Vernichtungslager

Gruppe von deutschen Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs, die der gezielten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas und anderer Menschengruppen dienten

Vernichtungslager, auch Todeslager oder umgangssprachlich emphatisch Todesfabriken genannt, werden eine Reihe von besonderen Konzentrationslagern (KZ) genannt, die in der Zeit des Nationalsozialismus von SS-Totenkopfverbänden im besetzten Polen und Belarus speziell für den Massenmord an Juden aus ganz Europa und weiteren von den Nationalsozialisten verfolgten Personengruppen genutzt wurden.

Einfahrtsgebäude des KZ Auschwitz-Birkenau; Ansicht von innerhalb des Geländes (2004)
Vernichtungslager (Polen)
Vernichtungslager (Polen)
Stammlager
Monowitz
Vernichtungslager auf dem Gebiet des heutigen Polen
Vernichtungslager (Belarus)
Vernichtungslager (Belarus)
Vernichtungslager auf dem Gebiet des heutigen Belarus

Von ihrer Errichtung ab dem Jahr 1941 bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee der Sowjetunion 1944 und 1945 wurden in diesen Vernichtungslagern mehr als drei Millionen Menschen vor allem durch Gaskammern in einer oft als industriell bezeichneten Form ermordet. Die Vernichtungslager nehmen damit neben den Massenerschießungen im Zuge des Überfalls auf die Sowjetunion eine zentrale Rolle im Völkermord an den Juden ein.

Unterscheidung von anderen Konzentrationslagern Bearbeiten

Konzentrations- und Vernichtungslager der NS-Diktatur entstanden in unterschiedlichen zeitlichen Stadien von deren Herrschaft. Bereits ab 1933 begann das NS-Regime mit der Einrichtung von Konzentrationslagern. Die Vernichtungslager mit fabrikmäßig organisierter Ermordung von Menschen in Gaskammern wurden ab Frühjahr 1942 betrieben. Zuvor waren im Vernichtungslager Kulmhof in einer ersten Phase ab Dezember 1941 Juden in dort stationierten Gaswagen ermordet worden.

Im Gegensatz zu anderen Konzentrationslagern, wo Inhaftierte neben einzelnen Morden vor allem durch systematisch herbeigeführte Krankheit und Unterernährung sowie übermäßige Arbeit starben, die „Vernichtung durch Arbeit“, dienten die Vernichtungslager dem unmittelbaren Zweck der Ermordung der dorthin Deportierten, die mit speziellen Eisenbahnzügen in die Lager gebracht wurden.

Nachdem ein Transport das Lager erreicht hatte, wurden die Angekommenen meistens ungeachtet ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer Arbeitsfähigkeit in den Gaskammern ermordet. Nur aus manchen Transporten wurde eine geringe Anzahl arbeitsfähiger Menschen zurückgehalten, die für bestimmte Funktionen im Lager wie etwa in der Küche, als Totengräber, Leichenverbrenner sowie im Sortier- und Reparaturbetrieb vom NS-Regime benötigt wurden.

Aus der Existenz von Konzentrationslagern machten die Nationalsozialisten bereits 1933 keinen Hehl, dienten diese doch der Abschreckung. Die Vernichtungslager hingegen unterlagen strenger Geheimhaltung. Zur Tarnung wurde der Massenmord sogar im internen Schriftverkehr nur mit „Sonderbehandlung“, „Säuberung“, „Umsiedlung“ oder „Evakuierung“ umschrieben. Von der SS wurden die Vernichtungslager als Konzentrationslager bezeichnet. Auch ihre internen Organisationsstrukturen waren weitgehend identisch. Die Benennung Vernichtungslager erfolgte erst später in der Geschichtswissenschaft und in Gerichtsprozessen und dient der näheren Kategorisierung.

Übersicht Bearbeiten

Konzentrationslager des SS-WVHA Bearbeiten

Die Konzentrationslager, die von der SS-Inspektion der Konzentrationslager gegründet wurden und zumeist bis Kriegsende Bestand hatten, sind im engeren Sinn gemeint, wenn von den „Konzentrationslagern“ die Rede ist. Nach einem Befehl Heinrich Himmlers durften nur solche Lager offiziell als Konzentrationslager, kurz K. L., bezeichnet werden, die der Inspektion der Konzentrationslager und später dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) unterstellt waren. Bei den 1941/42 neu gebauten Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Majdanek/Lublin kam von Beginn an die als „Endlösung“ bezeichnete massenhafte Vernichtung der als Feinde des Nationalsozialismus betrachteten Minderheiten wie der Juden, der Roma oder von sowjetischen Militärangehörigen hinzu. Die beiden Vernichtungslager in der Hierarchie des SS-WVHA werden deshalb in dieser Tabelle separat genannt.

Name/Bezeichnung Standort (heutiges Land) Typ Inbetriebnahme Schließung/Befreiung Geschätzte Anzahl der Toten
Auschwitz-Birkenau, auch Auschwitz II Polen Konzentrations-, Kriegsgefangenen-, Vernichtungslager Oktober 1941 Januar 1945 ca. 1.100.000
Majdanek, auch KL Lublin Polen Konzentrations-, Vernichtungslager Oktober 1941 Juli 1944 78.000

Vernichtungslager der Aktion Reinhardt Bearbeiten

Die hier aufgeführten Vernichtungslager wurden im Rahmen der so genannten Aktion Reinhardt gegründet. Diese Lager befanden sich auf dem Gebiet des Generalgouvernements Polen und wurden formal in der Verantwortung des jeweiligen Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) betrieben.

Name/Bezeichnung Standort (heutiges Land) Inbetriebnahme Schließung/Befreiung Geschätzte Anzahl der Toten
Belzec Polen März 1942 Dezember 1942 434.500
Sobibor Polen Mai 1942 Oktober 1943 150.000–250.000
Treblinka Polen Juli 1942 November 1943 mindestens 900.000[1]

Entstehung Bearbeiten

Zwischen Ende 1941 und Juli 1942 wurden sechs große Vernichtungslager in den im Osten von der Wehrmacht eroberten Gebieten in Betrieb genommen. Insbesondere sollten die mit den zuvor – hauptsächlich durch die Einsatzgruppen der SS und des SD – praktizierten Erschießungen verbundenen „Probleme“ vermieden werden:

  • unvollständige Beseitigung der Leichen bzw. Zurückbleiben von identifizierbaren Massengräbern und einer daraus folgenden schwierigen Bestimmbarkeit von Opferzahlen
  • Möglichkeit des Bruchs der Geheimhaltung durch zufällige Zeugen, Mittäter/Mitwisser aus anderen Einheiten, Flucht einzelner Opfer
  • psychische Belastung der Täter durch Tötungsmethoden wie Erschießen, bei denen unmittelbarer Kontakt zum Opfer bestand

Ziel der Vernichtungslager war demzufolge die vollständige physische Vernichtung der Opfer inklusive aller sterblichen Überreste sowie die Isolierung und Abschirmung gegenüber der Gesellschaft und den nicht unmittelbar zugeordneten Teilen von Armee und Verwaltung.

Ein wichtiges Merkmal war die Anbindung der Lager an das Schienennetz der Reichsbahn bzw. der Nachbarländer, damit sollte die Zuführung vorher zusammengestellter „Transporte“ und somit eine planmäßige und wirtschaftlich rationalisierte Massentötung – mithin die von den Nationalsozialisten als „Endlösung“ bezeichnete Ausrottung der europäischen Juden – ermöglicht werden.

Als Vernichtungslager wurden 1941/42 folgende acht Einrichtungen zur Durchführung des Massenmordes an den europäischen Juden betrieben:

Auf 1939 annektiertem Reichsgebiet Bearbeiten

Diese 1939 besetzten und rechtswidrig annektierten Reichsgebiete gehörten seit den 1920er Jahren zur Polnischen Republik bzw. (Stutthof) zum Gebiet der Freien Stadt Danzig, eine Folge der Gebietsveränderungen nach dem Ersten Weltkrieg. (Die Ziffern beziehen sich auf die Daten der Inbetriebnahme.)

Auf dem Gebiet des Generalgouvernements Bearbeiten

Das Generalgouvernement bestand überwiegend aus 1939 besetzten Teilen von Polen.

  • Belzec, in der Kreishauptmannschaft Zamość im Distrikt Lublin, Generalgouvernement – ab 17. März 1942
  • Sobibor, in der Kreishauptmannschaft Cholm im Distrikt Lublin, Generalgouvernement – spätestens ab 6. Mai 1942
  • Treblinka, in der Kreishauptmannschaft Sokolow im Distrikt Warschau, Generalgouvernement – ab 22. Juli 1942
  • Konzentrationslager Majdanek, zunächst als Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS bezeichnet; in der Kreishauptmannschaft Lublin im Distrikt Lublin, Generalgouvernement – ab 14. September 1942.

Im Bezirk des Reichskommissariats Ostland Bearbeiten

Die folgenden Lager, die sich im belarussischen Gebiet des von Deutschland auf sowjetischem Boden errichteten Reichskommissariats Ostland befanden, werden in der internationalen Holocaustforschung meist (noch) nicht mit zu den Vernichtungslagern gezählt. Einzelheiten wurden erst spät bekannt; die Opfer wurden meist erschossen und die Opferzahlen sind im Vergleich mit den vorgenannten Vernichtungslagern geringer – siehe dazu die Einzelartikel.

Name/Bezeichnung Standort (heutiges Land) Inbetriebnahme Schließung/Befreiung Geschätzte Anzahl der Toten
Bronnaja Gora, Breszkaja Woblasz Belarus 1942, Deportationszüge ab Juni 1942 nachgewiesen März 1944 mehr als 50.000
Maly Trostinez bei Minsk Belarus Mai 1942 Juli 1944 40.000–60.000

Tötungstechniken Bearbeiten

In den Vernichtungslagern wurden drei unterschiedlich technisierte Formen des Massenmordes betrieben:

  • In Belzec, Sobibor und Treblinka, den Lagern der Aktion Reinhardt im Generalgouvernement, wurden die Menschen durch das Einführen von Benzinmotorabgasen in Gaskammern getötet.[3][4]
  • In Auschwitz-Birkenau, das zugleich auch Konzentrationslager war, wurden die Vergasungen mit Hilfe von als Zyklon B bekannt gewordenem Blausäuregas vorgenommen. Es wurden auch Erschießungen durchgeführt.
  • In Majdanek, das zugleich auch Konzentrationslager war, wurden überwiegend Erschießungen durchgeführt; zudem wurden Vergasungen mit Hilfe von Kohlenstoffmonoxid aus Gasflaschen sowie später auch mit Zyklon B vorgenommen.[5]
  • In Chelmno wurden drei dort stationierte Gaswagen mit Benzinmotoren eingesetzt; eine Gaskammer gab es dort nicht.[6]
  • In Maly Trostinez wurden die Opfer größtenteils erschossen; außerdem wurden dort Gaswagen eingesetzt.
  • In Bronnaja Gora wurden die Opfer erschossen.
  • Nicht mehr Gehfähige, also überwiegend sehr Alte, Kranke und Sterbende, wurden in den Reinhardt-Lagern zumeist erschossen.

Organisation und Instanzen Bearbeiten

Mit der Durchführung der Endlösung der Judenfrage in den Vernichtungslagern waren ab Herbst 1941 drei verschiedene zentrale nationalsozialistische Instanzen, das Reichssicherheitshauptamt, die Kanzlei des Führers, das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, beauftragt:

Information und Konfrontation im Nachkriegsdeutschland Bearbeiten

Nach der Befreiung der KZ-Häftlinge und deren medizinischer Versorgung sahen die Alliierten die Notwendigkeit, die deutsche Bevölkerung mit den unter ihren Augen begangenen Verbrechen zu konfrontieren. In den Konzentrationslagern wurden die unglaublichen Verbrechen sichtbar – auch für Menschen, die nicht bereits Augenzeugen der Verbrechen gewesen waren. Die örtliche Bevölkerung aus der Nachbarschaft der KZs wurde gezwungen, Lagerteile und Leichen der dort Ermordeten anzusehen. An verschiedenen Standorten von Lagern wurde sie auch gezwungen, Tote in würdigen Gräbern zu bestatten. Dabei ging es um unbestattete Leichen oder Umbettungen von Leichen aus Massengräbern. Es wurden mehrfach Filmdokumentationen und Fotobände für Vorführungen im besetzten Deutschland und Österreich hergestellt. Erstes Beispiel ist der Film Die Todesmühlen, im Original Death Mills. Er setzt sich überwiegend aus Filmmaterial zusammen, das in kurz zuvor befreiten KZs gedreht wurde – unter anderem in Auschwitz-Birkenau, Majdanek, Treblinka und Bergen-Belsen. Der Film ist nur mit ernster klassischer Musik unterlegt und hat keine Rahmenhandlung. Er geht auch auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Häftlinge ein. Die Dokumentationen wurden zum Teil auch als Beweismittel für allfällige Gerichtsverfahren gegen Beteiligte, z. B. in den Nürnberger Prozessen oder im Frankfurter Auschwitzprozess erstellt.

„SS im Einsatz“: Eine Dokumentation über die Verbrechen der SS von Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer 1957 in der DDR erstmals herausgegeben. Immer wieder erweitert und ergänzt, erschien es in vielen Auflagen und wurde zu einem Standardwerk antifaschistischer Aufklärung. Hier sind alle Schandtaten aufgeführt, die auf immer mit der Ausgeburt des deutschen Imperialismus verbunden sein werden. Eine Blutspur quer durch Europa, die nie vergessen oder verdrängt werden darf und stets beim Namen genannt werden muss.

Siehe auch Bearbeiten

Dokumentarfilme, Dokumentarfilmszenen Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Adalbert Rückerl (Hrsg.): Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1977, ISBN 3-423-02904-8.
  • Yitzhak Arad: Belzec, Sobibor, Treblinka. The Operation Reinhard Death Camps. Bloomington and Indianapolis 1987 (Indiana University Press), ISBN 0-253-34293-7 (englisch).
  • Konnilyn G. Feig: Hitler’s Death Camps: The Sanity of Madness. Holmes & Meier Publishers Incorporated, Neuausgabe 181, ISBN 0-8419-0676-9 (englisch).
  • Hans Buchheim, Martin Broszat, Hans-Adolf Jacobsen: Anatomie des SS-Staates. Dtv; (1. Auflage 1965) 8. Auflage 2005, ISBN 3-423-30145-7 (darin: Martin Broszat, Die Konzentrationslager 1933–1945).
  • Eugen Kogon: Der SS-Staat – Das System der deutschen Konzentrationslager. Alber, München 1946 (zuletzt: Heyne, München 2004, ISBN 3-453-02978-X).
  • Eugen Kogon: The Theory and Practice of Hell: The German Concentration Camps and the System Behind Them. Octagon Books, 1972, ISBN 0-374-94610-8 (englisch).
  • Sheba F. Skirball: Films of the Holocaust. An Annotated Filmography of Collections in Israel. New York, NY: Garland, 1990 (englisch).
  • Stephan Lehnstaedt: Der Kern des Holocaust: Bełżec, Sobibór, Treblinka und die Aktion Reinhardt. C.H.Beck, München, 3. Auflage 2023, ISBN 978-3406803666.

Weblinks Bearbeiten

Wiktionary: Vernichtungslager – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Todeslager – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Thomas Sandkühler: Die Täter des Holocaust. In: Karl Heinrich Pohl: Wehrmacht und Vernichtungspolitik. Göttingen 1999, S. 47.
  2. Leni Yahil: The Holocaust. The Fate of European Jewry, 1932–1945. Oxford University Press, New York/Oxford 1991, S. 532.
  3. Eugen Kogon et al. (Hrsg.): Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas: Eine Dokumentation. Frankfurt/M. 1983, ISBN 3-10-040402-5, S. 151–163.
  4. Dieter Pohl: Massentötungen durch Giftgas im Rahmen der ‚Aktion Reinhardt‘. In: Günther Morsch, Bertrand Perz: Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Berlin 2011, ISBN 978-3-940938-99-2, S. 185–195.
  5. Tomasz Kranz: Das KZ Lublin – zwischen Planung und Realisierung. In: Ulrich Herbert, Karin Orth, Christoph Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. FiTb, Frankfurt 1998, ISBN 3-596-15516-9, S. 379.
  6. Eugen Kogon et al. (Hrsg.): Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Berlin 2011, ISBN 978-3-940938-99-2, S. 110–145.