Konstruierbarkeitsaxiom

Unabhängige Annahme der Kostruierbarkeit aller Mengen
(Weitergeleitet von Konstruktible Hierarchie)

Das Konstruierbarkeitsaxiom ist eine auf Kurt Gödel zurückgehende Aussage der Mengenlehre, die eine mögliche Erweiterung der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre ZFC darstellt. Es besagt, dass alle Mengen konstruierbar (in einem angebbaren Sinn) sind, und wird meist durch die Gleichung abgekürzt. Diese Aussage kann man nicht aus ZFC herleiten, aber man kann zeigen, dass die zusätzliche Annahme ihrer Richtigkeit nicht zu Widersprüchen führen kann, die nicht schon allein durch ZFC zu Stande kommen könnten. In einem Mengenuniversum, welches ZF und das Konstruierbarkeitsaxiom erfüllt, gelten automatisch das Auswahlaxiom und die verallgemeinerte Kontinuumshypothese, wie Gödel zeigen konnte.

Die Grundidee zum Konstruierbarkeitsaxiom besteht darin, das Mengenuniversum so klein wie möglich zu machen. Dazu beschreibt man Konstruktionsprozesse durch so genannte Fundamentaloperationen und fordert schließlich, dass sich auf diese Weise bereits alle Mengen konstruieren lassen.

Klassen als Funktionen Bearbeiten

Um nachfolgende Ausführungen leichter formulieren zu können, dehnen wir in einem ersten Schritt einige für Funktionen bekannte Definitionen und Schreibweisen auf beliebige Klassen   aus:

  •   ist die Klasse aller  , für die es ein   mit   gibt, und heißt Definitionsbereich von  .
  •   ist die Klasse aller  , für die es ein   mit   gibt, und heißt Wertebereich von  .

Ist   eine Funktion, so erhält man die für Funktionen üblichen Begriffe von Definitions- und Wertebereich.

  • Für eine Klasse   sei weiter  , falls das Paar   in   liegt und es keine weiteren Paare   mit   gibt.

Anderenfalls sei   als leere Menge   definiert.

Ist   eine Funktion, so ist   wie gewohnt der Wert der Funktion an der Stelle  , falls   aus dem Definitionsbereich   ist, und gleich  , falls  . Obige Definition ist aber viel allgemeiner, sie gilt für jede Klasse  .

Acht Fundamentaloperationen Bearbeiten

Es werden acht Operationen   definiert, die aus zwei Mengen   und   eine dritte   erzeugen.

  •  , das ist die Paarmenge mit den Elementen   und  
  •  . Dabei steht   für die Elementrelation. Das Resultat besteht also aus allen Paaren   in   mit  , unabhängig von  .
  •  , die Differenzmenge.
  •  , das ist die Menge aller Paare   aus   mit  . Ist speziell   eine Funktion, so ist dies die Einschränkung dieser Funktion auf die Menge  .
  •  . Dabei ist   der Definitionsbereich von  .
  •  . Dabei ist   die Menge aller Paare  , für die   in   liegt.
  •  . Dabei ist   die Menge aller Tripel  , für die   in   liegt.
  •  . Dabei ist   die Menge aller Tripel  , für die   in   liegt.

Konstruktion von Mengen Bearbeiten

Im folgenden Schritt werden die acht Fundamentaloperationen zu einer einzigen auf  , der Klasse aller Ordinalzahlen, definierten Funktion   zusammengefasst. Die Idee besteht darin, den Ausdruck   als Funktion von   zu betrachten, wobei   die Zahlen von 1 bis 8 durchläuft, und dies mittels eines Isomorphismus   als Funktion auf   zu konstruieren.

Auf der Klasse   erkläre man die folgende Ordnung:  

( ) oder

(  und  ) oder

(  und   und  ) oder

(  und   und  ).

Man kann zeigen, dass dies eine fundierte Wohlordnung auf   definiert. Deshalb gibt es genau einen Ordnungsisomorphismus  .

Weiter sei   die  -te Komponente von  , falls   eine Ordinalzahl ist, und sonst die leere Menge. Dadurch sind Funktionen   und   definiert. Dabei hat   Werte in  ; man beachte dazu, dass  .

Nun definiert man eine Funktion   für alle Mengen   wie folgt:

 

Schließlich lässt sich mittels transfiniter Induktion aus   die Konstruktionsfunktion   definieren:

  •   ist die auf   definierte Funktion mit   für alle Ordinalzahlen  .

Eine Menge   heißt nun konstruierbar, falls es eine Ordinalzahl   gibt mit  . Die ersten Beispiele konstruierbarer Mengen sind  ,  ,  ,  ,  ,  ,  ,  ,  ,  

Die konstruktive Hierarchie und das Konstruierbarkeitsaxiom Bearbeiten

Üblicherweise bezeichnet man mit   das Mengenuniversum, das heißt die Klasse aller Mengen, oder kurz  . Mit   bezeichnet man die Klasse aller konstruierbaren Mengen, und es gilt  . Durch die Konstruktion der Elemente von   mit Hilfe der Ordinalzahlen kann man auf   in einfacher Weise eine Hierarchie definieren, die Konstruktible Hierarchie von Klassen   mit     und    .

Die sich hier stellende Frage, ob jede Menge konstruierbar ist, das heißt ob das so genannte Konstruierbarkeitsaxiom   gilt, erweist sich als nicht entscheidbar.

Ersetzt man in den ZF-Axiomen alle Quantoren   bzw.  , die man ja als   bzw.   lesen kann, durch die eingeschränkten Quantoren   bzw.  , so kann man nachweisen, dass auch dann, eingeschränkt auf  , alle ZF-Axiome gelten. In diesem Sinne ist   ein Modell für ZF. Man muss hier sehr sorgfältig zwischen ZF und dem Modell   für ZF, das mittels ZF konstruiert wurde, unterscheiden.

Im Modell   sind alle Mengen konstruierbar, das heißt, es gilt hier das Konstruierbarkeitsaxiom  . Daher kann man auf Basis ZF die Existenz nicht konstruierbarer Mengen nicht herleiten, denn dieselbe Herleitung müsste auch im Modell   gelten. Insbesondere ist die Annahme   als zusätzliches Axiom zu ZF nicht widersprüchlich unter der Annahme, dass ZF widerspruchsfrei ist; man spricht von relativer Konsistenz. Mittels Modelltheorie kann man auch zeigen, dass   nicht aus ZF, ja nicht einmal aus   herleitbar ist.

Weitere Axiome Bearbeiten

Aus dem Konstruierbarkeitsaxiom   lassen sich einige weitere in ZF allein nicht beweisbare Aussagen herleiten, diese sind dann ebenfalls relativ konsistent.

Das Auswahlaxiom Bearbeiten

Zu jeder konstruierbaren Menge   gibt es eine Ordinalzahl   mit  ; es sei   die kleinste Ordinalzahl   mit  .

Setze  . Dann kann man zeigen, dass   eine Funktion ist mit   für alle nicht-leeren  .

Damit gilt in ZF unter der zusätzlichen Annahme des Konstruierbarkeitsaxioms das Auswahlaxiom; mehr noch, es gibt sogar eine universelle Auswahlfunktion, nämlich obiges  . Man schreibt kurz  .

Das Auswahlaxiom AC erweist sich also als relativ konsistent. In einem Mengenuniversum mit Konstruierbarkeitsaxiom ist das Auswahlaxiom entbehrlich, denn es lässt sich herleiten.

Die verallgemeinerte Kontinuumshypothese Bearbeiten

Gödel hat ebenfalls gezeigt, dass in   die verallgemeinerte Kontinuumshypothese (GCH) gilt. In ZF kann also aus dem Konstruierbarkeitsaxiom auf GCH geschlossen werden, kurz  . Es ist plausibel, dass man zur Gültigkeit der verallgemeinerten Kontinuumshypothese möglichst wenige Mengen im Mengenuniversum haben sollte, denn zwischen der Mächtigkeit einer unendlichen Menge und der Mächtigkeit ihrer Potenzmenge soll es ja keine weiteren Mächtigkeiten geben. Dies war Gödels ursprüngliche Motivation für die Untersuchung der Konstruierbarkeit.

Die Suslin-Hypothese Bearbeiten

Die Suslin-Hypothese ist in   falsch, wie Ronald Jensen 1968 zeigen konnte.

Literatur Bearbeiten

  • Kurt Gödel: The Consistency of the Axiom of Choice and of the generalized Continuum-Hypothesis with the Axioms of Set Theory (= Annals of Mathematics Studies. Bd. 3). Princeton University Press, Princeton NJ u. a. 1940.
  • Ronald Jensen: Souslin’s hypothesis is incompatible with V = L. In: Notices of the American Mathematical Society. Bd. 15, 1968, ISSN 0002-9920, S. 935.
  • Gaisi Takeuti, Wilson M. Zaring: Introduction to Axiomatic Set Theory (= Graduate Texts in Mathematics. Bd. 1, ZDB-ID 2156806-6). Springer, New York NY u. a. 1971.