Johann Jakob Röttinger

deutsch-schweizerischer Glasmaler

Johann Jakob Röttinger (* 24. März 1817 in Nürnberg; † 29. Januar 1877 in Zürich) war ein Schweizer Glasmaler, der sich 1848 in Zürich mit der Eröffnung einer eigenen Werkstatt etablierte.

Johann Jakob Röttinger
Paulusfenster in Wädenswil, 1862
Glasfenster von 1867 in der reformierten Kirche in Baar ZG

Leben und Werk Bearbeiten

Johann Jakob Röttinger stammte aus einer Nürnberger Handwerkerfamilie, die sich dem Beruf der Nadler verschrieben hatte. Ab 1830 besuchte er die damals unter der Leitung des Kupferstechers Albert Reindel (1784–1853) stehende Königliche Kunstgewerbeschule in Nürnberg. Der junge Künstler absolvierte eine Lehre als Glasmaler beim bekannten Glas- und Porzellanmaler Franz Joseph Sauterleute (1793–1843) aus Weingarten. Die Lehrjahre ermöglichten ihm die Mitarbeit an renommierten Projekten, insbesondere der Wappenscheiben für die Gruftkapelle Thurn und Taxis in Regensburg und im württembergischen Schloss Lichtenstein.

1844 verlegte Röttinger seinen Wohn- und Arbeitsort nach Zürich, um beruflich beim ebenfalls aus Nürnberg stammenden Glasmaler Johann Andreas Hirnschrot (1799–1845) einzusteigen. Nach dessen frühem Tod ergab sich die Gelegenheit die Zürcher Werkstatt zu übernehmen und sich 1848 als selbstständiger Glasmaler zu etablieren. Seine Geschäftstüchtigkeit und professionelle Arbeitsweise, die gute Vernetzung mit Zürcher Wissenschaftlern, wie Johann Rudolf Rahn, Ferdinand Keller und nicht zuletzt die Unterstützung seiner aus Ossingen ZH stammenden Ehefrau Verena Fehr verhalfen dem Einwanderer zum Erfolg.

Röttinger erhielt grosse Aufträge in Stadtkirchen – dem Zürcher Grossmünster (nach Entwürfen von Georg Konrad Kellner),[1] dem Basler Münster, der St. Galler St. Laurenzenkirche, der Stadtkirche Glarus,[2] der reformierten Stadtkirche Solothurn – und in zahlreichen Landkirchen – Unterägeri ZG, Leuggern AG,[3] Kirchdorf AG, Wädenswil ZH,[4] Bünzen AG, Nottwil LU, Glis VS, San Gian (Celerina)[5] u. v. a.

Die von Röttinger geschaffenen Wappenzyklen im Rathaus zu Rapperswil SG, in der Friedhofkapelle Stand NW sowie für die ehemalige Friedhofkapelle in Schwyz zeugen von der Wiederaufnahme der traditionellen schweizerischen Sitte, der Stiftung von Wappenscheiben. Das zeichnerische Inventar von mittelalterlichen Glasmalereien in ehemaligen Schweizer Klosterkirchen, Königsfelden AG und Kappel am Albis ZH, der Klosterkirche Hauterive FR und der Kirche Frauenfeld Oberkirch weist den Glasmaler als frühen Denkmalpfleger und Restaurator aus. Die Ausbildung zahlreicher junger Glasmaler aus der Schweiz und aus Deutschland, die später teilweise eigene Ateliers eröffneten, Geschäftsverbindungen in die deutsche und französische Schweiz, ins Elsass und zum Einkauf von Glas bis nach Paris und nach Polen sowie der Einbau aus England gelieferter Scheiben für eine anglikanische Kirche im Wallis lassen die Werkstatt unter Johann Jakob Röttinger als Kristallisationspunkt des Kulturtransfers und als Wiege einer ganzen Glasmalergeneration erscheinen.

Röttingers Glasmalerei war dem Zeitgeist entsprechend dem Historismus und der spätnazarenischen Malerei verpflichtet. Die häufig plakative Wirkung seiner Werke wird durch starke Farbkontraste unterstrichen, letzteres wohl ein Erbe der Nürnberger Ausbildung. Weitere Anregungen holte er sich in der Mariahilfkirche in München, einem Aushängeschild der damaligen Glasmalerei im süddeutschen Raum.

Johann Jakob Röttinger starb 1877 mitten im Arbeitsleben stehend und hinterliess sieben Kinder; die jüngsten beiden und männlichen Nachkommen waren damals noch schulpflichtig. Trotz des vorübergehend notwendig gewordenen Verkaufs der Firma konzentrierte sich die Witwe zielgerichtet auf die Zukunft, nämlich die Ausbildung ihrer Kinder und den Erhalt der Liegenschaft. Dies ermöglichte 1887 – im Todesjahr Verena Röttingers – die Wiedereröffnung des Ateliers durch seine Söhne Jakob Georg Röttinger (1862–1913) und Heinrich Röttinger (1866–1948).

Der Nachlass des Glasmalerateliers Röttinger wird seit 2008 in der Zentralbibliothek Zürich verwahrt.[6]

Literatur Bearbeiten

  • Heinrich Appenzeller: Röttinger, Johann Jakob. In: Carl Brun: Schweizerisches Künstler-Lexikon, Band 2, Frauenfeld 1908, S. 661 (Digitalisat).
  • Röttinger, Johann Jakob. In: Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Band 28: Ramsden–Rosa. E. A. Seemann, Leipzig 1934, S. 508–509 (biblos.pk.edu.pl).
  • Elgin Vaassen: Bilder auf Glas. Glasgemälde zwischen 1780 und 1870. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1997, ISBN 3-422-06206-8, S. 48f.
  • Elgin Vaassen: Röttinger, Johann Jakob. In: Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst, hrsg. vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft, Band 2, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1998, ISBN 3-85823-673-X, S. 887.
  • Eva-Maria Scheiwiller-Lorber: „... gemäß den Regeln und Gesetzen der Ästhetik und der christlichen Kunst [...]“. Johann Jakob Röttinger: Ein Glasmalerpionier im Dienste des Historismus. Peter Lang, Bern u. a. 2014, ISBN 978-3-0343-1518-0 (Dissertation Universität Zürich 2012).
  • Eva-Maria Scheiwiller-Lorber: „Der Lehrende Christus“. Studie zu einem zentralen Motiv im sakralen Werk des Glasmalers Johann Jakob Röttinger (1817–1877). In: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte Band 71, 2014, Heft 4, S. 269–286 (Digitalisat).
  • Eva-Maria Scheiwiller-Lorber: Röttinger, Johann Jakob. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker (AKL). Band 99, de Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-023265-3, S. 241.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Johann Jakob Röttinger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ulrich Gerster: Die Kirchenfenster des Grossmünsters Zürich. Augusto Giacometti – Sigmar Polke. GSK, Bern 2012, ISBN 978-3-03797-071-3; Regine Abegg, Christine Barraud Wiener, Karl Grunder: Die Kunstdenkmäler des Kanton Zürich. Neue Ausgabe, Band III.I., Die Stadt Zürich III.I. Altstadt rechts der Limmat. Sakralbauten. GSK, Bern 2007.
  2. Jürg Davatz: Die Stadtkirche Glarus (1861–1999). Ein Hauptwerk von Ferdinand Stadler und des Historismus in der Schweiz. Hrsg. von der Gemeinde Glarus und der Erziehungsdirektion des Kantons Glarus. Glarus 2000.
  3. Jürg Andrea Bossardt, Urs N. Kaufmann: Die röm.-kath. Pfarrkirche St. Peter und Paul Leuggern. GSK, Bern 2012.
  4. Peter Ziegler: Reformierte Kirche Wädenswil. hrsg. v. d. Evangelisch-reformierten Kirche Wädenswil. Wädenswil 2005.
  5. Rita Muggli und Oskar Emmenegger: Kirche San Gian bei Celerina/Schlarigna. In: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hrsg.): Schweizerische Kunstführer. Band 33, Nr. 323. Schaer Thun AG, Uetendorf 1993, ISBN 3-85782-323-2, S. 6.
  6. Nachlass des Glasmalereiateliers Röttinger in der Zentralbibliothek Zürich.