Magdalena Aebi

Schweizer Philosophin

Magdalena Aebi (* 4. Februar 1898 in Burgdorf; † 12. September 1980 in Oberburg) war eine Schweizer Philosophin, die für ihre fundamentale Kritik an Immanuel Kant bekannt wurde.

Leben Bearbeiten

Aebi besuchte das Gymnasium in Burgdorf, wo sie 1919 die Matura erhielt. Sie studierte Altphilologie, Indogermanistik, Kunstgeschichte und Archäologie in Zürich und München. Im Anschluss daran studierte sie in Hamburg bei Albert Görland und Ernst Cassirer Philosophie, bis Cassirer 1933 aus Deutschland vertrieben wurde. Danach setzte sie ihr Studium in Zürich fort, u. a. bei Karl Dürr. Hauptgegenstand ihres Interesses war die Philosophie Kants, in dessen Kritik der reinen Vernunft sie seit 1929 einen grundlegenden Fehler entdeckt zu haben glaubte. Dürr wies sie auf die Schriften von Heinrich Scholz hin. Sie arbeitete sich darauf in die Werke der modernen Logik und der Tradition antikantianischer Philosophen wie Franz Brentano und Bernard Bolzano ein und schloss ihre Dissertation Beiträge zur Kritik der transzendentalen Logik Kants ab, mit der sie 1943 promoviert wurde. Nach dem Aufsehen, das das Erscheinen ihres Buches erregt hatte, arbeitete Aebi weiter an philosophischen Fragen, lehnte jedoch eine ihr angebotene Hochschulkarriere ab.

Sie veröffentlichte keine weiteren Bücher, setzte jedoch ihre Kritik an der deutschen Philosophie in Vorträgen und Aufsatzpublikationen fort. Ausserdem arbeitete sie zu Fragen der Werttheorie, der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Ihr Entwurf einer natürlichen Systemtheorie ist aus einem Brief an Wolfgang Pauli bekannt,[1] wurde aber ebenso wenig veröffentlicht wie eine Kritik an Hegels Logik.

Aebi wurde Vorstandsmitglied der Philosophischen Gesellschaft Zürich. Sie nahm häufig an den von Paul Bernays und Ferdinand Gonseth veranstalteten Seminaren für Geschichte und Wissenschaften an der ETH Zürich teil, verschonte aber auch Gonseth nicht mit ihrer scharfen logischen Kritik.[2]

Werk und Wirkung Bearbeiten

Das 1947 erschienene Kant-Buch enthält neben dem im Umfang von 250 auf über 500 Seiten vermehrten Text der Dissertation zusätzlich eine hundertseitige Einleitung. Der Titel Kants Begründung der «Deutschen Philosophie». Kants transzendentale Logik, Kritik ihrer Begründung ist eine Anspielung auf Wilhelm Windelbands Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Der Hauptteil der Arbeit enthält eine grundlegende Kritik an der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe in Kants erstem Hauptwerk. Darin versucht Aebi den Nachweis zu führen, dass der gesamte Text unklar, inkohärent und widersprüchlich sei. Als zentralen Fehler machte sie eine Quaternio terminorum aus, bei der im Mittelbegriff des Syllogismus zwei verschiedene Bedeutungen von transzendentaler Apperzeption auftreten. In der Einleitung führt sie aus, dass die gesamte nachkantische deutsche Philosophie bis hin zu Heidegger als Folge des durch Kant entstandenen Verfalls des logischen Denkens zu verstehen sei.

Das Erscheinen des Buches machte Aebi unter Philosophen und in der gebildeten Öffentlichkeit zu einer internationalen Berühmtheit.[3] Es erschienen zahlreiche Rezensionen, sowohl in Feuilletons wie in Fachzeitschriften. Positiv urteilten (ihr oft persönlich bekannte) Logiker und Wissenschaftstheoretiker wie Heinrich Scholz[4], Evert Willem Beth[5], Max Bense[6], Herman Meyer[7] und Paul Bernays[8]. Dagegen wurde das Werk von deutschen und nicht-deutschen Kantianern gleichermassen abgelehnt, wobei der Umstand, dass «Fräulein Aebi» weiblich war, zu herablassenden (Julius Ebbinghaus[9]) und betont ironischen (Jan van der Meulen[10]) Auslassungen führte. Alle negativen Rezensenten bemühten sich um ausführliche Widerlegungen, vorgeworfen wurden ihr neben Missverständnissen auch die Vernachlässigung der gesamten neueren Kantliteratur (vor allem der Arbeiten von Klaus Reich und Herbert James Paton).[11] Gerhard Lehmann entgegnete Aebi, es sei unsinnig, Kant Denkfehler nachweisen zu wollen, da Philosophie in erster Linie Sinnerhellung sei.[12]

Die Kant-Forschung hat Aebi kaum beeinflusst, da die Deutung der transzendentalen Deduktion durch die Dissertation von Friedrich Tenbruck schon 1944 den Weg zur Diskussion um die «Beweisstruktur» eingeschlagen hat, der die Kant-Forschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigte. Aber noch Dieter Henrich kam im Zusammenhang seiner bahnbrechenden Abhandlung Identität und Objektivität auf Magdalena Aebi zurück.[13] Als sachlicher Ertrag der Debatte gilt in der Kant-Forschung Ebbinghaus’ Erklärung von Kants Theorie der Wahrnehmungsurteile in seinem Aufsatz Magdalena Aebi und Immanuel Kant, durch den auch der Name Aebis verewigt wurde.[14] Dagegen berufen sich einige Logiker nach wie vor auf Aebi, wenn sie die Haltlosigkeit von Kants Unternehmen behaupten.[15] Auf diesen Umstand ist auch die Neuveröffentlichung von Aebis Buch durch Albert Menne im Jahr 1982 zurückzuführen.

Schriften Bearbeiten

  • Beiträge zur Kritik der transzendentalen Logik Kants. Dissertation, Universität Zürich 1938. Verlag für Recht und Gesellschaft, Basel 1945 (247 Seiten).
  • Kants Begründung der «Deutschen Philosophie». Kants transzendentale Logik, Kritik ihrer Begründung. Verlag für Recht und Gesellschaft, Basel 1947 (xix, 107, 525 Seiten). Nachdruck Hildesheim 1984 mit einem Vorwort von Albert Menne.

Aebis Nachlass liegt in der Zentralbibliothek Zürich.[16]

Literatur Bearbeiten

  • Angelica Baum: Aebi, Magdalena. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Willy Keller: Schweizer biographisches Archiv. Band 6, 1958, S. 9.
  • Albert Menne: Magdalena Aebi 1898–1980. In: Das Burgdorfer Jahrbuch. Bd. 49 (1982), S. 78–80.
  • Karl von Meÿenn: Kommentar. In: Wolfgang Pauli: Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u. a. Band IV, Teil II: 1953–1954. Herausgegeben von Karl von Meÿenn. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1999, S. 380f.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Aebi an Pauli, 10. Dezember 1953, in: Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u. a. Band IV, Teil II: 1953–1954. Herausgegeben von Karl von Meÿenn. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1999, S. 381–383. Siehe auch Magdalena Aebi: Der Mensch in der Einheit des Seins. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Jg. 9 (1955), S. 377–385.
  2. Magdalena Aebi: Die Stellung von Gonseths «Offener Philosophie» im Ganzen der Philosophia perennis. In: Dialectica. Jg. 14 (1960), S. 127–150.
  3. Georg Klaus (Moderne Logik. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1964, S. 54) spricht von «der durch ihre äusserst negative Auslassungen über Kant herostratisch berühmt gewordenen Magdalena Aebi».
  4. In: Deutsche Litteraturzeitung, Jg. 70 (1949), Sp. 342–350.
  5. In: Neue Zürcher Zeitung. 21. August 1948; ders.: Über Lockes «Allgemeines Dreieck». In: Kant-Studien. Jg. 48 (1956/57), S. 361–380.
  6. In: Universitas. Jg. 4, April 1949, S. 199.
  7. In: Synthese. Jg. 6 (1947), S. 510 f.
  8. Paul Bernays: Zur Frage der Anknüpfung an die kantische Erkenntnistheorie. Eine kritische Erörterung. In: Dialectica. Jg. 9 (1955), S. 23–65.
  9. Julius Ebbinghaus: Magdalena Aebi und Immanuel Kant. In: Archiv für Philosophie. Jg. 2 (1954), S. 37–56. Wieder in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. WBG, Darmstadt 1968, S. 120–139; und in: Interpretation und Kritik. Schriften zur Theoretischen Philosophie und zur Philosophiegeschichte 1924–1972. Bouvier, Bonn 1990, S. 175–194.
  10. Jan van der Meulen: Magdalena Äbi und Kant oder Das unendliche Urteil. Westkulturverlag Anton Hain, Meisenheim/Glan 1951 (Beihefte zur Zeitschrift für philosophische Forschung, Heft 3).
  11. Neben den Genannten siehe (unter vielen anderen) auch: Georg Siegmund: Die Überwindung des Kantianismus. In: Philosophisches Jahrbuch. Jg. 60 (1950), S. 267–277. – Jürgen von Kempski: Charles Sanders Peirce und der Pragmatismus. Kohlhammer, Stuttgart/Köln 1952, S. 54. – Georg Jánoska: Der transzendentale Gegenstand. Über die formale Richtigkeit der transzendentalen Deduktion und die Kant-Kritik Magdalena Aebis. In: Kant-Studien. Jg. 46 (1954/55), S. 193–221.
  12. Gerhard Lehmann: Eine quaternio terminorum bei Kant? M. Aebis Kant-Widerlegung. (zuerst 1954). In: ders.: Kants Tugenden. De Gruyter, Berlin/New York 1980, S. 237–249, hier: S. 241.
  13. Dieter Henrich: Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion. Winter, Heidelberg 1976, S. 71.
  14. Manfred Baum: Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchung zur Kritik der reinen Vernunft. Hain bei Athenäum, Königstein/Ts. 1986, S. 40.
  15. Albert Menne: Vorbemerkung. In: Magdalena Aebi: Kants Begründung der «Deutschen Philosophie». Kants transzendentale Logik, Kritik ihrer Begründung. Nachdruck Hildesheim 1984. Siehe auch Albert Menne: Die Kantische Urteilstafel im Lichte der Logikgeschichte und der modernen Logik. In: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie. Jg. 20 (1989), S. 317–324; ders.: Das unendliche Urteil Kants. In: Philosophia naturalis. Band 19, 1982, S. 151–162.
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