Neobroker
Ein Neobroker oder Neo-Broker ist im Finanzwesen ein Online-Broker, der sich im Vergleich zu anderen Online-Wertpapiervermittlern durch ein niedrigschwelliges, eingeschränkteres Angebot von Wertpapieren, Handelsplätzen und Dienstleistungen, sowie durch geringere oder nicht vorhandene Transaktionsgebühren auszeichnet. Die Anbieter ermöglichen ihren Kunden den Handel von Wertpapieren über eine leicht bedienbare Anwendungsumgebung, oft in Form einer Trading-App.
Geschäftsmodell und Zielgruppe
BearbeitenNeobroker bieten ihren Kunden ein kostenloses Wertpapierdepot an, über das jederzeit der Handel von Wertpapieren teilweise ohne anfallende Transaktionsgebühren auch über das Smartphone möglich ist. Dieses niedrigschwellige Angebot soll zum regelmäßigen Traden anregen. Die Haupteinnahmequelle von Neobrokern sind sogenannte Rückvergütungen. Sie arbeiten hierfür mit wenigen exklusiven Handelsplätzen zusammen, die ihnen für jede abgewickelte Transaktion eine Provision zahlen. Die oft außerbörslichen Handelsplätze bieten den Händlern die Möglichkeit, auch außerhalb der regulären Börsenöffnungszeiten Transaktionen durchzuführen. In diesen Zeiten können die Handelsplätze aufgrund eines höheren Spreads eine größere Gewinnmarge pro Transaktion erwirtschaften und diese auf höherem Niveau an die Neobroker weitergeben.[1][2] Die Kunden können aufgrund der fehlenden Auswahl an Handelsplätzen die Wertpapiertransaktionen mit weniger Handlungsschritten abschließen und so schneller handeln; die Markttransparenz sinkt aufgrund fehlender Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Handelsplätzen.
Bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sind in Deutschland zugelassene Neobroker als Wertpapierinstitut gemeldet. Sie besitzen meist keine Vollbanklizenz und lagern Dienstleistungen wie Depot- und Verrechnungskontenverwaltung, Ein- und Auszahlungen oder die Wertpapierlagerung an kooperierende Banken aus.[3]
Die Zielgruppe der Anbieter sind laut der Strategieberatung Oliver Wyman Anleger, die ihre „Wertpapierentscheidungen überwiegend selbst treffen“ wollen. Day-Trader und „aktive Selbstentscheider“ machten im Online-Broker-Markt im Jahr 2020 etwa sechs Prozent der Wertpapierbesitzer aus. Sie waren jedoch für fast die Hälfte der Erlöse verantwortlich.[4][5] Die Anbieter erreichen laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung insbesondere junge Menschen, insbesondere Männer, aus allen Einkommensschichten.[6] Eine im September 2022 veröffentlichte Befragung der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Investor Relations Verband ergab, dass in der Altersgruppe der 18- bis 35-jährigen knapp 38 Prozent der Anleger bereits Aktien oder Fonds über Neobroker gekauft haben. In der Altersgruppe der über 35-jährigen waren es zwölf Prozent der befragten Anleger.[7]
Anbieter
BearbeitenDas US-amerikanische Unternehmen Robinhood gilt als Begründer der Neobroker. Das Unternehmen verwaltete im Dezember 2020 das Vermögen von 13 Millionen Kunden im Wert 20 Milliarden US-Dollar.[3] In Deutschland bot Trade Republic im Frühjahr 2019 als erstes Unternehmen Dienstleistungen eines Neobrokers an. Mit justTRADE (2019), BUX (2019), SMARTBROKER+ (2019), eToro (2019), Scalable Capital (2020), Finanzen.net Zero (2021), Traders Place (2022) oder tradegate.direct (2024) folgten weitere Anbieter.[8][2] Laut der Strategieberatung Oliver Wyman hatten Neobroker im Jahr 2020 in Deutschland einen Marktanteil von sieben bis acht Prozent.[4]
Rezeption
BearbeitenDer Aktienexperte Christian W. Röhl sieht in den Neobrokern insbesondere mit Blick auf die Gebühren „eine Demokratisierung der Geldanlage“. Neobroker seien „eine gute Möglichkeit […], sehr kostengünstig Sparpläne zu starten“. Die Gefahr bestehe in impulsiven Handlungen „gerade beim Handeln am Smartphone“, so Röhl.[9] Die Verbraucherzentrale macht darauf aufmerksam, dass die „scheinbar kostenlose Möglichkeit zu kaufen und zu verkaufen“ zum „Zocken“ verführe. Nur bei hoch riskanten Anlagen seien schnelle Gewinne möglich.[2] In diesem Zusammenhang wird häufig von einer Gamification des Finanzmarkts gesprochen. Nach der Finanzbuchautorin Karin Roller sei es den Anbietern gelungen, „den Börsenhandel mit Spiel und Spaß zu verbinden – inklusive Suchtgefahr“.[10]
Das Modell der Rückvergütung wird aufgrund möglicher Interessenkonflikte zwischen Broker und Anleger kritisiert. Nach der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) gebe das Rückvergütungsmodell dem Broker einen Anreiz, den Handelsplatz auszuwählen, „der das meiste für das Orderbuch vergüte statt denjenigen, der bei Ausführung der Aufträge für die Kunden das beste Ergebnis erziele“, so die ESMA.[11] Sowohl die EU-Kommission als auch die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC denken über ein Verbot von Rückvergütungen nach.[10][12] Mit der geänderten Fassung der Verordnung (EU) 600/2014 hat die EU am 28. März 2024 das Gebührenmodell Payment for Order Flow (PFOF) verboten. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können aber bis zum 30. Juni 2026 hiervon abweichen.[13] Das Verbot zwingt die Neobroker zu neuen Preis- und Geschäftsmodellen.
Nach dem Koalitionsvertrag der seit 2021 in Deutschland auf Bundesebene regierenden Ampelkoalition soll Deutschland „einer der führenden Standorte innerhalb Europas“ für FinTechs, InsurTechs, Plattformen, Neobroker und alle weiteren Ideengeber werden.[14]
Literatur
Bearbeiten- Timo Halbe: Anlegen mit dem Smartphone. Mit Onlinebrokern einfach, schnell und sicher Geld anlegen. Stiftung Warentest, Berlin 2022, ISBN 978-3-7471-0527-6 (Schwerpunkte sind Scalable Capital und Trade Republic).
Weblinks
Bearbeiten- Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Was Neo-Broker versprechen – und halten. 15. Juni 2021, abgerufen am 10. September 2022.
- Verbraucherzentrale: Neo-Broker: Kosten und Risiken des schnellen Wertpapier-Handels per App. 17. August 2022, abgerufen am 10. September 2022.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Neobroker vs. Klassische Online-Broker. tagesspiegel.de, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ a b c verbraucherzentrale.de: Neo-Broker: Kosten und Risiken des schnellen Wertpapier-Handels per App. 17. August 2022, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ a b Susanne Schier, Andreas Kröner und Carsten Herz: Robinhood, Trade Republic, Scalable: Das hat es mit dem Boom der Neobroker auf sich. handelsblatt.com, 2. Februar 2021, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ a b Susanne Schier: Warum eine Konsolidierung unter den Online-Brokern unausweichlich sein dürfte. handelsblatt.com, 27. September 2021, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ René Fischer, Thomas Hofmann und Philipp Bulis: Online-Wertpapier-Brokerage 2021 (PDF). Oliver Wyman, 2021, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ Alexander Kritikos et al.: Hype or New Normal? Insights into themotives and behavior of a new generation of investors (PDF). DIW Econ, 9. Februar 2022, abgerufen am 10. September 2022 (englisch).
- ↑ Hanna Jonas, Christian P. Hoffmann, Sandra Binder-Tietz: Kapitalmarktkommunikation für die neue „Generation Aktie“ (PDF). Deutschen Investor Relations Verband, September 2022, abgerufen am 21. September 2022.
- ↑ Dominique Riedl: Neobroker im Vergleich: Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen? justetf.com, 16. August 2022, abgerufen am 11. September 2022.
- ↑ Steffen Preißler: GameStop und Co.: Darum machen Neobroker den Banken Konkurrenz. 1. Februar 2021, abgerufen am 10. Juli 2023 (deutsch).
- ↑ a b Karin Roller: Trading für Dummies, John Wiley & Sons 2022
- ↑ EU-Finanzaufsicht nimmt Neobroker unter die Lupe. faz.net, 14. Juli 2021, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ Harald Freiberger: Rückschlag für Neobroker. sueddeutsche.de, 19. November 2021, abgerufen am 10. September 2022.
- ↑ https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Aufsichtsmitteilung/2024/aufsichtsmitteilung_240322_PFOF.html
- ↑ Lesen Sie hier den Koalitionsvertrag im Wortlaut. spiegel.de, 24. November 2021, abgerufen am 10. September 2022.