Das Ersja-Mordwinische (ersjanisch э́рзянь ersjan’) ist einer der beiden Hauptdialekte der mordwinischen Sprache, die zur wolgafinnischen Gruppe der finno-ugrischen Sprachen gehört. Es wird auch Ersa-Mordwinisch geschrieben.[1] Gesprochen wird diese Sprache in den nördlichen Teilen der Republik Mordwinien.
Ersja-Mordwinisch
(Эрзянь кель Ersjan’ kel’) | ||
---|---|---|
Gesprochen in |
Russland | |
Sprecher | ca. 500.000 | |
Linguistische Klassifikation |
| |
Offizieller Status | ||
Amtssprache in | Mordwinien | |
Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
– | |
ISO 639-2 |
myv | |
ISO 639-3 |
myv |
Die genaue Sprecherzahl für das Ersja-Mordwinische ist nicht genau zu beziffern; für das gesamte Mordwinische beträgt sie ca. 750.000, wobei das Ersjanische den weitaus größten Teil mit etwa 500.000 Sprechern einnimmt. Allerdings beherrschen insbesondere Jugendliche in den Städten ihre Muttersprache schlecht oder gar nicht. Da der Schulunterricht meistens nur in der russischen Sprache stattfindet, haben die Kinder, deren Muttersprache Ersja- oder Mokscha-Mordwinisch ist, wenig Chancen, ihre Muttersprache literarisch zu entwickeln. Die Anzahl der Sprecher sinkt kontinuierlich. Auf Dauer könnten die beiden mordwinischen Sprachen deswegen vom Aussterben bedroht sein.
Die Dichterin Xenija Petrowa förderte den Muttersprachunterricht und erstellte eine Grammatik der ersjanischen Sprache.
Entwicklung der Sprache und gegenwärtige Situation Bearbeiten
Im 19. Jahrhundert wurden einige Bücher, hauptsächlich religiöse Texte, in verschiedenen Dialekten von ersjanisch und mokschanisch veröffentlicht.[2] Auch die Grammatiken von Ersja und Mokscha wurden im 19. Jahrhundert veröffentlicht (in Russland, Finnland und Ungarn).[2]
Die Entwicklung der Literatursprachen Ersja und Mokscha begann in den 1920er Jahren, und es wurden kulturelle Einrichtungen für die Mordwinischen-Sprachen gegründet.[2] Der zentrale Dialekt (das Dorf Kozlovka) wurde als Grundlage für die Literatursprache Ersja gewählt, und die Literatursprache Mokscha basiert auf den zentralen Dialekten von Mokscha.[2] 1928 wurde der Autonome Kreis Mordwinien gegründet, der 1934 in eine autonome sozialistische Republik umgewandelt wurde, die 1994 zur Republik Mordwinien wurde.[2] Nur 32 % der Einwohner sind Mordwiner, und zwei Drittel der Mordwiner leben außerhalb der Republik.[2]
In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre begann unter Josef Stalin der Terror, und die gesamten mordwinischen Intellektuellen wurde entweder inhaftiert oder aufgrund erfundener Anschuldigungen hingerichtet.[2] Die nationale Identität begann sich durch die Säuberungen zu verschlechtern.[2] Infolge der Schulreform in den 1950er Jahren begann das System des muttersprachlichen Unterrichts zu zerfallen, so dass Mordwinisch heute nur noch in der ersten Klasse und als Unterrichtsfach für einige Stunden in der Woche unterrichtet wird.[2]
Im Jahr 1989 kannten 33 % der Mordviner ihre eigene Sprache nicht; bei der Volkszählung 2010 war der Prozentsatz weiter auf fast 50 gestiegen.[2] Da die meisten von ihnen zu den jüngeren Altersgruppen gehören, wird sich der Prozess des Sprachwandels in den kommenden Jahrzehnten mit zunehmender Geschwindigkeit fortsetzen.[2]
Der Zerfall der Sowjetunion und die Demokratisierung Russlands lösten auch in den mordwinischen Gebieten eine zerbrechliche nationale Wiederbelebung aus, die jedoch mit dem Auftreten wirtschaftlicher Schwierigkeiten schnell wieder im Keim erstickt wurde.[2] 1998 wurde ein Sprachgesetz erlassen, das jedoch so vage formuliert ist, dass es keine Rechte für die Benutzer des Mordwinischen garantieren kann.[2] Unter der Regierung von Wladimir Putin wurde die zentralistische Macht in Russland gestärkt und die Rechte der Minderheiten beispielsweise in der Gesetzgebung und im Bildungswesen beschnitten.[2]
Alle Ersjas und Mokschas sind zweisprachig.[2] Die Zweisprachigkeit von Ersja/Mokscha und Russisch ist unidirektional; Russischsprachige erwerben keine Kenntnisse der Mordwin-Sprachen.[2] Die Zahl der Kinder, die in Kindergärten oder Schulen Ersja oder Mokscha lernen, nimmt immer schneller ab.[2]
Phonologie Bearbeiten
Konsonanten Bearbeiten
Ersjanisch hat 26 Konsonantenphoneme, die in autochthonen Wörtern verwendet werden, und drei, die nur in russischen Lehnwörtern verwendet werden (х, ф, щ).[2]
UPA[2] | Kyrillisch[2] |
---|---|
k | к |
t t' | т, ть, oder т gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
p | п |
g | г |
d d' | д, дь oder д gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
b | б |
j | й oder zu Wortanfang е, ё, ю, я |
v | в |
s ś | с, сь oder с gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
z ź | з, зь oder з gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
š | ш |
ž | ж |
c ć | ц, ць oder ц gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
č | ч |
r ŕ | p, рь oder р gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
l l' | л, ль oder л gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
n ń | H, нь oder н gefolgt von einem Frontvokal oder ё,ю,я |
m | м |
χ | х |
f | ф |
šč ~ š́š́ | щ |
Ersjanisch hat eine Stimmkorrelation: stimmlose Stopps und Zischlaute haben stimmhafte Paare (sieben Paare: k : g, t : d, t' : d', p : b, s : z, ś : ź, š : ž).[2] Sie sind ursprünglich wortintern zwischen stimmhaften Lauten (z. B. Vokalen) oder über Lehnwörter entstanden.[2] Heute können sie auch wortanfangs vorkommen, insbesondere in beschreibenden Wörtern und Lehnwörtern.[2]
Vokale Bearbeiten
Ersjanisch hat nur fünf Vokale:[2]
UPA | Kyrillisch | ||
---|---|---|---|
u | i | у | и~ы |
o | e | o | e |
a | a |
Nach einem nicht palatalisierten Konsonanten wird i eher hinten ausgesprochen (i͔).[2] Daher wird es in Kyrillisch mit dem Buchstaben ы nach nicht palatalisierten Zahnlaut geschrieben, z. B. сырне [si͔ ŕńe] 'Gold'.[2] Es ist jedoch nur ein Allophon von i.[2]
Morphologie Bearbeiten
Substantive Bearbeiten
Es gibt 12 Fälle im Ersjanischen.[2] Wenn ein Wort mit einem Konsonant endet, ist in der Regel vor den meisten Kasusendungen ein bindender Vokal (e oder o entsprechend der Vokalharmonie) erforderlich.[2]
Konjugation von Verben: (einfaches) Präteritum[2]
Konjugation von Substantiven: Vergangenheitsform[2]
Konjugation von Verben: II Vergangenheitsform[2]
Infinitiv -мc und -мо/-ме; Futur[2]
Verbalsubstantive mit -mo/-ме und -ма[2]
Substantive werden nach Fall, Zahl, Bestimmtheit und Besitzer flektiert. Ersjanisch unterscheidet zwölf Fälle (hier am Beispiel des Substantivs мода moda "Boden, Erde"). Die Zahl wird nur bei bestimmten Substantiven systematisch unterschieden; bei unbestimmten Substantiven und Substantiven mit einem Possessivsuffix hat nur der Nominativ einen eigenen Plural.[2][3]
Kasus | unbestimmter Artikel | bestimmter Artikel | 1.p. sg. poss. | 2.p. sg. poss. | 3.p. sg. poss. | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
singular | plural | singular | plural | singular | plural | singular/plural | singular | plural | |
nominativ | мода
moda |
мода-т
moda-t |
мода-сь
moda-ś |
мода-tне
moda-ťńe |
мода-м
moda-m |
мода-н
moda-n |
мода-т
moda-t |
мода-зo
moda-zo |
мода-нзo
moda-nzo |
genitiv | мода-нь
moda-ń |
мода-нть
moda-ńť |
мода-тне-нь
moda-ťńe-ń | ||||||
dativ/allativ | мода-нень
moda-ńeń |
мода-нтень
moda-ńťeń |
мода-тне-нень
moda-ťńe-ńeń | ||||||
inessiv | мода-со
moda-so |
мода-сонть
moda-sońť |
мода-tне-сэ
moda-ťńe-se |
мода-со-н
moda-so-n |
мода-со-т
moda-so-t |
мода-со-нзo
moda-so-nzo | |||
elativ | мода-сто
moda-sto |
мода-стонть
moda-stońť |
мода-tне-стэ
moda-ťńe-ste |
мода-сто-н
moda-sto-n |
мода-сто-т
moda-sto-t |
мода-сто-нзo
moda-sto-nzo | |||
illativ | мода-с
moda-s |
мода-нтень
moda-ńťeń |
мода-tне-с
moda-ťńe-s |
мода-з-oн
moda-z-on |
мода-з-oт
moda-z-ot |
мода-з-oнзo
moda-z-onzo | |||
prolativ | мода-ва
moda-va |
мода-ванть
moda-vańť |
мода-tне-а
moda-ťńe-va |
мода-ва-н
moda-va-n |
мода-ва-т
moda-va-t |
мода-ва-нзo
moda-va-nzo | |||
ablativ | мода-до
moda-do |
мода-донть
moda-dońť |
мода-tне-дe
moda-ťńe-ďe |
мода-до-н
moda-do-n |
мода-до-т
moda-do-t |
мода-до-нзo
moda-do-nzo | |||
lativ | мода-в
moda-v |
- | - | - | - | - | |||
translativ | мода-кс
moda-ks |
мода-ксонть
moda-ksońť |
мода-tне-кс
moda-ťńe-ks |
мода-кс-oн
moda-ks-on |
мода-кс-oт
moda-ks-ot |
мода-кс-oнзo
moda-ks-onzo | |||
abessiv | мода-втомо
moda-vtomo |
мода-втомонть
moda-vtomońť |
мода-тне-втеме
moda-ťńe-vťeme |
мода-втомо-н
moda-vtomo-n |
мода-втомо-т
moda-vtomo-t |
мода-втомо-нзo
moda-vtomo-nzo | |||
komparativ | мода-шка
moda-ška |
мода-шканть
moda-škańť |
мода-тне-шка
moda-ťńe-ška |
мода-шка-н
moda-ška-n |
мода-шка-т
moda-ška-t |
мода-шка-нзo
moda-ška-nzo |
Kyrillisches Alphabet Bearbeiten
Das moderne Ersjanische-Alphabet ist dasselbe wie das russische:[2]
А
/a/ |
Б
/b/ |
В
/v/ |
Г
/ɡ/ |
Д
/d/ |
Е
/je/ |
Ё
/jo/ |
Ж
/ʒ/ |
З
/z/ |
И
/i/ |
Й
/j/ |
К
/k/ |
Л
/l/ |
М
/m/ |
Н
/n/ |
О
/o/ |
П
/p/ |
Р
/r/ |
С
/s/ |
Т
/t/ |
У
/u/ |
Ф
/f/ |
Х
/x/ |
Ц
/t͡s/ |
Ч
/t͡ʃ/ |
Ш
/ʃ/ |
Щ
/ʃt͡ʃ/ |
Ъ
/-/ |
Ы
/ɨ/ |
Ь
/◌ʲ/ |
Э
/e/ |
Ю
/ju/ |
Я
/ja/ |
Besonderheiten des Ersjanischen Bearbeiten
Während die meisten finno-ugrischen Sprachen über eine Vielfalt an Vokalphonemen verfügen, weist das Ersjanische lediglich a, e, i, o und u auf. Vokale werden grundsätzlich kurz gesprochen. Ebenso weist das Ersjanische keinerlei Diphthonge auf.
Im Gegensatz zum Mokschanischen und den meisten anderen finno-ugrischen Sprachen liegt die Betonung häufig auf anderen Silben als auf der ersten. Das Ersjanische verfügt über elf Kasus und verwendet andere Suffixe zur Possessivbildung als das Mokschanische.
Weblinks Bearbeiten
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Abbildung eines Buches zur Grammatik des Ersa-Mordwinischen (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae af ag ah ai aj ak al Saarinen, Sirkka. "Erzya e-learning course" (PDF). Ludwig-Maximilians-Universität München. Abgerufen 15-04-2024.
- ↑ a b Zaicz, Gábor: "Mordva". In: Abondolo, Daniel. (Hrsg.): The Uralic Languages. Routledge, London, S. 184–218.