Gorna Bela Rechka

bulgarisches Dorf

Gorna Bela Rechka (bulgarisch Горна Бела речка) ist ein kleines Dorf im Nordwesten von Bulgarien,[1] rund 25 Kilometer von der serbischen Grenze entfernt. Es gehört zur Gemeinde Varshets[2] in der Oblast Montana. Über seine Geschichte ist nichts bekannt.[Anm. 1] Die nordwestlich gelegene Provinzhauptstadt Montana ist 36 km entfernt.

Gorna Bela Rechka (Горна Бела речка)
Gorna Bela Rechka führt kein Wappen
Gorna Bela Rechka (Bulgarien)
Gorna Bela Rechka (Bulgarien)
Gorna Bela Rechka
Basisdaten
Staat: Bulgarien Bulgarien
Oblast: Montana
Einwohner: 61 (31. Dezember 2013)
Fläche: 19,975 km²
Bevölkerungsdichte 3,1 Einwohner/km²
Koordinaten: 43° 11′ N, 23° 21′ OKoordinaten: 43° 10′ 44″ N, 23° 21′ 24″ O
Höhe: 300-499 m
Postleitzahl: 3544
Kfz-Kennzeichen: M

Geografie Bearbeiten

Geografische Lage Bearbeiten

Von Montana gelangt man in Richtung Südosten über die Straßen Nr. 1, 1621 und 162 nach Gorna Bela Rechka. Auf dem Weg bleiben zunächst der Ort Krapchene und dann Trifonovo links liegen. Später werden Sumer und Stoynovo durchquert. Wenn Dolno Ozirovo passiert ist, wird die Strecke bergiger. Nach dem Abzweig vor Varshets kommt zunächst Dolna Bela Rechka und in Folge das von Wald, Feldern und Bergen umgebene Gorna Bela Rechka. Hinter dem Ort führt die Straße Nr. 162 durch den Wald in die Oblast Sofia. Die Hauptstadt Sofia liegt knapp 80 km – Luftlinie: 55 km – südlich von Bela Rechka und ist mit Bus und Zug über den Ort Lakatnik in knapp zwei Stunden zu erreichen.

Klima Bearbeiten

In der Oblast Montana herrscht kontinentales Klima mit heißen, trockenen Sommern und kalten, schneereichen Wintern. Der heißeste Monat ist in der Regel der August mit einer minimalen Temperatur von 22 °C und einer maximalen von 29 °C. Kältester Monat ist der Februar mit 0 °C bis – 6 °C. Der Niederschlag ist im Allgemeinen gering, am niedrigsten im März mit einem Tag und am höchsten im Januar mit 12 Tagen.[3]

Ökonomie Bearbeiten

 
Wespennest in einer Schafsglocke
in Gorna Bela Rechka
 
Einwohnerin mit Kuh

Gorna Bela Rechka liegt in einer Region, die als das „ärmste Gebiet in der EU“ gilt.[4] Das Bruttoinlandsprodukt im Nordwesten Bulgariens beträgt nur 28 % des Durchschnitts in Europa. Die ganze Region ist von einer in erster Linie finanziell bedingten „Entvölkerung der ländlichen Gebiete“ betroffen.[5] Allein die Region Montana hat seit der letzten Jahrtausendwende über 50.000 Einwohner verloren.[4] Das hat zu Einsamkeit und einer Überalterung der Bevölkerung geführt. In Bela Rechka wurden 2013 nur noch 61 Bewohner gezählt, alle über 70 Jahre alt. Insbesondere haben viele Frauen ihre Heimat verlassen. Sie haben sich in der Altenpflege in anderen Ländern Europas verdingt, um auf diese Weise ihre daheim gebliebenen Angehörigen unterstützen zu können.[6] Mit den Folgen dieser ökonomischen und sozialen Misere hat sich der Filmemacher Stephan Komandarev 2009 in seinem 70-minütigen Dokumentarfilm The Town of Badante Women am Beispiel der Frauen aus dem nahegelegenen Varshets befasst.[7] Weil es in Bela Rechka gar keine jungen Menschen mehr gibt, hat sich die Situation in dem Dorf verändert. Hier leben die Menschen im Wesentlichen von ihren Ziegen und Schafen. Aus der Ziegenmilch stellen sie traditionelle Lebensmittel her, darunter einen besonderen Ziegenkäse. Die Produkte aus Bela Rechka entsprechen den Kriterien von Slow Food.[8][9]

Kultur Bearbeiten

2015 schrieb Francesco Martino über den Ort: „Gorna Bela Rechka ist keine Ausnahme von der traurigen Realität dieser Region – arm, desolat und verschlafen.“[5] Nach dem Zusammenbruch einer „Jahrhunderte alten kulturellen und kulinarischen Tradition“ hatte sich das kulturelle Leben der Bewohner auf Ziegen- und Schafzucht reduziert. Kulturelle Ereignisse, wie sie andernorts bekannt sind, gab es hier ebenso wenig wie eine Schule oder eine Kirche. Ab 2003 änderte sich das und seitdem gibt es jedes Jahr im Mai mit dem internationalen Goatmilk-Festival, zu Deutsch Ziegenmilch-Festival, ein lebendiges kulturelles Leben, an dem die Einheimischen und anreisende Gäste beteiligt sind.[10] Deswegen hält Ger Duijzings den Ort nicht für ein typisches Beispiel der Region:

“Yet Bela Rechka is perhaps not a typical case. It can be singled out because of its residents' heightened awareness of the Urban-rural distinction and their conscious attempts at self-positioning within or across it, which triggered by two factors: past rural-urban migration and the present opening up of the village to the world via the annual Goatmilk Memories Festival.”

„Doch Bela Rechka ist vielleicht nicht ein typischer Fall. Den Bewohnern ist der Stadt-Land-Unterschied sehr gegenwärtig und sie versuchen bewusst, sich dagegen zu stellen. Das wird durch zwei Faktoren bewirkt: die Landflucht in der Vergangenheit und die gegenwärtige Öffnung des Dorfes mit dem Goatmilk-Festival der Erinnerungen.“

Ger Duijzings: Anthem Press[11]

Im Jahr 2019 veröffentlichte die Regisseurin Susanna Schürmann auf Arte ihren Dokumentarfilm Das Rote Erbe – Künstler und die sozialistische Vergangenheit. In ihrem Film berichtet sie über den Fotografen Nikola Mihov, der seit vielen Jahren Monumentalskulpturen in Bulgarien fotografiert, und über eine Gruppe junger Künstler, die unter dem Namen Destructive Creation diese, dem ehemaligen Regime dienenden Skulpturen illegal künstlerisch umwidmet. Daneben kommt die bulgarische Journalistin Diana Ivanova mit ihrem Projekt des Goatmilk-Festivals zu Wort, über das ebenfalls ausführlich berichtet wird.[12]

Goatmilk-Festival Bearbeiten

 
Plakate vom Goatmilk-Festival (2015)

Das Goatmilk-Festival ist auf Initiative von Diana Ivanova entstanden. Sie kuratiert es zusammen mit Mariana Assenova.[13] Inzwischen hat sich daraus ein internationales Kulturfestival entwickelt, das sich einiger Beliebtheit erfreut. Es gibt eine Video-Dokumentation von Rayna Teneva.[14] Seit 2003 findet es im Mai eines jeden Jahres statt und ist stets einem ausgewählten Thema gewidmet. Das Festival 2016 stand unter dem Motto „Fear, let's talk about that“ – Lasst uns über Angst sprechen.[15]

Die Glocke Bearbeiten

Im Jahr 2008 stand das Goatmilk-Festival unter dem Zeichen der Wiederbeschaffung einer Kirchenglocke.[16] Obwohl es keine Kirche gab, hatte Bela Rechka einen Glockenturm mit einer Glocke. Die war den Einheimischen wichtig, weil ihr Läuten auch das soziale Leben strukturierte. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde sie gestohlen. Künstler aus aller Welt wollten Bela Rechka zu einer neuen Glocke verhelfen. Mit Hilfe des europäischen Programms Kultur 2000 und zahlreicher Sponsoren bekam Bela Rechka schließlich eine neue Glocke. Die Video-Dokumentation des Goethe-Instituts zeugt davon.[17]

Weblinks Bearbeiten

Commons: Gorna Bela rechka – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkung Bearbeiten

  1. Zur Geschichte der Region siehe den Abschnitt „Geschichte“ im Artikel „Montana (Bulgarien)“.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Gorna Bela Rechka. In: Guide Bulgaria. Abgerufen am 22. Mai 2016 (englisch).
  2. Municipality Varshets. In: Guide Bulgaria. Abgerufen am 22. Mai 2016 (englisch).
  3. Wettervorhersage für Montana in Oblast Montana, Bulgarien. In: Storm247. Abgerufen am 23. Mai 2016.
  4. a b Maia Ivanova: Im Nordwesten viel Neues. In: Bulgarisches Wirtschaftsblatt und Südeuropäischer Report. 30. März 2011, abgerufen am 22. Mai 2016.
  5. a b Francesco Martino: Rural Bulgaria: between abandonment and redemption. Gorna Bela Rechka. In: Osservatorio Balcani e Caucaso. 2. März 2015, abgerufen am 22. Mai 2016 (englisch, eigene Übersetzung).
  6. Diana Ivanova: Bread-winning badante. In: signandsight – Let's talk European. 10. April 2008, abgerufen am 14. September 2016 (englisch): „In the end, I think that what is happening to these women is the best that can happen.“
  7. Stephan Komandarev: The Town of Badante Women. Informationen über den Film (Bulgarien: 70 min.). 2009, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. Januar 2016; abgerufen am 25. Mai 2016 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dafilms.de
  8. Slow Food Foundation for Biodiversity: Bela Rechka Kozya Izvara. Abgerufen am 14. September 2016 (englisch, italienisch).
  9. Francesco Martino: L’abbandono è ovunque. L?importanza della terra in Bulgaria. Abgerufen am 14. September 2016 (italienisch).
  10. Diana Ivanova, Mariana Assenova: Goatmilk – People and Events. (PDF; 9,9 MB) 5 Jahre Goatmilk: Geschichte, Hintergründe, Fotos. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. März 2016; abgerufen am 24. Mai 2016 (bulgarisch, englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/novakultura.org
  11. Ger Duijzings: Global Villages: Rural and Urban Transformations in Contemporary Bulgaria. Anthem Press, London, New York, Delhi 2014, ISBN 978-1-78308-351-0, S. 142.
  12. Das Rote Erbe – Künstler und die sozialistische Vergangenheit. Protest auf Ruinen: Bulgarien. Arte, 20. Oktober 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 22. Oktober 2019; abgerufen am 23. Oktober 2019: „Diese Folge begleitet unter anderen den Fotografen Nikola Mihov und die Filmemacherin Diana Ivanova, die in Archiven Belege für die andauernde Macht der alten Herrscher entdeckt hat.“  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.arte.tv
  13. Balcaniecaucaso tells the touching story of Bulgaria's Gorna Bela Rechka. In: Novinite.com. 3. März 2015, abgerufen am 24. Mai 2016 (englisch, eigene Übersetzung).
  14. Rayna Teneva: Goat Milk Festival Bela Rechka 2012. Video-Dokumentation auf Vimeo (2:16). Abgerufen am 24. Mai 2016.
  15. Fear, let's talk about that. Program 2016. In: Goatmilk. Abgerufen am 23. Mai 2016 (englisch).
  16. The bell of Bela Rechka. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. März 2016; abgerufen am 24. Mai 2016 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/novakultura.org
  17. Julia Bakalski: Erinnerungen – Goat Milk Festival. In: YouTube-Kanal des Goethe-Institutes. 19. April 2010, abgerufen am 24. Mai 2016 (bulgarisch, deutsch).