Heinrich Günter

deutscher Historiker

Heinrich Günter (* 15. Februar 1870 in Schelklingen bei Ulm; † 13. Mai 1951 in München) war ein deutscher Historiker.

Heinrich Günter als Student in Tübingen, 1889–1893
Heinrich Günter besuchte von 1885 bis 1889 das Gymnasium und Konvikt in Ehingen (Donau)
Heinrich Günter als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, vor seiner Emeritierung 1935

Leben und Wirken Bearbeiten

Heinrich Günter wurde als Sohn des Bäckers Adolf Günter und seiner Ehefrau Helena Scheitenberger, der Tochter des Stadtschultheißen von Schelklingen Philipp Scheitenberger, geboren und hatte neun Geschwister. Nach dem Gymnasialbesuch in Riedlingen und Ehingen studierte er ab 1889 katholische Theologie am Theologenkonvikt Wilhelmsstift, später Geschichte an der Universität Tübingen. Bereits 1890 löste er die Preisaufgabe der philosophischen Fakultät der Tübinger Universität und erhielt für die Arbeit Die römischen Krönungseide der deutschen Kaiser 1891 den Preis der Speyerschen Stiftung. Zu seinen akademischen Lehrern zählten Walter Goetz, Johannes Haller und Dietrich Schäfer, der auch seine Promotion zum Dr. phil. (1893) betreute. Das Priesterseminar Rottenburg verließ er noch vor der Weihe. Ab 1894 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte und erstellte die Archivordnung des Stadtarchivs in Rottweil, und im Wintersemester 1895/96 führte er ein Ergänzungsstudium am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien durch. 1897 habilitierte er sich an der philosophischen Fakultät der Universität Tübingen im Fach mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften. Anschließend war er Privatdozent in Tübingen, ehe er dort 1902 außerordentlicher Professor wurde.

Nach der Publikation seines Buches Legenden-Studien (1906) bat ihn der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler durch den Direktor des Wilhelmsstifts, Franz Xaver Reck, von der kritischen Behandlung der Heiligenlegenden in einer angekündigten Vorlesung abzusehen, bis sich die zu erwartende Erregung wegen des Buches gelegt haben würde. Günter kam dieser Bitte nach, kündigte aber für das Wintersemester 1907/08 erneut eine Vorlesung über Heiligenleben an. Ein Gespräch mit dem Konviktsdirektor veranlasste ihn abermals die Vorlesung abzusagen. Von der Presse wurde der „Fall Günter“ als Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre dargestellt. Er wollte die konfessionell gebundene Professur verlassen, wurde aber durch einen Brief Kepplers zum Bleiben ermutigt. 1923 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor für Geschichte an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis zu seiner Emeritierung 1935 tätig war. Zu seinen Schülern gehörten unter anderem Philipp Funk, Hermann Hefele und Michael Seidlmayer.

Günter arbeitete auf dem Gebiet der schwäbische Landesgeschichte und der mittelalterlichen Kaiserzeit, aber auch zu Reformation, Gegenreformation und Hagiographie. Er war Mitglied in der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte (1894–1934), der Verbindung KStV Alamannia Tübingen (KV) und der Görres-Gesellschaft. 1950 erhielt er die Ehrendoktorwürde Dr. theol. h. c. der Universität München. Außerdem war er seit 1923 Ehrenbürger seiner Heimatstadt Schelklingen. Er war von 1926 bis 1929 Herausgeber des Historischen Jahrbuchs der Görres-Gesellschaft.

Günter war zweimal verheiratet: Am 10. September 1898 heiratete er in Bad Mergentheim Maria Magdalena Anna Schell von dort, Tochter des Kaufmanns Johann Schell aus dessen zweiter Ehe mit Hulda Brogli, welche nach 38 Jahren Ehe und langer Krankheit 1936 in München verstarb. Sie wurde auf dem Friedhof in Schelklingen begraben. Seine zweite Gattin Valeria Maria Mayer (* 19. September 1897 in Stuttgart) als Tochter des dortigen Kaufmanns in Glaswaren Rupert Mayer (1849–1927) und dessen Ehefrau Emilie Karoline Wehrle (1855–1947), welche er in München am 22. Dezember 1936 ehelichte, war die jüngste Schwester des Jesuitenpaters Rupert Mayer S.J.; sie erlag in München am 23. März 1941 einem Nierenleiden. Beide Ehen waren kinderlos. Nach seinem Tod wurde er seinem letzten Willen gemäß nach Stuttgart überführt und an ihrer Seite im Familiengrab der Mayers auf dem Pragfriedhof beigesetzt[1].

Werke (Auswahl) Bearbeiten

  • Über mittelalterliches Kaisertum. Dissertation, Tübingen 1893.
  • Urkundenbuch der Stadt Rottweil. Band 1 (= Württembergische Geschichtsquellen, Band 3), Kohlhammer, Stuttgart 1896.
  • Das Münzwesen in der Grafschaft Württemberg. Kohlhammer, Stuttgart 1897 (Habilitationsschrift).
  • Das Restitutionsedikt von 1629 und die katholische Restauration Altwirtembergs. Kohlhammer, Stuttgart 1901 (Digitalisat).
  • Die Toleranz der Geschichte (= Populärwissenschaftliche Vorträge, Band 29). Dt. Volksblatt, Stuttgart 1903.
  • Kaiser Heinrich II. der Heilige (= Sammlung illustrierter Heiligenleben, Band 1). Kösel, Kempten und München 1904.
  • Legenden-Studien. Bachem, Köln 1906.
  • Die Habsburger-Liga 1625–1635. Briefe und Akten aus dem General-Archiv zu Simancas (= Eberings Historische Studien, Band 62). Ebering, Berlin 1908; Nachdruck: Kraus Reprint, Vaduz 1965.
  • Die christliche Legende des Abendlandes (= Religionswissenschaftliche Bibliothek, Band 2). Winter, Heidelberg 1910.
  • Gerwig Blarer, Abt von Weingarten 1520–1567. Briefe und Akten. Band 1: 1518–1547 (= Württembergische Geschichtsquellen, Band 16), Kohlhammer, Stuttgart 1914.
  • Die römischen Krönungseide der deutschen Kaiser (= Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen, Band 132). Marcus und Weber, Bonn 1915; Nachdruck: de Gruyter, Berlin 1931.
  • Gerwig Blarer, Abt von Weingarten und Ochsenhausen. Band 2: 1547–1567 (= Württembergische Geschichtsquellen, Band 17), Kohlhammer, Stuttgart 1921.
  • Buddha in der abendländischen Legende? Leipzig 1922.
  • Die Jahrhundert Feier der Übertragung der Universität von Landshut nach München 26. und 27. November 1926. Wolf, München 1928.
  • Deutsche Kultur in ihrer Entwicklung. Quelle & Meyer, Leipzig 1932.
  • Das mittelalterliche Kaisertum (= Münchener Universitätsreden, Band 27). Hueber, München 1933.
  • Das werdende Deutschland und Rom. Von Einhard zu Widukind von Korvey (= Münchener Historische Abhandlungen, Band 1,6). Beck, München 1934.
  • Das deutsche Mittelalter. Band 1, Herder, Freiburg im Breisgau 1936; Band 2, 1939 (= Geschichte der führenden Völker, Band 12 und 13); 2. Auflage, 1943.
  • Geschichte der Stadt Schelklingen bis 1806. Kohlhammer, Stuttgart und Berlin 1939.
  • Kaiser Otto der Große. Kohlhammer, Stuttgart und Berlin 1941 (Digitalisat); 2. Auflage 1943.
  • Entwicklung und Vorsehung in der Geschichte. Echter-Verlag, Würzburg 1949.
  • Psychologie der Legende. Studien zu einer wissenschaftlichen Heiligen-Geschichte. Herder, Freiburg 1949 (Digitalisat).

Literatur Bearbeiten

  • Heidrun Alzheimer: Volkskunde in Bayern. Ein bio-bibliographisches Lexikon der Vorläufer, Förderer u. einstigen Fachvertreter (= Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Band 50; Bio-bibliographisches Lexikon zur Volkskunde. Vorarbeiten, Band 4). Bayer. Blätter für Volkskunde, Würzburg [u. a.] 1991, S. 92–93.
  • Friedrich Bertkau und Gerhard Oestreich (redaktionelle Leitung): Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender. 7. Ausgabe, Gruyter, Berlin 1950, Sp. 657.
  • Bibliographie Heinrich Günter. In: Historisches Jahrbuch. Band 60, Köln 1940, S. 312–313, Nachdruck: Schmidt, Bad Feilnbach 1988.
  • Rüdiger vom Bruch: Günter, Heinrich. In: Karl Bosl (Hrsg.): Bosls bayerische Biographie. Pustet, Regensburg 1983, ISBN 3-7917-0792-2, S. 282 (Digitalisat).
  • Kathrin Brüggenthies: Günter, Heinrich. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 30, Bautz, Nordhausen 2009, ISBN 978-3-88309-478-6, Sp. 531–536.
  • Herrmann A. L. Degener (Hrsg.): Wer ist’s. 10. Ausgabe, Degener, Berlin 1935.
  • Roland Engelhardt: „Wir schlugen unter Kämpfen und Opfern dem Neuen Bresche“. Philipp Funk (1884–1937). Leben und Werk (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Band 695). Peter Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 1996, ISBN 3-63149982-5, zugleich: Dissertation Rezension in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 16 (1997) 290 f.
  • Roland Engelhart: Zwischen Rebellion und Gehorsam. Zur Entlassung des Diakons Josef Heilig aus dem Priesterseminar Rottenburg (= Europäische Hochschulschriftenreihe, Reihe III, Band 728). Frankfurt a. M. 1997, S. 32, 134.
  • J[osef] Forderer: Prof. Dr. Heinrich Günter 80 Jahre alt. In: Alamannenblätter. Mitteilungen des Hausvereins alter Tübinger Alamannen. NF 1, Tübingen 27. Dezember 1948, S. 41 ff.
  • Josef Forderer: Katholische Studentenverbindung Alamannia Tübingen. Tübingen 1962.
  • Albert Gier: Günter, Heinrich. In: Kurt Ranke (Hrsg.): Enzyklopädie des Märchens. Band 6, Walter de Gruyter, Berlin und New York 1989, ISBN 3-11-011763-0, S. 302–305.
  • August Hagen: Der Reformkatholizismus in der Diözese Rottenburg (1902–1920). Schwabenverlag, Stuttgart 1962, S. 43–50.
  • Karl Hausberger: Günter, Heinrich. In: Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage, Band 4, Freiburg im Breisgau 1995, ISBN 3-451-22004-0, Sp. 1275.
  • Matthias Ilg: Günter, Heinrich. In: Maria Magdalena Rückert (Hrsg.): Württembergische Biographien unter Einbeziehung hohenzollerischer Persönlichkeiten. Band II. Im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Kohlhammer, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-021530-6, S. 86–88.
  • Joachim Köhler: Heinrich Günters Legendenstudien. Ein Beitrag zur Erforschung historischer Methode. In: Georg Schwaiger (Hrsg.): Historische Kritik in der Theologie. Beiträge zu ihrer Geschichte (= Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts, Band 32), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1980, S. 307–337 (mit Bibliographie).
  • Wilhelm Kosch: Das katholische Deutschland. Biographisch-bibliographisches Lexikon. Band 1, Haas & Grabherr, Augsburg 1933, Sp. 1194 (mit Bild auf der Tafel vor Sp. 1185).
  • Georg May: Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der Universität Tübingen von 1817 bis 1945 (= Kanonistische Studien und Texte, Band 28). Grüner, Amsterdam 1975, S. 596–634.
  • M. Miller: [Nachruf] Heinrich Günter. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte. Band 12, 1954, S. 330–331.
  • [Nachruf] Prof. Dr. Heinrich Günter. In: Katholisches Sonntagsblatt. 99, 1951, S. 339.
  • Rudolf Reinhardt: Zu den Auseinandersetzungen um den „Modernismus“ an der Universität Tübingen. In: Rudolf Reinhardt (Hrsg.): Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen (= Contubernium. Beiträge zur Geschichte der Eberhard-Karls-Universität-Tübingen, Band 16), Tübingen 1977, S. 271–352, insbesondere S. 294–296.
  • Heinz Seewald: Die Vertretung der Geschichtswissenschaft an der Universität Tübingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1837–1907. Dissertation, Tübingen 1950, S. 221–226.
  • Max Spindler: Nachruf Heinrich Günter. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Band 16, 1951/52, S. 405–406.
  • Johannes Spörl: Heinrich Günter. Ein Nachruf. In: Historisches Jahrbuch. Band 70, Verlag Karl Alber, München und Freiburg 1951, S. 3–14 (mit Bildtafel vor S. 1).
  • Johannes Spörl: Günter, Heinrich. In: Lexikon für Theologie und Kirche. 2. Auflage, Band 4, 1960, Sp. 1275.
  • Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie. 2. Ausgabe, Band 4, Saur, München 2006, ISBN 3-598-25034-7, ISBN 978-3-598-25034-7, S. 238.
  • Wolfgang Weber: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Faches bis 1970. Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 1984, ISBN 3-8204-8005-6, S. 191; 2. Auflage, Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 1987.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Die biographischen Angaben nach Standesamt Bad Mergentheim, Familienregister, S. 286 f. u. Stadtarchiv Stuttgart, Standesamt Stuttgart-Mitte, Familienregister, Bd. 41, S. 64b. Ein Halbbruder der Maria Schell aus der ersten Ehe des Vaters Johann Schell war der Kaufmann und Mergentheimer „Honoratior“ Sebastian Schell (1867–1948). Zu ihm Christoph Bittel und Reinhold Pfannkuch, Bad Mergentheim in alten Fotografien. Sutton, Erfurt 2002, S. 125.