Hans Reichelt

deutscher Politiker (DBD), MdV, Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates und Minister für Land- und Forstwirtschaft der DDR

Hans Reichelt (* 30. März 1925 in Proskau, Landkreis Oppeln, Oberschlesien) ist ein ehemaliger deutscher Politiker der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD), einer DDR-Blockpartei. Er war 1953 sowie 1955 bis 1963 Minister für Land- und Forstwirtschaft, von 1972 bis Januar 1990 Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft sowie Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der DDR.[1]

Hans Reichelt auf dem Bauernforum 1961

Leben Bearbeiten

Hans Reichelt besuchte die Oberschule in Oppeln. Er war Mitglied der Hitlerjugend und des Reichsarbeitsdienstes. Am 30. Dezember 1942 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP und wurde zum 20. April 1943 aufgenommen (Mitgliedsnummer 9.454.165).[2] Er war Soldat der deutschen Wehrmacht (zuletzt im Rang eines Leutnants) und bis 1949 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, wo er eine Antifa-Schule besuchte.[3]

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er Mitglied der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) und hatte verschiedene Funktionen (seit 1955 Präsident) im Parteivorstand. Seit 1950 war er Abgeordneter der Volkskammer. 1953 war er als Nachfolger von Wilhelm Schröder kurzzeitig Minister für Land- und Forstwirtschaft, wurde nach dem Besuch der Zentralschule für Agrarpolitik des ZK der SED in Schwerin am 29. Oktober 1953 von Ministerpräsident Otto Grotewohl zum Staatssekretär im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft ernannt[4] und war von 1955 bis 1963 als Nachfolger von Paul Scholz erneut Minister für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft.

Von 1963 bis 1964 absolvierte er ein Hochschulstudium, 1971 wurde er an der Hochschule für Ökonomie Berlin mit der Arbeit Die Rolle und Stellung des Meliorationswesens bei der Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion und der gesellschaftlichen Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft und einige Grundprobleme der weiteren Anwendung des ökonomischen Systems des Sozialismus im Zeitraum bis 1980 promoviert. Er war 1963 bis 1972 Stellvertretender Vorsitzender des Landwirtschaftsrates und 1971/1972 Stellvertretender Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft. In dieser Funktion war er dem Umweltaktivisten Carlo Jordan zufolge an „umweltpolitisch verhängnisvollen Entscheidungen“ im Bereich der Zwangskollektivierung, landwirtschaftlichen Industrialisierung und Melioration beteiligt.[5]

 
Reichelt (rechts) im Gespräch mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (links) und dem Ständigen Vertreter der Bundesrepublik in der DDR Hans Otto Bräutigam, 1988

Von 1972 bis 1989 war Reichelt als Nachfolger von Werner Titel Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft und Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates. Das Ministerium beteiligte sich an der Verschleierung von Umweltproblemen in der DDR, der Minister spielte in der SED-Führung keine Rolle. Briefe von Reichelt an Günter Mittag, im SED-Politbüro zuständig für Wirtschaftspolitik, fand man nach dem Ende der DDR ungeöffnet.[6] Seit 1982 war Reichelt Stellvertretender Vorsitzender der DBD.

Von November 1989 bis Januar 1990 war er Minister des umbenannten Ministeriums für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft (MNUW). Im Januar 1990 trat er als Minister zurück. Sein Rücktrittsgesuch richtete er nicht an Ministerpräsident Modrow, sondern an seinen Parteivorsitzenden Günther Maleuda, der auch der Volkskammer vorsaß.[7] Bereits im Dezember 1989 trat er vom Vorstand der DBD zurück und beteiligte sich nicht mehr an der Fusion der DBD mit der CDU.

Von 1994 bis 2003 war er Vorsitzender des Vereins Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung, einer Lobbyorganisation ehemaliger DDR-Funktionäre. Reichelt klagte gegen eine Rentenkürzung für seine Zeit als Minister. 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Kürzung rechtmäßig sei, da davon ausgegangen werden könne, dass eine kleine Gruppe hoher DDR-Funktionäre nicht nur wegen ihrer Arbeitsleistung, sondern auch wegen ihrer „Regimetreue“ honoriert wurde. Die Rentenkürzung rechtfertigte sich „aus dem gesetzgeberischen Anliegen, ein rentenrechtliches Fortwirken eines Systems der Selbstprivilegierung zu verhindern“.[8]

Auszeichnung Bearbeiten

Schriften Bearbeiten

  • Die Landwirtschaft in der ehemaligen DDR. Probleme, Erkenntnisse, Entwicklungen. In: Berichte über Landwirtschaft. Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft. 70. 1992, ISSN 0005-9080, S. 117–136.
  • Blockflöten, oder was? Zur Geschichte der DBD 1948–1990. Edition Ost, Berlin 1997, ISBN 3-929161-83-4.
  • Die deutschen Kriegsheimkehrer. Was hat die DDR für sie getan? Edition Ost, Berlin 2007, ISBN 978-3-360-01099-5.

Literatur Bearbeiten

  • Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-647-31717-5.
  • Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, ISBN 978-3-525-31096-0.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Hans Reichelt – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Siegfried Kuntsche: Hans Reichelt. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  2. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/34090633
  3. Olaf Kappelt: Braunbuch DDR. Nazis in der DDR Berlin historica, 2009, S. 482–483, ISBN 978-3-939929-12-3.
  4. Protokoll der 142. Sitzung der Regierung der DDR vom 29. Oktober 1953 - Bundesarchiv DC 20-I/3/204.
  5. Carlo Jordan: Umweltzerstörung und Umweltpolitik in der DDR, Enquete-Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, hrsg. vom Deutschen Bundestag, 12. Wahlperiode, Bd. II/3, S. 1785.
  6. Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte. München, Beck, 2011, S. 523.
  7. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Reichelt nach Kritik zurückgetreten, 11. Januar 1990, S. 3.
  8. Christian Rath: DDR-Erbe: Minister ziehen den Kürzeren. In: Mitteldeutsche Zeitung, 28. Juli 2010.
  9. BüSGM-Preis Junge Welt vom 19. Juni 2018