Die Plünderung von Balbriggan (englisch the sack of Balbriggan) fand während des irischen Unabhängigkeitskrieges in der Nacht des 20. September 1920 statt. Hilfskräfte der Royal Irish Constabulary, besser bekannt als „Black and Tans“, randalierten in der Kleinstadt Balbriggan im County Dublin, brannten mehr als fünfzig Häuser und Geschäfte nieder, plünderten und töteten am Ende zwei Männer. Viele Einheimische wurden in der Folge arbeits- und obdachlos. Der Angriff war die Rache für die Erschießung von zwei Polizeibeamten in Balbriggan durch die Irisch-Republikanische Armee (IRA). Es war der erste größere Vergeltungsangriff auf eine irische Stadt während des Konflikts. Die Plünderung von Balbriggan erregte im Nachgang internationales Aufsehen und führte zu hitzigen Debatten im britischen Parlament und Kritik an der Politik der britischen Regierung in Irland.

Das American Committee for Relief in Ireland begutachtet eine Hausruine in Balbriggan kurz nach der Brandschatzung im September 1920

Hintergrund Bearbeiten

Anfang 1920 sah sich die Royal Irish Constabulary (RIC), die von den Briten kontrollierten Polizeikräfte Irlands, vermehrten Angriffen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und zunehmend auch Boykotten durch die Zivilbevölkerung ausgesetzt. Als Antwort darauf begann die RIC, Verstärkung aus Großbritannien zu rekrutieren. Diese bestand zumeist aus arbeitslosen ehemaligen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. Sie erhielten den Spitznamen „Black and Tans“ und erwarben sich bald den Ruf, äußerst brutal vorzugehen. Die Black and Tans wurden im Militärlager Gormanston in der Nähe von Balbriggan, einer kleinen Stadt nördlich von Dublin, ausgebildet.[1]

Am Abend des 20. September machten Head Constable Peter Burke und sein Bruder, Sergeant Michael (oder William) Burke, auf dem Weg zum Lager Gormanston einen Zwischenstopp in Balbriggan. Sie tranken in einer Kneipe zusammen mit mehreren Black and Tans. Dort kam es kurz darauf zu einer Auseinandersetzung. Um die Ordnung wiederherzustellen, wurde die örtliche Polizei gerufen. Nach weiteren Ausschreitungen traf eine IRA-Einheit ein. Burke wurde von der IRA erschossen, sein Bruder schwer verwundet.[2] Burke hatte britische RIC-Rekruten ausgebildet und stand Berichten zufolge kurz vor seiner Beförderung zum Bezirksinspektor.[3] Der Schusswechsel war wahrscheinlich eine spontane Tat und nicht im Vorfeld geplant.[4]

Plünderung Bearbeiten

Gegen 23 Uhr trafen Lastwagen mit 100 bis 150 Black and Tans aus Gormanston in Balbriggan ein.[2][5] Sie begannen sofort Häuser und Geschäfte in Brand zu setzen, Fensterscheiben einzuschlagen und auf der Straßen um sich zu schießen. Zeugen berichteten, die Black and Tans hätten während des Angriffs gejubelt und gelacht.[6][1] Insgesamt wurden 49 Häuser zerstört oder beschädigt,[4] allein 20 davon in der Clonard Street. Viele Einwohner flüchteten auf die umliegenden Felder.[2]

Darüber hinaus wurden vier Pubs geplündert und anschließend niedergebrannt.[4] John Derham, ein Stadtbeauftragter der Sinn Féin, wurde verhaftet. Auch sein Pub wurde verwüstet und niedergebrannt. Er wurde ins Gesicht geschlagen und mit einem Gewehrkolben niedergestreckt. Sein Sohn Michael wurde bewusstlos geschlagen und in dem brennenden Gebäude zurückgelassen.[1] Auch andere Geschäfte wurden angegriffen. Die lokale Strumpfwarenfabrik, Deeds & Templar, wurde zerstört. Dort waren 130 Arbeiter beschäftigt. Weitere 180 Angestellte arbeiten von ihrem zu Hause aus für das Unternehmen.[6]

Zwei einheimische Männer, der Milchmann Seán Gibbons und der Friseur Seamus Lawless, wurden zum Verhör in die Polizeikaserne der Stadt gebracht. Sie wurden geschlagen und mit Bajonetten erstochen. Ihre Leichen entsorgte man in der Quay Street in der Nähe der Kaserne.[6][7] Laut dem Guardian handelte es sich bei den Opfer um den Vorsitzenden und stellvertretenden Sekretär des örtlichen IRA-Bataillons. Heute erinnert eine Gedenktafel in der Quay Street in Balbriggan an die beiden Männer. Alljährlich findet dort eine Gedenkfeier statt.[7]

Folgen Bearbeiten

Nicht zuletzt wegen der Nähe zu Dublin wurde der Angriff in der irischen, britischen und internationalen Presse ausführlich behandelt. Es war die erste größere Vergeltungsmaßnahme dieser Art während des Krieges und veranlasste einen großen Teil der britischen Gesellschaft, die Politik der eigenen Regierung in Irland zu hinterfragen.[8] Zwei Tage nach der Plünderung führten britische Streitkräfte eine weitere Vergeltungsmaßnahme durch. Nach einem Hinterhalt bei Rineen im County Clare, bei dem sechs Soldaten durch die IRA getötet wurden, brandschatzten britische Tuppen Häuser in den umliegenden Dörfern und töteten fünf Zivilisten.[9]

Durch die umfangreiche Berichterstattung der Vorfälle in der Presse wurden viele britische Ex-Soldaten auf eine mögliche Anstellung bei der RIC aufmerksam. In den Wochen nach der Plünderung von Balbriggan kam es zu einem Ansturm britischer Rekruten.

Im britischen Parlament führten die Repressalien zu hitzigen Debatten. Der ehemalige Premierminister und damalige Oppositionsführer der Liberalen Partei, Herbert Asquith, verglich Balbriggan mit dem sogenannten Rape of Belgium, der in der Propaganda des Ersten Weltkriegs kolportierten systematischen Verwüstung Belgiens durch deutsche Truppen. Die Labour-Opposition brachte über ihren stellvertretenden Vorsitzenden Arthur Henderson einen Antrag ein, in dem eine unabhängige Untersuchung der Plünderung von Balbriggan und anderen Städten in Irland gefordert wurde. Henderson sagte, die britischen Streitkräfte schienen „eine Politik des militärischen Terrorismus zu betreiben, die nicht nur einen Verrat an unseren demokratischen Prinzipien darstellt, sondern auch den besten Traditionen des britischen Volkes völlig zuwiderläuft“. Der Chefsekretär der britischen Regierung für Irland, Hamar Greenwood, wies Asquiths Vergleich zurück und behauptete, Henderson sei von der IRA-Propaganda irregeführt worden. Er sprach sich gegen eine Untersuchung aus und bestand darauf, dass Polizei und Militär die Gewissheit haben müssten, dass die britische Regierung und die Bevölkerung voll hinter ihnen stünden. Das britische Parlament stimmte gegen die Durchführung einer Untersuchung. Die Labour Party beschloss daraufhin, eine eigene Kommission einzusetzen. Auch eine US-amerikanische Kommission wurde eingerichtet.[5]

Es gab zahlreiche Entschädigungsforderungen für zerstörte Unternehmen und Häuser. Allein die Entschädigung für die Zerstörung der örtlichen Fabrik sollte insgesamt über 80.000 Pfund betragen. Laut einer Untersuchung kostete deren Brandschatzung über 200 Arbeitsplätze und der Wiederaufbau wurde mit über zweieinhalb Jahren beziffert. Auch den Familien von Gibbons und Lawless wurde eine Entschädigung zugesprochen.[6]

Nach Angaben des örtlichen IRA-Kommandeurs Michael Rock hatte ein ehemaliger britischer Soldat namens William Straw die Black and Tans durch Balbriggan geführt und ihnen gezeigt, welche Häuser sie anzünden sollten.[10] Thomas Peppard, Nachrichtenoffizier der IRA Fingal Brigade, sagte, Straw sei von der IRA wegen seiner Rolle in Balbriggan „vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen“ worden. Seine Leiche wurde einen Monat später in Bettyville Wood gefunden.[11]

Das IRA-Mitglied Joseph Lawless sagte, die IRA habe nach der Plünderung einen Großangriff auf die in Gormanston stationierten Black and Tans geplant. Dabei sollten diese zuerst in Balbriggan in einen Hinterhalt gelockt werden, während eine andere IRA-Gruppe das nur leicht verteidigte Lager in Gormanston angreifen und niederbrennen sollte. Dieser Plan wurde nach den Ereignissen des Bloody Sunday aufgegeben.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c David Leeson: The Black and Tans: British police and auxiliaries in the Irish War of Independence, 1920–1921. 1. ed., repr. Oxford Univ. Press, Oxford 2012, ISBN 978-0-19-959899-1.
  2. a b c Richard S. Grayson: Dublin's great wars: the First World War, the easter rising and the Irish revolution. Cambridge University Press, Cambridge New York, NY Port Melbourne, VIC New Delhi Singapore 2018, ISBN 978-1-107-02925-5.
  3. Richard Abbott: Police casualties in Ireland, 1919 - 1922. Mercier, Cork 2000, ISBN 978-1-85635-314-4.
  4. a b c Joseph McKenna: Guerrilla warfare in the Irish War of Independence, 1919-1921. McFarland, Jefferson, NC 2011, ISBN 978-0-7864-5947-6.
  5. a b Gerry White, Brendan O’Shea: The burning of Cork. Mercier Press, Douglas Village, Cork 2006, ISBN 978-1-85635-522-3.
  6. a b c d The Sack of Balbriggan to be commemorated. 18. September 2003, abgerufen am 27. Juni 2023 (englisch).
  7. a b RIC controversy ‘will not help’ FG in town sacked by Black and Tans. Abgerufen am 27. Juni 2023 (englisch).
  8. M. L. R. Smith: Fighting for Ireland? the military strategy of the Irish republican movement. Routledge, London 1997, ISBN 978-0-415-09161-9.
  9. Pádraig Óg Ó Ruairc: Blood on the Banner: the Republican struggle in Clare 1913 - 1923. Mercier Press, Cork 2009, ISBN 978-1-85635-613-8.
  10. Paul Taylor: Heroes or traitors? experiences of Southern Irish soldiers returning from the Great War 1919 - 1939 (= Reappraisals in Irish history. Nr. 5). Liverpool Univ. Press, Liverpool 2015, ISBN 978-1-78138-161-8.
  11. Eunan O’Halpin, Daithí Ó Corráin: The dead of the Irish Revolution. Yale University Press, New Haven (Conn.) 2020, ISBN 978-0-300-12382-1.