Hélène Brion (* 27. Januar 1882 in Clermont-Ferrand; † 31. August 1962 in Ennery) war eine französische Lehrerin, Feministin, Pazifistin und Gewerkschafterin.

Leben Bearbeiten

Anfänge Bearbeiten

Hélène Brion wurde nach der Scheidung ihrer Eltern im Jahr 1892 zehnjährig von ihrer Großmutter väterlicherseits in Authe in den Ardennen aufgenommen. 1894 trat sie in die höhere Mädchengrundschule Sophie-Germain in Paris ein und erwarb 1900 das brevet supérieur[A 1]. Ihre Mutter starb 1900 und ihr Vater kurz darauf, 1902.

1905 bestand sie die Prüfung für Hilfslehrer und wurde Lehrerin. Sie trat dem Syndicat national des instituteurs (Nationale Gewerkschaft der Lehrer)[A 2] sowie der Section française de l’Internationale ouvrière (SFIO) bei. Sie engagierte sich auch in zahlreichen feministischen Organisationen wie Le Suffrage des femmes (Das Frauenwahlrecht), Union fraternelle des Femmes (Geschwisterliche Vereinigung der Frauen), Fédération féminine universitaire (Akademischer Frauenverband), Ligue pour le droit des femmes (Liga für das Recht der Frauen), Union française pour le suffrage des femmes und Ligue nationale du vote (Nationale Abstimmungsliga). Sie setzte sich dafür ein, dass die Rechte für Frauen sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause anerkannt werden sollten. Zu dieser Zeit hatte eine Frau nämlich keine politischen Rechte, konnte nicht Vormund ihrer eigenen Kinder sein und wurde in der Arbeitswelt unterbezahlt.

1911 wurde Hélène Brion an der Vorschule in Pantin angestellt.[1] Im Jahr 1912 wurde sie in den Föderationsrat der Lehrervertretung gewählt und wurde 1914 deren stellvertretende Sekretärin. Wegen des Krieges und der Mobilisierung wurde das Büro verkleinert und Hélène Brion wurde kommissarische Generalsekretärin. Sie trat auch dem Konföderationsausschuss der Gewerkschaft CGT bei. 1915 entstand in der CGT eine starke pazifistische Strömung, deren Sprecherin Hélène Brion wurde. Sie trat der französischen Sektion des Comité international des femmes pour la paix permanente[2] (Internationales Frauenkomitee für einen dauerhaften Frieden) unter der Leitung von Gabrielle Duchêne bei. Von der französischen Polizei daran gehindert, konnte sie 1915 weder an der Pazifistenkonferenz in Zimmerwald noch an der Konferenz in Kiental teilnehmen, korrespondierte aber in Briefen zu diesem Thema. Diese Briefe wurden von der Polizei abgefangen und dienten als Grundlage für die Anklage gegen sie nach Kriegsende. Sie veröffentlichte auch pazifistische Manifeste und schickte am 23. Oktober 1916 einen Brief an das Comité pour la reprise des relations internationales (Komitee für die Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen), ein pazifistisches Komitee unter der Leitung von Alphonse Merrheim, dessen Mitglied sie war.

Verurteilung Bearbeiten

Im Jahr 1917 nahm der Druck zu. Am 26. Juli 1917 wurde ihre Wohnung durchsucht und am 27. Juli wurde sie von ihrem zuständigen Ministerium ohne Gehalt suspendiert. Im November 1917, kurz nachdem Georges Clemenceau Ratspräsident geworden war, wurde sie wegen defätistischer Propaganda festgenommen und in das Frauengefängnis Saint-Lazare gebracht. Dort wurde sie von den damaligen Zeitungen wie Le Matin[3] einer Schmutzkampagne unterzogen. Man hielt sie für anormal, weil sie Männerkleidung getragen, mit Soldaten, Munitionsherstellern und deutschen Gefangenen korrespondiert, seltsame Personen versteckt, Russland besucht und an der Konferenz in Zimmerwald teilgenommen haben sollte. Sie wurde beschuldigt, eine Anarchistin und Anhängerin der Bonnet rouge[A 3] (Rote Mütze) zu sein. Le Petit Parisien verdächtigte sie, Geld aus Deutschland erhalten zu haben, um ihre pazifistische Kampagne zu organisieren.[4]

Brion verteidigte sich:

« Die Anklage behauptet, dass ich unter dem Deckmantel des Feminismus Pazifismus betreibe. Sie verdreht meine Propaganda für ihre Zwecke: Ich behaupte, dass das Gegenteil der Fall ist ... Ich bin eine Feindin des Krieges, weil ich Feministin bin; der Krieg ist der Triumph der brutalen Kraft, der Feminismus kann nur durch moralische Kraft und intellektuellen Wert triumphieren. Es gibt einen Widerspruch zwischen den beiden. »

Hélène Brion: jaures.eu[5]

Vom 25. bis 31. März 1918 stand sie vor dem Kriegsrat. Sie argumentierte vor allem für den Feminismus[6] und wies darauf hin, dass sie, da ihr die politischen Rechte entzogen wurden, nicht für ein politisches Vergehen verfolgt werden könne.[5] Sie erklärte unter anderem:

« Ich stehe hier wegen eines politischen Vergehens vor Gericht. Aber ich habe keine politischen Rechte. Das Gesetz sollte logisch sein und meine Existenz ignorieren, wenn es um Strafen geht, so wie es meine Existenz ignoriert, wenn es um Rechte geht. Ich protestiere gegen diese Unlogik. »

Hélène Brion: Archives du féminisme[7]

Sie wurde von der Anwältin Agathe Dyvrande-Thévenin[8] verteidigt und von den Leumundszeugen Jean Longuet, Jeanne Mélin, Marguerite Durand und der Journalistin Séverine unterstützt, die den Prozess zur Darstellung des Pazifismus und Feminismus nutzten.

Sie wurde zu einer dreijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Mit Wirkung vom 17. November 1917 wurde sie aus dem Schuldienst entlassen. Erst sieben Jahre später (im Januar 1925) wird sie unter der Regierung des Cartel des gauches wieder in den Schuldienst aufgenommen.

Nach dem Krieg Bearbeiten

Nach dem Krieg zog sich Hélène Brion von der Gewerkschaftsbewegung zurück. Sie gab ihren Posten als Generalsekretärin des Union nationale des syndicats de l'Éducation nationale CGT[A 4] (Nationale Union der Gewerkschaften des Bildungswesens CGT) auf. Von Februar 1919 bis Oktober 1921 gab sie die Zeitschrift La Lutte Feministe heraus, das „einzige und streng unabhängige Organ des integralen Feminismus“. Im Februar 1920 gründete sie zusammen mit Maurice Foulon[9] die Volkshochschule von Pantin. Da sie sich vom Kommunismus angezogen fühlte, unternahm sie in den Jahren 1920 bis 1922 mehrere Reisen nach Russland und trat auf dem Parteitag von Tours 1920 der neuen Kommunistischen Partei bei. Später beteiligte sie sich an der Oppositionsbewegung gegen die Bolschewisierung und verließ die KP Mitte der 1920er Jahre. Zu dieser Zeit stand sie der Zeitschrift La Révolution prolétarienne (Die proletarische Revolution) nahe.

Weblinks Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Françoise Blum: D’une guerre à l’autre : itinéraires d'intellectuelles pacifistes. In: Intellectuelles : du genre en histoire des intellectuels. Complexe Eds, 2004, ISBN 978-2-87027-988-5.
  • Margareth H. Darrow: French women and the First World War: war stories of the home front. University of Michigan, 2000, ISBN 978-1-85973-361-5.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Das Brevet de l’enseignement primaire (siehe fr.wikipedia.org) ist ein altes französisches Diplom, das den Erwerb von Kenntnissen bescheinigt. Es gab das brevet élémentaire, das mit sechzehn Jahren abgelegt wurde, und das brevet supérieur, das mit achtzehn Jahren erreicht werden konnte. Das brevet supérieur wurde hauptsächlich von jungen Mädchen abgelegt und berechtigte im Gegensatz zum Baccalauréat nicht allein zum Zugang zu einer höheren Bildung.
  2. Das Syndicat national des instituteurs (siehe hierzu fr.wikipedia.org) wurde erst 1920 gegründet; die Vorgängerorganisation Fédération des membres de l’enseignement laïque dürfte hier gemeint sein.
  3. Le Bonnet rouge (siehe fr.wikipedia.org) war eine anarchistische und satirische französische Zeitschrift
  4. Die Union nationale des syndicats de l’Éducation nationale CGT (siehe dazu fr.wikipedia.org) ist ein Gewerkschaftsverband, der die Beschäftigten des Bildungswesens vertritt; derzeit heißt er allerdings CGT Éduc'action (sic!).

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Hélène BRION, l’insoumise (Memento vom 4. August 2011)
  2. Blum 2004, S. 231
  3. Le Matin vom 18. November 1917; La propagande défaitiste: Une institutrice arretée à Pantin auf Gallica
  4. Darrow 2000, S. 294–303
  5. a b Déclaration d’Hélène Brion, féministe et pacifiste, au Conseil de guerre (1918) (Memento vom 30. Januar 2014)
  6. Blum 2004, S. 238
  7. Colette Avrane: Hélène Brion, une institutrice féministe. In: Archives du féminisme. Abgerufen am 10. Juni 2024 (französisch).
  8. Agathe Dyvrande-Thevenin (Memento vom 7. September 2022)
  9. Maurice Foulon. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 10. Juni 2024 (französisch).


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