Haltungsjournalismus

abschätzige Bezeichnung für eine journalistische Arbeitsweise

Haltungsjournalismus ist ein komplexer, oft unklarer Begriff für eine journalistische Arbeitsweise, bei welcher der Journalist eine bestimmte Haltung oder Perspektive zu einem Thema einnimmt und diese auch offen ausdrückt. Dies kann durch die Auswahl von Themen, die Art der Berichterstattung, die Wortwahl und die Betonung bestimmter Aspekte geschehen. Manchmal nehmen Journalisten offen eine politische, soziale oder kulturelle Position ein und nutzen ihre Plattform, um für bestimmte Werte oder Überzeugungen einzutreten. Der Fokus liegt darauf, eine klare Position zu vertreten (advocacy journalism), ohne notwendigerweise eine erkennbare Meinung wie im Kommentar auszudrücken.

In der Diskussion darüber verschwimmen oft die Grenzen zum davon eher abzugrenzenden Meinungsjournalismus (opinion journalism), der die persönliche Meinung und Überzeugung des Autors in den Mittelpunkt stellt, und zum Gesinnungsjournalismus (partisan journalism),[1][2] bei dem eine bestimmte, oft einseitige politische oder ideologische Betrachtung von Ereignissen oder Themen zum Ausdruck kommt.

Die Verwendung des Begriffs Haltungsjournalismus ist entsprechend ungenau und umstritten und dient oftmals als politisches Schlagwort, um einem Autor mangelnde Objektivität und/oder Neutralität zu unterstellen. Daher wird alternativ auch der Begriff „werteorientierter Journalismus“ vorgeschlagen.[3]

Besonders verbreitet ist Meinungsjournalismus in bestimmten Onlinemedien, wie Twitter (heute X).[4]

Haltung und journalistische Ethik Bearbeiten

Der Begriff betrifft auch die von der Journalistin Karoline Kuhla erörterte Frage: „Welche Regeln gelten für Journalisten?“[5] Für Kuhla gilt, dass Medien „unparteiisch und unabhängig“ informieren. „Sie können natürlich in Kommentaren bestimmte Meinungen präsentieren, diese gut argumentativ darlegen, aber sie sollten nicht tendenziös berichten, auch nicht, wenn sie damit einem guten Zweck dienen oder zu dienen meinen.“[6] Ein berühmtes, Hanns Joachim Friedrichs zugeschriebenes Zitat,[7] wonach sich ein Journalist nicht mit einer Sache, auch nicht einer guten, gemein machen soll, gibt Anlass zu Missverständnissen. In seinem Essay anlässlich der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an Katrin Eigendorf erklärt das der Journalist Rüdiger Jungbluth und zitiert dazu den Spiegel-Redakteur Cordt Schnibben mit der Aussage: „Daraus zu machen, dass ein Journalist quasi ein haltungsloser, emotionsloser Journalist sein sollte, dem man seine Haltung nicht anmerkt, ist eine Pervertierung.“[8]

Begriffsgeschichte Bearbeiten

Der Begriff „Haltungsjournalismus“ ist seit mindestens 2004 belegbar.[9] Wie genau es zur Entstehung des Begriffs kam, ist jedoch unklar. Jedenfalls einige Journalisten sprechen selbst von Haltungsjournalismus.[10] Weiterhin könnten Debatten und Beiträge über „Haltung im Journalismus“ zur Entstehung dieses Begriffs beigetragen haben.

„Der partielle Vertrauensverlust in die Medien drückt sich spätestens seit 2014 durch laute, teils sehr emotionale Medienkritik auf der Straße aus, hinzu kommen wüste Töne in den sozialen Netzwerken.“[11] Ein aufsehenerregender Fall, der dem Begriff Substanz geben soll, war 2018 die Enthüllung, dass der Spiegel-Autor Claas Relotius weite Teile seiner wiederholt preisgekrönten Reportagen frei erfunden hatte.[12] Der Begriff „Haltungsjournalismus“ wird auf einer Webseite des MDR Fernsehens ausführlicher erörtert.[13]

Siehe auch Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Peter Welchering: Gesinnung oder Haltung. 8. Dezember 2020, abgerufen am 29. August 2023 (deutsch).
  2. Peter Welchering: Gesinnung oder Haltung: Klärung in einer journalistischen Wertedebatte. 11. September 2020, abgerufen am 30. August 2023.
  3. etwa Restle, Georg in: WDRprint Juli/August 2018, S. 44 f - Online verfügbar unter https://twitter.com/georgrestle/status/1014133298245853184/photo/1 Stand: 7. Oktober 2023.
  4. Sascha Michael: Journalisten in sozialen Netzwerken: Zur Kritik am "Social-Media-Journalismus". In: Hans-Jürgen Bucher (Hrsg.): Medienkritik. Herbert von Halem Verlag, 2020, S. 202 ff. (researchgate.net [PDF]).
  5. Karoline Kuhla: Fake News. Carlsen Klartext, Carlsen Verlag, Hamburg 2017, ISBN 978-3-551-31731-5, S. 109 ff.
  6. Karoline Kuhla: Fake News. S. 115.
  7. Hanns Joachim Friedrichs (mit Harald Wieser): Journalistenleben. Autobiographie. 1. Auflage. Droemer Knaur, München 1994, ISBN 978-3-426-26834-6, S. 70 f. (284 S.): „Bei diesen Begegnungen hat […] Charles Wheeler […] eher beiläufig davon geredet, […] was er mir empfehlen, wovor er mich warnen würde. Zu seinen Maximen gehörte die Erkenntnis, daß ein seriöser Journalist ‚Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung‘ hält; daß er sich ‚nicht gemein‘ macht mit einer Sache, ‚auch nicht mit einer guten Sache‘; daß er nicht in lauten Jubel einstimmt oder in öffentlicher Betroffenheit versinkt; und daß er auch im Umgang mit Katastrophen ‚cool bleibt‘, ohne ‚kalt‘ zu wirken. ‚Immer dabeisein – nie dazugehören‘, dieses Journalisten-Motto beschreibt den Reporter Charles Wheeler wohl am treffendsten.“
  8. Rüdiger Jungbluth: Mit keiner Sache gemein? Die Wahrheit über das Hanns-Joachim-Friedrichs-Zitat auf Übermedien.de vom 2. November 2021.
  9. Suche bei Google Trends im April 2023: https://trends.google.com/trends/explore?date=all&geo=DE&q=haltungsjournalismus
  10. Lea Susemichel: Warum es mehr Haltungsjournalismus braucht. In: Der Standard Online-Angebot. Oscar Bronner, 15. Oktober 2021, abgerufen am 7. Oktober 2023.
  11. Alexis von Mirbach: Medienträume. S. 12, 2023, Herbert von Halem Verlag, Köln ISBN 978-3-86962-635-2.
  12. Wenn „Haltung“ mehr zählt als Wahrhaftigkeit. auf Cicero,de, abgerufen am 11. April 2023.
  13. Wo bleibt die Ausgewogenheit? Haltung im Journalismus. auf MDR.de, abgerufen am 11. April 2023.