die Verlegung der Häftlinge nach Wolfenbüttel soll zu verbesserten Haftbedingungen und einem effizienteren Justizvollzug führen. Danach sollen die Gebäude an den Landesliegenschaftsfond übergeben werden, wo über die Nachnutzung entschieden werden soll.[25]

Braunschweigs „längste Straße“ Bearbeiten

 
Der Rennelberg im Jahre 1899 mit Kreuzkloster und Gefängnis („Nr. 10“)

Die zur JVA führende Rennelbergstraße wird im Volksmund – obwohl nur wenige Hundert Meter lang – als „längste Straße Braunschweigs“ bezeichnet, da viele, die sich dort hineinbegeben, oft erst nach Jahren wieder herauskommen.[26]

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Justizvollzugsanstalt Braunschweig – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Wolfgang Kimpflinger: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Baudenkmale in Niedersachsen. Band 1: Stadt Braunschweig. Teil 2. 1996, S. 170 f.
  2. Norman-Mathias Pingel: Gefängnisse. In: Braunschweiger Stadtlexikon. Braunschweig 1992, S. 82.
  3. a b Norman-Mathias Pingel: Gefängnisse. In: Braunschweiger Stadtlexikon. Braunschweig 1992, S. 83.
  4. a b Rudolf Blasius (Hrsg.): Braunschweig im Jahre MDCCCXCVII. Festschrift den Theilnehmern an der LXIX Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Braunschweig 1897, S. 413.
  5. a b Norbert Jonscher: Neue Chancen für den Rennelberg. In: Braunschweiger Zeitung. 16. Januar 2014 (kostenpflichtig).
  6. Untersuchungsgefängnis „Rennelberg“. (Memento des Originals vom 3. Februar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.braunschweig.de In: Neue Westpost. (PDF, S. 6.) auf braunschweig.de. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  7. Untersuchunghaftanstalt Rennelberg – Überblick auf vernetztes-gedaechtnis.de
  8. Die Abteilung Braunschweig der JVA Wolfenbüttel (Memento des Originals vom 18. April 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.justizvollzugsanstalt-wolfenbuettel.niedersachsen.de auf justizvollzugsanstalt-wolfenbuettel.niedersachsen.de.
  9. Reiter Arbeit anwählen (Memento vom 15. Dezember 2013 im Internet Archive) auf 1a-jva.de.
  10. Reiter Freizeit anwählen (Memento vom 15. Dezember 2013 im Internet Archive) auf 1a-jva.de.
  11. Kennen Sie Ernst Toch? auf kiz-online.de.
  12. a b c d e Untersuchungshaftanstalt Rennelberg – Einzelschicksale auf vernetztes-gedaechtnis.de
  13. Klaus Geyer: Entschuldigung aus der Zelle. In: Die Zeit. Nr. 8, vom 13. Februar 1998. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  14. a b Karl Wilhelm Fricke, Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.): Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder (= Beck’sche Reihe. Bd. 1479). C. H. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47619-8, S. 204.
  15. Gniffke, Erich Walter auf bundesstiftung-aufarbeitung.de. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  16. Schwarz-rot-goldene Worte in: Der Spiegel. Nr. 42, vom 13. Oktober 1949. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  17. Albert Rohloff (Memento vom 29. Januar 2017 im Internet Archive) auf zhsf.gesis.org. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  18. Joachim Holtz: Der Faden wurde ihm zum Strick. In: Die Zeit. Nr. 19, vom 6. Mai 1977. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  19. Henning Noske: Volkerts neue Bleibe. In: Braunschweiger Zeitung. 21. November 2006 (kostenpflichtig).
  20. Kai Hermann: Die Karriere eines SS-Offiziers. In: Die Zeit. Nr. 18, vom 1. Mai 1964. Abgerufen am 22. Januar 2014.
  21. Misshandlung in Haft: Besonders schwerer Fall. (Memento vom 22. Februar 2014 im Internet Archive)
  22. Birgit Wiefel: Knast: Doch noch kein „Aus“. In: Neue Braunschweiger. 16. September 2016 (neue-braunschweiger.de).
  23. Jörg Fiene: Mordverdächtiger hatte Seelsorge-Telefon in der Zelle. In: Braunschweiger Zeitung. 2. April 2013 (kostenpflichtig).
  24. Michael Ahlers: Land baut hunderte Haftplätze ab In: Braunschweiger Zeitung. 22. Januar 2014 (kostenpflichtig).
  25. Alexander Panknin: Schließung der JVA Braunschweig: Häftlinge ziehen bald nach Wolfenbüttel um. 3. August 2023 ([1])
  26. Jürgen Hodemacher: Braunschweigs Straßen. Ihre Namen und ihre Geschichten. Band 2: Zwischen Okergraben und Stadtring. Elm-Verlag, Cremlingen 1996, ISBN 3-927060-12-7, S. 249.

Koordinaten: 52° 16′ 7″ N, 10° 30′ 27,9″ O