Victor Charbonnet

Schweizer Ingenieur und freisinniger Politiker

Victor-Marc Charbonnet (* 9. November 1861 in Les Eaux-Vives bei Genf; † 18. Mai 1924 in Cologny; heimatberechtigt in Genf) war ein Schweizer Ingenieur und freisinniger Politiker.

Leben Bearbeiten

Familie Bearbeiten

Victor Charbonnet war der Sohn des Unternehmers Jean Baptiste (genannt John) Charbonnet († 1914)[1] und dessen Ehefrau Marie Isaline (geb. Durand).

Er war verheiratet mit Louise Anna, der Tochter des Unteroffiziers Abraham Louis Proh.

Werdegang Bearbeiten

Victor Charbonnet besuchte, nach Beendigung des Gymnasiums in Genf, von 1878 an, das Eidgenössische Polytechnikum (siehe ETH Zürich) in Zürich und erhielt am 18. März 1882 sein Diplom als Ingenieur.[2]

Er war anschliessend erst als Vermessungstechniker beim Bau einer Eisenbahnlinie in Frankreich tätig, bevor er 1883 in einem Unternehmen in St. Dizier, das sich auf den Bau von Brücken spezialisiert hatte, arbeitete. 1885 kehrte er nach Genf zurück, erwarb das genferische Geometerpatent und war darauf im Büro seines Vaters tätig, das er 1898 übernahm und leitete.

Von 1915 bis zu seinem Tod war er als Gesundheitsdirektor im Dienst des öffentlichen Gesundheitswesens[3]; gleichzeitig erfolgte seine Ernennung zum Bau- und Wohnungsinspektor.[4]

In der Schweizer Armee wurde er bei der Genietruppe im Dezember 1882[5] zum Leutnant, 1889[6] zum Oberleutnant und 1897[7] zum Hauptmann befördert.

1918 trat er aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand.[8]

Politisches und gesellschaftliches Wirken Bearbeiten

Victor Charbonnet wurde 1890 als Radikaler in den Gemeinderat von Les Eaux-Vives gewählt und er war von 1896, als Nachfolger von Jules Mussard (1857–1935)[9], bis 1903 stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde.

Von 1901[10] bis 1903 war er Grossratsdeputierter und -sekretär sowie, als Nachfolger[11] von Fritz Thiébaud (1842–1908)[12], von 1903[13] bis 1915 Staatsrat; dort leitete er, als Nachfolger[14] des Botanikers Henri Romieux (1857–1937)[15], das Departement für öffentliche Arbeiten und Bauten sowie 1909[16] für einige Monate, das Departement für das Polizeiwesen, das von Albert Maunoir geführt worden war. In seinem Zeitraum konnten die Pläne für den Wiederaufbau des Wahlgebäudes (Bâtiment électoral)[17] und der Errichtung der Brücke Pont Butin im Kanton Genf verabschiedet werden. Er wurde 1904 durch den Staatsrat zu einem Mitglied in den Kreiseisenbahnrat I gewählt[18]; im selben Jahr ernannte ihn der Staatsrat zum Nachfolger des verstorbenen Alfred Vincent (1850–1906)[19] im Verwaltungsrat der Schweizerischen Bundesbahnen[20]; er war auch Vertrauensmann des Bundesrates[21] beim Rückkauf des Bahnhof Genève-Cornavin.[22][23][24][25]

1912 wurde er in die Gotthardvertragskommission entsandt[26] und im selben Jahr wurde er Mitglied des Direktionskomitees, das der Verwaltungsrat des Verbandes Pro Sempione (siehe Simplonstrecke) bestellte.[27][28]

1904 wurde er zum Mitglied des Verwaltungsrats der Gesellschaft Genevois, die die gleichnamige Publikation[29] herausgibt, gewählt.[30][31]

Er setzte sich 1907 für das Gesetz Militärorganisation der schweizerischen Eidgenossenschaft (siehe Volksabstimmungen in der Schweiz 1907) ein.[32]

1907[33] erfolgte seine Wahl zum Vizepräsidenten und im darauffolgenden Jahr[34] zum Präsidenten des Staatsrats.

Er war vom 4. Dezember 1911 bis zum 6. Dezember 1914 Nationalrat und sprach sich für das Gotthardabkommen aus, in deren Vertragskommission er als Mitglied vertreten war.[35][36][37] Weil er sich für das Abkommen aussprach, kam es im April 1913 zu einer Demonstration vor seiner Wohnung, in der sein Rücktritt als Staatsrat verlangt wurde. Einige Freunde von ihm, die hiergegen intervenierten, wurden daraufhin misshandelt.[38] In einem Interview mit der Zeitung La tribune de Genève, bekräftigte er nochmals seine Zustimmung.[39] Aufgrund seiner Haltung zum Gotthardvertrag verlor er 1914 bei der Wahl zum Nationalrat seinen dortigen Sitz.[40]

1913 wurde er in den Verwaltungsrat der Berner Alpenbahngesellschaft gewählt[41] und er gehörte im selben Jahr der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats an.[42]

Er unterstützte 1913 einen Aufruf an das Schweizervolk, in dem um die Einrichtung eines besonderen Nationalfonds für die Militär-Luftfahrt geworben wurde.[43]

1913 war er Vizepräsident der Kommission für die Revision des Fabrikgesetzes[44] im Nationalrat und deren Berichterstatter.[45][46]

Er trat 1915 als Staatsrat zurück.

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Avis mortuaires. In: La tribune de Genève 15. Mai 1914 Ausgabe 05. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  2. Schweiz. In: Neue Zürcher Zeitung 19. März 1882. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  3. Eidgenossenschaft. In: Neue Zürcher Nachrichten 4. September 1915 Ausgabe 03. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  4. Kantone: Genf. In: Neue Zürcher Zeitung 5. September 1915. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  5. Telegramme. In: Neue Zürcher Zeitung 20. Dezember 1882 Ausgabe 02. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  6. Telegramme. In: Neue Zürcher Zeitung 15. Februar 1889 Ausgabe 02. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  7. Beförderungen und Kommandos. In: Neue Zürcher Zeitung 31. Januar 1897. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  8. Nécrologie: Victor Charbonnet. In: La liberté 20. Mai 1924. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  9. Jacques Barrelet, Pia Todorovic Redaelli: Jules Mussard. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 29. Juli 2009, abgerufen am 22. Februar 2024.
  10. Schweiz. In: Der Bund 20. November 1901. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  11. Schweiz: Genf. In: Zürcherische Freitagszeitung 13. November 1903. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  12. Guy Le Comte, Susanne Ritter-Lutz: Fritz Thiébaud. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 19. Februar 2014, abgerufen am 22. Februar 2024.
  13. Genf. In: Neue Zürcher Zeitung 11. November 1903 Ausgabe 02. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  14. Genfer Brief. In: Grütlianer 19. Januar 1904. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  15. Romieux, Henri. In: Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, Band 119. 1938, abgerufen am 22. Februar 2024.
  16. Kantone: Genf. In: Neue Zürcher Zeitung 20. April 1909 Ausgabe 05. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  17. Genève - Bâtiment électoral. 7. Januar 2013, abgerufen am 22. Februar 2024 (französisch).
  18. Telegramme. In: Neue Zürcher Zeitung 24. April 1906 Ausgabe 04. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  19. Sybille Eyer Degennes, Michèle Stäuble-Lipman Wulf: Alfred Vincent. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 22. Februar 2012, abgerufen am 22. Februar 2024.
  20. Schweiz. In: Der Bund 30. November 1906. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  21. Warum so nervös? In: Neue Zürcher Nachrichten 20. Dezember 1912. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  22. Rückkauf des Bahnhofes Cornavin. In: Der Bund 20. Januar 1910. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  23. Rückkauf des Bahnhofs Cornavin. In: Der Bund 20. Oktober 1911. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  24. Rückkauf des Bahnhofes Cornavin. In: Der Bund 24. März 1912. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  25. Kantone: Genf. In: Neue Zürcher Zeitung 27. März 1914 Ausgabe 03. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  26. Aus der Bundesversammlung. In: Neue Zürcher Nachrichten 14. Dezember 1912 Ausgabe 02. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  27. Drahtberichte: "Pro Sempione". In: Der Bund 17. Dezember 1912. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  28. Pro Sempione. In: Oberländer Tagblatt 6. Mai 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  29. Ernst Bollinger: Le Genevois (Zeitung). In: Historisches Lexikon der Schweiz. 31. Oktober 2006, abgerufen am 22. Februar 2024.
  30. Kantone: Genf. In: Neue Zürcher Zeitung 31. Dezember 1904. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  31. Schweiz: Presse. In: Der Bund 20. November 1904. Abgerufen am 22. Februar 2024.
  32. Die Genfer Radikalen gegen die Militärorganisation. In: Der Bund 9. Oktober 1907 Ausgabe 02. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  33. Schweiz. In: Der Bund 1. Dezember 1907. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  34. Kantone: Genf. In: Neue Zürcher Zeitung 27. November 1908 Ausgabe 05. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  35. Eidgenossenschaft. In: Neue Zürcher Zeitung 24. Februar 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  36. Aus der Bundesversammlung. In: Der Murtenbieter 29. März 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  37. Die schweizerische Landsgemeinde. In: Der Bund 5. April 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  38. Protestkundgebungen gegen den Gotthardvertrag. In: Der Bund 5. April 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  39. Après la ratification de la convention du Gothard. In: La tribune de Genève 8. April 1913 Ausgabe 04. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  40. Die eidgenösstschen Wahlen im Oktober 1917. In: Neue Zürcher Zeitung 10. Oktober 1917 Ausgabe 02. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  41. Eidgenossenschaft. In: Neue Zürcher Zeitung 17. Oktober 1913 Ausgabe 05. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  42. Aus den Verhandlungen der Bundesversammlung: Kommissionen des Nationalrates. In: Neue Zürcher Zeitung 18. Dezember 1913 Ausgabe 07. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  43. Aufruf an das Schweizervolk! In: Oberländer Tagblatt 4. Januar 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  44. Brigitte Studer: Fabrikgesetze. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 6. August 2021, abgerufen am 23. Februar 2024.
  45. Eidgenossenschaft. In: Neue Zürcher Zeitung 25. Januar 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  46. Revision des Fabrikgesetzes. In: Die Gewerkschaft 27. Februar 1913. Abgerufen am 23. Februar 2024.