Rifugio Tuckett – Quintino Sella

Schutzhütte im Trentino, Italien

Das Rifugio Tuckett – Quintino Sella ist eine Schutzhütte der Società degli Alpinisti Tridentini (SAT) im Brentagebirge. Der Doppelbau setzt sich aus der 1905/1906 von der Sektion Berlin des DÖAV auf dem Tuckett-Joch errichteten Tuckettpasshütte, auch Tuckettjochhütte, und des zur gleichen Zeit unmittelbar daneben erbauten Rifugio Quintino Sella der SAT zusammen. Beide Häuser liegen auf der Höhe 2272 m s.l.m. Die kleinere SAT-Hütte dient mittlerweile nur mehr als Dependance. Benannt sind sie nach dem englischen Alpinisten Francis Fox Tuckett und dem italienischen Naturwissenschaftler und Begründer des CAI, Quintino Sella.

Rifugio Tuckett – Quintino Sella
SAT-Schutzhütte Kategorie D
Die Hütten auf dem Tuckettjoch. Links das S.A.T.-Haus, rechts die von der Sektion Berlin errichtete Hütte
Die Hütten auf dem Tuckettjoch. Links das S.A.T.-Haus, rechts die von der Sektion Berlin errichtete Hütte

Die Hütten auf dem Tuckettjoch. Links das S.A.T.-Haus, rechts die von der Sektion Berlin errichtete Hütte

Lage Tuckettjoch; Trentino, Italien; Talort: Ragoli
Gebirgsgruppe Brenta
Geographische Lage: 46° 11′ 31″ N, 10° 52′ 55,9″ OKoordinaten: 46° 11′ 31″ N, 10° 52′ 55,9″ O
Höhenlage 2272 m s.l.m.
Rifugio Tuckett – Quintino Sella (Brenta)
Rifugio Tuckett – Quintino Sella (Brenta)
Erbauer SAT (Rifugio Sella)
Sektion Berlin des DÖAV (Tuckettpasshütte)
Besitzer SAT
Erbaut 1904/1906
Bautyp Schutzhütte
Übliche Öffnungszeiten vom 20. Juni bis 20. September
Beherbergung 110 Betten, 0 Lager
Winterraum 7 Bettendep1
Weblink www.rifugio-tuckett.it

Rifugio Tuckett
Rifugio Tuckett

Geschichte Bearbeiten

Der italienischsprachige Teil Tirols mit den damaligen Bezirken Rovereto und Trient gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Die Sektion Trient des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins plante seit 1896 eine Schutzhütte in der Brenta für Bergsteiger und Alpinisten zu errichten. Ein Jahr zuvor hatte die Zentrale des DÖAV dem Bau einer Hütte durch die Sektion Trient an der Presanella noch ihre finanzielle Unterstützung versagt gehabt, um einem offenen Streit mit der irredentisch geprägten Società degli alpinisti Tridentini aus dem Weg zu gehen. Einen wichtigen Unterstützer für den Bau fand man schließlich in Theodor Christomannos, einem einflussreichen Politiker und Präsidenten der Sektion Meran des DÖAV, für den der Bau ein patriotisches Zeichen darstellte, mit dem die nationalen Ansprüche auf das italienischsprachige Trentino unterstrichen werden sollten.[1]

Die neue Hütte sollte eine Grundfläche 200 m² haben, das dafür vorgesehene Grundstück am Tuckettjoch sollte für 2 Kr. jährlich gepachtet werden. Doch war die Sektion Trient finanziell nicht in der Lage den Bau zu beginnen, so dass 1903 die finanzstärkere Sektion Berlin des DÖAV das Grundstück übernahm und mit der Planung der Hütte begann. Gleichzeitig wurde der Grund auf 500 m² vergrößert. Die an die K.K. Finanz-Bezirks-Direktion Trient zu zahlende Pacht betrug nun 5 Kr. Als erste Maßnahme legte der Förderungsverein Campiglio im August 1903 einen für Maultiere begehbaren Weg zum Bauplatz an. Im Mai 1904 traf sich der Vorstand der Sektion Berlin mit dem Bauunternehmer Ballardini aus Montagne bei Tione, um den Platz zu besichtigen. Doch kurze Zeit später traf in Berlin ein Brief aus Rovereto ein, in dem die Società degli Alpinisti Tridentini mitteilte, dass sie ebenfalls dort eine Hütte bauen werde und noch im Sommer 1904 damit beginnen werde. Wie sich herausstellte, waren die beiden Bauplätze nur etwa 20 Meter voneinander entfernt. Es war also eine spezielle Konkurrenzsituation zu erwarten, die die Berliner nicht erfreute.

Die Società degli alpinisti Tridentini war ebenfalls nicht erfreut darüber, dass die Deutschen an gleicher Stelle bauen wollten, denn sie plante nach eigenen Angaben auf der Gemarkung der Gemeinde Ragoli-Montagne seit längerer Zeit ebenfalls eine Hütte und beanspruchte daher ältere Rechte für sich. Außerdem ging man davon aus, dass einheimischen Projekten der Vortritt gelassen werde. Für ihr geplantes Rifugio Q. Sella hatte die Società bereits 1902 das Grundstück und eine Baugenehmigung erhalten. In einem sehr höflich gehaltenen Schreiben an die Sektion Berlin vom 24. Juni 1904 machten die Italiener aber klar, „dass sie von den Berliner Plänen vorher hätten informiert sein müssen. Man wolle zwar die nationale Empfindlichkeit nicht übertreiben, aber das Gefühl, dass sich die deutschen Vereine immer mehr in dem Gebiet niederlassen würden, sei nicht von der Hand zu weisen, sie achten nicht immer die Nationalität des Landes“. Unterstrichen wurde dieser Vorwurf dadurch, dass „sämtliche Wegweiser und Tafeln auf diesem italienischem Boden nur deutsche Aufschriften tragen […]. Ihr Deutschen, die ihr so voller Hochmut eifersüchtig und stolz auf Eure Nationalität seid, dürft Euch doch nicht darüber wundern, dass wir Italiener es ebenso sehr auf die unsere sind.“ Das Schreiben schließt mit der Hoffnung, dass eine internationale Verständigung möglich sei.

Die Rivalität zog sich hin, beide Seiten bestanden darauf, die Häuser zu bauen. Man wollte eine Schiedskommission einberufen, vor Gericht gehen und die Eigentumsverhältnisse neu klären lassen, doch die Behörden hielten sich aus dem Streit, der zunehmend schärfer ausgetragen wurde, heraus. So begannen die rivalisierenden Seiten mit dem Bau ihrer Prestigeobjekte. Beide Häuser wurden etwa zur gleichen Zeit fertig gestellt und im August 1906 eingeweiht, wobei die Italiener eine Woche früher ihre Feier veranstalteten. Eine friedliche Koexistenz der beiden Häuser war ab 1910 auf dem Tuckettjoch möglich, denn die Sektion Berlin finanzierte eine 800 Meter lange verzinkte Wasserleitung aus Mannesmannröhren vom Gletscher zu den beiden Hütten. Zuvor musste das Wasser über eine Strecke von einem Kilometer von Trägern transportiert werden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam die Tuckettpasshütte in italienisches Eigentum, die formelle Enteignung erfolgte 1920.[2][3]

Im Sommer 2016 enthüllten der Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann des Berliner Bezirkes Charlottenburg-Wilmersdorf, Partnerstadt von Trient, sowie der Präsident der S.A.T., Claudio Bassetti, eine Gedenktafel am Rifugio Tuckett – Q.Sella im Zeichen der Völkerverständigung und des Friedens.[4]

Aufstiege Bearbeiten

Das Rifugio Tuckett – Quintino Sella liegt etwa sechseinhalb Kilometer Luftlinie südöstlich oberhalb von Madonna di Campiglio. Aufstiege zur Hütte gibt es

  • vom Gasthaus Rifugio Vallesinella di Madonna di Campiglio (1513 m) über den Wanderweg Nr. 317, am Rifugio Casinei (1825 m) vorbei, in einer Gehzeit von eindreiviertel Stunden
  • von Madonna di Campiglio aus mit einer Seilbahn zum Passo del Grostè (2442 m), dann auf dem Wanderweg Nr. 316 in eineinhalb Stunden zur Tuckettpasshütte.

Gipfel und Übergänge Bearbeiten

Von der Hütte aus sind mehrere teilweise anspruchsvolle Gipfelbegehungen möglich, die aber alpinistisches Können und Beherrschung der Sicherungstechniken für das Klettern voraussetzen.

Hochalpine Übergänge, teilweise als sehr ausgesetzte und schwierige Klettersteige, führen von der der Hütte aus zum

Literatur Bearbeiten

  • Società degli alpinisti tridentini (Hrsg.): 1906–2006: rifugio Francis Fox Tuckett Hütte, Quintino Sella. Cento anni di alpinismo, un secolo di amicizia: 25 anni gestione famiglia Daniele Angeli. Editrice Rendena, o. O. 2006, OCLC 799326857 (italienisch).
  • Rifugio Tuckett (Brenta Dolomites). In: 100 hut walks in the Alps. Cicerone, Milnthorpe, Cumbria 2014, ISBN 978-1-78362-064-7, Walk 71: Rifugio Tuckett (2272m: 7454ft) – (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Karten Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Rifugio Tuckett – Quintino Sella – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Michael Wedekind: La politicizzazione della montagna: borghesia, alpinismo e nazionalismo tra Otto e Novecento. In: Claudio Ambrosi, Michael Wedekind (Hrsg.): L’invenzione di un cosmo borghese: valori sociali e simboli culturali dell’alpinismo nei secoli XIX e XX. Museo Storico in Trento, Trient 2000 S. 48–49
  2. Die Geschichte der Affäre und der damit verbundene Briefwechsel ist in den Jahresberichten der Sektion Berlin von 1904 bis 1906 dokumentiert. Unterzeichnet wurden die Schreiben auf Berliner Seite von dem preußischen Unterstaatssekretär und Vorsitzenden der Sektion Berlin Reinhold Sydow und auf italienischer Seite von Carlo Candelpergher, dem Präsidenten der S.A.T.
  3. Jahresberichte der Sektion Berlin des D.u.Oe. Alpenvereins. 1917 bis 1921
  4. Zeitungsartikel vom 18. Juli 2016 auf Italienisch, abgerufen am 27. März 2017
  5. Alpenvereinskarten der Ostalpen. Abgerufen am 6. Oktober 2019.
  6. Tabacco Wanderkarten 1.25.000. Abgerufen am 6. Oktober 2019.