Interventionsverbot (Völkerrecht)

Grundprinzip des Völkerrechts

Das Interventionsverbot ist eines der Grundprinzipien des Völkerrechts. Er verbietet einem Staat die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.

Geschichte Bearbeiten

Auch wenn das Interventionsverbot schon seit dem Westfälischen Frieden durch das Prinzip der Staatssouveränität in der Staatenordnung anerkannt war, wurde es erstmals im Jahre 1758 von Emer de Vattel in seinem Werk Le droit des gens ou principes de la loi naturelle konkret benannt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nutzen das Interventionsverbot überwiegend ehemalige Kolonien und aufstrebende Nationen (so die noch junge USA in der sog. Monroe-Doktrin 1823)[1] zum Schutze vor militärischer Einmischung wirtschaftlich und militärisch überlegener Staaten.

Erst nach Gründung der Vereinten Nationen wurde der Grundsatz auch explizit auf nicht-militärische Einmischung bezogen, da nun die kriegerische Einmischung durch das in Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot verboten war und das Interventionsverbot dafür nun nicht mehr herangezogen werden musste. Seitdem wurde es nicht nur in vielen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen bestätigt (so vor allem in der Friendly Relations Declaration vom 24. Oktober 1970[2]), sondern auch der Internationale Gerichtshof hat in seinem Nicaragua-Urteil 1986 das Prinzip anerkannt, wenn auch nicht abschließend beschrieben.[3] Heute kommt dem Interventionsverbot wieder zusätzliche Relevanz zu, da Staaten insbesondere wirtschaftlich eng verflochten sind und somit ökonomische, diplomatische und politische Einflussnahmen zur Tagesordnung gehören, denen durch das Interventionsverbot Grenzen gesetzt werden.

Inhalt des Verbotes Bearbeiten

Anerkennung des Grundsatzes Bearbeiten

Das Interventionsverbot gilt als Völkergewohnheitsrecht. Zwar normiert die Charta der Vereinten Nationen das zwischenstaatliche Interventionsverbot nicht ausdrücklich. Es ist jedoch Konsens, dass das Interventionsverbot aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der UN-Mitgliedstaaten gem. Art. 2 Nr. 1 UN-Charta abzuleiten ist.[4] Als Gewohnheitsrecht gilt es auch für und gegen Nicht-Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.

Elemente des Interventionsverbotes Bearbeiten

Das Interventionsverbot besteht aus zwei Elementen: Der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates und der Anwendung oder Androhung von Zwang.[5]

Eine innere Angelegenheit des Staates, auch „domaine reservé“ genannt, betrifft nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs zu Nicaragua[6] zumindest das Recht des Staats, in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten grundsätzlich frei ohne äußeren Zwang zu entscheiden, insbesondere in der Wahl des politischen, sozialen und kulturellen Systems und der Bestimmung der Außenpolitik. Der durch das Verbot geschützte Bereich ist veränderbar und kann von Staat zu Staat unterschiedlich weit zu bestimmen sein. Insbesondere können sich Staaten durch völkerrechtliche Verträge zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, dadurch wird die Angelegenheit internationalisiert und ist dann nicht mehr nur Sache des Staates selbst.

Wann unzulässiger Zwang vorliegt, ist noch immer umstritten und stellt die „eigentliche Kernproblematik“[7] des Interventionstatbesttandes dar. Sowohl die Abgrenzung zum Gewaltverbot als auch zum zulässigen Druck (gelegentlich auch Interzession genannt) ist noch nicht abschließend geklärt.[8]

Adressaten des Verbotes sind nur Staaten. Handeln Private, zum Beispiel multinationale Unternehmen, können sie nicht für einen Verstoß gegen das Interventionsverbot verantwortlich gemacht werden. Möglicherweise sind ihre Handlungen aber einem Staat im Rahmen der Staatenveranwortung zuzurechnen.[9]

Abgrenzung Bearbeiten

In der Praxis hat sich eine Abgrenzung „nach oben“ bezüglich bewaffneter Gewalt und „nach unten“ hinsichtlich zulässiger Einwirkung auf andere Staaten eingebürgert.[10]

Nach oben ist das Interventionsverbot vom Gewaltverbot abzugrenzen. Die genaue Unterscheidung ist umstritten, da eine Gewaltanwendung de facto eine Intervention mit militärischer Gewalt, also gleichzeitig eine Einmischung darstellt. Da das Gewaltverbot aber genauer reglementiert und in Umfang und Anwendung präzisiert wurde, ist eine genaue Abgrenzung nicht erforderlich. Solche Fälle sind durch die Regelungen bezüglich militärischer Gewalt abgedeckt, insbesondere durch das in Art. 51 der UN-Charta normierte Recht zur Selbstverteidigung.[11]

Nach unten ist die Abgrenzung ebenso umstritten. Es ist insofern klar, dass nicht jede Einflussnahme eines Staates unzulässig ist. Daher ist zwischen unzulässigem Zwang und einer zulässigen Ausübung von Druck zu unterscheiden. Weder die Handllungspraxis der Staaten noch die Judikate des Internationalen Gerichtshofes haben den Begriff des Zwangs aber klarer definiert. Im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Zwang sprach der UN-Generalsekretär davon, dass es „im internationalen Recht keinen klaren Konsens darüber gibt, wann wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen unzulässig sind, trotz einschlägiger Verträge, Erklärungen und Resolutionen internationaler Organisationen, die versuchen, Normen zu entwickeln, die den Einsatz solcher Maßnahmen begrenzen.“[12] Daher lässt sich bisher in einer Grauzone nur im Einzelfall unterscheiden, wann die Grenze zur Intervention erreicht ist.

Anwendungsfälle Bearbeiten

Es ist generell anerkannt, dass kein Staat in einem anderen Staat auf einen Regimewechsel (regime change) hinwirken darf. Auch die Destabilisierung durch subversives Verhalten ist untersagt. Als Beispiel werden oft vom eigenen Territorium aus gesendete, grenzüberschreitende Rundfunkaufrufe genannt, mit denen die Bevölkerung des anderen Landes zum Sturz der eigenen Regierung aufgefordert wird.[13] Verboten ist insofern auch die Unterstützung von Aufständischen, etwa durch Finanzierung, Ausbildung oder Versorgung mit Waffen, wie der Internationale Gerichtshof im Nicaragua-Urteil 1986 feststellte. Auch die Parteinahme gegen die herrschende Regierung in einem Bürgerkrieg ist unzulässig.

Die vorzeitige („verfrühte“) Anerkennung eines territorialen Gebildes kann einen Verstoß gegen das Interventionsverbot begründen, wenn der vermeintliche Staat in Wahrheit noch Bestandteil eines anderen Staates ist.[14]

Kein Konsens ist bisher gefunden, ab wann der Einsatz von Wirtschaftssanktionen, so des Wirtschaftsboykotts, die Verhängung eines Embargos oder das Einfrieren ausländischer Konten unter das Interventionsverbot fallen kann.

Das Strafanwendungsrecht regelt, ob das Strafrecht Deutschlands auf Auslandssachverhalte anwendbar ist.[15][16] Nationales Strafrechtsdenken soll „sich nicht zum Richter über Sachverhalte aufschwingen, die es weder unmittelbar noch mittelbar etwas angehen.“[17]

Geltung im Rahmen von Internationalen Organisationen Bearbeiten

Im Rahmen der Vereinten Nationen bestimmt Art. 2 Nr. 7 der Charta der Vereinten Nationen, dass sich die Organe der Vereinten Nationen nicht in Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten einmischen dürfen. Ähnliche Verbote finden sich beispielsweise in Art. 3 der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten oder Art. 2 der Charta des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN).

Literatur Bearbeiten

  • Tobias Trautner: Die Einmischung in innere Angelegenheiten und die Intervention als eigenständige Verbotstatbestände im Völkerrecht. Peter Lang-Verlag, 1999.
  • Menschenrechte und die Frage der „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 16. April 2008. PDF.
  • Marco Athen: Der Tatbestand des völkerrechtlichen Interventionsverbots. Baden-Baden 2017.
  • Brun-Otto Bryde: Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln. In: Ingo von Münch (Hrsg.): Staatsrecht-Völkerrecht-Europarecht – Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer zum 75. Geburtstag am 28. März 1981. Berlin, New York 1981, S. 227–245.
  • Detlev Christian Dicke: Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln. Baden-Baden 1978.
  • Matthias Valta: Staatenbezogene Wirtschaftssanktionen zwischen Souveränität und Menschenrechten. Tübingen 2019.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Jürgen v. Prellwitz: Das „Prinzip der Nichteinmischung“ als Grundlage der interamerikanischen Beziehung. Zeitschrift für Politik 1960, S. 110–133.
  2. 2625 (XXV). | Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen (PDF), auf un.org
  3. IGH 27.6.1986 – ICJ Reports 1986, 124, Rn. 242 – https://www.icj-cij.org/en/case/70/judgments [Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Nicaragua/United States of America], General List No. 70
  4. Torsten Stein, Christian von Buttlar, Markus Kotzur: Völkerrecht, 14. Aufl., München 2017, Rn. 635.
  5. Andreas von Arnauld: Völkerrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2017, Rn. 351.
  6. IGH 27.6.1986 – ICJ Reports 1986, 124, Rn. 205 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Nicaragua/United States of America, General List No. 70, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/en/case/70/judgments.
  7. Marco Athen: Der Tatbestand des völkerrechtlichen Interventionsverbots. Baden-Baden 2017, S. 233.
  8. Thomas Oppermann: Nichteinmischung in innere Angelegenheiten Zur Abgrenzung der Nichteinmischung gegenüber Intervention und Interzession. Archiv des Völkerrechts 1970, S. 321–342.
  9. Torsten Stein, Christian von Buttlar, Markus Kotzur: Völkerrecht, 14. Aufl., München 2017, Rn. 647.
  10. So schon früh: Axel Gerlach: Die Intervention. Versuch einer Definition. Hamburg 1967, S. 107.
  11. Philip Kunig: Prohibition of Intervention, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedias of International Law, Rn. 6.
  12. Note by the Secretary-General: Economic measures as a means of political and economic coercion against developing countries. 1993, abgerufen am 15. April 2023 (englisch).
  13. Torsten Stein, Christian von Buttlar, Markus Kotzur: Völkerrecht, 14. Aufl., München 2017, Rn. 647.
  14. Meinhard Schröder, In: Vitzthum, Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 8. Auflage 2019, S. 752.
  15. Wolfgang Zieher: Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform. Der Rechtsgrund bei Straftaten im Ausland nach §§ 5 und 6 StGB. Schriften zum Strafrecht (SR), Band 27. Duncker & Humblot, 1977. ISBN 978-3-428-04001-8.
  16. Kai Ambos: Strafanwendungsrecht & Europäisches Strafrecht (Memento des Originals vom 26. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.department-ambos.uni-goettingen.de 2015
  17. Christoph Burchard: Intertemporales Strafanwendungsrecht: Zur Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im Demjanjuk-Verfahren. Zugleich Besprechung von LG München II, Beschluss v. 2. Februar 2010 – 1 Ks 115 Js 12496/08. HRRS 2010, S. 132, 136.