Sophie van Leer

expressionistische Dichterin und katholische Aktivistin

Sophie van Leer (nach der Taufe Francisca (Maria) van Leer; * 3. Februar 1892 in Amsterdam; † 3. Juni 1953 ebenda) war eine expressionistische Dichterin und Malermuse, jüdisch-christliche Mystikerin und als zum Katholizismus konvertierte Jüdin Initiatorin der Priesterbewegung Amici Israel.

Leben Bearbeiten

 
Nell Walden und Sophie van Leer (1916)

Sophie war das siebte von acht Kindern des Ehepaares Willem van Leer (1855–1918) und Cato Calkar (1855–1928). Der Vater war ein wenig erfolgreicher Geschäftsmann und Freimaurer mit unorthodoxen Ansichten, der einer Mischung aus jüdisch-christlicher Esoterik und schwärmisch-utopischem Sozialismus anhing, die Mutter dagegen war bodenverhafteter und achtete auf Befolgung der Gebote und eine Erziehung entsprechend den Überlieferungen des jüdischen Glaubens. Kurz nach Sophies Geburt zog die Familie nach Nijmegen, wo Sophie ihre Kindheit verbrachte.[1] 1904 zog das Ehepaar mit Sophie und der jüngsten Schwester Clara nach Kleve um und 1906 nach Luzern, wo Sophie ab 1910 das Lehrerinnenseminar besuchte und, damals 18 Jahre alt, den Maler Fritz Huf kennenlernte, mit dem sie 1911 nach Frankfurt am Main ging und zusammenlebte, bis sie 1914 den Kunstsammler Franz Werner Kluxen kennenlernte.

1915 ging sie dann nach Berlin, wo sie sich der Gruppe um Herwarth Walden anschloss. In deren Zeitschrift Der Sturm erschienen in den folgenden Jahren zahlreiche Lyrik- und Prosabeiträge van Leers. In ihren Gedichten stehen Töne, die an das Hohe Lied gemahnen, dicht neben expressionistischem Pathos, mit dem lyrisches Ich und Du sich verbinden:

Meine Lippen sind rote Tulpen
Und mein Nacken ist eine Säule
Die deine lichte, blonde Liebe trägt

Weiße Engelhände
Milden Deine Lider
Lächelnde Kinder
Betten
Dein Antlitz
In Wolken

Meine Liebe rankt
Um Dich
Empor
Ein kreisendes Erdenrund
Du[2]

Auch ihre spätere Wendung zum Christentum kündigt sich bereits lyrisch an:

Ich beichte in düsteren Domen
und küsse,
Gekreuzigter,
Deine Pein

Ich bette
Dein totes Haupt
In meinen weinenden Schoss[3]

1915 lernte sie bei einer Ausstellung den Maler Georg Muche kennen, in den sie sich stürmisch verliebte und mit dem sie sich verlobte. Die Beziehung zerbrach 1918. Gleichzeitig bestand allerdings eine Beziehung zu dem jungen Dichter Wilhelm Runge (1894–1918), der als Soldat an der Westfront kämpfte, und mit dem sie einen ausgedehnten Briefwechsel führte, der 2011 publiziert wurde. Runge fiel am 22. März 1918 in der Gegend von Arras.[4]

Während der Novemberrevolution wurde Sophie van Leer in München verhaftet und zum Tode verurteilt, kam aber einen Tag später bereits frei. Einem während der Inhaftierung abgelegten Gelübde folgend konvertierte sie zum Katholizismus und nahm dabei die Vornamen Francisca Maria an.[5][6]

Literatur Bearbeiten

  • Ute Ackermann: Sophie van Leer und Georg Muche. Eine „missionarische Beziehung“ zwischen Mazdaznan-Lehre, Mystik und Katholizismus. In: Christoph Wagner (Hg.): Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Paul Klee: das Bauhaus und die Esoterik. Kerber, Bielefeld 2005, ISBN 3-938025-39-5, S. 114–122.
  • Ludger Busch: Georg Muche. Dokumentation zum malerischen Werk der Jahre 1915 bis 1920. Ein Diskussionsbeitrag zum Expressionismus. E. Wasmuth, Tübingen 1984.
  • Jattie Enklaar, Marcel Poorthuis, Theo Salemink (Hg.): „Auf springt der Tod …“ Wilhelm Runge — Sophie van Leer. Briefe aus einer holländischen Kollektion. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, ISBN 978-3-8260-3624-8.
  • Jattie Enklar: Sophie van Leer (1892 - 1953) „und gleich einem Blitz ist eines Tages die Erkenntnis in mein Hirn geschlagen“. In: Jattie Enklar (Hg.): Im Schatten der Literaturgeschichte: Autoren, die keiner mehr kennt? Rodopi, Amsterdam 2005, ISBN 90-420-1915-8, S. 307–331.
  • A. H. Huussen Jr. (Hg.): Sophie van Leer, een expressionistische dichteres. Leven en werk 1892 – 1953. Knoop, Haren-Gn 1997, ISBN 90-6148-990-3.
  • Marcel Poorthuis: Eine Jüdin und ein Priester als neuer Adam und neue Eva im Heiligen Land. Die Mystik der Sophie (Francisca) van Leer (1892–1953). In: Anja Middelbeck-Varwick, Markus Thurau (Hg.): Mystikerinnen der Neuzeit und Gegenwart. Lang, Frankfurt a. M. 2009, ISBN 978-3-631-59337-0, S. 75–108, S. 75 in der Google-Buchsuche
  • Marcel Poorthuis, Theo Salemink: Op zoek naar de blauwe ruiter. Sophie van Leer, een leven tussen avant-garde, jodendom en christendom (1892–1953). Valkhof Pers, Nijmegen 2000, ISBN 90-5625-073-6.
  • Marcel Poorthuis: De kunst en het goddelijke. Sophie van Leer en Wilhelm Runge. In: Frank Bosman et al. (Hg.): Avant-garde en religie. Over het spirituele in de moderne kunst, 1905 - 1955. Van Gruting, Utrecht 2009, ISBN 978-90-75879-49-0
  • Petra Jenny Vock: „Ich selbst bleibe mir keine fünf Minuten treu“ Zwischen Literatur, Politik und Religion: Sophie van Leer im Sturm-Kreis. In: Else-Lasker-Schüler-Jahrbuch zur klassischen Moderne. 3 (2006), S. 49–74.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Sophie van Leers Autobiographie, zitiert in Im Schatten der Literaturgeschichte, S. 308.
  2. Aus: Meiner Liebe I. In: Der Sturm. Jg. 6 (1915), Nr. 11/12, S. 66 f., doi:10.11588/diglit.37113#0068; zitiert nach: Hartmut Vollmer (Hg.): In roten Schuhen tanzt die Sonne sich zu Tod. Lyrik expressionistischer Dichterinnen. Arche, Zürich 1993, ISBN 3-7160-2164-4, S. 214.
  3. Aus: Gedicht. In: Der Sturm Jg. 6 (1915), Nr. 13/14, S. 81, doi:10.11588/diglit.37113#0082; zitiert nach: Poorthuis: Eine Jüdin und ein Priester … In: Mystikerinnen der Neuzeit. Frankfurt a. M. 2009, S. 83f.
  4. Natalia W. Pestova: Wilhelm Runge: „Das Denken träumt“; in: Jattie Enklar (Hg.): Im Schatten der Literaturgeschichte. S. 299–306.
  5. Marcel Poorthuis: Eine Jüdin und ein Priester als neuer Adam und neue Eva im Heiligen Land. Die Mystik der Sophie (Francisca) van Leer (1892–1953)., S. 75 in der Google-Buchsuche
  6. Jattie Enklar: Sophie van Leer (1892 - 1953), S. 327–329