Die Lore-Ley

Gedicht von Heinrich Heine (1824)

Die Lore-Ley bzw. Lied von der Loreley ist ein Gedicht von Heinrich Heine aus dem Jahre 1824, das in einer Liedfassung Friedrich Silchers (1837) anhaltende Verbreitung fand. Es handelt von einer „schönen Jungfrau“, die auf dem gleichnamigen Felsen Loreley oberhalb des Rheins sitzt. Heine bezog sich auf eine 1801 von Clemens Brentano verfasste Kunstsage (Lore Lay). Gedicht bzw. Lied gelten als Ausdruck der Rheinromantik.

Darstellung der Lore-Ley von Edmund Brüning in Heines «Buch der Lieder»

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar[;]
Ihr gold’nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold’nes Haar.

Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.[1]

(Buch der Lieder, 1827)

Deutungen

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Mit Blick auf das zentrale Thema der verschmähten und sogar verurteilten Liebe wollen manche in diesem Gedicht eine autobiographische Komponente erkennen (Amalien-Erlebnis); das Kämmen mit dem goldenen Kamm wird teilweise als narzisstische Geste gedeutet, vor allem aber als Rückgriff auf die Schlüsselszene des Märchens Die Gänsemagd aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (KHM 89)[2] und eine Schlüsselstelle in Heines Deutschland ein Wintermärchen (Caput 14). Andere sehen in dem Gedicht eine Auseinandersetzung Heines mit der Romantik bzw. der romantischen Poesie, die in der Lore-Ley-Gestalt verkörpert sei. Er benutze Motive und Darstellungsmittel der Romantik und des Volkslieds, um diese (durch Akkumulation und durch Übertreibung, auch durch übersteigertes Pathos) zu ironisieren und sich auf diese Weise zu distanzieren. Die Verbindung von Eitelkeit, Verführbarkeit und Vergänglichkeit weist auf die Wiederbelebung der Vanitas-Motive in der Romantik hin.

Vertonungen

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Briefmarke der Deutschen Bundespost, 1989
Melodie der Vertonung von Friedrich Silcher

Im 19. Jahrhundert entstanden über vierzig Liedfassungen des Textes von Heine. Die bei weitem populärste war die von Friedrich Silcher (1837).[3]

Im Jahr 1841 und in überarbeiteter Fassung 1856 wurde das Gedicht von Franz Liszt unter dem Titel Die Loreley (Searle 273) als Lied für Klavier und Singstimme vertont. Liszt hat zusätzliche Arrangements für Klavier solo im Jahr 1861 (Searle 532) sowie Singstimme und Orchester im Jahr 1860 (Searle 369) erstellt. Es ist mit seiner Tonmalerei und seiner differenzierten szenischen Stimmungsschilderung nicht mit Silchers schlichter Volksweise vergleichbar.[4] Clara Schumann vertonte den Text im Jahr 1843 als Lied für Klavier und Singstimme.[5] Felix Mendelssohn Bartholdy plante eine Oper über das Sujet (Op. 98, unvollendet). Der Berliner Komponist Paul Lincke brachte im Jahr 1900 eine Operette unter dem Titel Fräulein Loreley heraus.

Bemerkenswert ist auch die Vertonung von Josef Netzer für die ungewöhnliche Besetzung Tenor, Bass, Klarinette (oder Horn) und Klavier. Diese Komposition wird zu den bedeutendsten Werken des Tirolers gezählt.[6]

Im 20. Jahrhundert zitierte die Band Haindling das Gedicht im Lied Walzer aus dem Album Spinn I von 1985.

Rezeption

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Heines Lore-Ley wurde lange Zeit, vor allem im 19. Jahrhundert, als sentimentales Volkslied rezipiert. Von Walter A. Berendsohn stammt die Behauptung, dass das Lied so populär war, dass es selbst die Nationalsozialisten im Dritten Reich nicht gewagt hätten, es aus den Lyrik-Anthologien zu entfernen, obwohl Heinrich Heine als Jude zu den Dichtern gehörte, deren Werke verboten und verbrannt wurden. Seine Urheberschaft sei jedoch unterschlagen und stattdessen meistens „von einem unbekannten deutschen Dichter“ oder ähnliches angegeben worden. Diese Aussage wurde vielfach wiederholt, unter anderem auch von Herbert Eulenberg 1947 im Vorwort einer dreibändigen Werkauswahl Heines.[7] Umfangreiche Analysen von Schulbüchern und Gedichtanthologien der Nazizeit haben aber keinen Beleg für diese Aussage erbracht.[8][9] Eine entsprechende Untersuchung von Liedsammlungen steht bisher noch aus.

Literatur

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  • Helga Arend: Die Loreley – Entwicklung einer literarischen Gestalt zu einem internationalen Mythos. In: Liesel Hermes, Andrea Hirschen, Iris Meißner (Hrsg.): Gender und Interkulturalität. Ausgewählte Beiträge der 3. Fachtagung Frauen-/Gender-Forschung in Rheinland-Pfalz (= Frauen- und Gender-Forschung in Rheinland-Pfalz. Bd. 4). Stauffenburg-Verlag, Tübingen 2002, ISBN 3-86057-794-8, S. 19–28.
  • Rotraud Ehrenzeller-Favre: Loreley, Entstehung und Wandlung einer Sage. Hoops, Zürich 1948.
  • Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte (= Kröners Taschenausgabe. Band 300). 9., überarbeitete und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 1998, ISBN 3-520-30009-5.
  • Jürgen Kolbe (Hrsg.): „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“. Heinrich Heines Loreley. Bilder und Gedichte. Hanser, München u. a. 1976, ISBN 3-446-12302-4.
  • Peter Lentwojt: Die Loreley in ihrer Landschaft. Romantische Dichtungsallegorie und Klischee. Ein literarisches Sujet bei Brentano, Eichendorff, Heine und anderen. Lang, Frankfurt am Main u. a. 1998, ISBN 3-631-32076-0. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 1664). (Zugleich: Stuttgart, Universität, Dissertation, 1996).
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Commons: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Druckfassung 1827
  2. Johannes Wilkes, „Der Einfluss von Märchen auf Leben und Werk Heinrich Heines“, in: Märchenspiegel 1997, S. 9–12.
  3. Étienne François, Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. Band 3. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47224-9, S. 490.
  4. Hans Christoph Worbs: Booklet der CD von Margaret Price und Cyprien Katsaris: Franz Liszt – Lieder und 3 Petrarca-Sonette, Teldec Schallplatten GmbH, 1986, auf CD von Teldec Classics International GmbH, Hamburg, 1999, Seite 5
  5. Œuvre van Clara Schumann-Wieck.
  6. Michael Aschauer: Josef Netzer (1808–1864) als Liedkomponist. In: Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen. Band 1, 2008, S. 9–55, zobodat.at [PDF].
  7. Vorwort von Herbert Eulenberg zu Heinrich Heine. Ausgewählte Werke. Band I. Aufbau Verlag, Berlin 1947, S. 8.
  8. Anja Oesterheld: „Verfasser unbekannt“? Der Mythos der Anonymität und Heinrich Heines Loreley. In: Stephan Pabst (Hrsg.): Anonymität und Autorschaft. Zur Literatur und Rechtsgeschichte der Namenlosigkeit. De Gruyter,, Berlin 2011, S. 325–358, doi:10.1515/9783110237726.325 (Diese Arbeit bestätigt und erweitert frühere Untersuchungen von Bernd Kortländer: Es gibt von 1933 bis 1945 keinen bekannten Fall, in dem ein Heinegedicht einem unbekannten Verfasser zugeschrieben wird. In den ersten Jahren nach 1933 erschienen noch Bücher mit der Lore-Ley und Heines Namen, nach 1937 kamen Heines Gedichte in keinem im damaligen Deutschland erschienenen Buch mehr vor und wurden insbesondere bei Neuauflagen entfernt.).
  9. Bernd Kortländer: Le poète inconnu de la ›Loreley‹. Le médiateur supprimé. In: Romantisme. Nr. 101, 1998, S. 29–40, S. 37 (französisch, persee.fr).